Kaut "Nur ich sag ich zu mir"
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7844-8114-2
Verlag: Langen-Müller
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Mein Leben mit und ohne Pumuckl
E-Book, Deutsch, 225 Seiten
ISBN: 978-3-7844-8114-2
Verlag: Langen-Müller
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
"Die dritte Art Einfall aber scheint mir die eigentliche: Sie wird aus tausend Kleinigkeiten des Lebens gespeist, aus Zufälligkeiten, aus einem Sammelsurium von Gefühltem, Gedachten, Erlebtem, Ersehntem; Bewusstem und Unbewusstem, aus etwas im Menschen, das Götter schafft. Und Teufel. Und Heilige. Und Gespenster. Und – Kobolde."
Zeitgeschichte ganz persönlich - Eine bezaubernde Rückschau auf eine ungewöhnliche Biografie
Ellis Kaut erinnert sich an fast neunzig bewegte Jahre: an unglaubliche Momente, an Weggefährten, an ihre Heimat München – und daran, wie der Pumuckl entstand.
Als Erfinderin des Pumuckl wurde sie international bekannt. Doch Ellis Kaut kennt auch eine Leben neben dem pfiffigen Klabautermann in Meister Eders Werkstatt. Die bekannte Autorin erzählt charmant und mit dem ihr eigenen Witz von einem ungewöhnlichen Künstlerdasein in München, von der Liebe ihres Lebens, von den Ängsten, die sie während des Krieges plagten, von ihrer leidenschaftlichen Begeisterung für das Leben an sich.
Sie war offizielles "Münchner Kindl.", Schauspielerin, Rundfunksprecherin, Geschichtenerzählerin, Bildhauerin, Fotografin und nicht zuletzt Schriftstellerin. Und natürlich ist ausführlich die Rede davon, wie der Pumuckl erfunden wurde und was der freche Kobold in Ellis Kauts Leben verändern sollte. Entstanden ist eine faszinierende Mischung aus Zeitgeschichte und persönlicher Dokumentation, ein beeindruckender Rückblick auf ein Leben, das sich oft liest wie ein Roman.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Vorwort;8
2;Der Gesang auf der Treppe;12
3;Das Spazierstöckchen;15
4;Das Spottlied;20
5;Seltsame Finger;22
6;Die Mutprobe;25
7;Beweis der Heiligkeit;27
8;Das sechste Gebot;29
9;Silbern, aber nackt – der Frisör;31
10;Der Aufsatz Ferienerlebnis;33
11;Der Fremde auf der Anlagenbank;37
12;Verhändig mit Heinz;39
13;Erste kindliche Erfahrungen mit den Nazis;42
14;Übung in Ausreden;45
15;Geburtstagsblumen für eine Lehrerin;47
16;Bleibt noch Zeit für das Leben?;47
17;Traumerfüllung;50
18;Die Geschichte meines Kopfes;55
19;Treffen;59
20;Die Abschlussprüfung;63
21;Die ersten Engagements;64
22;Ernstfall - Abschied Hals über Kopf;68
23;Am Schalter mit Essensmarken;72
24;Hochzeit;75
25;Die erste gemeinsame Wohnung;75
26;Willi Cronauer;77
27;Unterricht bei Rudolf Pfefferer;80
28;Die Akademie Bildender Kunst;82
29;Kurts Fronturlaub und der weibliche Akt;86
30;Frontbriefe;89
31;Lebensfreude trotz Krieg;92
32;Die Einbrenne;93
33;Die »Orgie«;95
34;Eva von Riesen;98
35;Abgelehnt;101
36;Inseln des Friedens;103
37;Evakuierung nach Kiefersfelden;105
38;Hipp, ich und die Steinbildhauerei;107
39;Mein Vater;110
40;Pension » Alpenrose «;113
41;Das Fahrrad;114
42;Kühe im Stall;118
43;Ursula;120
44;Das Telegramm;121
45;Flucht auf die Alm;122
46;Eine Vergewaltigung?;124
47;Willi Cronazers frohe Botschaft;126
48;Nachricht von Kurt;129
49;Ein wenig Geschichte statt Biografie;130
50;Arbeit als Porträtistin;131
51;Kurts Heimkehr;135
52;Die modellierte Kuh;141
53;Onkel Fiz;144
54;Zufälle?;146
55;Die Firma Pfeifer;147
56;Brumml-Gschichten;150
57;Der Geburtstagskuchen;151
58;Währungsreform;153
59;Heimkehr;162
60;Unser Garten;163
61;Fotografieren;170
62;Kinder, benehmt euch!;172
63;Ein Hörspielpreis;175
64;»Die Ohren des Herrn Morose«;176
65;Musch macht Geschichten;182
66;Wie kam es zum Pumuckl?;184
67;Pumuckl wird sichtbar;188
68;Kobolde vertreiben;191
69;Was ist das, ein Klabauter?;193
70;Der aufgeregte Mann;195
71;Lesungen;197
72;Pumuckl lernt laufen;199
73;Für den technisch Interessierten;204
74;Ungarn mit dem Reisemobil;206
75;Ganz andere Dimensionen;208
76;Anhang;212
Ernstfall - Abschied Hals über Kopf (S. 67-68)
Und dann kam der 1. September 1939. Um zehn Uhr war die Generalprobe für Goldonis »Fächer« angesetzt, abends sollte die feierliche Premiere sein. Ich erwachte an diesem Tag morgens gegen fünf Uhr, weil eine Männerstimme auf der Straße laut rufend immer näher kam: »Ernstfall! Verdunkeln! Ernstfall! Verdunkeln! «, dröhnte es in die morgendliche Stille. Ernstfall! Ich zweifelte keinen Augenblick daran, was dieser Ernstfall bedeutete. Krieg. Die Einberufungen liefen ja schon längere Zeit. Auch Kurt war bereits seit ein paar Tagen in Uniform. Seine Division, das Bayerische Infanterieregiment, stand in Markt Schwaben bei München.
»Ernstfall« hieß aber nicht nur, dass verdunkelt werden musste, es hieß auch, dass die Soldaten, wenn nicht sofort, dann in kürzester Zeit abrücken mussten. Also auch Kurt. Vielleicht war er schon abgerückt und ich würde ihn nie mehr wiedersehen. Ich sollte in Wiesbaden in einer belanglosen Komödie auftreten und das Entsetzlichste geschah – Krieg! Kurt war als Soldat in Markt Schwaben naturgemäß telefonisch nicht zu erreichen. Ich überlegte kurz und tat dann einfach das Naheliegendste: Ich packte meinen Koffer. Es muss ungefähr sechs Uhr früh gewesen sein, als ich das Haus verließ. Von meinen Vermietern habe ich mich nicht verabschiedet – hatte ich überhaupt die Miete bezahlt?
Wie ich mit dem Koffer von meiner Bleibe am Stadtrand Wiesbadens an den Bahnhof in der Stadtmitte kam, weiß ich nicht mehr. Ich wusste auch nicht, wel che Züge wann gingen. Irgendeiner würde jedenfalls in Richtung München fahren, oder wenigstens in die Nähe, dachte ich. Es ging keiner, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Ich stieg in den nächstbesten Zug Richtung Frankfurt. Frankfurt hatte zumindest einen größeren Bahnhof, von dort würde es schon irgendwelche Verbindungen nach München geben. Ich sehe noch deutlich vor mir, wie ich, auf meinem Koffer sitzend, auf den Zug nach München wartete.
Rings um mich aufgeregte Menschenmassen und dann die dröhnenden Lautsprecher: »Seit fünf Uhr wird zurückgeschossen«, brüllte Hitlers Stimme über alle Lautsprecher. Ich habe nicht geweint. Ich war betäubt und gleichzeitig mit großer Energie geladen. Ich fand den direkten Zug nach München. Er war überfüllt und ich musste bis München stehen. Ich brachte das dröhnende »Seit fünf Uhr wird zurückgeschossen« nicht mehr aus meinen Ohren. Ich verschwendete keinen Gedanken an die um zehn Uhr in Wiesbaden beginnende Generalprobe. Keinen daran, ob man mich suchen würde, ob man einen Ersatz finden könnte, ja, ob überhaupt abends die Premiere stattfinden würde.
In mir war nichts als der unbeugsame Wille, dem Schicksal, wenn auch nur kurz, Einhalt zu gebieten, wenigstens so lange, bis ich Kurt noch einmal gesehen hatte, bevor er in den Krieg zog. Irgendwann einmal war die Bahnfahrt zu Ende und irgendwann läutete ich bei meinen Eltern. Sie kamen nicht dazu, viel zu fragen. Ja, Kurt wäre noch in Markt Schwaben, jedenfalls soviel sie wüssten. Ich stellte lediglich meinen Koffer ab und fuhr nach Markt Schwaben.