Kast | Vaterkomplexe – Mutterkomplexe | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 3535, 280 Seiten

Reihe: HERDER spektrum

Kast Vaterkomplexe – Mutterkomplexe

Wege zur eigenen Identität
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-451-83742-5
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wege zur eigenen Identität

E-Book, Deutsch, Band 3535, 280 Seiten

Reihe: HERDER spektrum

ISBN: 978-3-451-83742-5
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Tief verwurzelte Beziehungsmuster, geprägt durch Erfahrungen mit unseren Eltern, wirken oft bis ins Erwachsenenleben und beeinflussen Beziehungen und Selbstbild. Sich von diesen Mustern zu lösen bedeutet, die eigene Identität zu finden und alte Verhaltensweisen abzulegen. Verena Kast zeigt, dass dieser Prozess gelingen kann und dass es sich lohnt, ihn zu wagen – für ein authentisches und erfüllendes Leben.

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Wenn ich von ursprünglich positiven Komplexen spreche, dann heißt das, dass diese Komplexe ursprünglich einen positiven Einfluss auf das Lebensgefühl und damit auch auf die Entwicklung der Identität des betreffenden Menschen gehabt haben und diesen auch noch weiter hätten, wäre eine altersgemäße Ablösung erfolgt.

Der ursprünglich positive Mutterkomplex gibt einem Kind das Gefühl einer fraglosen Daseinsberechtigung, das Gefühl, interessant zu sein und Anteil zu haben an einer Welt, die alles gibt, was man braucht – und noch ein wenig mehr. Daher kann sich dieses Ich auch vertrauensvoll in Kontakt setzen zu einem »andern«. Der Körper ist die Basis des Ich-Komplexes.6 Auf der Basis eines positiven Mutterkomplexes werden die leiblichen Bedürfnisse als etwas »Normales« erlebt, und sie können auch normal befriedigt werden. Es besteht eine selbstverständliche Freude am Körper, an der Vitalität, am Essen, an der Sexualität. Der Körper darf auch Emotionen ausdrücken und kann diese Äußerungen auch von anderen Menschen akzeptieren und aufnehmen. Dieser so fundierte Ich-Komplex kann sich entgrenzen in der Körpererfahrung mit einem anderen Menschen, ohne Angst zu haben, sich dabei zu verlieren. Aber nicht nur körperliche Intimität, auch psychische Intimität darf geteilt werden. Man versteht grundsätzlich andere Menschen, und man wird auch meistens verstanden. Andere Menschen tragen zum eigenen psychischen Wohlbefinden bei – und man kann selbst zum Wohlbefinden anderer beitragen. Ein Mensch, der mit Interesse und Verständnis rechnen kann und eine gewisse Fülle von Liebe, Fürsorglichkeit, Verständnis und Geborgenheit erlebt, wird eine gesunde Ich-Aktivität entwickeln.

Spätestens in der Adoleszenz (Pubertät und Nachpubertät, bis zum zwanzigsten Lebensjahr) müsste die Idealisierung der Elternfiguren aufgehoben werden. Denn die Idealisierung der Elternposition bedeutet immer implizit eine Entwertung der Kindposition. In dieser Zeit werden Mutter- und Vaterkomplexe meist bewusst. Die Ablösung findet im Wesentlichen von den Eltern als Personen statt; die Komplexe spielen dabei aber eine nicht zu unterschätzende Rolle, denn jede Komplexprägung erlaubt gewisse Ablösungsschritte und untersagt andere. War das Weggehen schon immer untersagt, oder war es schon immer verboten, anders zu denken, als der Vater denkt, dann werden diese speziellen Aspekte der Komplexe deutlich miterlebt, und die Jugendlichen müssen dagegen anarbeiten oder die Ablösung wieder einmal aufgeben. Gelegentlich gelingt es, auch wenn die Ablösung eigentlich nicht erlaubt ist, bei anderen Menschen still und heimlich zu holen, was im System von Vater und Mutter fehlt. Das setzt aber eine gewisse Ich-Stärke voraus, setzt voraus, dass Ablösung – vielleicht auf eine nicht ganz offene Weise – stattgefunden hat, weil die offene Weise nicht erlaubt worden ist, oder wir haben es mit jungen Menschen zu tun, die ungeachtet der Komplexprägungen einen starken Drang zu Selbstständigkeit haben.

Ablösung ist ein Kompromiss zwischen dem, was das eigene Leben von einem Menschen will, und dem, was die Umwelt will, letztlich Vater und Mutter, die Lehrer, die Gesellschaftsschicht, in der wir leben. Deutliche Ablösephasen, wie die Adoleszenz, sind verbunden mit einer Aufbruchsstimmung, sind Umbruchphasen. Der Ich-Komplex strukturiert sich um, das heißt, es besteht ein labiles Selbstwertgefühl.

Das Erleben einer gewissen Solidarität mit den Eltern wäre also gerade wichtig, obwohl man sich auch gegen sie stellen muss. Man braucht die Eltern, von denen man sich ablöst. Deshalb sind in dieser Phase Komplexsätze, die Ablösung grundsätzlich verbieten und Liebesverlust oder Verlust der Würde des jungen Menschen androhen, so problematisch. Zwar bietet die Altersgruppe möglicherweise ein Netz, das eine gewisse Geborgenheit gibt, sie kann aber niemals die liebevolle, schmerzliche, ehrliche Auseinandersetzung mit den Eltern ersetzen. In der Auseinandersetzung mit den Eltern zeigen diese nämlich auch ein Selbstbild, das die Jugendlichen manchmal noch nicht an ihnen kennengelernt haben. In der Auseinandersetzung mit dem Selbstbild des Vaters und der Mutter bestimmen die Jugendlichen ihr eigenes Selbstbild. Dabei spüren die Kinder das Ungelebte der Eltern auf und erheben es in der Regel zu einem Wert, dem sie, die Jugendlichen, jetzt nachleben wollen. Das weckt bei den Eltern gelegentlich Neid, wenn die Jugendlichen leben, was sie sich versagt haben. Das Ungelebte, das eigentlich hätte mitleben sollen, der Schatten, ist dabei von einer besonderen Bedeutung.

Nun lösen sich Adoleszente aber nicht nur von den Eltern ab, die Ablösung findet auch innerhalb einer Altersgruppe statt. Es gibt auch einen kollektiven Schatten, der von den Jugendlichen meistens begeistert und kreativ aufgenommen und zu einem Lebensstil entwickelt wird. So wurden die Kinder von guten Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern in den späten 60er und den 70er Jahren plötzlich »Blumenkinder«, geprägt von musischem Erleben, Eros und Sinnlichkeit. Auf einer kollektiven Ebene wurden Aspekte des positiven Mutterkomplexes plötzlich in einer vaterkomplexigen Welt zelebriert. Bis in die Kleidung hinein kann man diese Entwicklungen verfolgen. Die Kinder der Jeansträgerinnen und Jeansträger haben heute einen ausgesprochenen Sinn für Designer-Klamotten.

An die Stelle der persönlichen Mutter und des persönlichen Vaters können in der Adoleszenz auch überpersönliche Väter und Mütter treten, wie wir sie aus den Religionen kennen. In der Religionspädagogik spricht man vom »religiösen Rigorismus« in dieser Altersphase und meint damit, dass religiöse Fragen in einer großen Absolutheit gestellt werden. Psychologisch ist das leicht zu verstehen: Da der Jugendliche oder die Jugendliche in einer Identitätskrise steckt, wird Orientierung gesucht. Da die Orientierung nicht mehr von den persönlichen Eltern kommen kann, werden die Archetypen hinter diesen Gestalten belebt, so wie sie sich in den kollektiven Wertsystemen manifestieren. So kann es zu einem starken Interesse an bestimmten religiösen Strömungen kommen, zu einem verpflichtenden Engagement, einem Gott oder einer Göttin, deren Botschaft man ins Leben tragen möchte. Vorübergehend wird man damit zu einem »Kind einer höheren Macht«, was das Selbstwertgefühl gerade so weit stabilisiert, dass es leichter ist, sich von den Eltern abzugrenzen und auf deren Fürsorge zu verzichten. Was die Jugendliche oder der Jugendliche in dieser Situation allerdings als sehr individuell erlebt, der »total eigene Weg«, ist in der Regel ein recht kollektiver Weg, der erneute Ablöseprozesse erfordern wird, soll der Mensch wirklich den je eigenen Weg finden. So ist auch das Gottesbild eines Menschen Wandlungen unterworfen: Vergleichen wir Gottesbilder aus unserem Leben – falls sie eine Rolle gespielt haben –, werden wir feststellen, dass diese sich wandeln. Auch eine heftige politische Überzeugung in der Adoleszenzphase kann darauf zurückzuführen sein, dass die Mutter- und Vaterkomplexe auf die unabgegoltenen Versprechungen politischer Programme projiziert werden. Der Unterschied von einem in Komplexen wurzelnden zu einem »normalen Engagement« zeigt sich darin, dass Überzeugungen heilig sind, sehr rasch von »Verrat« gesprochen wird und Politik nicht verstanden wird als eine Möglichkeit, das Zusammenleben der Menschen so reibungslos und so sinnvoll wie möglich zu gestalten, sondern dass eine Heilserwartung darin gesucht wird. Damit sind dann auch die Enttäuschungen vorprogrammiert.

Generell kann gesagt werden, dass in der Ablösephase Menschen, die nicht Vater und Mutter sind, auf die aber Väterliches und Mütterliches projiziert werden kann, eine Rolle spielen, dann aber auch die Bilder von Vater- und Muttergottheiten samt ihren jeweiligen Lebensprogrammen.

Die Adoleszenz des Jungen

Blos: Freud und der Vaterkomplex

Eine interessante These zur männlichen Adoleszenz stellt Peter Blos in seinem Aufsatz: »Freud und der Vaterkomplex«7 auf. Blos geht von der Frage aus, weshalb zwischen den männlichen Adoleszenten und ihren Vätern soviel Rivalität, Konkurrenz und Auflehnung besteht. Da, nach Blos, diese Phase oft nicht gut bestanden wird, werden die ungelösten Probleme auf das ganze Leben übertragen. Blos postuliert, dass wir es mit einem Überbleibsel aus der frühen Kindheit zu tun haben. Seine These: Der Vater ermöglicht es dem Kind in der frühen Kindheit, der totalen Mutterabhängigkeit zu widerstehen. Er unterstützt das ganze Leben hindurch die nach vorwärts gerichteten Bestrebungen, die psychische und körperliche Entwicklung. Der Vater gibt Unterstützung im Kampf gegen die Regression, Unterstützung im Drachenkampf. (Hier begegnen wir der männlichen Phantasie, dass der Vater im Dienste des Lebenstriebes steht.) In der Pubertät des Mannes wird die Liebe zur Mutter neu entfacht, das heißt, der Mutterkomplex, versetzt mit Animaelementen, wird neu konstelliert, damit erwacht aber auch erneut die Angst vor der primären Mutterabhängigkeit. Blos: Man würde also wie damals als Kleinkind den Vater brauchen zur Unterstützung...


Kast, Verena
Verena Kast (*1943 in Wolfhalden) ist eine der bekanntesten Psychotherapeutinnen im deutschsprachigen Raum. Sie war Professorin für Psychologie an der Universität Zürich, Dozentin und Lehranalytikerin am dortigen C.-G.-Jung-Institut und Psychotherapeutin in eigener Praxis. Von April 2014 bis März 2020 war sie Präsidentin des C.G. Jung-Instituts in Zürich sowie bis 2020 wissenschaftliche Leiterin der Lindauer Psychotherapiewochen. In ihren Büchern macht sie den Menschen Mut, die Vergangenheit loszulassen und sich der Zukunft zuzuwenden.

Verena Kast (*1943 in Wolfhalden) ist eine der bekanntesten Psychotherapeutinnen im deutschsprachigen Raum. Sie war Professorin für Psychologie an der Universität Zürich, Dozentin und Lehranalytikerin am dortigen C.-G.-Jung-Institut und Psychotherapeutin in eigener Praxis. Von April 2014 bis März 2020 war sie Präsidentin des C.G. Jung-Instituts in Zürich sowie bis 2020 wissenschaftliche Leiterin der Lindauer Psychotherapiewochen. In ihren Büchern macht sie den Menschen Mut, die Vergangenheit loszulassen und sich der Zukunft zuzuwenden.



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