Kelly | Calpurnias faszinierende Forschungen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Kelly Calpurnias faszinierende Forschungen


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-446-25030-7
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-446-25030-7
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Calpurnia liebt die Natur und träumt davon, Forscherin zu werden. Von ihrem Großvater hat sie gelernt, Pflanzen zu bestimmen und wissenschaftliche Instrumente einzusetzen. Gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder Travis versorgt sie hilfsbedürftige Tiere. Ein Gürteltier, ein Waschbär und ein Hundewelpe finden bei ihr ein Zuhause auf Zeit. Callie füttert und untersucht die Tiere, liest bei Darwin nach und vertieft ihre naturkundliche Bildung. Als ein Tierarzt in den Ort zieht, wird klar, dass sie genau die richtige Assistentin für ihn ist. Doch Veterinär ist ein Beruf für Jungen und Callie ist das einzige Mädchen in der Familie ... Die hinreißende Fortsetzung um Calpurnias (r)evolutionäre Entdeckungen.

Jacqueline Kelly arbeitete als Ärztin und Rechtsanwältin, bevor 2012 ihr erfolgreiches Debüt Calpurnias (r)evolutionäre Entdeckungen erschien. 2015 folgte Calpurnias faszinierende Forschungen. 2018 startete ihre neue Reihe Calpurnias Tierstation mit dem Band Ein neues Lämmchen gefolgt von Ein Zuhause für das Stinktier.
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Erstes Kapitel

ARMAND ODER DILLY

Eines Abends, als wir ungefähr zehn Meilen vor der Bucht von San Blas lagen, waren wir inmitten einer riesigen Menge Schmetterlinge, Scharen oder Schwärme unendlicher Myriaden, so weit das Auge reichte. Selbst mithilfe eines Teleskops vermochte man unmöglich einen von Schmetterlingen freien Raum zu sehen. Die Seeleute riefen: »Es schneit Schmetterlinge«, und so wirkte es tatsächlich auch.

Am Neujahrstag des Jahres 1900 erlebte ich etwas ganz Erstaunliches: Ich sah zum ersten Mal Schnee. Du denkst jetzt vielleicht, so spektakulär sei das nun auch wieder nicht, aber für das Landesinnere von Texas war Schnee etwas ganz Außergewöhnliches. Hinzu kam, dass ich mir nur wenige Stunden zuvor, am Silvesterabend, vorgenommen hatte, wenigstens einmal in meinem Leben Schnee zu sehen, ohne mir jedoch große Hoffnungen zu machen, dass mir das tatsächlich irgendwann gelingen würde. Doch innerhalb weniger Stunden wurde mir mein hochfliegender Wunsch erfüllt, und Schnee verwandelte unseren sonst völlig gewöhnlichen Ort in eine Landschaft von makelloser Schönheit. Nur im Morgenmantel und mit Pantoffeln an den Füßen war ich im Morgengrauen durch den stillen Wald gelaufen und hatte staunend die feine Schneedecke, den bleifarbenen Himmel und die silbrig umrissenen Äste der Bäume betrachtet, bevor die Kälte mich zurück ins Haus trieb. Und nachdem das neue Jahrhundert mit so viel Tamtam und Trara und Glanz und Gloria begonnen hatte, erwartete ich, dass ich am Beginn einer großartigen Zukunft stand und mein dreizehntes Lebensjahr einfach magisch werden musste.

Doch inzwischen war es Frühling geworden. Die Monate waren mir irgendwie zwischen den Fingern zerronnen und hatten nichts gebracht außer dem bekannten Stumpfsinn aus Schule, häuslichen Pflichten und Klavierstunden. Unterbrochen wurde diese Eintönigkeit nur dadurch, dass meine sechs Brüder (!) es abwechselnd schafften, mich, das einzige Mädchen (!), zur Weißglut zu treiben. Das neue Jahr hatte mich ganz offensichtlich zum Narren gehalten.

Mit vollem Namen heiße ich Calpurnia Virginia Tate, doch damals nannten mich die meisten nur Callie Vee, abgesehen von Mutter, wenn sie mich tadelte, und Großpapa, der Spitznamen grundsätzlich ablehnte.

Mein einziger Trost waren die naturwissenschaftlichen Studien mit meinem Großvater, Captain Walter Tate, den viele in Fentress, wo wir lebten, fälschlich für einen schrulligen, ungeselligen alten Spinner hielten. Sein Geld hatte er mit Baumwolle und Viehherden gemacht, und im Bürgerkrieg hatte er auf Seiten der Südstaaten gekämpft. Irgendwann hatte er dann beschlossen, den letzten Abschnitt seines Lebens den Wissenschaften und dem Studium der Natur zu widmen. Ich begleitete ihn dabei, wann immer ich mich zu Hause loseisen konnte, und ich lebte für diese wenigen kostbaren Stunden in seiner Gesellschaft. Dann folgte ich Großpapa, ausgerüstet mit einem Schmetterlingsnetz, einer Ledertasche, meinem wissenschaftlichen Notizbuch und einem stets griffbereiten, frisch gespitzten Bleistift, mit dem ich unsere Beobachtungen festhielt.

Bei unfreundlichem Wetter saßen wir im Laboratorium (im Grunde nichts weiter als ein alter Schuppen, der einst zu den Sklavenunterkünften gehört hatte) und untersuchten unsere Präparate, oder wir gingen in die Bibliothek, wo ich mich unter Großpapas Anleitung langsam durch Mr. Charles Darwins Buch Über die Entstehung der Arten durcharbeitete. Bei schönem Wetter zogen wir über die Felder zum San Marcos River oder bahnten uns einen Weg durchs Gestrüpp auf einem der zahlreichen Tierpfade. Dem ungeübten Beobachter mochte unsere Welt nicht besonders aufregend scheinen, doch in Wirklichkeit wimmelte sie nur so vor Leben, man musste nur wissen, wohin man schauen sollte. Und wie man schauen sollte. Das war etwas, was ich von Großpapa gelernt hatte. Zusammen hatten wir eine brandneue Spezies einer haarigen Wicke entdeckt, die der Welt inzwischen unter der Bezeichnung Vicia tateii bekannt war. (Ich gebe zu, mir wäre es lieber gewesen, wir hätten eine unbekannte Tierart entdeckt, das wäre wirklich spannender gewesen, aber andererseits – wie viele Leute in meinem Alter oder ganz gleich welchen Alters können schon von sich sagen, dass etwas Lebendiges für immer ihren Namen trägt? Das ist nicht so leicht zu übertreffen.)

Mein Traum war es, eines Tages in Großpapas Fußstapfen zu treten und Wissenschaftlerin zu werden, doch Mutter hatte andere Pläne für mich: Ich sollte alle häuslichen Fähigkeiten erwerben und mit achtzehn als Debütantin in die Gesellschaft eingeführt werden. Bis dahin wäre ich hoffentlich präsentabel genug, um die Blicke eines wohlhabenden jungen Mannes aus guter Familie auf mich zu ziehen. (Ob mir das gelingen würde, bezweifelte ich allerdings stark, und zwar aus vielen Gründen: Zum Beispiel waren mir Kochen und Nähen verhasst, und der Typ Mädchen, nach dem sich alle umguckten, war ich auch nicht gerade.)

So war es also Frühling geworden, normalerweise eine Zeit der Freude, in meiner Familie aber auch eine Zeit einer gewissen Sorge, und das hing mit dem weichen Herzen meines ein Jahr jüngeren Bruders Travis zusammen. Der Frühling ist bekanntlich die Zeit des aufblühenden Lebens, die Zeit der Vogelküken, der Waschbärjungen, der Fuchswelpen und der kleinen Eichhörnchen. Viele dieser Jungtiere werden zu Waisen, werden verlassen oder verletzt. Und je hoffnungsloser ein Fall, je düsterer die Überlebenschancen, je geringer die Hoffnungen für die Zukunft, desto größer die Chance, dass Travis sich des Tieres annahm und es nach Hause brachte, damit es bei uns lebte. Ich selbst fand diese Parade ungewöhnlicher Haustiere immer ganz unterhaltsam, meine Eltern hingegen sahen das ganz und gar nicht so. Meine Mutter redete Travis ernst ins Gewissen, mein Vater drohte ihm strenge Strafen an, doch alles war vergessen, sobald Travis irgendwo ein hilfsbedürftiges Tier entdeckte. Manche erholten sich, andere endeten kläglich, doch alle fanden sie einen Platz im empfindsamen Herzen meines Bruders.

An einem Morgen im März stand ich besonders früh auf und lief zu meiner Überraschung in der Eingangshalle unseres Hauses Travis über den Weg.

»Gehst du zum Fluss?«, fragte er. »Kann ich mitkommen?«

Normalerweise zog ich lieber alleine los, weil man so viel besser ahnungslosen Tieren nachspionieren konnte. Doch von all meinen Brüdern war Travis derjenige, der mein Interesse an der Natur am ehesten teilte. Ich ließ ihn also mitkommen, allerdings unter einer Bedingung: »Du musst ganz leise sein. Ich will nämlich Tiere beobachten.«

Während der Himmel sich im Osten langsam im Licht der aufgehenden Sonne erwärmte, führte ich Travis auf einem der Wildpfade zum Fluss hinunter. Entgegen meinen Anweisungen plapperte Travis ununterbrochen. »Sag mal, Callie, hast du schon gehört, dass Maisie, der Rattenterrier von Mrs. Holloway, Junge hat? Meinst du, Mutter und Vater würden mich eins davon haben lassen?«

»Ich glaube nicht. Mutter beklagt sich sowieso schon immer darüber, dass wir vier Hunde haben. Ihrer Meinung nach sind das drei zu viel.«

»Aber es gibt doch auf der ganzen Welt nichts Tolleres als so einen Hundewelpen! Als Erstes würde ich ihm beibringen, Stöckchen zu holen. Das ist nämlich das Dumme an Bunny – ich hab ihn so lieb, aber er will einfach keine Sachen apportieren.« Bunny war Travis’ flauschiges, preisgekröntes Riesenkaninchen. Mein Bruder liebte es abgöttisch, Tag für Tag fütterte er es, bürstete ihm das Fell und spielte mit ihm. Aber dass er es zu dressieren versuchte, war mir neu.

»Moment mal«, unterbrach ich ihn, »heißt das, du … du willst Bunny Apportieren beibringen?«

»Klar. Aber ich versuch’s schon so lange, und er macht’s einfach nicht. Ich hab es sogar mit einer Möhre probiert, aber er hat sie bloß aufgefressen.«

»Ähm – Travis?«

»Hm-m?«

»Noch nie, seit es die Welt gibt, hat ein Kaninchen Stöckchen geholt. Mach dir deswegen also keine Gedanken.«

»Aber Bunny ist unheimlich schlau.«

»Für ein Kaninchen vielleicht, aber das heißt nicht viel.«

»Wir müssen bestimmt nur mehr üben.«

»Bestimmt. Anschließend kannst du dann auch gleich dem Schwein Klavierspielen beibringen.«

»Vielleicht würde Bunny ja schneller Fortschritte machen, wenn du uns helfen würdest.«

»Dabei nicht, du Träumer. Schlag dir das aus dem Kopf.«

Wir debattierten immer weiter, bis wir fast am Fluss waren. Auf einmal entdeckten wir ein Tier, kaum größer als ein kleiner Laib Brot, das im welken Laub am Fuß eines hohlen Baums schnüffelte. Bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass es ein junger Dasypus novemcinctus war, ein Neunbinden-Gürteltier oder auch Armadillo. Obwohl sie in Texas neuerdings häufiger vorkamen, hatte ich doch noch nie eins aus der Nähe gesehen. Anatomisch betrachtet, ähnelte es einer verunglückten Mischung aus einem Ameisenbär (die Schnauze), einem Muli (die Ohren) und einer Schildkröte (der Panzer). Mit seinem Aussehen war dieses Wesen ziemlich schlecht weggekommen, fand ich, aber Großpapa hatte mal gesagt, es sei nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch dumm, den menschlichen Schönheitsbegriff auf ein Tier anzuwenden, das es geschafft hatte, seit Millionen Jahren auf der Welt zu existieren.

Travis hockte sich hin und flüsterte: »Was macht es da?«

»Ich vermute, es sucht nach Frühstück«, sagte ich. »Laut Großpapa fressen sie Würmer und Larven und so was.«

»Der ist ja...


Kelly, Jacqueline
Jacqueline Kelly arbeitete als Ärztin und Rechtsanwältin, bevor 2012 ihr erfolgreiches Debüt Calpurnias (r)evolutionäre Entdeckungen erschien. 2015 folgte Calpurnias faszinierende Forschungen. 2018 startete ihre neue Reihe Calpurnias Tierstation mit dem Band Ein neues Lämmchen gefolgt von Ein Zuhause für das Stinktier.

Kollmann, Birgitt
Birgitt Kollmann studierte Englisch, Spanisch und Schwedisch in Heidelberg. Sie arbeitet als freie Übersetzerin aus dem Englischen und Spanischen und lebt an der Hessischen Bergstraße. Für Hanser hat sie u. a. schon Michael Gerard Bauer, Clay Carmichael, Jenny Han, Alison McGhee, Jacqueline Kelly, Sally Nicholls, Joyce Carol Oates, Juan Villoro, Sarah Weeks, Lauren Wolk und Katya Balen übersetzt. Sie wurde zweifach mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis und 2019 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.

Jacqueline Kelly, in Neuseeland geboren, wuchs in Kanada auf und lebt in Texas. Sie studierte Medizin und Jura, arbeitete als Ärztin und Rechtsanwältin, und begann nebenbei das Schreiben. 2009 erschien ihr Debüt „Calpurnias (r)evolutionäre Entdeckungen“, das u.a. mit dem Newbery Honor, dem Josette Frank Award und als ALA Best Book for Young Adults ausgezeichnet wurde. In der Schweiz erhielt sie für die deutsche Fassung den Prix Chronos 2014. Im Herbst 2015 erscheint die Fortsetzung des hoch gelobten Jugendromans über die neugierige Calpurnia Tate „Calpurnias faszinierende Forschungen“.



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