Kampusch | 10 Jahre Freiheit | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Kampusch 10 Jahre Freiheit


16001. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8437-1261-3
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-1261-3
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Freiheit beginnt in der Seele und arbeitet sich nur langsam von innen nach außen.' Sie hatte geglaubt, mit ihrer Selbstbefreiung beginne ein völlig neues Leben voller Energie und Chancen. Stattdessen wurde sie immer wieder dazu gezwungen, in ihre dunkle Vergangenheit einzutauchen. Jetzt erzählt Natascha Kampusch erstmals, wie schwer sie es hatte, ihre Rolle zu finden - und warum sie den Glauben an das Gute im Menschen trotz allem nicht verloren hat. Das bewegende Buch einer mutigen Frau, die immer wieder die Kraft findet, ihr Leben in die Hand zu nehmen.

Natascha Kampusch, Jahrgang 1988, war zehn Jahre alt, als sie auf dem Schulweg entführt wurde. Erst nach über acht Jahren gelang ihr die Flucht. Seitdem versucht sie, ihr Leben in Freiheit zu meistern. Seit einigen Jahren engagiert sie sich für traumatisierte Jugendliche.
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Prolog


Glaube an dich du bist etwas wert. Tröste dich es wird alles wieder gut. Sei stark.

Halte durch du wirst es schaffen. Du wirst belohnt werden. Nur Mut. Es gibt immer Hoffnung.

Gib nie auf! Vertraue auf dich!! Vertraue auf die Zukunft. Alles wird gut werden. Glück auf!

Wenn du dir etwas vornimmst, und daran arbeitest wirst du dein gestecktes Ziel erreichen. Nichts kann dich umbringen. Sei Tapfer. Alles waß du dir von anderen antun läst, sollte nicht dein Proplem sein, befreie dich.

Fleiß zahlt sich aus. Du bekommst letztendlich immer was du willst. Was dich nicht umbringt, macht dich stärker.

Die Wege ans Ziel mögen schwer sein, aber, mit jedem schritt wird es dir leichter fallen!

Du stecks alles weg wenn es sein muss. Wenn er dich zerfäzt oder gemein anders ist, es ist nicht dein Proplem, sondern das seine!

Diese Zeilen (mit all ihren Rechtschreib- und Interpunktionsfehlern) habe ich während meiner Gefangenschaft mit verschiedenfarbigen Buntstiften auf die Rückseite eines Wandkalenders geschrieben. Manche Sätze, die mir besonders wichtig waren, habe ich zusätzlich eingekringelt. Meine Schrift war etwas ungelenk, es war nicht viel Platz auf dem Blatt, so dass ein Satz in den anderen, eine Zeile in die andere überging. So wie alles in diesem winzigen Raum ineinander überging. Tage und Nächte, Minuten und Stunden, Licht und Dunkelheit. Träume und Realität, angespannte Wachheit und unruhiger Schlaf. Ein Leben, verdichtet auf wenige Quadratmeter, umgeben von dicken, massiven Mauern. Unauffindbar, vielleicht längst vergessen und aufgegeben, wie der Täter mir immer wieder einredete.

Als ich diese Zeilen schrieb, war ich zehn oder elf Jahre alt, genau weiß ich es nicht mehr. Ich war überzeugt davon, dass diese Zeilen, diese Sätze, die mir Mut machen sollten, nur hier unten in diesem Verlies von Bedeutung sein würden. Dass sie mir über die Jahre meiner Gefangenschaft hinweghelfen würden, wie lange sie auch dauern mochte. Mir bei der Abgrenzung vom Täter und seiner Tat dienlich sein würden, was immer er mir auch antun würde. Ich habe damals definitiv nicht damit gerechnet, dass diese Sätze auch über den Tag meiner Gefangenschaft hinaus von Bedeutung sein würden.

Die über einen halben Meter dicken Mauern aus Schutt, Beton und Metall wurden nach meiner Selbstbefreiung ersetzt durch andere Mauern. Auf den ersten Blick durch sehr viel durchsichtigere, scheinbar leichter zu durchdringende. Doch diese Mauern konnte ich bis heute nicht ganz überwinden. Auch weil immer wieder neue dazukommen. Wie wallartige Ringe, die meiner neuen Freiheit, in die ich so viele Hoffnungen gesetzt habe und die ich mir während meiner Gefangenschaft so unendlich gut und schön ausgemalt habe, ein ums andere Mal Grenzen setzen. Grenzen, gegen die ich anrennen konnte, so viel ich wollte, ohne dass sie nachgaben. Grenzen, die so willkürlich erscheinen, dass ich kein Mittel habe, sie zu überwinden. Das Anrennen dagegen hat mich immer wieder in meiner Entwicklung, in meinem Versuch, mich mit dem Leben – meinem Leben – zu versöhnen, zurückgeworfen.

Viele dieser Ringe kamen von außen. Errichtet durch das öffentliche Interesse, das irgendwann keine Schranken mehr kannte. Es war sehr viel Empathie dabei und ehrliches Mitgefühl, aber auch mangelndes Gespür und Sensibilität für Ethik und Moral und die Bedürfnisse eines Opfers, das ich war, auch wenn ich es nie hatte sein wollen. Die anfängliche Anteilnahme vermischte sich mit Forderungen und Erwartungen, eigentlich klare Fakten traten hinter Spekulationen und kruden Theorien zurück. Viele, die mit diesem Verbrechen zu tun hatten oder nach meiner Selbstbefreiung damit befasst waren, sahen nicht die Menschen dahinter, sondern die Chance, bekannt zu werden, und sei es nur für die Halbwertszeit eines einzigen Interviews.

Es gibt, was das angeht, viele Opfer der Tat, unmittelbar wie mittelbar. Meine Eltern und meine Familie zählen dazu. Ich weiß, dass sie in den achteinhalb Jahren meiner Gefangenschaft mehrmals durch die Hölle gingen, zerfleischt von Selbstvorwürfen und dem Unvermögen, etwas gegen die Situation unternehmen zu können. Angeklagt und bezichtigt, misstrauisch beäugt, schwankend zwischen Hoffnung und Resignation und willfährige Opfer der Medien im Ringen um die ultimative »Inside-Story«. Meine Klassenkameraden, die in ihrem Schock die Schuld bei sich suchten und Angst davor hatten, dass ein ähnliches Schicksal ihnen selbst drohen könnte. Die vielen Ermittler und Einsatzkräfte, der Druck, Ergebnisse bringen zu müssen trotz weniger Anhaltspunkte. Versagensängste, tatsächliche Fehler, immer neue Theorien über mein Verschwinden oder meine Zeit in Gefangenschaft, all das war eine Melange, deren Nachgeschmack bis heute sehr bitter ist.

Ich selbst bin eine öffentliche Person geworden, nicht weil ich das immer schon gewollt hätte, sondern weil im »Fall Kampusch« nie Ruhe einkehrte. Verschwörungstheoretiker, Journalisten, tatsächliche oder selbsternannte Ermittler, Politik und Justiz – alle kochten ihr eigenes Süppchen, missbrauchten mich für Zwecke, über die ich keine Kontrolle hatte und deren zugrundeliegende Motive oft erst im Nachhinein sichtbar wurden. Aufklärung und ein Handeln im Interesse des Opfers waren manchmal tatsächlich nur ein Deckmäntelchen.

Ich wurde beschuldigt, die Entführung selbst geplant zu haben, mögliche Mittäter zu decken, zu lügen, in Selbstmitleid zu versinken und beständig Profit aus einer Geschichte zu schlagen, die sich so, wie ich sie immer wieder geschildert habe, nicht zugetragen haben konnte. Schließlich würde so kein Opfer aussehen, das ein jahrelanges Martyrium hinter sich hat.

Ich hatte lange genug Zeit, mich auf den Tag X vorzubereiten, auch wenn dann vieles anders gekommen ist und mich in seiner ganzen Wucht überrollt hat. Ich habe nicht auf einen fremden Retter oder ein Wunder gehofft, sondern mich, als ich innerlich bereit dazu war und sich eine Gelegenheit ergeben hat, selbst befreit. Ich habe die Kontrolle behalten und mich nicht meinem Schicksal ergeben. Ich habe während der achteinhalb Jahre meiner Gefangenschaft in Teilen die Rolle gespielt, die der Täter mir zugedacht hatte. Aber ich habe sie nie als meine Lebensrolle angenommen. Ich habe meine innere Identität nie aufgegeben, meinen Willen nicht brechen lassen. Wäre das passiert, hätte ich diese Zeit wahrscheinlich nicht überlebt.

Die Stärke, die dazu geführt hat, dass ich mich an eine surreale Situation anpassen konnte, wurde nun, nach meiner Selbstbefreiung, zu einem Makel. Zu einem vermeintlichen Beleg dafür, dass es so schlimm ja nicht gewesen sein konnte. Anstatt sich mit mir zu freuen, dass ich diese langen Jahre einigermaßen überstanden hatte, ging es nun darum, mich zu demontieren. Die Stimmung über das »Wunder von Strasshof« schlug um in Neid, Missgunst und teils unverhohlenen Hass, der mir vor allem aus der schützenden Anonymität des Internets entgegenschlug. Eine Form des Hasses, die ich bis heute nicht ganz verstehen kann.

Es ging so weit, dass ich mich für ein Verbrechen, das an mir verübt wurde, zu rechtfertigen hatte. Weil der Täter nicht mehr greifbar war, gab es keinen Fall Priklopil. Sondern nur noch den Fall Kampusch. Ich musste für die Verunsicherung, die diese Tat in der Gesellschaft ausgelöst hat, in gewisser Weise büßen. Eine kriminelle Tat eines einzelnen Mannes brachte zum Vorschein, wie dünn der Lack der Zivilisation ist, der unsere Gesellschaft überzieht. Wir sind die Guten. Das Böse lauert im Abgrund, es muss eine böse Fratze haben, offensichtlich sein. Das ist es aber eben nicht. Letztlich ist das nicht mehr als eine große Selbsttäuschung. Indem man Tätern, wie das auch bei Josef Fritzl geschehen ist, Etiketten wie »Monster« oder »Bestie« anheftet und sie somit vom Normalen in eine »übermenschlich-grauenvolle« Dimension hebt, erhofft man sich vielleicht eine Art Absolution. Mit so etwas habe man nicht rechnen können, das sprenge ja jede Vorstellungskraft. Das ist sicher richtig. Aber ist es nicht auch so, dass »die Gesellschaft« – ohne dass ich das jetzt verallgemeinern möchte – immer wieder auch wegguckt und sich wegduckt und damit den Dingen ihren Lauf lässt, weil sie es nicht erträgt, dass das Böse eben auch in der Nachbarschaft, in der Familie, mitten unter uns ist?

Genau das führt zu jener großen Verunsicherung, genau das kann man nicht ertragen und wähnt mindestens eine große Verschwörung dahinter. Die Tat eines Einzelnen, der doch eigentlich ein ganz Netter war, bürgerlich, ordentlich gemähter Rasen, vielleicht ein »Mama-Bub«, aber immer freundlich – das kann nicht sein, das darf nicht sein. Es muss viel monströser sein, mehr hineininterpretiert werden, damit man es erträgt.

Ich musste beides ertragen. Die Gefangenschaft und die stellvertretende »Inhaftnahme« danach. Mir kam es manchmal vor, als ob Kinder versuchten, einen seltsamen Käfer zu retten. Sich darum streiten, wer ihn halten darf, und ihn zum Schluss im Übereifer zerquetschen. Ich musste so vielen Bildern entsprechen, so vielen Rollen, die mir mit einem Mal zugedacht waren, dass ich mich manchmal fragte, wer ich eigentlich bin. Die meisten Menschen haben ein ganz eigenes Bild von mir als Person entwickelt. Nichts ist so befremdlich, wie sich selbst gegenübergestellt zu werden. Das ist in der Innenschau in den eigenen vier Wänden so, aber das ist um ein Vielfaches schwerer, wenn es über die Plattform der Öffentlichkeit geschieht. Jeder Journalist, jede Person auf der Straße wusste subjektiv besser über mich und meine Lebensgeschichte Bescheid als ich selbst. Über das,...


Kampusch, Natascha
Natascha Kampusch, Jahrgang 1988, war zehn Jahre alt, als sie auf dem Schulweg entführt wurde. Erst nach über acht Jahren gelang ihr die Flucht. Seitdem versucht sie, ihr Leben in Freiheit zu meistern. Seit einigen Jahren engagiert sie sich für traumatisierte Jugendliche.

Gronemeier, Heike
Heike Gronemeier, geboren 1969, war zehn Jahre als Lektorin bei renommierten Verlagshäusern in München und Berlin tätig. 2008 machte sie sich mit der Verlagsagentur 'text & bild' in München selsbständig. Seitdem arbeitet sie freiberuflich als Lektorin und Co-Autorin und verfasste unter anderem die Autobriografien von Natascha Kampusch, Carlos Benede und Monica Lierhaus. Zuletzt erschein, gemeinsam mit Alece Brauner, Also dann in Berlin über das Leben des Filmmoguls Artur Brauner.

Natascha Kampusch, Jahrgang 1988, war zehn Jahre alt, als sie auf dem Schulweg entführt wurde. Erst nach über acht Jahren gelang ihr die Flucht. Seitdem versucht sie, ihr Leben in Freiheit zu meistern. Seit einigen Jahren engagiert sie sich für traumatisierte Jugendliche. Heike Gronemeier arbeitete zehn Jahre als Lektorin bei verschiedenen Verlagen. 2009 gründete sie die Agentur "text&bild" in München und ist seither unter anderem als Ghostwriterin freiberuflich tätig.



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