E-Book, Deutsch, 348 Seiten
Kaminsky / Ens / Reininghaus Die Berliner Mauer in der Welt
Erheblich erweiterte Neuauflage 2021
ISBN: 978-3-95723-716-3
Verlag: Berlin Story Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Bundesstiftung Aufarbeitung
E-Book, Deutsch, 348 Seiten
ISBN: 978-3-95723-716-3
Verlag: Berlin Story Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Symbole der Freiheit, der menschlichen Willensstärke, Relikte des Kalten Krieges. Ungezählte Teile der Berliner Mauer wurden nach ihrem Fall 1989 in die Welt hinaus getragen - und mit ihnen der Freiheitswille der Berliner.
Mehr als 240 dieser tonnenschweren Mauersegmente, die an mehr als 140 Orten auf allen Kontinenten stehen, wurden für diesen Band ausfindig gemacht. Unter ihren neuen Besitzern befinden sich japanische Geschäftsleute, prominente Kunstsammler sowie alle US-Präsidenten der letzten einhundert Jahre - und sogar der Papst. Erzählt werden spannende, kuriose, aber auch tragische Geschichten, die die facettenreiche Erinnerung an die Mauer und den Kalten Krieg eindrucksvoll widerspiegeln.
Anna Kaminsky: 1993 Promotion Dr. phil.; 1993 bis 1998 Mitarbeit an verschiedenen Forschungs- und
Ausstellungsprojekten u.a. am Berliner Institut für vergleichende Sozialforschung, an der Universität Münster,
der Gedenkstätte Sachsenhausen und am Deutschen Historischen Museum. Seit 1998 wissenschaftliche
Mitarbeiterin, seit 2001 Geschäftsführerin/Direktorin und seit 2021 Mitglied im Vorstand der Bundesstiftung
zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
„… ES GIBT EINE GANZE MENGE GUTER GRÜNDE DAFÜR, AUCH DEN 13. AUGUST NICHT AUS DEM AUGE ZU VERLIEREN.“1
DIE ERINNERUNG AN DIE BERLINER MAUER SEIT 1990
Anna Kaminsky „Manche von Ihnen werden sich gefragt haben: Weshalb hat sich die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages so dafür eingesetzt, heute des Mauerbaues in Berlin vor 35 Jahren zu gedenken? Reicht es nicht, daß die erste Enquete-Kommission dieses Ereignis in mehreren Expertisen und Anhörungen zu analysieren versucht hat? Ist nicht der 17. Juni der angemessene Gedenktag für alles das, was die SED-Diktatur bis zu ihrem Sturz im Herbst 1989 ausmachte? Ich glaube, es gibt eine ganze Menge guter Gründe dafür, auch den 13. August nicht aus dem Auge zu verlieren.“1 VOM 9. NOVEMBER ZUM 13. AUGUST
Mit dieser Erklärung rechtfertigte Rainer Eppelmann 1996 in seiner Begrüßung auf der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages, dass die Enquete-Kommission den 35. Jahrestag des Baues der Berliner Mauer zum Anlass nahm, an dieses Ereignis zu erinnern und ihm eine eigene Veranstaltung zu widmen. Nunmehr weitere 25 Jahre später hat die Erinnerung an den Mauerbau und das Leben in der geteilten Stadt und einer geteilten Welt nicht nur im Gedächtnis der Stadt ihren Platz zurückerobert. Auch in der öffentlichen Diskussion und kollektiven Erinnerung haben Mauerbau und Mauer ihren festen Platz. Mehr noch sogar: Die Erinnerung an den Mauerbau verdrängte im 50. Jahr des Mauerbaues sogar die Erinnerung an den Aufstand vom 17. Juni 1953, indem bereits im Juni 2011 nicht mehr die Erinnerung an den Aufstand, sondern die letzten Wochen vor dem Mauerbau medial und in wissenschaftlichen Diskussionen im Mittelpunkt standen. Nachdem die Erinnerung an die Teilung der Stadt jahrelang stiefmütterlich behandelt worden war und auf der Agenda des Selbstverständnisses der Stadt keinen vorderen Platz eingenommen hatte, schien sich dies zum 50. Jahrestag des Mauerbaues in sein Gegenteil zu verkehren. Nicht nur, dass das eigentliche Ereignis bereits Monate zuvor den Gedenkkalender bestimmte und andere Ereignisse in der öffentlichen Wahrnehmung verdrängte. Auch zeigte sich nun, dass der insbesondere in den ersten Jahren nach dem Mauerfall betriebene „Mauer-Kahlschlag“ zu neuen Forderungen nach einer Rekonstruktion der Mauer führte, um „Geschichte erlebbar“ zu machen, wie es der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, forderte.2 Bei allen unterschiedlichen Vorstellungen darüber, wie die Erinnerung an die Mauer und die Teilung lebendig gehalten werden können, scheint es, als hätte die Stadt nach über zwanzig Jahren zu diesem traumatischen Teil ihrer Geschichte zurückgefunden. Vergessen sind die ersten fünfzehn Jahre nach dem Mauerfall, die im Zeichen der möglichst großflächigen Beseitigung aller Spuren nicht nur des Bauwerkes selbst, sondern auch der 28 Jahre dauernden Teilung der Stadt standen. Die Erinnerung wurde in dieser Zeit vor allen von Opferverbänden und privaten Vereinen sowie durch bürgerschaftliches Engagement gepflegt. Während in der öffentlichen Erinnerung vor allem der Mauerfall gefeiert wurde und bei öffentlichen Veranstaltungen im Vordergrund stand, rückte der 13. August erst über den Umweg des 9. November wieder in den Mittelpunkt der Erinnerung. Die Freude und Euphorie über den Fall der Mauer gepaart mit der in den Neunzigerjahren aufkommenden Nostalgie schien den Blick darauf zu verstellen, dass das, was im November 1989 zu Fall gebracht wurde, eine Diktatur war, die ihren Bürgern grundlegende Menschenrechte verwehrte und diejenigen, die versuchten, aus dem abgeriegelten Land zu fliehen, erschießen ließ oder mit langjährigen Haftstrafen belegte. WO WAR DENN NUN DIE MAUER?
Die Bilder aus der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 gehören ebenso wie die aus der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961 zu den Ikonen der Weltgeschichte. Die durch die geöffneten Grenzübergänge strömenden Menschenmassen, die auf der Mauerkrone sitzen und tanzen, sind aus dem öffentlichen Bildergedächtnis ebenso wenig wegzudenken wie die 1961 erstarrt vor den Stacheldrahtrollen stehenden Menschen oder die aus den Fenstern in der Bernauer Straße springenden Anwohner, die in diesen lebensgefährlichen Sprüngen die einzige Möglichkeit sahen, noch in den Westen und somit in die Freiheit zu kommen. Obwohl es für die Machthaber der SED in der DDR auch Wochen nach dem Mauerfall keineswegs ausgemachte Sache war, dass die Mauer und die Grenze dauerhaft geöffnet bleiben würden, gingen bereits am 10. November erste Überlegungen los, was mit diesem „historischen Monstrum“ geschehen solle. Während Willy Brandt, zurzeit des Mauerbaues Regierender Bürgermeister von West-Berlin, bei seiner Rede vor dem Schöneberger Rathaus forderte, Teile der Mauer als Denkmal zu erhalten, hatten andere bereits das Geschäft mit der Mauer im Sinn. So ging bereits am 10. November 1989 eine erste Anfrage aus Bayern bei der DDR-Regierung ein, in der angeboten wurde, „nicht benötigte Teile Ihrer Grenzsicherungsanlagen“ gegen Devisen zu kaufen.3 Am 14. November 1989 schließlich wandte sich eine Unternehmensberatung an die Ständige Vertretung der DDR in Bonn und empfahl – da der Handel mit Teilen der Berliner Mauer nicht mehr aufzuhalten sei –, dass die DDR-Seite doch „bei aller Zwiespältigkeit“ bedenken sollte: „Gehandelt wird mit Mauerteilen, woher sie auch immer stammen mögen. Wenn aber schon, dann halte ich es für sinnvoll, daraus auch Devisen zu machen.“4 Quasi über Nacht wurde die Mauer zum heiß begehrten Kaufobjekt, zu einer Trophäe des Kalten Krieges, zum Exportschlager und zum Symbol. War die Mauer bereits in den 28 Jahren ihrer Existenz das Symbol für Unfreiheit und Unmenschlichkeit des sozialistischen Systems schlechthin gewesen, wurde sie nun über Nacht auch zu einem Symbol für Bürgermut und Freiheitswillen. Kein anderes Bauwerk in Deutschland und vielleicht sogar in Europa hatte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so gravierende Auswirkungen auf das Leben so vieler Menschen. Kein anderes Bauwerk wurde in dieser Zeit weltweit zum Symbol für Unfreiheit und Diktatur, Verachtung elementarer Menschenrechte und letztlich für die Geiselnahme von Millionen Menschen durch ein auf Unrecht gegründetes Regime. Und kein anderes Bauwerk wurde nach dem Mauerfall 1989 von ebendiesem Symbol der Unfreiheit und Menschenverachtung zum Symbol für Freiheitswillen und Bürgermut. Nachdem in den Wochen und Monaten nach dem Mauerfall immer wieder Nachfragen nach Mauerteilen aus aller Welt eingegangen waren, beschloss die DDR-Regierung unter Hans Modrow am 7. Dezember 1989 bzw. 4. Januar 1990, die Mauer zu verkaufen. Man erhoffte sich auf diese Weise, die vor dem Bankrott stehende DDR-Wirtschaft retten zu können. Anlass zu diesen Hoffnungen gaben Anfragen, denen zufolge für ein Mauerteil bis zu 500.000 D-Mark geboten wurde.5 Da die politische Entwicklung bis zum Jahresende 1989 ohnehin gezeigt hatte, dass die SED-Herrschaft nicht mehr zu retten war und nicht nur die Berliner Mauer, sondern die gesamte innerdeutsche Grenze geöffnet worden war, stand der Abbau der einst am besten bewachten Grenze auf der Tagesordnung. Und so lag es nahe, wenigstens einen Teil der Kosten über den Verkauf der Mauer zu refinanzieren. Um der verunsicherten und empörten Bevölkerung in der DDR die Gründe für das Geschäft mit der Mauer zu erläutern, startete die DDR-Regierung zu Weihnachten 1989 eine Informationskampagne. Mit dieser Kampagne sollten die in Beschwerdebriefen an die DDR-Regierung gerichtete Kritik aufgegriffen und zugleich der als alternativlos angesehene Verkauf begründet werden. Die Empörung über das Geschäft mit der Mauer richtete sich gegen die Regierung, die erst jahrzehntelang die Bevölkerung eingesperrt und auf Flüchtlinge rücksichtslos geschossen hatte und nunmehr ebenjene „Schandmauer“, an der Menschen ermordet worden waren, zu Geld machen wollte. Die Regierung begründete ihre Entscheidung für den Verkauf der Mauer im Wesentlichen mit drei Argumenten: 1. Die DDR brauche Devisen, 2. die Mauer sei Volkseigentum und 3. somit sollten die Erlöse der gesamten DDR-Bevölkerung bspw. über soziale Projekte zugutekommen. Ungeachtet etwaiger weiter bestehender Vorbehalte gegen diese Geschäfte begannen die Truppen des Grenzkommandos Mitte, die noch bis Ende Dezember 1989 die Grenze schützen und Grenzdurchbrüche verhindern sollten6, im Januar 1990 mit dem Abbau. Begonnen wurde mit besonders gut verkäuflichen Teilen, die von Mauerkünstlern bemalt worden waren. Die meisten der Betonblöcke wurden geschreddert und als Baumaterial bspw. für den Autobahnbau weiter verwertet. Innerhalb von nicht einmal einem Jahr verschwand das, was die Menschen der Stadt einst auf 156 Kilometern Länge, mit 54.000 Betonsegmenten 2,6 Tonnen schwer und 3,2...