Kamerun | Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Kamerun Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens


16001. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8437-1316-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-1316-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Anarchy!«, brüllen sie in naiver Begeisterung am Bimmelsdorfer Strand und rennen los. Die Vorgarten-Rasenmäher im Nacken, werden Horsti und seine Clique von Ordnungsmenschen, Altnazis und der bleiernen Zeit nach dem Wirtschaftswunder schikaniert - bis sie lernen, sich zu wehren. Sie beginnen auszubrechen, dahin, wo es Freiräume gibt. Horsti wird Profi im Überlisten von Cheftypen. Immer geschickter bastelt er an dadaistischen Täuschungskonzepten, verweigert den Wehrdienst und flieht in die Großstadt. 'Gemeinsam sind wir stark!' Zwischen letzten bürgerfeindlichen Stadtteilen und selbst geschaffenen Strukturen suchen die 'genialen Dilettanten' nach einer kollektiven Haltung. Gegenkultur, »penniless jetset«, Anti-Kunst und ganz viel schlecht mitsingbare Musik. In ihrer Angriffslust steckt die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, nach Scheißebauen und lebenswerten Utopien. Und dann die Reibung an den Institutionen: Horsti inszeniert Opern, lernt alles kennen, was in der Welt der Hochkultur Rang und Namen behauptet - und bleibt Aktivist und Zweifler. Am Ende erkennt er, dass all die Widersprüche Teil seines Lebens geworden sind. Schorsch Kameruns Geschichten sind die Erinnerung an eine rasende Biografie, wie er sie selbst erlebt hat. Er erzählt von rauschhaften Experimenten und unerforschten Kampfzonen bei ständiger Haltungsüberprüfung, von einer »Ästhetik des Widerspruchs«, vor allem aber von dem Ringen um Integrität. »Bitte versteh das nicht falsch, ich möchte Dir nicht zu nahe treten, aber Du bist wirklich ein großer Künstler, so sage ich einfach Danke.« Dein Christian Kracht »Kameruns Buch ist ein Schelmen- und Künstlerroman, der die Abenteuer einer Spaßguerilla auf gesellschaftskritischer Mission schildert - und die Freuden und Schmerzen einer Entertainerkarriere.« Der Spiegel, Wolfgang Höbel »In Hamburg hat Schorsch Kamerun die befreienden Momente einer Subkultur erfahren, die er maßgeblich mitgestaltete. Von ihr und anderen Dingen des Lebens erzählt er in seinem Roman 'Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens'.« taz am Wochenende, Tania Martini »Kamerun gelingt es, das Versprechen des Punk nachvollziehbar zu machen, die Befreiung, die es trotz aller Fallstricke bedeuten kann, sich für eine stolze Existenz als Störfaktor zu entscheiden.« Süddeutsche Zeitung, Luise Checchin

Schorsch Kamerun, 1963 in Timmendorfer Strand geboren, ist einer der besten 17 Menschen. Er lebt in Hamburg und an der Ostsee. Seit über 30 Jahren ist er Sänger der Band Die Goldenen Zitronen. Neben der Musik ist er mit seiner außergewöhnlichen Arbeit als Theaterregisseur und Hörspielautor erfolgreich. Kamerun ist mit sämtlichen Größen aus Pop- und Kulturbetrieb bekannt oder befreundet, wurde mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet und gründete zusammen mit seinem Jugendfreund Rocko Schamoni den Hamburger Golden Pudel Club.
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HAUSVERBOT IM CAFÉ GOTTESGLEICH


»Anarckeeey!« Genau! »Anarckey!« Kein Zweifel. Das war es. Das musste es einfach sein. Horsti hatte das erste Mal wirklich Alkohol getrunken. Also nach Eierlikör oder Alsterwasser. Weinbrand war das. So geht es wohl vielen. Der erste echte Suff. Da will man dann später nix mehr mit zu tun haben. Die erste Zigarette war »Peter Stuyvesant«. Weinbrand ist grausam. Horstis alter Herr trank sehr gern Weinbrand. »Napoleon« von Aldi. Wegen des guten Preis-Leistungs-Verhältnisses.

»Anarckey!« Nie mehr aufhören müssen, dieses eine Wort zu rufen. Auf der Strandparty an der Bimmel, dem Grenzbach zwischen dem Bimmelsdorfer Strand und dem Nachbarort Scharbe, wo Horsti nun einmal herkam. Schreien! Brüllen! Auch schon vor dem Trinken. Immer wieder. Einfach aus einer Ahnung heraus. Horsti und seine Freunde hatten kaum eine Vorstellung davon, was das genau sein könnte: Anarchie. Überhaupt, ihr Wissen über radikale Versuche von umgesetzter Freiheit ging gegen null. Sie verstanden es aber trotzdem sofort, das herausgeschleuderte »Anarchy« des Sängers Johnny Rotten. Den sägenden Schrei der Sex Pistols, der Band, die ein Stachel war im Hintern Englands. Genau da steckte drin, was auch sie brauchten. Wie in einem freigelegten Instinkt. Alles, alles hatte diese Stimme. Maßlos befreiender Spott. Jede Menge Unmoral. Und so viel Berechtigung dazu. Nie zuvor und nie danach hat etwas so sehr nach Pisse gestunken und gleichzeitig so lecker geschmeckt. Johnny Rotten war in jeder Faser verführerisches anti. Er versprühte eine solch großartige Verachtung mit seinen höhnischen Gesten und Blicken. Beim Singen war sein Körper extra verdreht, so dass er sich genüsslich zu winden schien in seinem meckernden Schimpfen. Nichts Komma nichts hätte auflehnender und gleichzeitig einnehmender daherkommen können, als die verführerische Attacke gegen jenen schrecklichen Würgegriff, in dem sich Jugendliche wie Horsti und seine Freunde eingeklemmt sahen. Bis dahin.

Es war exakt der passende Moment, in dem Johnny Rotten sein maßgeschneidertes Grienen auf die Welt loswetterte. Wie genau man so eine Wirkung entfacht, wie man solch schneidendes Spotten herstellt, wie tiefste Verzweiflung in eine hoffnungsfrohe, utopische Stimme umgelenkt werden kann, der man – wie süchtig geworden – unbedingt zuhören will, all das durchschauten die Bimmelsdorfer und viele andere zu dem Zeitpunkt noch längst nicht. Alles Reflektieren kam viel später. Seit diesem Moment gab es kein Zurück mehr, und wenn auch nicht im Ausmaße der Sex Pistols’schen Vehemenz, so gelang es fortan einigen aus Horstis Szene doch, ein paar kleine, eigene Treffer zu landen – nun, da ihnen Ohren, Köpfe und Herzen geöffnet worden waren.

Die ersten erwähnenswerten Erfolge passierten dabei eher im Zufall. Zum Beispiel hatten Horstis Freunde ihm mit wasserfestem Stift heimlich das Wort »Polizei« auf den Rücken seiner Jacke geschrieben und dazu noch zwei kräftige Bullenhörner über den Buchstaben O gesetzt, plus kleine Schweinsöhrchen an den Seiten. Da Horsti die Schmiererei nicht bemerkt hatte, wunderte er sich nicht schlecht, als ihn Dorfpolizist Anton – Spitzname Froggy (die froschgrüne Uniformfarbe war hier wohl ausschlaggebend gewesen) – am nächsten Tag heftig anging. »Sofort stehen bleiben!«, quakte er quer über den ganzen Marktplatz. Als Nächstes verlangte der aufgebrachte Wachtmeister mit einem derart wütenden Gesicht, wie Horsti es noch nie bei irgendjemandem gesehen hatte, nach seinem Ausweis, was ihm augenblicklich klarmachte, dass dem Behördenmann nicht zum Scherzen zumute war. »Den Personalausweis! Aber zack! Zack!« Welch ein Unsinn, wo doch Froggy – leider – nur allzu gut wusste, wer Horsti war, hatte dieser doch schon die ein oder andere Ermahnung von ihm erhalten. Wegen Kleinkram wie Fußbälle ins Café schießen oder dem Betreten von angeblich verbotenen Flächen. Diesmal aber, nach diesem ersten »richtig amtlichen« Vorfall, wie der tobende Amtsträger sich ausdrückte, würde es ein empfindliches Verwarnungsgeld geben. Und zwar 30 D-Mark, das könne er direkt sagen. Aber diesmal verstand Horsti gleichzeitig auch noch etwas anderes, viel Wichtigeres: Die Dinge ließen sich aus der Reserve locken. Man musste nur wissen, wie sie zu kitzeln sind. Dann kamen sie ganz von selbst aus ihrer Ecke heraus.

Von jenem Moment an, jenem kleinen Ereignis in den frühen Bimmelsdorfer Tagen, ließ Horsti nie wieder davon ab auszutesten, wie und mit welchen Mitteln er sich zur Wehr setzen konnte – wenn immer etwas dringend Luft bekommen musste. Dabei lernte er schnell, dass es nicht verkehrt ist, wenn die Gegenseite anfangs gar nicht richtig nachvollziehen kann, worum es eigentlich genau geht. Denn das landet dann umso nachhaltiger.

Seine ersten, obschon mit starkem Ehrgeiz verbundenen Versuche, sind allerdings schlicht ungelenk zu nennen. So malte er im Morgengrauen in riesigen schwarzen Lettern den als saftigen Protest gemeinten Satz »Bimmelsdorfer Cafés haben keine Ahnung von Kaffee« sehr gut sichtbar auf das schneeweiße Bimmelsdorfer Ratsgebäude. Gleich neben die große Eingangstür, wo sonst immer die Brautpaare herauskamen. Sein Angriff sollte als gerechte Strafaktion verstanden werden. Dazu muss man wissen, dass er Tage zuvor aus einem Café, dem Café Götter Eck, herausgeflogen war. Vor den Augen der versammelten Bimmelsdorfer Szene. Wegen einfach nur: nichts konsumieren wollen. Jetzt also seine Rache. Gemeint wie eine Kriegserklärung. Den Strafaktion-Begriff hatte er sich dabei von einer spanischen Separatistengruppe ausgeliehen, die in einem Buch über »Kämpfende Gruppen in Europa« vorgekommen und darin als besonders durchsetzungsstark hervorgehoben worden war.

Das Café Götter Eck war Horsti und seinen Freunden ohnehin seit längerem und nicht erst seit Horstis Rauswurf ein Dorn im Auge. Ein verhasstes Symbol der Scheiß-Bimmelsdorfer-Touri-Maschine. Da waren sich alle einig von der Gegenseite, als die Horsti und seine Clique sich von Anfang an empfanden. Das Götter Eck hieß im Dorfjargon nur Café Gottesgleich, weil es das teuerste Café am Platze war und auch weil dort immer viel Hamburger Prominenz abstieg. HSV-Spieler oder im gesamten Norden äußerst beliebte, oft sehr besoffene NDR-Moderatoren und Mundart-Witzeerzähler. Am schlimmsten aber waren die Stars der sogenannten Bäder-Tourneen, mit denen sich die nationale Schlagerbranche zusätzliche, saisonale Sommersaläre abholte. Einen zynischen, ordinären Kackehaufen, so nannte Horstis Freund Morten diese Veranstaltungen, die in Wirklichkeit »Singen und Klatschen im Sommerwind mit all Ihren beliebten Stars aus der Hitparade« hießen.

»Bimmelsdorfer Cafés haben keine Ahnung von Kaffee.« Horsti hatte sich eine Menge erhofft von seiner Aktion. Das musste einfach ein fetter Skandal werden bei dem Klartext der Ansage. Es kam aber nicht zu der gewünschten Resonanz. Eine kleine Aufregung entstand nur wegen der Beschmierung des Ratsgebäudes, nicht aber wegen der Botschaft selbst. Womöglich ging die Aktion auch deshalb unter, weil in derselben Woche, in der Horsti zuschlug, auch noch das beliebte Hafenfest im Ortsteil Needorf stattfand und zu diesem Ereignis viele in der Gegend immer heftig betrunken waren.

Trotz der schmerzlichen Schlappe ließ Horsti sich keinesfalls entmutigen. Und tatsächlich war sein in der Schule ausgeführter nächster Versuch, den er als »Umkartografieren« bezeichnete, ein richtig schöner Achtungserfolg. Möglicherweise auch deshalb, weil es sich um eine von ihm empfindlich veränderte Landkartenrolle des Heiligen Landes, der wichtigsten Schautafel für den Religionsunterricht, handelte. Und weil der See Genezareth nach Horstis Eingriff direkt mit dem Toten Meer verschmolzen war. Alles war mit einem dicken, blauen Farbstreifen verbunden, den Horsti grob mit dem Malerquast aufgetragen hatte. Der heilige Fluss Jordan war über den Jordan gegangen, sozusagen. Auslöser für diese als gerechte Strafaktion Numero Dos bezeichnete Maßnahme waren diesmal die Schikanen des verhassten Deutsch- und Religionslehrers Fritz Schmidke, hinter vorgehaltener Hand auch als Nazi-Schmidke diffamiert, mit dem es ständig heftigen Ärger gab. Jedenfalls mit bestimmten Schülern.

Horsti war – das ist unbestritten – im Falle Schmidke und dessen Lehrmethoden keinesfalls allein mit seinen Anpassungsunwilligkeiten. Es waren Protagonisten wie jener autoritäre Lehrkörper, die aus den Bimmelsdorfer Bürgerkindern erst Abweichler machten. Einige waren wirkliche Alt-Nazis, die einfach nur übernommen worden waren in den nächsten Staat. »Erst haben sie Millionen Juden umgebracht, jetzt wollen sie Köpfe abschneiden, wenn sie dir sagen, dass du dir die Haare kürzen sollst«, schrieb ein Zeitgenosse von Horsti in sein Tagebuch. Solch Nachkriegs-Überbleibsel mit ihren Rügen und Strafen trieben sie zu ersten Ungehorsamkeiten, ließen die Reflexe aufkommen, die sie schließlich zur Gegenseite machten. Vielerorts. Ganz sicher war der Bimmelsdorfer Strand keine besonders verdrehte Gegend, die zwangsläufig extra Verdrehte hervorbringen musste. Es brodelte überall, und der Grund für die auffällige Aufmüpfigkeit war kein Zufall. Das nach dem Zerfall des Dritten Reiches längst nicht ausgefegte Land zeigte in großer Breite altgesinnte Fratzen. Ganz eindeutig waren viele vorgestrige Scheiß- Bestimmer verantwortlich für diese von ihnen bestimmte Scheiß-Zeit. Sie verursachten den Widerstand, der kommen musste, auch wenn die neuen Rebellen von Haus aus überhaupt keine Ahnung davon hatten.

Not macht erfinderisch. Im Bimmelsdorfer Raum nannten Horsti und seine Clique ihre frühen...


Kamerun, Schorsch
Schorsch Kamerun, 1963 in Timmendorfer Strand geboren, ist einer der besten 17 Menschen. Er lebt in Hamburg und an der Ostsee. Seit über 30 Jahren ist er Sänger der Band Die Goldenen Zitronen. Neben der Musik ist er mit seiner außergewöhnlichen Arbeit als Theaterregisseur und Hörspielautor erfolgreich. Kamerun ist mit sämtlichen Größen aus Pop- und Kulturbetrieb bekannt oder befreundet, wurde mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet und gründete zusammen mit seinem Jugendfreund Rocko Schamoni den Hamburger Golden Pudel Club.

Schorsch Kamerun, 1963 in Timmendorfer Strand geboren, ist einer der besten 17 Menschen. Er lebt in Hamburg und an der Ostsee. Seit über 30 Jahren ist er Sänger der Band Die Goldenen Zitronen. Neben der Musik ist er mit seiner außergewöhnlichen Arbeit als Theaterregisseur und Hörspielautor erfolgreich. Kamerun ist mit sämtlichen Größen aus Pop- und Kulturbetrieb bekannt oder befreundet, wurde mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet und gründete zusammen mit seinem Jugendfreund Rocko Schamoni den Hamburger Golden Pudel Club. 2011 war er Gastprofessor an der Akademie der Bildenden Künste München.



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