E-Book, Deutsch, 156 Seiten
Keller Plötzlich sprachlos
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-86628-791-4
Verlag: Hartung-Gorre
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Schlaganfall - Zweiter Teil. Mein zweiter beachtenswerter Lebensweg
E-Book, Deutsch, 156 Seiten
ISBN: 978-3-86628-791-4
Verlag: Hartung-Gorre
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was er zum Thema Aphasie alles erlebt, gesehen und wieder gelernt hat und wie er es geschafft hat, andere Menschen zu motivieren und auch selbst immer an sich zu "arbeiten", hat ihn bewogen, dieses Buch zu schreiben.
Uwe Keller erlitt am 18.02.1998 einen leichten Schlaganfall. Wie man so schön sagt: Aus heiterem Himmel hat ihn der Schlag getroffen. Die Sprachstörungen sowie die Sensibili- tätsstörung am linken Arm bildeten sich komplett zurück. Am 21.09.2001 erlitt Uwe Keller seinen zweiten Schlaganfall, wieder ohne jegliche Vorwarnung, doch dieses Mal hatte dies für ihn wesentlich schwerwiegendere Folgen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Ein Bike-Ausflug mit Gaby Gaby und ich fahren Liegedreiräder. Am Anfang machten wir immer nur kleinere Fahrten im Landkreis Heilbronn. Gaby hatte sich einer Handbike-Gruppe angeschlossen, die im Sommer jeden Mittwoch eine Ausfahrt macht. Sie hatte mir erzählt, dass die Handbike-Gruppe einen Busausflug nach Gunzenhausen (in Franken) machen würde. Und so hatte sie die Idee, dass wir beide mit unseren Liegerädern nach Gunzenhausen vorfahren könnten. Dort wollten wir dann die Handbike-Gruppe treffen. Schnell hatten wir ausgerechnet, dass wir wahrscheinlich fünf Übernachtungen brauchen würden. Beim gemütlichen Kaffeetrinken beschlossen wir, diese Tour zu wagen. Wir starteten schließlich im September. Da war es schon nicht mehr so heiß. Das war gut, denn wir hatten einige Anstiege zu bezwingen. Unser erstes „großes" Ziel war Rothenburg o. d. Tauber. Wegen der vielen Steigungen auf der Strecke beschlossen wir, bis Öhringen mit der Stadtbahn zu fahren. Das war totales Neuland für uns. Wir wussten nicht, ob das mit den Liegerädern und den Gepäcktaschen überhaupt möglich war. Deshalb gingen wir schon in der Woche vorher zur Heilbronner Bahnhofsmission, um dort um Hilfe anzufragen. Die Bahnhofsmission half uns dann tatsächlich beim Verladen der Bikes. Die Liegeräder hatten durch die Gepäcktaschen eine „bedrohliche" Größe. Sie versperrten zwei Einstiege der Stadtbahn. Nur gut, dass wir bis neun Uhr gewartet hatten. Um neun war die Bahn fast leer und wir behinderten nicht den Berufsverkehr. Eine Haltestelle nach Öhringen mussten wir aussteigen. Unterwegs merkten wir, dass wir unsere Bikes nun rückwärts aus der Bahn würden schieben müssen. Wir kamen ganz schön ins Schwitzen. Rückwärts würden wir beim Aussteigen viel länger brauchen als vorwärts. Und es gab keinen Platz, die Fahrräder zu drehen. Wir hatten richtig Angst vor dem Ausstieg. Die Bahn hält ja nur kurz und es war niemand in der Nähe, der uns helfen könnte. Doch Glück gehabt: Das Aussteigen klappte wider Erwarten auch ohne Hilfe ganz gut! Gaby hatte eine riesige Landkarte dabei. Sie liebt Landkarten, aber die Karte half uns leider nicht weiter. Sie war unhandlich. Außerdem sahen wir keine Schilder, die uns zeigten, wo wir genau waren. Es war schwierig sich zu orientieren. Endlich kam eine Frau, die uns erklärte, wie wir auf dem Fahrradweg nach Neuenstein kommen, unserem ersten Etappenziel: „Vorne gleich rechts, dann gleich wieder rechts, dann links, dann den lang gezogenen Hügel rauf ....“ Ein komplizierter und steiler Weg, das fing ja gut an! Wir mussten unterwegs noch zigmal fragen! Und das sollte nicht das einzige Problem bleiben... Was soll's? Fragen zu stellen und Gespräche zu führen, ist für uns immer gut. Aber leider führte uns etwa die Hälfte aller Auskünfte in die Irre. Irgendwann kamen wir dann doch in Neuenstein an, hier konnten wir eine kleine Pause machen. Aber die ständige Fragerei hatte mehr Zeit gekostet, als wir eingeplant hatten. Die Pause tat gut und mit frischem Elan fuhren wir schließlich weiter. In Neuenstein war die Wegbeschilderung für Radfahrer ausgezeichnet. Ja, so machte es Spaß! Unser nächstes Etappenziel war Langenburg. Irgendwann waren wir dann doch nicht mehr sicher, ob wir noch auf dem richtigen Weg waren. Wir fragten einen anderen Radler und er sagte: „Ja, Sie müssen aber zuerst nach Waldenburg fahren.” Mir erschien das zwar unlogisch, weil Langenburg in einer ganz anderen Richtung lag. Trotzdem folgten wir seiner Wegbeschreibung. Es ging auch wieder gewaltig den Berg hoch. Das Ganze war uns nicht geheuer. Wir fragten lieber noch einmal nach. Dieses Mal sprachen wir einen Radler an, der ein Profi-Trikot trug. Man sah ihm an, dass er Radfahrer aus Leidenschaft war. Dieser Mann sagte, wir müssten nicht erst nach Waldenburg fahren. Er gab uns eine Wegbeschreibung nach Langenburg, die sicherlich genau war. (Er konnte ja nicht wissen, dass wir Aphasiker waren.) Dann fuhr er davon. Er fuhr mit einer solchen Leichtigkeit den Berg hoch, das sah klasse aus! Doch wir verzweifelten fast. Denn kaum sahen wir den Mann nicht mehr, waren wir beide wieder unsicher, wie es nun weiterging. Gaby packte ihre Karte aus. Das hieß warten ... Gaby wollte mithilfe der Karte herausfinden, in welche Richtung wir nun mussten. Dabei war ich mir ziemlich sicher, dass das nicht klappen würde. Denn wir kannten unseren genauen Standpunkt nicht. An der Ecke war eine Tankstelle. Ich schlug Gaby vor, schnell dorthin zu fahren und nach dem Weg zu fragen. Das ging recht flott. Ich kam mit der frohen Kunde zurück, dass die Richtung in etwa stimmte. Der Weg, den wir nehmen mussten, lag etwa 300 Meter von der Tankstelle entfernt. Der Weg war schmal und wie eine Mulde: erst ging er recht steil nach unten, dann stieg er wieder an. Etwa am tiefsten Punkt des Weges war eine Kurve, fast rechtwinkelig. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht an der Geschwindigkeit lag: doch als ich unten ankam, wurde mein Bike aus der Kurve getragen. Wie in Zeitlupe. Ich saß auf dem Sitz und konnte nichts machen. Ich musste mit ansehen, wie das Rad, mit mir darauf, umkippte. Es kippte zwar äußerst sanft, aber es kippte. Völlig lautlos war das geschehen. Gaby erzählte mir später, sie sah mich noch die Senke runterfahren. Dann sah sie mich plötzlich nicht mehr. Sie begann zu rufen: „Uwe, Uwe was ist mit dir?" So schnell konnte ich mein Missgeschick gar nicht in beruhigende Worte packen. Ich antwortete nur: „Mich hat's rausgeschmissen." Gaby kam schnell den Hügel runter. Ich hatte schon die Verbindung gelöst, mit der mein betroffener Fuß am Pedal fixiert war. Mit vereinten Kräften stellten wir das Bike wieder auf. Dann sahen wir schnell noch nach, wie groß der Schaden war: Mein Wimpel war gebrochen. Aber das war nicht schlimm, denn ich hatte zwei. Wir ahnten nicht, dass dem ersten Schrecken gleich noch ein zweiter Schreck folgen sollte ... Was dann passierte, hätte eigentlich nicht passieren dürfen. In der Eile hatten wir das Bike nicht richtig aufgestellt. Das eine Rad stand wohl nur halb auf dem Weg, halb noch in der Böschung. Sofort beim Anfahren kippte mein Rad wieder um. Die Gepäcktaschen an der Seite brachten das Rad dann richtig aus der Balance. Es war mir sehr peinlich, das hätte einfach nicht passieren dürfen. Und nach diesem Sturz konnte ich meinen Fuß auch nicht mehr alleine aus der Bindung befreien. Ich war an mein Rad „gefesselt". Meine Sitzposition war äußerst unbequem, aber zum Glück nicht bedrohlich. Während der ganzen misslichen Situation verlor Gaby kein belehrendes oder rügendes Wort über mein Missgeschick. Dafür war ich ihr dankbar. Jetzt musste ich sie bitten, Hilfe zu holen. Ich sagte ihr, sie solle bitte zur Tankstelle gehen und einen Mann holen, der mich befreien kann. Dann saß ich da und wartete und wartete... Wer sich jemals in einer misslichen Lage befand, der kann verstehen, wie lang einem dabei die Zeit vorkommt. Endlich hörte ich Gaby rufen: „ Uwe, Uwe!” Ich dachte nur: „Warum kommst du nicht endlich?" Ich antwortete nicht, da ich meine Kraft sparen wollte. Nach einer kurzen Weile hörte ich Gaby wieder, dieses Mal war sie ganz nah. Sie war sichtlich erleichtert, dass ich zwar umgekehrt auf dem Fahrrad saß, aber sonst noch ganz der Alte war. Gaby hatte einen Mann mitgebracht, der mit Leichtigkeit mein Bike wieder aufstellte. Er stellte es auf den Weg, zum Weiterfahren bereit. Ich wollte mich schon artig bedanken und verabschieden, als er sagte: „Sie müssen noch auf den Krankenwagen warten." Gaby hatte einen Krankenwagen verständigt! Als ich auf ihr Rufen nicht reagiert hatte, dachte sie, ich sei bewusstlos!!! Ach, du Schreck! Jetzt hatten wir den Schlamassel. Im ersten Moment war ich sauer. Aber ich konnte Gaby eigentlich nichts vorwerfen. Sie hatte ja nach mir gerufen und ich hatte nicht geantwortet. Es war also ein Verständigungsproblem zwischen uns beiden gewesen. Leider konnten wir den Einsatz nicht mehr stoppen. Es dauerte noch ganz schön lange, bis der Krankenwagen endlich kam. Wir waren ja mitten auf dem Land! Ich saß inzwischen wieder auf dem Rad, abfahrbereit. Von weitem war dann endlich das Martinshorn zu hören. Spätestens jetzt hatte ich den Ernst der Lage begriffen. Die Sanitäter sprangen sofort auf mich zu. Sie fragten, was denn passiert sei und wo ich Schmerzen habe. Ich erzählte ihnen, was passiert war: dass ich beim Fahren im Schritttempo umgekippt war und mich nicht verletzt hatte. Es tat mir sehr leid, dass sie extra wegen mir angerückt waren. Gerade, als ich das sagte, hörte ich ein weiteres Martinshorn. Ich erschrak! Nun war auch der Notarzt da! Jetzt sah ich unsere Weiterfahrt in Gefahr. Mittlerweile war ich sehr aufgeregt und das wirkte sich gleich auf mein Sprechen aus. Der Notarzt stellte mir ähnliche Fragen wie schon die Sanitäter. Dann fragte er Gaby noch, ob ich denn so spreche wie immer. Gaby bestätigte es. Der Notarzt untersuchte mich kurz. Nach Rücksprache mit den Sanitätern gab er...