Keller | Papa ante Palma | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Keller Papa ante Palma

Mallorca für Fortgeschrittene
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8437-0038-2
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Mallorca für Fortgeschrittene

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0038-2
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Stefan liebt die hübsche Lucia, eine temperamentvolle Spanierin. Gemeinsam träumen sie davon, in ihre Heimat auszuwandern - natürlich aufs Festland. Erst bekommt seine Frau Zwillinge und dann einen Job auf Mallorca. Spanien ist ja prima, aber ausgerechnet die deutscheste aller Inseln? Dort erwarten sie schönheitsfanatische Mallorquiner, die trotz Gluthitze Haltung bewahren, Frauen, die gleichzeitig Maria und Josef heißen, und eine dörfliche Idylle fernab vom Ballermann. Eigentlich ist Stefan glücklich, aber hält das Inselparadies wirklich, was es verspricht?

Stefan Keller studierte Ökologie und Ökonomie, arbeitete als Krankenpfleger, Sekretärin, Musiklehrer und Manager. 2004 machte er sich als Musiker und Autor selbstständig. Seit 2007 lebt er mit seiner Familie auf Mallorca.
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Eins


»Mallorca …« Der Mann auf dem Sitz neben mir sieht mich an. »Mallorca ist wie eine billige Frau, auf der schon Tausende vor dir drauf waren. Wenn du aber damit klarkommst, dass du nicht der Erste bei ihr bist, ist sie wunderschön«, sagt er mit der gepressten Stimme eines Kettenrauchers.

Damit dreht er sich zum Fenster zurück und verfällt in die gleiche Starre wie zuvor. Mit dem Cowboyhut und dem faltigen Gesicht erinnert er mich an einen Westernhelden aus einem dieser alten Schwarzweißfilme.

Vielleicht war es unhöflich von mir, ihn anzusprechen, während er auf die sich endlos dahinziehenden Wolkenteppiche hinausgeschaut und auf irgendeinem Halm herumgekaut hat, aber lange habe ich es nicht ausgehalten.

»Guten Tag, ich ziehe nach Mallorca, zu meiner Familie«, habe ich überschwänglich zu ihm gesagt, kaum dass die Maschine die Reiseflughöhe erreicht hatte.

Das Verhalten meines Sitznachbarn ist ansteckend. Auch ich verharre reglos, blicke allerdings nicht auf die vorbeiziehenden Wolken, sondern auf den ausklappbaren Tisch in der Rückenlehne des Sitzes vor mir. Die graue Fläche wird nach und nach zum Bildschirm, auf dem einzelne Szenen aus den letzten Jahren aufflimmern. Bis zur Landung in Palma sind es noch gut zwei Stunden, genügend Zeit, um so manches Revue passieren zu lassen.

Gerade mal sechs Wochen ist es nun her, dass meine Frau dieses Jobangebot im Internet gefunden hat.

»Wie wäre es mit Mallorca?«, fragte Lucia mich, als wir abends noch in unserer Kölner Wohnung zusammensaßen, nachdem die Kinder im Bett waren.

»Mallorca? Sehr witzig.«

»Ja, hier suchen sie jemanden in einer Agentur. Das wäre doch was.« Kerzengerade und aufgeregt saß sie vor dem Rechner. »Ich glaube, da bewerbe ich mich mal.«

»Was? Wieso? Ich verstehe nicht! Was sollen wir denn da?« Kopfschüttelnd blätterte ich die Zeitung um.

»Mensch, Steve! Sonne, Strand und Meer, außerdem wollten wir doch immer schon mal in Spanien leben«, Lucias Stimme überschlug sich fast, als sie hinzufügte: »Der Job klingt richtig gut.«

Wie gebannt starrte meine Frau den Bildschirm an. Über die wenigen Meter Distanz konnte ich förmlich spüren, wie ihr spanisches Blut zu sieden begann. »Projektmanagerin in einer Marketingagentur, klingt das etwa nicht gut? Die Kunden stammen übrigens hauptsächlich aus der Nahrungsmittelindustrie.«

»Doch, doch, schon«, nuschelte ich.

Dabei hallte in mir unterdessen etwas ganz anderes nach: Mallorca. Sofort zogen zahllose Bilder an meinem inneren Auge vorbei. Ballermann, Eimersaufen, Pimmelparaden und bierbäuchige Kohorten, die grölend die Inselschönheiten belästigten, dazu Freizeitparks mit Plastiksauriern und leblose, dicke Engländer in Gleitschirmen, die sich von Booten den Küstenstreifen entlangziehen lassen. Als Nächstes schwebten die Köpfe von Jürgen Drews, Dieter Bohlen und Boris Becker vorbei. Männer, die vermutlich die halbe Insel gekauft, sie in ihrer fabulösen Stumpfheit unterjocht und dafür gesorgt hatten, dass man sich ja nicht als Deutscher zu erkennen geben durfte, sofern man nicht in der nächstbesten Paella-Pfanne landen wollte.

»Lass uns lieber nach Ibiza oder Formentera gehen«, schlug ich halbherzig vor. »Dort leben die wirklich coolen Leute. Überall weiße Leinengewänder, Hippie-Märkte, dazu Lagerfeuer-Flamenco-Chill-out, Didgeridoos, Nacktbaden. Das wär’s.«

»Klischeehafter geht’s wohl nicht.«

»Schon, aber die Klischees müssen ja irgendwo herkommen.«

»Ach, wahrscheinlich wird’s eh nichts«, beschwichtigte meine Frau mich, ohne mir richtig zuzuhören.

»Na dann«, grunzte ich und schaute über die Zeitung hinweg in die tiefhängenden lilaschwarzen Schichtwolken, die über dem Dachfenster grummelten.

Okay, es stimmt. Wir haben beide immer schon einen gewissen Sog in die Ferne verspürt. So, wie es an einem zieht, wenn man auf einem Hochhausdach steht und hinunter in die Straßenschlucht blickt. Ein schönes Ziehen ist das. Es entsteht im Magen, wandert langsam den Körper hinauf und kitzelt dabei das Zwerchfell.

Am Anfang unserer Beziehung hatte ich Lucia tatsächlich ein paarmal ins Ohr gehaucht, dass ich irgendwann mit ihr nach Spanien ziehen und sie »nach Hause« bringen würde, wie ich es damals leicht pathetisch formuliert hatte. Aber das war Jahre her und hatte sich ausschließlich auf die Metropolen Madrid und Barcelona bezogen. In Härtefallen vielleicht noch auf Valencia und San Sebastian.

Wieso ausgerechnet jetzt ein Neuanfang, wo eigentlich gar keiner hingehörte? Wir fühlten uns hier in Köln pudelwohl. Vielleicht schon etwas zu wohl. Wenn überhaupt hatten wir uns unmerklich in einen zarten statischen Kokon begeben. Die nicht zu unterschätzende Lebensqualität dieser Stadt, unsere Maisonnette-Wohnung, der stattliche, wenn auch größtenteils kinderlose Freundeskreis, die kinderverrückten Großeltern in Schlagdistanz, das fertige, gut laufende Tonstudio, mit dem ich mir einen langgehegten Traum erfüllt hatte, und last but not least unsere (total anstrengenden) einjährigen Zwillingsmädchen. Gleich mehrere starke Argumente, bestehende Netzwerke zu nutzen und Perspektiven zu schaffen. Neudeutsch: Homing. Alles war geregelt und gerichtet, um sich darin zu aalen und nimmermehr aufzustehen. Damit hatten wir vermutlich genau das, wofür andere sich teeren und federn ließen.

Und jetzt? Noch mal bei null anfangen? Und das alles ausgerechnet im siebzehnten Bundesland, auf der Putzfraueninsel?

Andererseits hatte Lucia mich bisher bei allen Entscheidungen, die ich für mich getroffen hatte, anstandslos unterstützt. Selbst als ich plötzlich meinen gutbezahlten Manager-Job für ein ungewisses Dasein als Musiker hingeworfen hatte. Es wäre also an der Zeit, sich mal zu revanchieren.

Meine Frau hatte zwar einen spanischen Pass, war aber in Deutschland aufgewachsen und immer nur in den Schulferien mit ihren Eltern an die spanische Nordküste gefahren. Zwei Identitäten. Lucia hatte das Organisationstalent und die Selbstironie einer deutschen Frau und zugleich ein übermäßiges Ehrgefühl und eine manchmal geradezu abartige Gelassenheit, die nur mit der spanischen Sonne und den endlosen Kornfeldern Kastiliens zu tun haben konnte. Sie war deutsch genug, um alles Deutsche an mir nachvollziehen zu können, und spanisch genug, um es oft unbesehen gutzuheißen. An der Grenze zum südlichen Gleichmut sozusagen. Als Deutscher erwartete ich, dass sie meine Art zu denken verstand, war aber durch meine längeren Aufenthalte in Barcelona inzwischen so hispanisiert, dass es mir öfter egal war, wenn es ihr mal egal war. Diese Konstellation funktionierte.

Lucia zeigte sich zudem äußerst wandelbar. Als hippe und luftige Städterin, die in den angesagtesten Läden verkehrte, und stets mit riesigem Freundeskreis unterwegs, mutierte sie im Handumdrehen zur mama de casa, sobald irgendwer zu Besuch kam. Dann krempelte sie die Ärmel hoch, band sich eine Schürze um und wirbelte mit riesigen Töpfen durch die Küche, als wäre gerade eine Hundertschaft Gäste in einer andalusischen Bodega eingefallen.

Allerdings bekam dieser spanische Teil in ihr nie wirklich genügend Raum, obgleich sie in Deutschland irgendwie auch davon profitierte. Schließlich ist alles, was mit Spanien zu tun hat, bei uns recht positiv besetzt – mal abgesehen von den Südamerikafeldzügen, der spanischen Inquisition, dem zweiten Irak-Krieg, dem Stierkampf und Julio Iglesias. Die Spanierinnen und Spanier gelten ja gemeinhin als rassig und temperamentvoll, ohne dass sie auch nur einmal den Mund aufmachen müssten. Sie tragen Namen, die wie Oden an stolze Könige klingen, auch wenn sie auf kein deutsches Klingelschild passen: Manuel Rodríguez García de la Vázquez oder Carmen Luisa Gómez Solana. Doch vor allem erinnern diese Namen an den letzten Sommerurlaub, als man ganz ohne Socken, mit duftender brauner Haut bis tief in die Nacht vor der Strandbar gesessen und mit Carlos, dem netten Kellner, gewitzelt hat. Wer dieses Gefühl der Leichtigkeit allein mit seinem Namen auslösen kann, ist ein Glückspilz.

Natürlich gehörte es für eine Spanierin wie Lucia auch dazu, auf Partys - ob willens oder nicht - zu den Gipsy Kings (die ja eigentlich Franzosen sind) in den Kreis der rhythmisch Klatschenden auf der Tanzfläche hineinzutanzen und die wilde Flamencosau zu geben, was sie auch fast immer tat. Nur waren das alles gutgemeinte stereotype Assoziationen und Forderungen, die ein echtes spanisches Lebensgefühl nicht ersetzen konnten. Das konnte ich gut nachvollziehen, aber würde sie das ausgerechnet auf Mallorca bekommen? Auf der Touristeninsel, wo die Einheimischen noch dazu einen katalanischen Dialekt sprachen?

Egal, es wird ja eh nichts, tröstete ich mich. Schließlich hatte sie selbst abgewinkt.

Es wurde aber doch was.

Keine vierzehn Tage später fuhr Lucia nach Palma de Mallorca zum Vorstellungsgespräch. Sie bekam den Job sofort und hängte gleich noch ein paar Tage dran, um eine zentral...


Keller, Stefan
Stefan Keller studierte Ökologie und Ökonomie, arbeitete als Krankenpfleger, Sekretärin, Musiklehrer und Manager. 2004 machte er sich als Musiker und Autor selbstständig. Seit 2007 lebt er mit seiner Familie auf Mallorca.

Stefan Keller studierte Ökologie und Ökonomie, arbeitete als Krankenpfleger, Sekretärin, Musiklehrer und Manager. 2004 machte er sich als Musiker und Autor selbstständig. Seit 2007 lebt er mit seiner Familie auf Mallorca.



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