Keating | Inspector Ghote hört auf sein Herz | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Reihe: Ein Inspector-Ghote-Krimi

Keating Inspector Ghote hört auf sein Herz

Kriminalroman. Ein Inspector-Ghote-Krimi (3)
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-293-30373-7
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman. Ein Inspector-Ghote-Krimi (3)

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Reihe: Ein Inspector-Ghote-Krimi

ISBN: 978-3-293-30373-7
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kindesentführung in Bombay. »Keine Polizei!«, fordern die Erpresser. Aber weil Detective Inspector Ghote so unauffällig und gar nicht wie ein Polizeibeamter aussieht, wird er in die elegante Penthousewohnung des reichen Fabrikanten Manibhai Desai geschickt, um dabeizusein, wenn die Kidnapper anrufen. Da stellt sich heraus, dass die Entführer das falsche Kind erwischt haben: Desais Sohn hatte mit Pidku, dem Sohn des Schneiders, im Spiel die Kleider getauscht. Wird Desai trotzdem bezahlen? Und was werden die Verbrecher tun, wenn sie ihren Irrtum entdecken? Ein fünfjähriger Junge, Sohn eines armen Schneiders, bringt keine Rupie ein, sondern ist nur hinderlich, ja gefährlich …

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Inspector Ganesh Ghote warf rasch einen Blick über die Schulter. Nie_mand. Soweit er es feststellen konnte, war niemand in der Nähe, der ihn kannte. Das war der richtige Moment. »Sahib, Sahib«, rief der neue junge Bettler an der anderen Seite der Treppe des Polizeipräsidiums Bombay. »Du bist mein Vater und meine Mutter. Gib mir, Sahib, gib!« Und trotz des flehenden Tonfalls lag ein klein wenig Frechheit in der Stimme, eine glückliche Gewissheit. Ghote ging ein paar Schritte über das Pflaster zur Treppe und blieb bei dem Jungen stehen. Er blickte auf ihn herab und sah jede Einzelheit des verkümmerten rechten Beins, das lang ausgestreckt auf den staubigen Kopfsteinen lag. Es war wie ein kleiner Ast eines toten Baums, glänzend von vielen achtlosen Verletzungen der Haut. Ein Etwas ohne Funktion. »Warum sollte ich dir etwas geben?«, sagte er zu dem ihm zugewandten Gesicht. »Viele haben dir schon was gegeben, und es ist noch früh am Tag.« »Sahib, keiner hat was gegeben, keiner. Du bist mein Vater und …« »Unsinn. Ich kann sehen, dass du auf den Münzen sitzt.« Ganz unvermittelt grinste der Junge, keineswegs eingeschüchtert, seine lachenden Augen glänzten vor Freude. Ghote schob die Hand in die Hosentasche und tastete mit schweißnassen Fingern nach dem welligen Rand des Zwei-Paista-Stücks, das er eigens für diesen Zweck eingesteckt hatte. Er konnte der Lebendigkeit des Jungen nicht widerstehen, konnte ihr seit sechs Wochen nicht widerstehen, seit der Bursche den Platz seines verstorbenen Vorgängers übernommen hatte. Er zog die Münze heraus und drückte sie hastig und heimlich in die magere, harte, erwartungsvolle Hand des Jungen. Jetzt wars getan. Von einer Last befreit, wandte er sich rasch ab und wollte die Treppe hinaufrennen. »Oh. Da ist Ghote. Inspector Ghote.« Kalter Schrecken ließ ihn erstarren. Ertappt. Entdeckt. Ein klar denkender Inspector des CID von Bombay dabei erwischt, wie er sich von einem Bettlerjungen einwickeln lässt. Langsam drehte er sich um. Und es war schlimmer, viel schlimmer als alles, was er sich hätte ausmalen können. Der Mann, der direkt hinter dem Bettlerjungen stand und ihn, Ghote, mit kaltem, befehlerischem Blick maß, war niemand anders als der Commissioner höchstpersönlich. Hinter ihm, am Bordsteinrand, parkte der dezent-prächtige Wagen, der dem Chef der Polizei des Stadtbezirks Bombay zustand. Der Fahrer mit der dunklen Mütze saß kerzengerade hinter dem Steuer. Der Motor lief so leise wie ein gut geöltes Uhrwerk. »Ja, Inspector Ghote«, sagte der Commissioner, als käme er soeben in aller Ruhe zu seinem Schluss, »Sie sehen wirklich nicht sehr nach einem Polizisten aus.« Für Ghote klang dieser Satz wie ein Todesurteil. Er erkannte aber auch, dass er bis zur letzten Silbe gerecht war. Nein, er sah gar nicht wie ein Polizist aus. Und das war ja die ganze Tragödie: Er wollte nichts lieber sein als ein Polizist. Und der Commissioner, der nur wenige Schritte von ihm entfernt mit leicht gespreizten Beinen, gelassen und in voller Selbstbeherrschung auf dem Pflaster stand, war der Inbegriff des zur höchsten Stufe aufgestiegenen Polizisten. Die Verbindung, die es eben noch zwischen ihnen gegeben hatte, war in einer Sekunde zu einem gähnenden Abgrund geworden. »Gut«, sagte der Commissioner streng. Jetzt kam das Urteil. Für ewig ins Archiv verbannt? Zur Verkehrspolizei versetzt? »Hören Sie mir genau zu, Inspector. Die Zeit ist sehr knapp. Ich habe gerade einen äußerst dringenden Anruf von einem persönlichen Freund bekommen, von Mr Manibhai Desai. Sein kleiner Sohn wäre beinahe entführt worden. Zum Glück haben die Männer das falsche Kind mitgenommen, den Sohn eines Schneiders. Aber es sieht so aus, als wüssten sie das noch nicht; und in dem Brief, den sie zurückgelassen haben, drohen sie, den Jungen zu ermorden, wenn Mr Desai sich mit der Polizei in Verbindung setzt. Nun müssen wir einen Mann im Haus haben, der einsatzbereit ist, wenn sie wieder anrufen. Es muss jemand sein, dem man nicht schon von weitem ansieht, dass er Polizist ist. Und dafür, Ghote, sind Sie genau der Richtige.« Keine zwei Minuten später saß Inspector Ghote klein und zusammengekauert allein im Fond des Dienstwagens des Commissioners. Vor ihnen schien sich der dichte Verkehr des morgendlichen Bombay im Glanz des blank polierten Kühlers aufzulösen. In Ghotes Ohren klangen noch die letzten Worte des Commissioners. Er hatte ihm den Wagen überlassen und gesagt, er würde ihn von jeglichem anderen Dienst entbinden. Und dann, als er ihm die Tür aufhielt und ihn drängte einzusteigen, hatte er eine letzte abschließende Bemerkung gemacht. »Inspector, dieser Auftrag verlangt ein Höchstmaß an Takt. Es braucht einen Mann mit Feingefühl. Als ich gerade vorfuhr, habe ich gesehen, dass Sie dem Bettlerjungen ein Almosen gegeben haben. Ich freue mich zu sehen, dass sich wenigstens einer meiner Leute trotz seines Berufs einen Rest von Herz bewahrt hat.« Ein warmes Leuchten erfüllte Ghote von innen heraus wie der Schein einer Laterne in dunkler Nacht. Aber was für eine Aufgabe erwartete ihn, wenn der Fahrer des großen Wagens ihn zum Cumballa Hill und zum Heim von Mr Manibhai Desai gebracht hatte? Er beugte sich noch ein wenig weiter nach vorn und schob die schwere, gläserne Trennscheibe zum Fahrer zur Seite. »Sagen Sie, kennen Sie Mr Desai? Besucht der Commissioner ihn häufig?« »Nicht sehr oft, Inspector Sahib«, antwortete der Fahrer. »Ich glaube, ich habe ihn nur dreimal im letzten Jahr hingefahren. Es ist wohl mehr so, dass die Memsahibs befreundet sind, denke ich.« Ghote glaubte zu verstehen, warum der Commissioner zum Präsidium gefahren war. Wenn ein Mann von seiner Frau angetrieben wird – auch wenn er der Commissioner der Polizei von Groß-Bombay ist –, liegt es nahe, dass er alles ihm Mögliche unternimmt, um ihren Wunsch zu erfüllen. »Und Mr Desai?«, fragte Ghote weiter. »Was wissen Sie über ihn?« »Er ist der Mann, der Trust-X herstellt«, sagte der Fahrer schlicht. Mehr brauchte er auch nicht zu sagen. Jeder kannte das Trust-X-Tonikum. Trust-X war das Tonikum, »das man seiner Familie schuldig ist»; jeder wusste das von den großen Reklamewänden, vom Radio und aus den Zeitungen. Und jeder, so sah es fast aus, folgte dem Aufruf und kaufte die Tablettenkartons, auf denen die Tage des Monats feuerrot auf die kleine Tasche gedruckt waren, in der sich die Tablette befand. Auch Ghote kaufte sie für seine Protima. Sie waren ihm eigentlich zu teuer, und manchmal wagte er zu bezweifeln, ob sie wirklich weniger müde war, seit sie sie einnahm. Aber wenn ein Monatsvorrat zu Ende ging, ließ er einen neuen kommen. Und wenn dann der feste, weiße, quadratische Umschlag – »Trust-X erreicht Sie in unauffälliger Verpackung«: was für unausgesprochene Versprechen sexueller Erneuerung – nicht rechtzeitig eintraf, war er jedes Mal beunruhigt. Kein Wunder also, dass sie auf dem Weg zum Cumballa Hill und seinen großen Wohnblocks mit Luxus-Apartments waren. Alle hatten zentrale Klimaanlagen, waren von Gärten umgeben und boten Aussicht auf die blaue Fläche des Indischen Ozeans. Der Mann, der Trust-X erfunden hatte, musste in einer solchen Umgebung wohnen. Aber wie waren seine übrigen Familienumstände? Ghote beugte sich vor und fragte den Fahrer noch einmal. »Hat Mr Desai viele Kinder?« »Nur den einen Sohn, Sahib. Er ist etwa vier Jahre alt. Die Mutter ist bei der Geburt gestorben, und Mr Desai hat vor zwei Jahren wieder geheiratet. Ich glaube, die zweite Mrs Desai ist jünger als ihr Mann. Die Burra-Memsahib sagt oft, Mrs Desai ist ihr wie eine Tochter.« »Hm«, sagte Ghote und bekam ein immer hohleres Gefühl im Magen. Die Bürde, für den Commissioner direkt zu arbeiten, war schon schwer genug: jetzt sah es aber so aus, als würde er direkt für die Frau des Commissioners arbeiten müssen. »Hat der Commissioner Ihnen Einzelheiten über das erzählt, was bei Mr Desai vorgefallen ist?«, fragte er. »Nein, Sahib. Der Commissioner-Sahib hat nur gesagt, ich müsse einen Officer zu Desai Sahib fahren. Ich soll in einiger Entfernung vom Haus halten und darf, verdammt nochmal, kein Wort davon zu irgendjemand sagen, Sahib.« »In Ordnung«, sagte Ghote. »Eine solche Tat ist zweifellos das Werk einer Bande. Es ist gut möglich, dass sie einen oder sogar mehrere Männer haben, die auf das Auftauchen der Polizei achten. Sie haben gedroht, dem Kind etwas anzutun, wenn die Polizei sich einmischt.« »Und dem Sohn des Schneiders«, fragte der Fahrer, »würden sie ihm auch was antun?« Darüber hatte Ghote auch schon nachgedacht und war zu der Erkenntnis gekommen, dass er die Frage nicht beantworten konnte. Was würden erbarmungslose Entführer tun, wenn sie entdeckten, dass sie das falsche Opfer mitgenommen hatten? Würden sie den Jungen einfach laufen lassen und damit zu einem der viertausend Kinder machen, die jährlich in Bombay verloren gingen? Ihn auf die Straße werfen wie ein Fischer, der in seinem Netz einen Fisch hat, der zu klein ist? Oder würden sie ihn töten? Das wäre möglich. Es wäre leider zu...


Janus, Edda
Edda Janus, eigentlich Edda Rönckendorff, geboren 1924 in München, war ab den Sechzigerjahren als Übersetzerin und Autorin tätig. Ihre Romane erschienen unter ihrem richtigen Namen, alle anderen Werke, darunter auch ihre Übersetzungen, unter Pseudonym.

Keating, H. R. F.
H(enry) R(eymond) F(itzwalter) Keating, geboren 1926, war gelernter Rundfunktechniker, wurde dann Journalist und schließlich freier Schriftsteller. Fünfzehn Jahre lang war er der Krimi-Kritiker der Times und blieb zeitlebens eine der großen Autoritäten auf diesem Gebiet. Für seine Romane um den bescheidenen Inspector Ghote aus Bombay, der sich mit den Reichen und Mächtigen anlegt, wurde Keating mehrfach ausgezeichnet; für sein Gesamtwerk erhielt er 1996 den Cartier Diamond Dagger. Er starb 2011 in London.



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