Kaplan Homeland: Carries Jagd
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-641-12773-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
ISBN: 978-3-641-12773-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Beirut 2006: Während eines geplanten Geheimtreffens mit einer neuen Kontaktperson namens Nightingale wird CIA-Führungsoffizierin Carrie Mathison um ein Haar Opfer eines tödlichen Hinterhalts. Da sie eine Sicherheitslücke in den eigenen Reihen vermutet, legt sie sich mit dem zuständigen Station Chief an und wird daraufhin zurück nach Washington beordert. Als Expertin in der Früherkennung von Verhaltensmustern - eine Fähigkeit, die durch ihre geheimgehaltene bipolare Störung noch verstärkt wird - glaubt Carrie zunehmend daran, dass ein größerer terroristischer Anschlag auf Amerika bevorsteht. Unter Umgehung mehrerer Dienstvorschriften riskiert Carrie ihre Karriere und ihr Leben, um Beweise einer geheimen Verbindung zwischen Nightingale und Abu Nazir, dem Führer von al-Qaida im Irak, ans Tageslicht zu bringen.
Andrew Kaplan ist der Autor mehrerer Thrillerserien. Seine Bücher wurden in zwanzig Länder übersetzt.
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KAPITEL 1
Achrafieh, Beirut
Nightingale hatte sich verspätet.
Carrie Mathison saß in der viertletzten Reihe des dunklen Kinosaals und überlegte, ob es besser wäre, das Ganze abzublasen. Es sollte nur ein erster Kontakt sein. »Passing Ships« nannte Saul Berenson, ihr Chef und seit ihrer Zeit auf der »Farm«, dem Ausbildungszentrum der CIA in Virginia, ihr Mentor, solche Treffen. In diesem Fall ging es um eine flüchtige Begegnung mit einem gewissen Taha al-Douni – Codename »Nightingale« –, damit sie ihn und er sie kannte. Sie würde ihm Zeit und Ort des nächsten Treffens zuflüstern und wieder gehen. Strikt nach Lehrbuch.
Wenn sich die Kontaktperson verspätete, war es üblich, fünfzehn bis zwanzig Minuten zu warten und dann den Versuch abzubrechen. Eine zweite Chance gab es nur, wenn der oder die Betreffende einen verdammt guten Grund vorbringen konnte, warum das erste Treffen geplatzt war. Nicht akzeptiert wurden die üblichen Ausreden wie zum Beispiel ein Missverständnis hinsichtlich der verabredeten Uhrzeit oder der regelmäßige Verkehrsstau am Freitagabend auf dem Boulevard Fouad Chehab während der Cinq à sept, der Zeit zwischen fünf und sieben Uhr abends, wenn sich die Geschäftsleute in diskreten kleinen Apartments im Hamra-Viertel mit der Geliebten trafen.
Das Dumme war nur, dass ihr viel an dem Kontakt lag. Dima, ein hübsches Mädchen, das der prowestlichen, aus Sunniten und maronitischen Christen bestehenden Allianz des 14. März angehörte und zu ihren Informanten zählte, hatte sie auf al-Douni hingewiesen, der aus zwei Gründen für die CIA interessant schien. Erstens war er angeblich Offizier beim berüchtigten syrischen Geheimdienst und verfügte laut Dima über einen direkten Draht zum Assad-Regime in Damaskus – und zweitens brauchte er Bares. Eine attraktive ägyptische Freundin mit teuren Vorlieben zog ihm das Geld offenbar aus der Tasche.
Carrie sah erneut auf ihre Uhr. Neunundzwanzig Minuten. Wo zum Teufel steckte der Mann nur? Sie sah sich im Kinosaal um, der zu mehr als drei Vierteln besetzt war. Seit der Film begonnen hatte, war niemand mehr hereingekommen. Auf der Leinwand saßen Harry Potter, Ron und Hermine in »Mad-Eye« Moodys Klasse und beobachteten, wie ihr Lehrer eine große Spinne mit einem »Imperius«-Fluch Zirkuskunststücke vollführen ließ.
Ihre Nerven waren gespannt wie die Saiten einer Geige, obwohl das nichts heißen musste. Nicht immer konnte sie sich auf ihr Gefühl verlassen; manchmal dachte sie im Geheimen, ihr Nervensystem müsse von den gleichen Idioten installiert worden sein wie das Stromnetz von Washington, D. C. »Bipolare Störung« nannten es die Ärzte. Eine psychische Fehlfunktion, die durch den Wechsel von manischen und depressiven Phasen gekennzeichnet sei, wie ihr vor Jahren ein Psychiater am Student Health Center in Princeton erklärte, den sie konsultiert hatte. Ihre Schwester Maggie drückte es anschaulicher aus und sprach von Stimmungsschwankungen, die zwischen »Ich bin das klügste, hübscheste, fantastischste Mädchen im Universum« und »Ich will sterben« hin und her pendelten. Wie auch immer: Trotz ihrer Neigung zu nervlichen Turbulenzen fühlte sich irgendwas an diesem Kontaktversuch hier nicht richtig an.
Sie konnte nicht länger warten. Auf der Leinwand kreischte Hermine, Moody solle aufhören, die Spinne mit dem »Cruciatus«-Fluch zu foltern. Der ideale Zeitpunkt, um zu verschwinden: eine Menge Lärm und Spezialeffekte. Niemand würde sie beachten, dachte sie, als sie aufstand und den Kinosaal verließ.
Draußen auf der Straße wurde ihr sofort wieder bewusst, wie sehr sie sich mit ihrem Äußeren von der Menge abhob – für eine Frau aus dem Westen ein vertrautes Gefühl im Nahen Osten. Selbst eine lange, mantelartige Abaya samt Kopftuch würde da nichts nützen – mit ihrer schlanken Figur, ihrem langen blonden Haar und ihrem typisch amerikanischen Gesicht könnte sie kaum jemanden täuschen, zumindest nicht aus der Nähe. Außerdem war in den nördlichen Vierteln Beiruts die Kleidung ausgesprochen vielschichtig – hier trugen die Frauen alles, vom Kopf und Körper verhüllenden Hidschab bis zu hautengen Designerjeans. Und manchmal beides zusammen.
Es war inzwischen dunkel geworden. Die Lichter der zahllosen Autos und die beleuchteten Fenster der hohen Büro- und Wohnhäuser in der Avenue Michel Bustros erzeugten ein Mosaik aus Licht und Schatten. Carrie blickte sich vorsichtig um, ob sie beobachtet wurde. Eine gescheiterte Kontaktaufnahme stellte immer eine gewisse Gefahr dar. Plötzlich blieb ihr fast das Herz stehen.
Nightingale saß in einem Café auf der anderen Straßenseite und sah direkt zu ihr herüber. Was wollte er hier? Er konnte die Instruktionen, die ihm Dima gestern Abend in der Bar im Le-Gray-Hotel übermittelt hatte, unmöglich falsch verstanden haben. War der Mann verrückt? Aber es kam noch schlimmer: Er winkte ihr zu. »Komm her« besagte die Geste, und plötzlich fügte sich eins zum anderen wie in einem Kaleidoskop, das man schüttelt, bis die Teile plötzlich ein Bild ergeben. Es war ein Hinterhalt – ein Geheimdienstoffizier und somit ein absoluter Profi in diesem Geschäft würde sich bei einer Kontaktaufnahme nie dermaßen amateurhaft verhalten. Al-Douni wollte sie in eine Falle locken.
Ob syrischer Geheimdienst oder Hisbollah – es war diesen Leuten jederzeit zuzutrauen, dass sie einen CIA-Agenten töteten oder, noch besser, als Geisel nahmen. Eine attraktive blonde Spionin zu erwischen wäre für diese Leute wie ein Lottogewinn. Sie konnte sich den Medienrummel lebhaft vorstellen, wenn Filme von einer Gefangenen auftauchten, deren Agententätigkeit sich hervorragend für den Kampf gegen den amerikanischen Einfluss im Nahen Osten benutzen ließe. Jahrelang würden sie sie in einen Verschlag sperren, foltern und vergewaltigen, denn abgesehen davon, dass sie eine verachtenswerte Spionin war, hielten viele islamische Männer alle westlichen Frauen ohnehin für Schlampen.
Als Nightingale ihr erneut zuwinkte, sah sie aus dem Augenwinkel zwei arabische Männer auf ihrer Straßenseite aus einem Van steigen und auf sie zukommen. Bestimmt wollten sie sie schnappen, schoss es ihr durch den Kopf. Sie musste sich schnell entscheiden, sonst war es in wenigen Sekunden um sie geschehen. Sie drehte sich um und verschwand wieder im Kino.
»Ich habe etwas liegen lassen«, murmelte sie auf Arabisch und zeigte dem Kontrolleur ihre Karte. Sie ging den Mittelgang hinunter und kniff die Augen zusammen, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Auf der Leinwand löschte Hermine gerade das Gedächtnis eines Todessers, während Carrie durch den Seitenausgang auf eine Gasse hinaustrat. Sie waren ihr bestimmt ins Kino gefolgt, vermutete sie und eilte zur Avenue zurück, um hinter einer Hausecke hervorzulugen. Nightingale saß nicht mehr in dem Café, und auch die beiden Männer konnte sie nirgends entdecken.
Carrie bog um die nächste Ecke und hastete eine schmale Straße hinunter, weg vom Gedränge auf der Avenue. Wie viele Verfolger mochten es wohl sein?, fragte sie sich und verfluchte die High Heels, die sie trug, um nicht aufzufallen. Keine Frau, die etwas auf sich hielt, würde in Beirut mit flachen Schuhen durch die Straßen laufen, es sei denn, man war mit einer Abaya bekleidet. Bestimmt waren mehr hinter ihr her als diese beiden Männer, überlegte sie und blieb stehen, um die Stöckelschuhe auszuziehen.
Die Straße war dunkel und zudem von Bäumen beschattet. Kaum Leute um sie herum, und so konnte sie sehen, wie die beiden Araber aus dem Van um die Ecke bogen. Einer zog etwas aus der Jacke, wahrscheinlich eine Pistole mit Schalldämpfer. Sie rannte los. Die sollten merken, dass man sie nicht unterschätzen durfte – schließlich war sie immer eine gute Läuferin gewesen. Bestimmt lief sie schneller als diese Männer.
Plötzlich schlug hinter ihr etwas in den Straßenbelag ein, und sie spürte einen schmerzhaften Stich im Bein. Kurz blickte sie zurück und sah die weiße Spur einer Kugel auf dem Bürgersteig. Sie schossen auf sie. Carrie wich nach links aus, dann nach rechts, fasste sich ans Bein und ertastete einen Riss in der Jeans und etwas Feuchtes. Blut. Ein Betonsplitter musste sie getroffen haben, während sie um ihr Leben rannte. An der nächsten Ecke sprintete sie eine leere Straße hinunter. Sie musste sich etwas einfallen lassen, und zwar schnell. Zu ihrer Linken sah sie ein großes Haus hinter einem schmiedeeisernen Zaun; auf der anderen Straßenseite erhob sich eine hell beleuchtete orthodoxe Kirche mit einer großen Kuppel.
Sie hielt auf die Seitentür zu und riss am Türgriff. Verschlossen. Mit pochendem Herzen blickte sie sich um und sah ihre beiden Verfolger, die mit schallgedämpften Pistolen in der Hand auf sie zuliefen. An der Straßenecke vor ihr kam ein Mercedes mit quietschenden Reifen zum Stehen. Vier Männer sprangen heraus. Scheiße, dachte sie und rannte, so schnell sie konnte, zum...