E-Book, Deutsch, 188 Seiten
Reihe: Edition Periplaneta
Karuso Hoelderlin
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-95996-124-0
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 188 Seiten
Reihe: Edition Periplaneta
ISBN: 978-3-95996-124-0
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Seit ihn vor sechs Jahren seine große Liebe verlassen hat, versucht Hoelderlin, sich mit allen Mitteln zu zerstören. Er raucht, trinkt, schläft nicht mehr richtig und er verabscheut seine Mitmenschen wegen ihrer Macken und falschen Wertvorstellungen.
Seine einzige Freundin ist Facebook. Ihr teilt Hoelderlin seine Sorgen mit, schickt seine bedeutsamen Gedanken in das World Wide Web hinaus, im Wissen, dass sie niemanden interessieren, nicht einmal die NSA.
Doch Hoelderlin will sich ändern, glücklich sein. Aber kann sich ein zynisches Arschloch wie er mit dieser verkorksten Welt arrangieren?
"Karuso exerziert eine in ihrer Schonungslosigkeit gleichermaßen schockierende, wie begeisternde Bestandsaufnahme von Bedingungen eines bewussten Scheiterns und Entsagens und lässt ein Ich erzählen, dessen Verhältnis zur Welt durch den Begriff ‚Enttäuschung‘ allein nicht annähernd mehr zum Ausdruck zu bringen ist. Dieser Episoden-Roman ist weit mehr als Hyperion 2.0."
Wehwalt Koslovsky, Poetry Slam-Weltmeister 2000
"In ‚Hoelderlin‘ geht Laander Karuso im Gegensatz zu vielen anderen Autoren nicht den Weg des geringsten Widerstands. Er schafft es, dass der Leser den Protagonisten immer wieder hassen möchte, vielleicht grade weil man sich beim Lesen immer wieder aufs Neue ertappt fühlt. Denkt man nicht oft die gleichen Dinge?"
Jessy James LaFleur, Spoken-Word-Künstlerin
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Ein echter Kotzbrocken
25. Januar, 01:25 Uhr
Hätte ich nur jedes Mal einen Cent bekommen, wenn jemand über mich sagte »Der hat die Arbeit ja nicht gerade erfunden«. Dann hätte ich jetzt das Geld, eine Firma zu gründen und Angestellte zu beschäftigen, die mir dann jeden Tag ihre Arbeitsmoral unter Beweis stellen könnten. Die Deutschen mit ihrer gottverdammten Arbeitswut! Die Arbeit nicht erfunden zu haben kommt einem Verbrechen gleich. Aber was soll daran schlimm sein? Ist Arbeit neuerdings irgendwie etwas Gutes und ich habe es als Einziger nicht mitgekriegt? Ist Arbeit neuerdings nicht mehr anstrengend, muss man nicht mehr früh morgens aufstehen, muss man sich nicht mehr in einem halbfaschistoiden Selektionsverfahren mit anderen messen lassen und seinem Arbeitgeber in jeder Hinsicht willfährig sein? Komm früher, bleib länger, arbeite härter, pausiere weniger, lutsch die Schwänze der Bosse besser! Ich hege große Bewunderung für jeden, der die Arbeit nicht erfunden hat. Es sollte einen internationalen Feiertag für uns geben mit einer großen Parade. Wir – ausgeruht, gutgelaunt und zufrieden – würden lächelnd an den Lohn-und-Brot-Sklaven vorbeimarschieren und ihnen zuwinken. Ich hasse Arbeit so sehr, ich würde die Arbeit investieren, eine Zeitmaschine zu bauen, und dem Menschen, der gerade die Arbeit erfinden will, seinen verfluchten Schädel einzuschlagen. Damit würde ich zwar vermutlich die gesamte Menschheit, inklusive mir, vernichten, aber irgendwie kann ich daran auch nichts Schlimmes finden.
Ich breite meine Decke zwischen den vielen Straßenkünstlern, Musikern und lebenden Statuen aus und setze mich darauf. Menschen ziehen an mir vorbei, beobachten mich interessiert bei meiner Vorbereitung. Ich führe jede Bewegung betont langsam aus, gebe mich künstlerisch, versuche, ein Mysterium um mich herum aufzubauen. Eine Menschentraube bildet sich vor mir. Sie beäugen mich erwartungsvoll.
Was wird er gleich tun?
Als das Vortäuschen der Einstimmung auf eine unterhaltsame Darbietung abgeschlossen ist, hole ich ein Pappschild aus meinem Rucksack und beschrifte es mit einem Filzstift: »Ich will kein Geld, ich tue das nur für EUCH!« Ich stelle das Schild neben meinen Platz und warte. Als der perfekte Moment gekommen scheint, richte ich das Wort an die Versammlung vor mir: »Geht shoppen, ihr Fotzen! Der Kapitalismus braucht euch.«
Mit dutzendfach kundgetaner Empörung löst sich die Traube auf. Ein korpulenter Mann geht an mir vorbei. Er schnauft laut, das Gehen – selbst in moderatem Tempo – bereitet ihm große Anstrengung. In der Hand hält er eine braune Papiertüte. Im Vorbeigehen sucht er eine Pappschachtel aus der Tüte, öffnet diese und holt einen Hamburger hervor. Der Burger sieht nicht im Entferntesten so aus wie das Bild auf der Schachtel.
»Hey Fettarsch!«, rufe ich ihm zu. Er dreht sich verwundert zu mir.
»Du kannst es nicht abwarten, in die Kiste zu springen. Das verstehe ich. Aber warum müssen andere mit dir leiden?« Ich deute auf seinen Hamburger. »Mit deinem Scheißfraß förderst du nicht nur die Verkalkung deiner Arterien, sondern auch Umweltzerstörung, Tierquälerei, Lohndumping und den Welthunger. Nimm dir einfach ’nen Strick und lass den Rest der Welt in Ruhe.«
Entgeistert sieht er mich an, unsicher, wie er jetzt reagieren soll. Er entscheidet sich schließlich dazu, mich Arschloch zu nennen und sich zum Gehen zu wenden. Nach einigem Hadern stopft er die Pappschachtel in die Papiertüte und diese wiederum in einen Mülleimer.
»Und jetzt auch noch Lebensmittel verschwenden!«
Ich grinse triumphierend und drehe mir eine Zigarette. Ich entzünde sie und nehme einen tiefen Zug. Zu tief, wie sich sofort herausstellt. Mir wird schwindelig. Auf einer nahegelegenen Sitzbank bemerke ich zwei Gören, ins Gespräch vertieft. Nennen wir sie Miley Cyrus und Justin Bieber. Sie tragen Kleidung, welche schick, adrett und scheißteuer aussieht. Neben ihnen liegen ihre in mit Swarovski-Steinen besetzten Hüllen eingepackten Smartphones. Der Schutz ihrer Telefone scheint hohe Priorität zu besitzen. Sich selbst schützen die beiden nicht einmal durch warme Kleidung. Ich erhebe mich von meinem Platz und bewege mich zu der Bank, während sich die beiden noch immer angeregt unterhalten.
»Ich bin brauner als du!«, sagt der eine und verweist auf seine Unterarme. Die beiden waren offenbar im Solarium oder im Urlaub.
»Quatsch!«, sagt die andere. »Ich bin brauner!«
»Nein, ich bin brauner!«
»Nein ich bin brauner!«
»Ich glaube, die Nazis bei den NPD-Parteitagen streiten genau so wie ihr«, unterbreche ich sie. Gekonnt lasse ich diese bissige Bemerkung wirken, während die beiden Gören verwirrt aufblicken. Als ich mich auf den freien Platz neben die beiden setze, beginnen sie sofort, mich geringschätzig zu mustern.
Ohne den beiden Zeit oder Gelegenheit zu geben, etwas zu erwidern, setze ich erneut an: »Es muss sicher anstrengend sein, das hart erarbeitete Geld von euren Alten jeden Monat loszuwerden, ihr kleinen Nachwuchsbonzen. Ihr seht so müde und unzufrieden aus. Oder ist das euer Look? Muss das so aussehen? Egal. Da eure lieben Eltern vermutlich nicht ewig Bock haben werden, euren ganzen Scheiß zu finanzieren, lasst mich euch doch ein Mantra geben, das euch sicher Glück und Erfolg bringen wird: Hot, cold, mixed, tall, grande, venti, decaf, regular, Magermilch, Halbfettmilch, Vollmilch, Sojamilch, Kokosmilch, Mandelmilch, Caffè Latte, Espresso, Americano, Cappuccino, Frappuccino, Caffè Mocha, White Chocolate Mocha. Einfach gebetsmühlenartig aufsagen. Der Rest ergibt sich dann von allein. Oder – falls es nicht so gut läuft – ›Ohne Gummi kostet ’n Fuffi extra‹. Aber egal, wo ihr letztendlich landet – in jedem Fall gilt: Nicht verkrampfen, auf einen Punkt an der Wand konzentrieren und an etwas Schönes denken. Etwas sehr, sehr Schönes.«
»So ein Arschloch«, sagt Justin zu Miley. Beide stehen auf und gehen ihrer Wege. Auch ich verlasse die Bank und nehme wieder den Platz auf der Decke, meiner Bühne, meinem Ausguck, meinem Podium ein.
Ein Typ in einem roten Adidas-Jogginganzug schlendert einen Moment später auf mich zu. Sein Ziel scheint das Outlet hinter mir zu sein.
»War der Anzug eigentlich günstiger?«, stelle ich ihm die Frage in den Weg.
»Was?«
»Ob der Anzug günstiger war.«
»Hä? Wie ›günstiger‹?«
»Günstiger als die anderen Farben. Rot muss doch preiswerter sein. Da wird doch ein Arbeitsschritt gespart.«
Ratlosigkeit steht dem Mann ins Gesicht geschrieben.
Ich seufze tief und hörbar. »Wenn den chinesischen Kindern beim Nähen die Finger bluten, können sie den Anzug gleichzeitig färben. Man muss nur darauf achten, dass die Kinder nichts zu trinken bekommen. Nur dann erhält man diese wundervolle Menstruationsfarbe. Dehydratation. Verstehst du? Wie bei deiner Mutter, wenn sie von einer Meth-und-Schwänze-Party kommt.«
Der Typ im Jogginganzug holt aus und schlägt mir mit voller Wucht ins Gesicht. Ich schlage mit dem Hinterkopf auf dem Kopfsteinpflaster auf. Mir wird abermals schwindelig. Aus meinen Augen schießen die Tränen, aus meiner Nase läuft warmes Blut. Der rote Saft mit Eisengeschmack benetzt meine Lippen. Eine weitere körperwarme Flüssigkeit trifft in grob zerstäubter Form mein Gesicht. Ich jongliere mit verschiedenen Nuancen der Klarheit, mäandere zwischen Ohnmacht und Bewusstsein, während der Typ, der mir ins Gesicht geschlagen und gespuckt hat, an mir herumzerrt. Meine Augen gehen fortwährend auf und zu, auf und zu, auf und zu.
Die karmesinrote, dämliche Pickelfresse.
Dunkelheit.
Nasenlöcher, so aufgebläht, so heftig schnaufend, dass mich die gähnende Leere seines Verstandes zu verschlucken droht.
Dunkelheit.
Ein hübsches Gesicht, lächelnd.
Dunkelheit.
Augen, Haare, schwarz wie Kohle, Haut, gebräunt wie Karamell.
Dunkelheit.
Eine attraktive Frau, schätzungsweise Ende zwanzig, Fitnessarmband, einen Kopfhörer eingestöpselt. Sie trägt auffällige, bunt leuchtende Kleidung. Tanktop, Jogginghose, beides enganliegend. Auf jedem Kleidungsstück, auf jedem Accessoire prangt das Symbol der Verehrung schöner Frauen: der Kopf eines Häschens, welches eine Fliege trägt. Als meine Augen schließlich geöffnet bleiben, lächelt sie, noch immer über mich gebeugt. Sie sagt etwas, dann lacht sie. Ich höre nur verschwommen.
Lacht mich dieses Miststück etwa aus?
»Ein sehr hübsches T-Shirt trägst du da, werte Emanzipationsgegnerin«, nuschele ich. »Deinen damit ausgedrückten Wunsch, auf deine äußeren Werte reduziert zu werden, um nicht mehr allzu hart arbeiten zu müssen, kann ich verstehen. Aber falls der Playboy nicht zufällig eine Hackfressen-Sonderausgabe plant, wirst du wohl um ehrliche Arbeit nicht herumkommen. Vielleicht kann ich dir aber dennoch einen Tipp zum Glück geben. Da du offenbar keinen Wert darauf zu legen scheinst, als Frau wirklich ernst genommen zu werden, versuche doch einfach Erfüllung in deiner traditionellen Rolle als Hausfrau und Mutter zu finden. Lass dir doch lieber ein Shirt mit einer Waschmaschine darauf drucken, oder einem Herd. Oder konsequenter gedacht: kein T-Shirt und einfach Titten raus! Das spart Zeit beim Stillen.«
Die Besorgnis und das Lächeln weichen genauso schlagartig aus ihrem Gesicht, wie ihre Hand in meinem landet. Mein Kopf dreht sich durch den wuchtigen Aufprall ruckartig zur Seite. Ein Gemisch aus Blut und Speichel entweicht...