Karimé | Wörter Wörter Himmelörter | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 180 Seiten, Format (B × H): 130 mm x 205 mm

Karimé Wörter Wörter Himmelörter

Sprachen erfinden
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-88769-016-8
Verlag: konkursbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Sprachen erfinden

E-Book, Deutsch, 180 Seiten, Format (B × H): 130 mm x 205 mm

ISBN: 978-3-88769-016-8
Verlag: konkursbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Teil 1. „Alifbeet oder Die Fantasie der Biogra-Fische“: Erinnerungen aus der Kindheit und erste Begegnungen mit anderen Sprachen. Dann das „Alifbeet“: Es erzählt entlang von Wörtern mit Anfangsbuchstaben des Alphabets die dramatische Geschichte der Libanon-Zeit der Autorin als Kind. Nach früheren Besuchen war sie von ihrem Vater dorthin entführt worden. Ein mitreißender Miniaturroman.
Teil 2. „Wörter, Wörter, Himmelörter oder Erfundene Sprachen“: eine Reihe von Poetikvorlesungen über das Schreiben von Kinderbüchern verwoben mit Biografischem und mit vielen Ausschnitten aus Geschichten. Andrea Karimé schildert in diesem Kapitel die Verbindung von Fantasie und Biografie beim Schreiben.
Teil 3. „#writerslife #kidsbookswriterslife“:
Und hier erzählt über ihr Leben heute und die Arbeit als Schriftstellerin.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


2 Alifbeet – Alphabet eines Freisprungs.
  »Der Faden meiner Poesie gleicht einer Girlande aus Buchstaben.« Stefanie-Lahya Aukongo   Vorwörter
1. Das Alfabet ist eine Zeichenfolge. Und fungiert als Wegzeichenfolge. Alfa ist A. A wie Alamat. Auf Arabisch Wegzeichen im Plural. A wie Andrea und A wie Arabisch. Das Bet enthält Gebet und Beet. Es verweist auf Wachstum. Säen. Aber Beet heißt auf Arabisch auch Haus. Heim. Ich betrete das Haus der Erinnerung. Und gehen und Säen sind Anliegen dieses Texts. Ich gehe Pflasterstein für Pflasterstein meiner Erinnerungen ab. Auf der Zeichenfolge. Sie dient mir den Weg abzuschreiten von einer Freiheitsberaubung zu einem Freisprung. Als Zeichen dienen mir die Buchstaben, die zu Wörtern führen. Auf dem Beet wächst ein A wie Andrea. Auf dem Beet wächst ein A wie Arabisch. Der vorliegende Text reiht sich ein in meine Essays, die sich mit meinem Schreiben im Zusammenhang mit biografischer Diversität auseinandersetzen. Ich spüre die Ressourcen auf, die meine libanesisch-deutsche Kindheit für mein Leben bereithielt. Als ich 1975 von meinem Vater in den Libanon entführt wurde und dort für drei Monate bei meiner libanesischen Familie »abgestellt« wurde, stellte das eine Zäsur in meinem bisherigen Leben dar. Ich entwickelte Kräfte mit dem Trauma des Betrugs, Verrats und der Freiheitsberaubung umzugehen, die ich bisher nicht kannte.
Zentral sind dabei Kühnheit und Fantasie, die ich im Libanon entdeckt habe, und die sich in der Zeit danach voll entfalteten und lebenslange Kräfte geworden sind. Das Alfabet ist die Wegzeichenfolge durch den Text, und nicht die Chronologie. Durch eine neue Abfolge der Erinnerungen, ist eine neue Perspektive auf die Ereignisse möglich und der Schrecken kann durch entstandene Zwischenräume entweichen.   2. Ich pflanze ein Alifbeet. Eine Buchstabenbeet aus Alif und Zettel und Dschinn und Renn. Einen Geheimnisgarten, der Poesie heißt. Ich pflanze eine Girlande, die Geschichte eines Mädchens, das ein Buchstabe werden wollte, der treibt und blüht. Sich verwandelt und fortschreitet. Ich zupfe ein paar Blättchen von der Alifblüte. Und lege diese zwischen zwei Seiten eines leeren Buchs.
Das Mädchen macht sich mit dem Wind davon. Man sagt, sie sei auf einem Sprungturm gelandet, wo der Wind ihr das Wesen der Freiheit erklärte. Die Buchstabenblume war ein Mädchen geworden, dass das Auftauchen begriff, und dass es dafür den Sprung braucht.
Als ich das Buch nach drei Tagen wieder aufschlage, steht ein Text darin, ein Vademecum, ein Kalimlarium: Vielleicht ein Auftauchen in Sprache nach dem Sprung.   Auftauchen.
Das Mädchen ist mit A verwandt. Ihr Name beginnt mit einem großen A. Das große A bedeutet A und Alif. Das große A wie Arabisch. Das Kind sieht so arabisch aus, sagte die deutsche Großmutter. Arabisch wie ihr Vater. Und das ist nichts Gutes, weiß sie. Der Ton der deutschen Großmutter ist sorgenvoll und seufzend. Liegt‘s am großen A? Alif wie Kalif. Aber Kalif ist kein Buchstabe. Kalif ist ein Herrscher. Der Vater ist ein Kalif und das Mädchen Alif, so musste es sein. Dass Alif ein Teil des Kalifen ist, über den er voll und ganz herrscht, erfasste Alif in den ersten 12 Jahren ihres Lebens.

Beim ersten Besuch im Libanon legt Papa arabische Wörter auf einen Zedernteller. Schukran klingt wie Schuhkrem und heißt Danke. Mai klingt nach Geburtstag und glöckchengrün und heißt Wasser.
Wörter sind Spielzeuge, denkt sie - damals und immerfort.

Doch eines Tages wurde Arabisch ein Feind. Das war als sie zum Besuch im Libanon gezwungen wurde. Ich spreche nie wieder Arabisch, dachte sie und verschloss den Mund. Als sie in dem weißwandigen Zimmer auf dem weißleinigen Laken saß und erkannte, dass sie gefangen war. Der Kalif hatte sie in dieses Land gebracht, in dem sie vorher arglos mit Wörtern, Kusinen und jüngsten Tanten gespielt hatte. Verschleppt! Jetzt musste es vermieden werden, zu sprechen. Denn Sprechen bedeutet Gehirnwäsche. Das weiß sie genau. Sie hat es gesehen, Jahre zuvor bei der kleinen Kusine Faiza. Der Onkel, der dem Vater nach Deutschland gefolgt war, hatte seine kleine Tochter ein Jahr später von dort zu den libanesischen Großeltern gebracht. Für immer. Keine Zeit für Kind, sagte er, und keine Geld. Die deutsche Tante hatte Ja gesagt und Amen. Und so kam Kusine Faiza nach Libanon für immer. Und als die Tochter des Kalifen ihre Kusine nach zwei Jahren wiedersah, -es waren die ersten Sommerferien im Libanon der Heimat des Kalifen- damals war der Besuch ein Besuch-, der ihr Vater war, sah Alif die Kusine das erste Mal wieder. Kusine Faiza sagte zu Opa Papa, sprach Arabisch, hatte Deutsch vergessen. Kusine Faiza war eine andere geworden. Fatme nämlich und Fatume. Wie Opa, der Vater des Kalifen sie nannte.
Daran erinnerte sich Alif, als sie im weißen Zimmer angekommen war und schloss: Jedes arabische Wort, dass sie lernte, konnte eine Waffe gegen sie selbst sein. Ein Pfeil auf ihr Innerstes. Bereit es zu zerstören.

Die Namen der 4 Tanten beginnen alle mit A wie Alif. Ayla, Amira, Aya, Asya. Ayla ist nicht viel älter als sie und bringt ihr zählen bei. Und Zahlen lesen, damit sie Karten spielen kann. (Sie hält es geheim. Niemand soll merken, dass sie arabische Wörter kennt.) Nachts wird Arabisch manchmal zu einem freundlichen schwarzen Vogel mit Arafedern. Er steht auf der Brüstung nach draußen und will ihr fliegen beibringen. Der Ara-Bisch spricht Deutsch, wird ihr Freund und flüstert von Spinat und Ei und Heimat.
Und das ist das Auftauchen.
Ein Auftauchen in den Glitzer der Sprache vielleicht.
In die tröstlichen Funde der Fantasie.

Blau
Beirut war das Tor zur Freiheit. Hier gab es einen Flughafen, nur nicht wenn Krieg ist, dann wurde er gesperrt. Und da der Kalif nicht wollte, dass Alif nach Deutschland fliegt, nützte der Flughafen nichts.
Die Straße zum Flughafen ist Blau, erklärt der Ara-Bisch in der Nacht.
Vom Fenster aus war ein langes dünnes Rechteckt zu sehen. Hinter den Oliven war das Meer. Alif überlegte zu fliehen, sich allein durch den Hain zu schlagen und dann am Meer bis zum Flughafen zu laufen. Denn der Kalif war nun fort. Zurück in Deutschland erpresste er die Mutter. Nimm die Scheidung zurück, sonst siehst du die Kinder nie wieder.
Alif und ihre kleine Schwester Melek hielten jeden Tag nach ihm Ausschau. Und da war der Moment, in dem sie doch ein arabisches Wort lernen musste. Bukra. Bukra heißt morgen. Jeden Tag. »Und morgen kommt der Kalif zurück«, behauptete der kleine Onkel Hamid, der Alif den Anorak gestohlen hatte. Onkel Hamid widersprach und sagte: »Geliehen«. Für immer geliehen, dachte Alif. Papa kommt morgen. Bukra. Bukra. Das Wort war ein Magnet mit gigantischer Kraft. Es konnte Väter anziehen, Hoffnung malen, jeden Tag.
Die Behauptung des kleinen Onkels war teuer. Onkel Anorak gab Alif jeden Tag, an dem der Kalif nicht kam, einen Liroschein. Alif, die gern verloren hätte, sie wettete trotz allem darauf, dass Papa nicht kommen wird, sammelte die Scheinchen und pflanzte sie in ein unsichtbares Beet. Dort vermehrten sie sich und wurden traurige Geldblumen. Der Vater kommt nicht zurück, sagten sie. Aber du bist reich.
Und dann brach Im Libanon Krieg aus. Nachts rollten Panzer am Haus vorbei. Es knallte. Tagsüber saß die Familie vorm Fernseher. Das blaue dünne Rechteck verblasste unter Qualm. Verschwand aber niemals ganz.

Der Ara-Bisch nimmt sie mit über den Olivenhain. Dann taucht sie unter. Und spielt Froschkönigin. Später, nach der Zeit, die nicht enden wollte, liegt unter ihr, auf dem Sprungturm das blaue Viereck wieder, sie denkt was sie immer dachte: Freiheit ist ein blaues Viereck. Und man muss immer springen. Mit Angst und ohne.
Tante Ayla schenkt ihr ein glitzerndes Minigeschirr. Winzige Tassen und Teller, nur der Daumen passt rein. Alif spielt. Sie kocht blauen Tee für den Ara-Bisch.
Am Abend legt sie das Geschirr auf das Beet, auf dem Wörter wachsen.
Und die Geldblumen.

Chara
Unbemerkt nahmen weitere arabische Wörter in Alifs Kopf Platz. Wie eigentlich, wo sie sich doch so gewehrt hat? Wo war die Tür zu diesem kleinen Abstellraum?
Chara zum Beispiel. Ein Fluch der mit Fluch-Ch beginnt. Flüche waren Waffen. Kül lübnän chara, sagte Alif. Ganz Libanon ist Scheiße. Damit beherrschte Alif den Onkel Hamid und die jüngste Tante. Das darfst du nicht sagen, flehten sie. Aber Alif sagte es doch, und alle waren entsetzt. Mit lateinischen Buchstaben malte A den Satz an ihre Gefängniswand. Niemand wusste, was sie damit sagen wollte. Die Großmutter mit den Geldscheinen im Brustversteck konnte es nicht lesen, die Tanten verstanden es nicht und die Onkel kamen nicht in ihr Gefängnis.
Einzig der Vater, der beinahe zu spät zurückgekommen wäre, um sie zu holen, las und lachte. Das war die gütige Stunde eines grausamen Kalifen.
Ein weiterer Fluch sorgte für Geschenke, damit sie nichts mehr sagte.

Alif weiß, dass Wörter Schlüssel sind
Sie öffnen Türen zur Macht
Schon früh hat sie bemerkt, dass sie Lachen und Staunen
und Anerkennung auslösen
Ein Wort allein lässt Tanten seufzen
Der angesammelte Schatz macht sie reich
Deutschland
Alif lehnte es ab Arabisch zu sprechen. Alif lehnte es ab zu essen. Alif lehnte es ab, aus dem Zimmer zu kommen. Das waren Schutzmaßnahmen, nicht einverleibt zu werden wie Kusine Faiza, die ein Schatten aus arabischen Buchstaben...


Karimé, Andrea
Andrea Karimé wuchs in Kassel zwischen deutscher und libanesischer Sprache und Kultur auf und lebt in Köln. Sie studierte an der Gesamthochschule Kassel Kunst- und Musikerziehung. Anschließend Referendariat und Ausbildung im Kreativen Schreiben am IFK Berlin, von 1995 bis 2007 Lehrerin in Leverkusen. Ihr Debüt (2004, Die Briefträgerin, Roman) und zwei weitere Bücher - Alamat (Erzähllungen), Fatina (Roman) - erschienen im Konkursbuch Verlag, ihre Kinderbücher in anderen Verlagen. Ausbildung zur Geschichtenerzählerin an der Wirkstatt, Karlsruhe. Seit 2007 arbeitet sie als freie Autorin.
Stipendien und Auszeichnungen, u.a.: Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis; Kinderbuchpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für „King kommt noch“, zusammen mit Jens Rassmus; 27. April 2023: Preis der Jungen Literaturhäuser.



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