Buch, Deutsch, Band 1, 304 Seiten, Format (B × H): 129 mm x 189 mm, Gewicht: 337 g
Reihe: SteamPunk
Frauenwerk
Buch, Deutsch, Band 1, 304 Seiten, Format (B × H): 129 mm x 189 mm, Gewicht: 337 g
Reihe: SteamPunk
ISBN: 978-3-948592-87-5
Verlag: Ashera Verlag
Eve kann nicht glauben, dass ihre heimliche Liebe Howard einen Mord begangen haben soll, aber die Beweislast ist erdrückend. Mehrere Augenzeugen haben gesehen, wie er den reichen Großindustriellen Gerald McOyster erstochen hat. Eve sucht ihn in seiner Zelle im Tower auf und trifft einen Mann, der ihr fremd und anders erscheint. Als sie am nächsten Tag, die verschlagene Erfinderin Irene Dorchester aus dem Tower kommen sieht, ahnt sie, dass ihr geliebter Howard Opfer von deren dunklen Machenschaften wurde, deren Ausmaß ihre schlimmsten Befürchtungen bei Weitem übersteigen.
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Prolog
Der Berg aus scheinbar achtlos aufgeworfenen Metallteilen, größtenteils Zahnräder und Stahlträger, ragte weit in den Himmel und verdeckte fast vollständig die Silhouette der Hafengebäude des Royal Victoria Docks, die den Horizont dahinter bildeten. Der trübe Himmel, gespeist aus dem dunklen Rauch der vielen Fabrikschlote, wirkte darüber wie ein stählern anmutendes Dach. Alles war grau oder zeigte zumindest eine Facette dieser Farbe. Hätte es einen Menschen gegeben, der den Berg beobachtete, jemanden, der sich in die Ödnis des schrottplatzartigen und weitläufigen Außengeländes gewagt hätte, welches das große Gebäude in der Mitte wie ein trostloser Schutzwall umgab, selbst eingefasst durch eine Mauer, er hätte ein Geräusch hören können: Ein feines Ticken, wie das eines Uhrwerks, gefolgt von Scharren und Kratzen. Hätte dieser Jemand die Augen zusammengekniffen und auf die linke Flanke des Berges geschaut, ihm wäre eine Bewegung aufgefallen. Gemessen an der Menge leblosen Metalls nur ein feines Zucken, aber dennoch vorhanden. Etwas bahnte sich seinen Weg, kämpfte sich an die Oberfläche. Ein erneutes metallisches Knirschen, und etwas kullerte den Berg hinab und blieb, unten angekommen, abrupt stehen. Es bestand aus zwei Zahnrädern, die an der Nabe über einen Mittelsteg miteinander verbunden waren. Auf einem der Zahnräder befanden sich zwei Uhren, die an Augen erinnerten, anstatt Zahlen aber Buchstaben trugen. Dort, wo man bei einem Gesicht den Mund erwarten würde, befand sich ein Uhrenpendel, auf der linken Seite mit ‚Ja‘, rechts mit ‚Nein‘ bezeichnet. Tatsächlich schien sich diese kleine Maschine, dieses Wesen, eigenständig zu bewegen, sogar einen Willen zu haben, den es verfolgte. Zwei Zeiger, wie Arme, ragten aus dem Bereich zwischen den Zahnrädern hervor, aus dem ein rotes Licht pulsierte. Mit diesen Zeigern hatte das kleine Kerlchen sein Herabrollen von dem Metallberg abgebremst, und konnte diese, wie Beine, zur Fortbewegung nutzen oder sich damit abstoßen, um sich rollend fortzubewegen. Wie war es dorthin gelangt? Oder hatte es jemand für Abfall befunden und entsorgt? Das Kerlchen sah sich um, als warte es auf etwas oder jemanden. Und das traf tatsächlich zu! Es würde eine Person treffen, die seine Hilfe benötigte. Lange würde es nicht mehr dauern.
1 - Bekannter Fremder
Eiligen Schrittes stürmte Eve voran, den Blick starr geradeaus. Weder nahm sie die vorbeifließende Themse auf der rechten, noch die unheilvoll aufragende Mauer des Towers of London links von ihr wahr. Es war besser, sich nicht bewusst zu machen, wo sie war, wohin sie musste und wegen wem. Kalt stieg die Angst in ihr empor, schnürte ihr die Kehle zu, so dass sie gezwungen war, ihr Tempo zu verlangsamen, um zu Atem zu kommen. Es kann nicht sein!, dachte sie. Abermals. Dieser Gedanke, wie ein wilder Vogel, den man in einen zu engen Käfig gesperrt hatte, flatterte durch ihren Kopf, machte sie schwindelig. Sie war sofort losgestürmt, als sie davon erfahren hatte. Entgegen aller Geheimhaltung, die sie und Howard betrieben. Betrieben hatten. Wenn es stimmte, würden sie sich keine Gedanken mehr machen müssen, wie ihre Zukunft aussehen könnte. Wenn es wirklich stimmte, gab es keine mehr für sie. Eve strauchelte, ihre Hand suchte ihre Brust, als sich ihr Herz darin schmerzhaft zusammenkrampfte. Sie blieb geduckt stehen, rang um Atem und Fassung. Beides war zwingend nötig, um diese Aufgabe zu bestehen. Sie konnte sich keine Schwäche leisten. Nicht jetzt!
Sie musste stark sein. Um Howards willen. Musste ihm zumindest beistehen. Es war das Einzige, was sie für ihn tun konnte. Es sei denn ... Schluss jetzt! Sie straffte ihren Oberkörper, setzte eine kühle Miene auf und schritt auf das Tor in den Mauern zu, das von zwei Wachmännern flankiert wurde. Eve wusste, dass sie nur eine Chance hatte, zu ihrem Howard vorgelassen zu werden, wenn sie ihre Rolle überzeugend spielte. Keinen Anlass zum Zweifeln gab.
Als sie sich dem Tor bis auf wenige Meter genähert hatte, rückten die Wachmänner zusammen. Der Rechte, deutlich älter als der Linke, hob, Halt gebietend, die Hand. „Mylady, darf ich mich nach Eurem Begehr erkundigen?“
Eve zuckte, ob der Anrede zusammen, fing sich aber gleich wieder. Gut, dass ihre Freundin Elizabeth ihr dieses edle Kleid geliehen hatte. In ihrer Garderobe hätte sie keine der Wachen auch nur in die Nähe dieses Tores gelassen. „Die Not treibt mich her, Sir.“ Eve schlug die Augen nieder und schluchzte leise, in der Hoffnung, ihren Worten etwas Nachdruck zu verleihen. „Mylady, ich bin mir sicher, dass wir Euch helfen können“, sagte der jüngere Wachmann und tat einen Schritt auf sie zu.
Eve musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Ihr Plan schien aufzugehen. „Heute wurde ein junger Mann hierhergebracht. Sein Name ist Howard Grant.“
Der junge Wachmann warf dem älteren einen Blick zu. Der nickte leicht und entgegnete: „Er ist eines schweren Verbrechens angeklagt, Mylady.“
„Sir, davon habe ich gehört, und ich bin hier, um meinem Bruder etwas Porridge zu bringen. Er wird hungrig sein.“
Wieder warf der Junge dem Alten einen Blick zu, erneutes Nicken, dann machten ihr die Wachen Platz. *
Etwas stimmte nicht. Anfangs glaubte Eve, dass das Schattenspiel des flackernden Kerzenlichts ihre Wahrnehmung trübte. Es war jedoch nicht nur, was sie sah, das sie zweifeln ließ. Seine Bewegungen, seine Gestalt – dieser Mann sah aus wie ihr Howard, verhielt sich aber nicht so. Er sitzt in einer Zelle im Tower, du dumme Gans!, schalt sie sich. Und dennoch blieb der Eindruck, wie ein schaler Geschmack, auf ihrer Zunge liegen.
„Gefangener! Besuch!“, rief die Wache, woraufhin Howard langsam auf die Gitterfront zuschlurfte. Fast wäre Eve zurückgeschreckt. Seine Augen! Sein Blick war völlig leer.
„Howard?“, flüsterte sie, und ein kurzes Flackern durchzuckte seine Augen, als er sie ansah. Fast glaubte sie, gleich würde er sie erkennen, sich freuen, dass sie ihn besuchte, ihm in dieser schweren Stunde beistehen wollte. Doch dann wurde sein Blick wieder leer, ging durch sie hindurch.
„Ich fürchte, Ihr werdet keine Antwort erhalten, Mylady“, kommentierte der Wachmann die Szene. Wie, um das zu bestätigen, wandte Howard ihr den Rücken zu und schlich zurück in den hinteren Teil der Zelle, wo ihn die Dunkelheit verschluckte.




