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E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Kappl Endlager

Altlasten im Granit
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-942509-89-3
Verlag: Edition Lichtland
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Altlasten im Granit

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

ISBN: 978-3-942509-89-3
Verlag: Edition Lichtland
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Strahlende Abfälle der Atomindustrie und alte Granitsteinbrüche im Bayerischen Wald: Thema genug für politische Diskussionen und neue Begehrlichkeiten. Als ein verletzter Altbauer spurlos verschwindet, beginnt die Kleinarbeit der Polizei. Die Recherche führt zu alten Verstrickungen und verschütteten Gefühlen. Scheinbar wertlose Steinbrüche werden zu Brennpunkten und bergen dunkle Geheimnisse. Kriminelle Energien sind Kommissar Kleintalers Leidenschaft. Seine Beharrlichkeit bringt Licht ins Schicksal unschuldiger Kinder und in die Suche nach einem geeigneten Standort für ein atomares Endlager. Scheinbar übermächtige Gegner beißen in Kommissar Kleintalers zweitem Fall auf Granit. Claus Kappl unterrichtet am Gutenberg-Gymnasium in Waldkirchen und kennt die Mentalität der Waidler. Spannug bis zur letzten Seite!

Claus Kappl, 1954 in Bamberg geboren, studierte an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen Geschichte, Germanistik und Geographie. Er promovierte 1984 an der Universität Konstanz mit einer Arbeit über Die Not der kleinen Leute, einer Alltagsgeschichte aus dem 18. Jahrhundert. Nach dem Referendariat wurde er 1986 Gymnasiallehrer und unterrichtet am Johannes-Gutenberg-Gymnasium in Waldkirchen/Niederbayern. Er arbeitete als Schulbuchautor für den Westermann-Verlag. Seit 1992 leitet er im Rahmen des Kulturkreises Freyung-Grafenau sein Literarisches Café und gilt als großer Freund des deutschsprachigen Kriminalromans.
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Prolog

Die Luft roch schon nach Frieden an jenem milden Donnerstagmorgen, man schrieb den 26. April im letzten Kriegsjahr.

Der zehnjährige Johannes Behr stand fröstelnd auf der untersten Stufe jener breiten Steintreppe, die zur Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul empor führte. Zwar schien die Frühlingssonne bereits warm vom Himmel, Johannes stand jedoch im Schatten des mächtigen Bayerwalddomes, dem Wahrzeichen der niederbayerischen Stadt Waldkirchen, und spürte die kalte Luft, die von den Granitquadern abstrahlte. Das buntkarierte, kurzärmelige Hemd und die knielange Drillichhose wärmten ihn kaum, seine kleinen Füße steckten in alten, spreißeligen Holzschuhen. Johannes fror aber noch aus einem anderen Grund, er fror aus Angst. Heimlich hatte er sich von zuhause weggeschlichen, sich vor der verhassten Stallarbeit gedrückt, fürchtete schon jetzt die drohende Strafe des jähzornigen Vaters.

Johannes wartete bereits seit einigen Minuten auf seinen Freund Jakob Lechner. Erst gestern hatten sie sich verabredet, nach der Trauungszeremonie, die gerade in der Kirche vor sich ging, dem Brautpaar symbolisch den Weg zu versperren, um sich ein paar Pfennige Taschengeld hinzu zu verdienen. Geld war rar in diesen Zeiten, aber Brautleute waren zumindest an ihrem Jubeltag großzügig. Johannes wusste mittlerweile, dass er vergeblich wartete. Sicherlich hatte der ängstliche Jakob seinen Vater um Erlaubnis für dieses Unternehmen gefragt, die dieser ihm verweigert hatte. Und mit Recht, wie Johannes sich eingestehen musste, denn seit gestern standen „die Amerikaner“, stand die 11. US-Panzerdivision am Sicklinger Berg, hatte Röhrnbach schon eingenommen, und die Besetzung Waldkirchens war nur eine Frage von Stunden. Auch er hatte Angst vor dem Kommenden, obwohl noch alles ruhig war, weder Gewehrfeuer noch Panzergeräusche zu hören waren.

Johannes, der schon recht kräftig für sein Alter war, hatte das eine Ende seines mitgebrachten Kälberstricks mit einem Stein auf der Stufe befestigt, das andere Ende hielt er in der Hand. Er blickte hinauf zur Kirchturmuhr, es war fünf Minuten vor zehn. Hinter der verschlossenen Eichentür der Kirche verklang die Orgelmusik, die Trauungsmesse war vorüber, gleich musste das Brautpaar erscheinen. Tatsächlich öffneten sich in diesem Augenblick die schweren Flügel der Kirchentür, einige eilige Besucher liefen die Treppe hinab, stürmten nach Hause aus Angst vor dem Krieg, der für sie jetzt greifbar wurde. Der kleine untersetzte Pfarrer erschien, hinter ihm das Brautpaar. Wer in diesen unruhigen Zeiten heiratete, musste Gründe haben. Johannes wusste beim Anblick der Braut, trotz seines geringen Alters, Bescheid. Das schlichte weiße Brautkleid, vermutlich von einer Freundin geliehen, spannte über dem Bauch verdächtig. Die Braut war bereits in gesegneten Umständen, „überständig“, wie der Volksmund sagte, und wollte nicht ins Gerede kommen. Ihr Ehemann, der in Waldkirchen in Friedenszeiten als Bäckergeselle arbeitete, stand in der feldgrauen Uniform der Fallschirmjäger neben ihr. Johannes erkannte dies an den Epauletten und den beiden übereinanderliegenden Adlerschwingen am Revers. Vermutlich hatte er für seine Hochzeit ein paar Tage Fronturlaub bekommen. Tage, die ihm das Leben retten konnten. Der Pfarrer gratulierte dem Brautpaar noch einmal und verschwand dann im Innern der Kirche. Langsam stiegen die frisch getrauten Eheleute die Stufen hinunter, gefolgt von nur wenigen Verwandten. Johannes zog den Strick straff und lächelte das Brautpaar an. Seine lustigen blauen Augen heischten um Verständnis, verfolgten die Hand des Bräutigams, die langsam in die linke Uniformtasche glitt, Johannes erwartete eine kleine Belohnung.

Die Hand blieb jedoch mitten in der Bewegung stehen, wurde aus der Jackentasche herausgerissen, ergriff den rechten Arm der Braut und zog sie die letzte Stufe hinunter. „Tieffliegerangriff“, schrie der Bräutigam und suchte mit seiner Ehefrau Schutz an den Mauern des gegenüberliegenden Geschäftshauses. Johannes ließ den Strick fallen und rannte die Treppe nach oben, flüchtete sich hinter die Kirchentür. Der erwartete Beschuss blieb jedoch aus, statt dessen ertönte vom Karoli-Berg her das dumpfe Feuer einer Vierlingsflak, die das amerikanische Aufklärungsflugzeug unter Beschuss nahm.

Johannes hatte zum ersten Mal den Todeshauch des Krieges gespürt. Er zitterte, war unfähig zu weinen und wusste nur, dass er schleunigst nach Hause gehen musste. Vorsichtig blickte er von seinem Versteck aus auf den Marktplatz. Kein Mensch war zu sehen, auch die Hochzeitsgesellschaft schien spurlos verschwunden zu sein. Johannes rannte die Treppen hinunter, sprang über den Marktbach und befand sich im Schutz der oberen Bürgerhäuser, als der Artilleriebeschuss des Marktes begann. Salven um Salven schlugen nun in die Häuser auf der rechten Marktseite ein. Tief geduckt hastete Johannes weiter. Der Bauernhof seines Vaters hinter der Geier-Mühle schien ihm unerreichbar weit. Beim Schreibwarengeschäft musste er links zur Passauer Straße abbiegen, aus dieser Richtung kam der Beschuss. Johannes verharrte, vernahm den pfeifenden Einschlag einer Granate im Haus gegenüber. Mauern barsten, Mörtelstaub verklebte Augen und Nase, er hustete würgend.

In diesem Augenblick vernahm er eine helle Stimme hinter sich: „Do drieben is de Nebendüre offen, gomm, da versteggen ma uns.“ Ein etwa achtjähriges Mädchen kauerte hinter ihm, Johannes wusste nicht, woher sie plötzlich gekommen war. Sie nahm ihn an der Hand und zerrte ihn zur offenen Tür des Schreibwarengeschäftes, zog ihn in das vermeintlich sichere Gemäuer. Während schweres Artilleriefeuer den Marktplatz mit Beschuss belegte, atmete Johannes auf und besah sich die Kleine, die neben ihm kauerte. Ihr schmales, blasses Gesicht, eingerahmt von rötlich blonden Locken, der Blick ihrer grünen Augen ließen ihn ruhiger werden, nahmen ihm ein wenig die Angst. Sie trug ein blaues Kleid, das aus einer alten Uniform genäht war. „Wer bist du denn?“, flüsterte Johannes.

„Ich bin die Anna“, antwortete sie in schönstem Sächsisch. „Du brauchst keine Angst zu haben, Luftangriffe habe ich in Dresden schon erlebt. Da sind wir ausgebombt worden. Deshalb hat man mich auch hierher verschickt. Ich wohne oben in einer Baracke hinter der Mädchenschule. Ich wollte gerade Brot holen.“

„Was machen wir denn jetzt?“, fragte Johannes unsicher.

„Warten bis die Amerikaner kommen. Hier sind wir sicher.“

„Ich muss aber nach Hause. Wenn ich noch länger weg bin, dann erschlägt mich mein Vater“, flennte Johannes.

„Ach was, wenn du später gesund nach Hause kommst, ist er froh, dass du überhaupt noch lebst“, antwortete Anna lächelnd.

Johannes lauschte. Das Feuer war eingestellt worden. Er sah sich in dem kleinen Flur um. Eine Steintreppe führte in das Obergeschoss, eine braune Holztür versperrte den Blick in die hinteren Geschäftsräume. Johannes stand auf und versuchte die Holztür zu öffnen. Als er seine Hand auf die Türklinke legte, zerriss ein fürchterliches Pfeifen die Luft. Das Haus erzitterte, Mauern brachen. Johannes wurde von dem Granateneinschlag unter die Steintreppe geschleudert. Mörtelstaub nahm ihm die Sicht, Gesteinsbrocken prasselten herab, er vernahm einen gellenden Schrei. Dann war es plötzlich still.

Johannes wischte sich über die Augen. Rotz und Tränen hinterließen Spuren in dem staubverdreckten Gesicht. Feucht lief es ihm die Beine hinunter. Er hustete, erbrach sich. Nach einer kleinen Weile hatte sich der Staubnebel etwas gelichtet. Sein Blick suchte nach dem Mädchen.

„Anna? Anna, wo bist du?“

Er versuchte dorthin zurück zu kriechen, wo das Mädchen noch vor wenigen Minuten gekauert hatte. Gesteinsbrocken, Teile der Granittreppe versperrten ihm den Weg. Johannes kroch darüber, sah den Ausschnitt der Seitentür, der zur Hälfte weggerissen war.

„Anna! Anna! Wo bist du denn?“, krächzte er.

„Hier!“ Ein markerschütternder Schrei zerriss die Stille.

Und dann sah er sie. Sie lag unter einem Mauerteil, verschüttet bis zum Hals. Sie musste fürchterliche Schmerzen haben, denn sie schrie wie ein zu Tode verletztes Tier.

Ihr Schrei gellte in seinen Ohren. Johannes sah das schmerzverzerrte Gesicht, der Mund eine klagende Höhle. Er schloss die Augen, nicht fähig ihren leidenden Anblick zu ertragen. Dann war sie still.

„Hilf mir, so hilf mir doch!“ Ihre Stimme wurde leiser. Johannes kroch zu ihr. Seine Hände gruben in dem Schutt, warfen Gesteinsbrocken zur Seite. Die scharfen Kanten der Steine zerrissen seine Fingerkuppen, Blut rann herab, er merkte die Schmerzen nicht. In fiebriger Hast versuchte er Anna zu befreien. Vergebens!

Erneut zerriss ein Pfeifen die Stille, die Erde erbebte, die Mauern des zerstörten Hauses erzitterten. Ein fürchterlicher Lärm durchdrang das Eckhaus. In unmittelbarer Nähe musste es zwei Volltreffer gegeben...


Claus Kappl, 1954 in Bamberg geboren, studierte an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen Geschichte, Germanistik und Geographie. Er promovierte 1984 an der Universität Konstanz mit einer Arbeit über Die Not der kleinen Leute, einer Alltagsgeschichte aus dem 18. Jahrhundert. Nach dem Referendariat wurde er 1986 Gymnasiallehrer und unterrichtet am Johannes-Gutenberg-Gymnasium in Waldkirchen/Niederbayern. Er arbeitete als Schulbuchautor für den Westermann-Verlag. Seit 1992 leitet er im Rahmen des Kulturkreises Freyung-Grafenau sein Literarisches Café und gilt als großer Freund des deutschsprachigen Kriminalromans.



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