E-Book, Deutsch, Band 3, 576 Seiten
Reihe: Gower Street Detective
Kasasian Tod in der Villa Saturn
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-455-00409-0
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 3, 576 Seiten
Reihe: Gower Street Detective
ISBN: 978-3-455-00409-0
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Martin R. C. Kasasian ist im englischen Lancashire aufgewachsen, hat in Fabriken und Restaurants gearbeitet, auf dem Rummelplatz, beim Tierarzt und als Zahnarzt, bevor er zu schreiben begann. Die Sommer verbringt er mit seiner Frau in Suffolk, im Winter leben die beiden auf Malta. Kasasians beliebte Gower Street-Reihe um Detektiv Sidney Grice erscheint bei Atlantik.
Weitere Infos & Material
Cover
Titelseite
Widmung
Vorwort zur Erstausgabe
Teil I Auszüge aus den Tagebüchern von March Middleton
Teil II Auszüge aus den Aufzeichnungen von Mr Sidney Grice
Teil III Auszüge aus den Notizen von March Middleton
Teil IV Auszüge aus den Tagebüchern von March Middleton
Nachwort
Der Autor
Impressum
3 Der Tod des Dom Hart
Es begann, wie es enden muss – mit dem Tod und einem Priester.
Der Mann, der an jenem dunklen Januarmorgen vor uns stand, war in eine schwarze Kutte gekleidet, deren zurückgeschlagene Kapuze einen Schopf dichten kastanienbraunen, ergrauenden Haars und ein rundliches rosawangiges Gesicht freigab. Die Spitze seiner Knollnase war noch von der Londoner Kälte gerötet.
»Bitte«, wandte er ein, »ich kann doch nicht Ihren Platz einnehmen.«
»Woher wollen Sie wissen, dass es meiner ist?« Als ich ihm den Sessel anbot, hatte ich nicht danebengestanden.
Unser Besucher lächelte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mr Grice Gedichte von John Clare liest.« Er zeigte auf das Buch, das mit Einband nach oben auf dem Sitzpolster lag.
Ich lachte. »Sind Sie gekommen, um uns unsere Arbeit beizubringen?«
»Falls ja, war Ihre Reise unnütz«, murmelte mein Vormund.
»Lassen Sie mich Ihnen einen anderen Sessel holen«, bot ich an. Doch der Mönch stellte seine Reisetasche ab, ergriff einen der Stühle am großen Tisch und schwenkte ihn auf dem Weg zurück mühelos in einer Hand, um ihn vor das Kaminfeuer zu stellen.
Sidney Grice und ich setzten uns einander gegenüber zu beiden Seiten der Feuerstelle, indes sich unser Besucher auf seinem Platz niederließ.
»Beachtlicher Berufswechsel bei Ihnen, vom Schankwirt zum Benediktiner«, bemerkte Mr G, und unser Besucher neigte fragend den Kopf.
»Es bedarf keiner großen Vorstellungskraft, meine Berufung zu erraten«, er berührte das silberne Kreuz an seinem Hals, »zumal ich mich als Bruder Ambrose vorgestellt habe. Doch woher in Gottes Namen können Sie meine Vorgeschichte kennen?«
»Kein Mann kann seine Vergangenheit verbergen.« Mein Vormund schwenkte eine Hand. »Wenngleich manch einer es versucht hat. Sie steht in seinem Gesicht geschrieben, in den Händen, den Bewegungen und der Sprache. Ganz offenbar haben Sie in einem kleinen Lokal nahe dem Meer gearbeitet.«
Der Priester kratzte sich am Kinn. »Ich habe seit über einem Jahrzehnt weder einen Fuß in eine Kneipe gesetzt noch die Küste aufgesucht. Welche Anzeichen könnten mir jetzt noch anhaften?«
Mr G lehnte sich zurück. »Ich habe es sogleich durch Ihr Auftreten vermutet. Sie haben jene selbstsichere, aber einnehmende Art jemandes, der dient und doch das Sagen behält.«
»Die hätte auch ein Oberkellner«, wandte ich ein.
»Ein Kellner, gleich welchen Ranges, wäre ergebener.« Mr G schniefte. »Ein Schankwirt weiß einladend zu sein und doch seine Autorität zu wahren, um mit denen fertig zu werden, die er betrunken gemacht hat.«
»Das ist alles?« Bruder Ambrose war unbeeindruckt. »Ich benehme mich zufällig wie ein Gastwirt?«
»Das war ein Wegweiser auf meinem Pfad zur Wahrheit«, erklärte mein Vormund. »Sie haben einen gut entwickelten Oberkörper – eher muskulös als dicklich, wiewohl Sie in letzter Zeit Fett angesetzt haben.«
Der Mönch straffte bei dieser Beschreibung seiner selbst den Mund. »Bitte fahren Sie fort.«
Mein Vormund legte die Fingerspitzen zusammen. »Eine solche Entwicklung rührt von einer Arbeit, die das Heben schwerer Lasten mit sich bringt, etwa wenn ein Schankwirt Fässer umstellt. Sie haben diesen Stuhl mit sehr geringer Mühe getragen.«
»Auch bei vielen anderen Arbeiten müssen Sachen angehoben werden«, widersprach Bruder Ambrose. »Schauerleute müssen das zum Beispiel.«
»Allerdings«, pflichtete Mr G bei, »aber ich bin noch nie einem Hafenarbeiter begegnet, dessen Rücken nicht von seiner Mühsal gekrümmt war, und Ihr rechter Arm ist viel besser entwickelt als Ihr linker, die Folge jahrelangen Ziehens an Zapfschwengeln.«
»Und wenn ich nun Tischler wäre? Der Gebrauch einer Säge hätte dieselbe Auswirkung«, wandte der Mönch ein.
Mr G lächelte dünn. »Ihre Hände mögen zwar über die Jahre weicher geworden sein und ihre Schwielen eingebüßt haben, aber der Tischler muss mir noch begegnen, dessen Finger sich weder durch groben Gebrauch verdickt noch bleibende Narben von Splitterwunden und Unfällen mit seinem Werkzeug davongetragen haben.« Er lehnte sich zurück, rupfte an der Klingelschnur und brachte den schädelförmigen Knebel zum Schlenkern.
»Und woher wussten Sie, dass mein Pub klein und an der Küste gelegen war?«
»Ein größeres Lokal hätte einen Kellner beschäftigt, der sich um die Fässer kümmert.« Mein Vormund schnippte sich das dichte schwarze Haar aus der Stirn. »Und Ihre Aussprache – falls mich mein außerordentliches Gehör nicht trügt, was es nie tut – ist typisch für die Gegend um Hove. Viele Männer träumen davon, aus der Stadt fortzuziehen und eine Gastwirtschaft am Meer zu betreiben, aber ich habe noch keinen kennengelernt, bei dem es umgekehrt wäre.«
Bruder Ambrose gluckste. »Sie sind mir eine gute Unterhaltung, Mr Grice.«
Und mein Vormund holte tief Luft. »Ich bin weder Leierkastenmann noch Taschenspieler. Nennen Sie Ihr Anliegen.«
Der Blick unseres Besuchers verdüsterte sich. »Ich weiß nicht, welchem Glauben Sie angehören, Mr Grice.«
»Seien Sie versichert, dass es nicht der Ihre ist«, sagte mein Vormund scharf.
»Das ist nur gut so.«
»Aber warum?«, fragte ich.
Und Bruder Ambrose berührte sein Kruzifix. »Wir suchen einen Mann ohne Ehrfurcht vor unserer Berufung. Ein frommer Katholik könnte zögern, Einwände oder Anschuldigungen gegen jemanden zu erheben, den er als seinen geistlichen Vater ansieht.«
»Da kann ich Sie beruhigen«, versicherte ich ihm. »Mr Grice schert sich nicht darum, wen er beleidigt.«
Der Mund des Mönches zuckte. »Entsprechendes wurde uns zu verstehen gegeben.«
»Dann wurden Sie vielleicht auch davon unterrichtet, dass ich niemals über die Grenzen dieser so großen wie lasterhaften Metropole hinaus reise«, beschied Mr G ihn.
Bruder Ambrose befühlte mit dem Daumen die Füße der Christusfigur. »Hören Sie mich wenigstens zu Ende an?«
»Es könnte einen andernfalls öden Augenblick füllen.« Mein Vormund streckte den Arm über die Rückenlehne seines Sessels hinweg aus. »Fahren Sie fort.« Ungeduldig zerrte er zwei weitere Male an der Klingelschnur.
»Wie Sie bemerkten, bin ich Mönch vom Orden des heiligen Benedikt. Die letzten acht Jahre war mein Zuhause in Yorkshire.«
»Eine wüste Gegend.« Mr G schauderte. »Bevölkert von Wilden in Tweedjacken und gemusterten Socken.«
»Es soll dort recht hübsche Landschaften geben«, warf ich ein.
Sidney Grice zuckte die Achseln. »Kein Ort ist hübsch, solange er nicht eingeebnet und bebaut wurde.« Er wedelte mit der Hand. »Alsdann.«
»Claister Abbey zählte einst zu Englands größten Klöstern«, erzählte uns Bruder Ambrose, »bis es von Heinrich VIII. in seinem Wettstreit mit dem Papst um die Vorherrschaft aufgelöst wurde. Wiedereröffnet wurde es vor vierunddreißig Jahren, also …«
»1849«, unterbrach ihn Mr G. »Sogar ein Nichtkatholik kommt auf diese Summe.«
»Das Kloster ist eine blasse Reinkarnation seines einstigen Selbst«, fuhr Bruder Ambrose fort. »Vormals beherbergte es dreihundert Mönche mit eigener Bäckerei, Molkerei, Schmiede und Brauerei – eine Kleinstadt für sich. Heute drängt sich ein Dutzend von uns in einem einzelnen Haus und überdauert dank der schmalen Einkünfte aus unserem Gemüsegarten und dem Druck religiöser Traktate, vorwiegend aber wohltätiger Vermächtnisse.«
»Zweifellos derer, die Messen für ihre Seelen gefeiert wissen wollen im Glauben, Gott urteile wohlmeinender über die Reichen«, merkte Sidney Grice säuerlich an.
»Oder jener, die Nächstenliebe in sich tragen«, widersprach unser Besucher sanft. Er hatte sich beim Rasieren geschnitten und Blutstropfen hatten sein Gewand am Halsausschnitt befleckt. »Doch um zum Kern zurückzukehren, unser vielgeliebter Abt Dom Simeon wurde vergangenen Januar vom Herrn heimgeholt. Wir hatten gehofft, unser ältester Bruder in Christus, Jerome, träte an seine Stelle – tatsächlich wurde er vorübergehend unser Leiter –, aber dann wurde ein Außenstehender zu seinem Nachfolger ernannt.« Bruder Ambroses kräftige Finger legten sich um das Kruzifix. »Dom Ignatius Hart war keine gute Wahl. Ihm haftete der wohlverdiente Ruch der Bosheit an. Er war hochmütig und schnell beleidigt, um dann lange seinen Groll zu hegen, und hatte ein Gespür dafür, beliebte Aufgaben in unerträgliche Fron zu verwandeln.
Bruder Daniel, der jüngste unserer Brüder, trat lieber aus dem Orden aus, statt sich weiterhin den täglichen Demütigungen auszusetzen, und viele erwogen Selbiges, doch das Gelübde eines Mönchs bindet seine Seele derart, dass er fürchten muss, sie zu verlieren, wenn er es lockert.« Er sann eine Weile seinen eigenen Worten nach. »Der Sommer war hart, aber schlimmer war der Winter. Dom Ignatius führte kalte Bäder als Buße für lässliche Verfehlungen ein, und es gab kaum Zweifel, dass Bruder Peters Ende von solch grausamer Behandlung beschleunigt wurde.« Bruder Ambroses Griff verfestigte sich. »Wir fingen an, uns heimlich zu treffen und zu besprechen, wie am besten mit unserem Oberherrn umzugehen sei, und ich muss gestehen, dass bei diesen hitzigen Debatten mehr als einer, mich eingeschlossen, Drohungen flüsterte.
Dann, am fünften Tag des Januars, einem nasskalten Freitagmorgen, versäumte Dom Ignatius die Laudes. Das war sehr ungewöhnlich, zumal zum Epiphaniasfest, und eine besorgte Erörterung hob an, wer, wenn...