E-Book, Deutsch, Band 8, 315 Seiten
Reihe: Kommissarin Franca Mazzari
Keiser Tatort Rheinbrücke
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8392-7594-8
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 8, 315 Seiten
Reihe: Kommissarin Franca Mazzari
ISBN: 978-3-8392-7594-8
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Vor den Brückentürmen in Remagen wird ein Mann erschossen aufgefunden. Bei der Tatwaffe handelt es sich um die als gestohlen gemeldete Dienstpistole einer Schutzpolizistin. Der Fall wird umso brisanter, als sich herausstellt, dass der Tote der rechten Szene angehörte. Die Frage ist: Wie kam die Waffe in die Hand des Täters? Oder wurde sie am Ende gar nicht gestohlen? Franca Mazzaris Erfahrung ist mehr denn je gefragt, aber die Kommissarin befindet sich im Urlaub im Trentino, der Heimat ihres Vaters …
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1. Kapitel
Remagen
Samstag, 12. Juni 2021 »Danke, dass du dich für mich geopfert hast.« Rominas Lächeln, ihre gesamte Haltung hatte etwas merkwürdig Verkrampftes. »Na, hör mal, ich hab’ mich doch nicht geopfert!« Clarissa schüttelte in gespielter Empörung den Kopf. »Ich finde es richtig schön, dass wir uns endlich mal wieder unter normalen Umständen treffen können.« Sie hielt das Glas mit Aperol Spritz hoch und prostete ihrer Freundin zu. »Du meinst wohl: unter relativ normalen Umständen. Noch befinden wir uns in der Warteschleife«, wandte Romina ein. »Lange kann es nun wirklich nicht mehr dauern mit dieser Kontaktreduzierung. Schließlich sind wir doppelt geimpft. Du doch auch, oder?« »Schon. Aber ob’s wirklich hilft? Ich hab’ da meine Zweifel.« Die beiden jungen Polizistinnen saßen am Caracciolaplatz im Außenbereich eines Restaurants direkt an der Rheinpromenade und genossen die Abendsonne, deren glänzendes Licht sich im nahen Fluss spiegelte. Genau so, wie man sich einen schönen Sommerabend wünschte. Die Luft war noch warm. Um sie herum brodelte das Leben. Sämtliche Tische waren besetzt. Alles wirkte beinahe wie immer. Als gebe es keine Pandemie. Keinen lebensbedrohlichen Virus, der die ganze Welt in Alarmbereitschaft versetzte. »Auch wenn niemand in meinem unmittelbaren Umfeld ernsthaft krank wurde, so ganz unversehrt sind wir ja nicht davongekommen.« Romina senkte den Blick und stupste den Strohhalm ins Glas. Die Eiswürfel klirrten. »Das ist übrigens für mich das erste Mal seit Langem, dass ich wieder unter Menschen bin.« Clarissa riss erstaunt die Augen auf. »Wie? Du hast dich während der ganzen Zeit mit niemandem getroffen? Du bist doch schon ewig daheim.« Nicht nur Clarissa war aufgefallen, dass sich die Freundin seit dem Vorfall im letzten November sehr verändert hatte. Still und nachdenklich war sie geworden. Um nicht zu sagen, depressiv. Der Grund hierfür war allerdings weniger die Pandemie, wie Clarissa vermutete. »Ich kenne hier ja noch kaum jemanden.« Das hatte Romina so leise geäußert, dass es kaum hörbar war. »Ist denn schon klar, wann du wieder arbeiten kannst?«, fragte Clarissa geradeheraus. Um dieses heikle Thema hatten sie bisher beide herumlaviert. Hatten sich stattdessen festgekrallt an unverfänglichem Small Talk. Rominas Blick war seltsam leer. Manchmal hatte Clarissa regelrecht das Gefühl, als ob die Freundin durch sie hindurchsehe. Das, was sie hinter sich hatte, war ihr noch immer deutlich ins Gesicht geschrieben, so verletzlich wie sie wirkte. Es war ein gutes halbes Jahr her, dass die junge Polizistin während eines Einsatzes von einer unbekannten Person niedergeschlagen worden war, weil es während eines Nazi-Trauermarsches zu tätlichen Auseinandersetzungen kam, wie es verharmlosend im Beamtendeutsch hieß. Clarissa war erschüttert gewesen, als sie von dem Übergriff hörte, der einen längeren Krankenhausaufenthalt nach sich zog. Rominas äußere Wunden waren zwar verheilt, doch die Freundin befand sich noch immer in psychologischer Behandlung und galt weiterhin als dienstunfähig. Dass sie wegen der Corona-Maßnahmen doppelt isoliert war, das war Clarissa gar nicht zu Bewusstsein gekommen. »Und was machst du so den lieben langen Tag?«, versuchte sie, einen lockeren Ton in die Unterhaltung zu bringen. »Ich gehe viel spazieren.« Romina zuckte mit den Schultern. »Schlafen klappt nicht besonders. An manchen Tagen ziehe ich bereits in aller Herrgottsfrühe los. Hast du schon mal einen Sonnenaufgang am Rhein erlebt? Wenn sich Wasser und Himmel langsam rot färben? Ist immer wieder toll.« Clarissa hob die Augenbrauen. »Das wäre nichts für mich. Wenn ich nicht zur Arbeit raus muss, kriegen mich keine zehn Pferde so früh aus dem Bett.« »Morgenstund hat Gold im Mund. Da ist schon was dran. Ist ein besonderes Erlebnis, wenn die Welt noch ganz still ist und der Tag gerade beginnt.« Der Enthusiasmus in Rominas Stimme passte nicht zu der Traurigkeit in ihren Augen. »Inzwischen kann ich dir alles über Remagens Geschichte erzählen«, fuhr sie fort. »Ich kenne mich jetzt richtig gut aus.« Sie lachte ein wenig schnaubend. Ein unechtes, verlorenes Lachen. Dabei strich sie in einer hilflosen Geste die langen, dunklen Locken zurück, die ihr offen auf die Schultern fielen. Clarissa wurde erneut bewusst, was für eine ausgesprochen schöne Frau Romina war, mit ihren ebenmäßigen Gesichtszügen, der leicht olivfarbenen Haut und den rabenschwarzen Augen. Das Einzige, was störte, waren die tiefen Ringe darunter. Romina war bei der Bundespolizei. Ursprünglich kam sie aus Berlin. Sie beide hatten sich während eines Seminars zum Umgang mit Menschen mit Migrationshintergrund kennengelernt und waren sich bei einem späteren Glas Wein näher gekommen. Seitdem waren sie befreundet. Romina wollte unbedingt an den Rhein, und nach einigem Suchen hatte sie im letzten Sommer eine preisgünstige, dabei relativ großzügige Wohnung auf dem Viktoriaberg in Remagen bezogen. »Ich hab’ herausgefunden, dass ganz in der Nähe meiner Wohnung Madame Buchela lebte.« Romina deutete vage in Richtung Stadtmitte. »Das war eine berühmte Seherin.« »Eine Zigeunerin?« »Sinteza«, korrigierte Romina. »Jahrzehntelang hat sie mit ihren Vorhersagen für Schlagzeilen gesorgt. Das Häuschen, das sie bewohnte, hatten ihr zwei dankbare Schwestern vermacht.« »So was gibt’s?«, feixte Clarissa. »Dann haben wir offensichtlich den falschen Beruf. Bei uns käme niemand auf die Idee, uns vor lauter Dankbarkeit ein Häuschen zu vermachen.« »Tja. Ganz davon abgesehen, dass wir so ein Geschenk niemals annehmen dürften.« Clarissa grinste. »Ja, ja, wir edlen Polizisten widerstehen natürlich jeglichem Bestechungsversuch.« Romina richtete sich auf und drückte den Rücken gerade. »In dem Häuschen dort – die Remagener nannten es Hexenhäuschen – hielt Madame ihre Audienzen. Ihre Klientel war ziemlich berühmt. Sogar Adenauer soll sich Rat bei ihr geholt haben. Jedenfalls hat sie mit ihren Voraussagen viel Geld verdient, das sie meist großzügig an die Verwandtschaft verteilt hat. Da sieht man mal, wie weit man es als Wahrsagerin bringen kann.« »Sag ich doch, wir haben den falschen Beruf.« Clarissa zwinkerte ihrer Freundin zu und war im Grunde froh, dass sie zu einer gewissen Leichtigkeit zurückgefunden hatten. Mit einer fahrigen Bewegung hob Romina ihr Glas mit der orangefarbenen Flüssigkeit, sog an dem schwarzen Plastikstrohhalm und setzte es ab. »Da drüben liegt Unkel, unterhalb vom Siebengebirge.« Sie wies auf die gegenüberliegende Rheinseite. »Da hat Willy Brandt in seinen letzten Lebensjahren gewohnt. Er soll übrigens auch die Dienste der Buchela in Anspruch genommen haben. Im Ort wurde ein kleines Museum eingerichtet. Das habe ich mir kürzlich angesehen. Sein Arbeitszimmer ist originalgetreu rekonstruiert. Die Brille liegt auf dem Schreibtisch, ganz so, als ob er sie gleich wieder aufsetzen würde.« Es entstand eine kurze Pause. »Wie gesagt, ich hab’ meine Zeit genutzt und mich ordentlich gebildet.« Mit dem Zeigefinger malte sie unsichtbare Kreise auf den Tisch. »Manchmal wünsche ich mir, man könnte die Zeit zurückdrehen. Madame Buchela würde noch leben und ich könnte sie um Rat fragen.« Clarissa zog die Brauen zusammen. »Du glaubst doch nicht wirklich an solch einen Hokuspokus?« »Das halte ich durchaus nicht für Hokuspokus.« Rominas Stimme klang fest, fast ein wenig ärgerlich. »Ich glaube schon, dass es so was gibt wie eine seherische Gabe.« »Das meinst du nicht ernst? Also ich für mein Teil nutze lieber meinen Verstand.« Clarissa war leicht verunsichert. »Und wenn mir einer was Schlimmes voraussagen würde, wollte ich das lieber nicht wissen«, fügte sie hinzu. »Manchmal schadet es nicht, wenn man ein wenig hinter die Dinge blicken kann. Und wie sagte schon Shakespeare: Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt.« »Also ich weiß nicht«, warf Clarissa skeptisch ein. »Vielleicht bin ich viel zu sehr Realistin.« »Ich bin auch Realistin. Aber ich bin sicher, da gibt es so einiges, was wir nicht rational erklären können. Ich bin nämlich nicht nur viel spazieren gegangen. Ich habe auch viel gelesen.« Was kam jetzt? Romina lief doch hoffentlich nicht Gefahr, diesen unsäglichen Verschwörungstheorien aufzusitzen, die im Netz zuhauf kursierten und gegen die offenbar sogar intelligente Menschen nicht gefeit waren. »Es gab zahlreiche Dichter, die klarsichtig die Gefahr des Dritten Reichs vorausgesagt haben. Und nicht wenige sind daran zugrunde gegangen. Tucholsky war einer von ihnen.« Ach, daher wehte der Wind. Das war nachvollziehbar. Hatte allerdings mit einem wachen Verstand mehr zu tun als mit Hellseherei. »Oder Kassandra. Ihren Warnungen wollte niemand glauben. Bis aus dem Bauch des Trojanischen Pferdes griechische Kämpfer stiegen. Das Ergebnis war ein jahrelanger sinnloser Krieg.« »Das ist ein griechischer Mythos«, wandte Clarissa ein. »Dann bist du auch der Überzeugung, dass Maria vom heiligen Geist schwanger wurde?« Ihr Tonfall war belustigt. Romina legte ärgerlich die Stirn in Falten. »Du glaubst also nicht, dass es Menschen mit einer ausgeprägten Sehergabe gibt? Auch nicht, wenn ich dir sage, dass die hochangesehene Schriftstellerin Christa Wolf den Mythos der Kassandra umgedeutet und in unsere Zeit transferiert hat? Und dass sich dank dieser Umdeutung Frauen...