Kallifatides | Sehnen nach Sehnsucht | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 124 Seiten

Kallifatides Sehnen nach Sehnsucht


1. Auflage 2015
ISBN: 978-87-11-44050-6
Verlag: Saga Egmont German
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

E-Book, Deutsch, 124 Seiten

ISBN: 978-87-11-44050-6
Verlag: Saga Egmont German
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Ein vierzigjähriger Mann, Hauptperson und Ich-Erzähler, teilt eines Tages seiner Frau Lena mit, dass er eine andere liebe. Lena antwortet nach längerem Schweigen: 'Du verstehst nichts von der Liebe.' Obwohl er merkt, dass er Lena quält, fährt er mit der anderen, die ihn ganz für sich gewinnen will, einige Tage weg. Sie kommen zurück und ihm ist klar, dass er nicht mit Li, der anderen, zusammenleben möchte. Als er in seine Wohnung kommt, ist diese leer - Lena ist mit ihrem Sohn Johan verschwunden. Laki, der Ich-Erzähler, sitzt allein in der leeren Wohnung und muss sich entscheiden, muss wählen. AUTORENPORTRÄT Theodor Kallifatides wurde 1938 in Griechenland geboren. 1963 emigrierte er nach Schweden. Bevor er an der Universität von Stockholm Philosophie zu studieren begann, schlug er sich als Tellerwäscher, Postbote und Nachtportier durch. In der Zeit von 1972 bis 1976 war er Herausgeber der angesehenen Literaturzeitschrift 'Bonnier Literary Magazine'. Sein eigener literarischer Durchbruch gelang ihm mit einer autobiographischen Trilogie. Es folgten Romane, Erzählungen, Gedichte und ein Kinderbuch. Er erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen, seine Werke liegen in mehrere Sprachen übersetzt vor. REZENSION von 'Die Sieben Stunden im Paradies' 'Wie immer stellt Kallifatides das Problem der Moral mit Leichtigkeit und Scharfsinn in den Mittelpunkt; so dass das Lesen dieses Romans zu einem Genuss wird.' - Magnus Eriksson, Svenska Dagbladet REZENSION von Der Kalte Blick Theodor Kallifatides schreibt eine moderne Version der griechischen Tragödie und einen literarischen Krimi der Spitzenklasse

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«Bringen dich Fenster immer zum Träumen?» fragtest du verwundert, ohne dich wirklich zu wundern. Die Wortfolge war eine Frage, aber der Tonfall war eher eine Warnung. Benützen wir nicht Fragen zur Formulierung von Warnungen, solange wir uns nicht genügend gut kennen? Von deiner Festung der Überlegenheit aus hattest du mich gewarnt: «Ich durchschaue dich genau!» Von meinem eitlen Kirchturm aus gesehen hattest du nur mit intuitiver Treffsicherheit ein Einfühlungsvermögen bewiesen, das mich erstaunte. Du hattest eine Frage gestellt, von der du wußtest, sie würde mich interessieren, ja mehr noch: eine Frage, die mich fesseln würde. Genau das nennt man Charme: Intuitives Einfühlungsvermögen, das deshalb nicht unecht sein will oder ist. Aber es ist flüchtig. Charmante Menschen besitzen immer ein Register von Rollen, aber sie schreiben nie oder fast nie ihre eigenen Stücke. Dafür bekommen sie jedesmal oder fast jedesmal die besten Rollen in den Stücken der andern. Wäre ich ein Ingenieur gewesen, hättest du etwas ganz anderes gefragt, aber der Zweck wäre derselbe gewesen. Ich gab mir keine Mühe zu antworten, aber heute kann ich es tun. Nein, Fenster bringen mich nicht zum Träumen, aber sie stellen eine Verbindung mit einem meiner Träume her. Später am Abend trafen wir uns zu einem großen, geselligen Beisammensein. Viele von den Kursteilnehmern umringten dich so unerbittlich wie Bauersfrauen, die sich um einen fahrenden Händler scharen. Was hattest du eigentlich zu verkaufen? Es war der letzte Tag des Kurses. Alles war mehr oder weniger normal verlaufen. Wir sollten über Gleichheit am Arbeitsplatz sprechen, und ich war hingekommen, um die Einwanderer zu repräsentieren, eine Aufgabe, die mich zutiefst langweilte. Du warst einer der Experten, und bereits deine Anwesenheit dort gab dem Kurs über Gleichheit einen Anflug von Lächerlichkeit. Wie konnte jemand über Gleichheit sprechen, wie konntest du über Gleichheit sprechen, wenn bereits deine Existenz für die meisten bedrohlich wirkte. Ich sah, wie die Frauen im Kurs die Blicke senkten, sobald du dich zeigtest. Ich sah, wie die Augen der Männer, die Seite an Seite mit dir gingen, schmerzhaft erstaunt auswichen, während du selbst so entfernt schienst wie der Morgenstern. Wie soll ich dich beschreiben? Was nützt es, wenn ich von deinem hellen Haar rede oder von deinen Fesseln, die mich viel später vor Begeisterung erschauern ließen? Nein, das nützt nichts. Das einzige, was ich erreichen würde, wäre, dich mit jemandem andern zu vergleichen. Du warst sichtbar, unnahbar und verfügbar für den, der sein Leben aufs Spiel setzen wollte. Es war der letzte Kurstag und damit die allerletzte Möglichkeit für die Kursteilnehmer, ihre Gefühle füreinander zu zeigen, die bittere Pflicht des Abschieds. Man würde gerne sagen, daß es schön war, sich getroffen zu haben, aber die Sprache bietet nicht viel mehr als Vereinfachungen an wie: es war interessant, sich zu treffen, es war nett, sich zu treffen und so weiter. Die schwedische Bescheidenheit hat die Sprache in Besitz genommen. Es blieb nicht viel anderes, als um den großen Tisch zu sitzen und zu versuchen, sich etwas näherzukommen. Ich saß dir direkt gegenüber und wußte die ganze Zeit, daß du und ich an diesem Tisch im Keller des Sundbyholm-Schlosses die letzten sein würden, während draußen die Nacht herankroch. Einer nach dem andern verschwanden sie allmählich. Du hast eine neue Kerze angezündet, eine rote, dicke Kerze, hergestellt in Finnland, hast dich auf den gleichen Platz gesetzt, eingeschlossen von deiner eigenen Wärmesäule, und hast mit einem Lachen, angenehm wie ein Glas italienischer, roter Wein, Villa Antonore, gesagt: «Nun können wir ungestört reden!» Du legtest deine beiden Hände auf die alte, abgenutzte Tischplatte und verschränktest deine Finger ineinander. Das sah fast unanständig aus, und ich mußte lachen. Etwas Unanständiges bringt mich jedesmal zum Lachen, mein kulturelles Erbe, vermute ich. Deine Finger waren kräftig, sie erinnerten mich an Werkzeug aus der Steinzeit. Ich konnte mir, während ich lachte, vorstellen, wie sie einen Körper streicheln oder ein Kind halten würden. «Worüber sollen wir reden?» fragte ich. «Wir können über dich reden!» Da kam die zweite Warnung. Ich rede gerne über mich. Aber ich kann nie die Wahrheit sagen. Wenn ich mit jemandem über mich rede, rede ich weniger über mich und um so mehr für den, der zuhört. Vermutlich tun wir das alle. Wir lügen zwar nicht, aber man kann natürlich sagen, «ich bin verheiratet», ohne daß es als eine Tatsache klingt, sondern eher wie eine Verheißung. «Ich bin verheiratet», sagte ich. «Meine Frau heißt Lena und kommt aus Finnland. Sie arbeitet nicht, jedenfalls momentan nicht. Wir haben ein Kind. Einen Jungen, bald wird er vier Jahre. Er heißt Johan. Seine Mutter nennt ihn Oa. Nicht immer, nur manchmal.» Hatte ich gelogen? Nein, nicht im geringsten. Trotzdem wußte ich, daß ich sie bereits verraten hatte, Abstand genommen hatte von ihnen und von dem, was mein Leben war. Ist das so leicht? Ja, so leicht ist das. Es ist möglich, was auch immer zu verraten, sobald man daran glaubt, daß man das nicht tut. Du hast denselben Fehler begangen. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich die unbarmherzige Freude in deinen abwesenden Augen. Meine Falschheit hatte nicht nur mich verwandelt. «Und du?» fragtest du erneut. Wegen dieses «und» wäre Hemingway vor Neid erblaßt. Es klang genau wie «aber». (Hemingway träumte davon, daß alle seine «und» wie «aber» klingen sollten und alle «aber» wie «und».) Das Band war abgeschnitten, ohne daß man die Schere erblickt hätte. Es war völlig klar, daß ich für dich nicht einen Teil einer organischen Ganzheit, bestehend aus Lena, Johan und mir, bildete; für dich war ich ein Ring in einer Kette. Die Kette würde eine Kette bleiben, auch wenn ich herausbräche, und ich würde ein Ring bleiben. Das war nicht dein Fehler. Das war meine Falschheit, die du dir geschickt zunutze machtest, sie wurde für dich ein Traum von Freiheit. «Und du?» wiederholtest du deine Frage. «Und ich», hallte es in meinem Kopf wider, und ich eignete mir die Frage an, ihren Sinn und ihre Bedeutung. Ich war den Vierzigern näher als den Dreißigern. Ich hatte zwei Drittel meines Lebens in Griechenland gelebt, wo das Licht weiß und unbarmherzig ist, und ein Drittel hatte ich in Schweden gelebt, wo das Licht blau und barmherzig ist. Ich hatte mich an das Dunkle gewöhnt. Zwischendurch überfiel mich die Sehnsucht nach der alten Sonne; dann ging ich in den Spirituosenladen und kaufte einen Retsina, eine Flasche konservierter Sonnenstrahlen; ich trank sie ganz alleine aus, weder Lena noch Johan durften an meiner Sehnsucht teilhaben; das Land, das ich verlassen hatte, war mein meistes «mein». Verzeih mir den unbeholfenen Ausdruck. Aber das ist nicht mein Fehler. Deine Sprache ist so demokratisch, sie hat keine unterschiedlichen Grade des Besitzens. Das gibt es in meiner Sprache. Man kann sagen «mehr-mein» und «am meistenmein». Im Grunde sollte eine Sprache auch Steigerungsmöglichkeiten für «ich» und «du» und «er/sie» haben. Es müßte doch durchaus aufklärend sein, auf die Frage, «wie geht es dir», zu antworten: «Mir geht es ich-er heute als gestern.» Oder: «Heute fühle ich mich am ich-esten.» Aber das ist auch in meiner Sprache nicht möglich. Am meisten liebt man, was verloren hat. Andererseits liebt man erst, wenn bereit ist zu verlieren. Die Wahrheit ist, daß man dann am meisten liebt, wenn man etwas verläßt. Ich habe Griechenland verlassen und es tief in mir behalten, so tief, daß es niemand entdeckt; die Menschen um mich verzweifeln, wenn ich lachend und mit klarem Kopf die einfältige Frage überstehe: «Bist du jetzt völlig schwedisch geworden?» Es kann sein, daß ich «jetzt völlig schwedisch» geworden bin, aber bis jetzt hat mich noch keiner für einen solchen angesehen. Das Instinktleben der Schweden ist nicht besonders auffällig, aber einen Instinkt gibt es, den alle in einem unerhört hohen Maße besitzen: die Anwesenheit des Fremdlings; manchmal glaube ich, daß gerade dieser Instinkt die Einheit deines Landes ausmacht. Schwedisch sein bedeutet in erster Linie, einen Nichtschweden zu erkennen. In einem solchen Land wird man griechischer als je zuvor. Habe ich dir das alles gesagt oder nicht? Ich weiß es nicht mehr. Meistens vergesse ich, was ich sage. Mein Gedächtnis sammelt meistens Informationen über die andern. Aber ich glaube nicht, daß ich dir dies alles gesagt habe, denn so etwas kann man nicht bei Kaffee und Kuchen und dazwischen Dünnbier sagen, und Kaffee und Dünnbier haben wir getrunken, etwas anderes gab es ja nicht. Ich weiß auf jeden Fall noch genau, daß ich es nicht riskierte zu lachen. «Wie verbittert du klingst!» sagtest du. Das war deine erste Feststellung über mich, und wie du siehst, war es ein Ausruf. Ich liebe die Form des Ausrufs, das ist die Sprache der Kindheit. Ich liebe den Ausruf in einem Maß, daß ich, wenn es sich einrichten läßt, mich auf diese Form meines Namens beschränke. Ich heiße eigentlich Lakis, mit «s» am Schluß, nicht Laki. Laki ist die Ausrufeform meines Namens, der Traum, jemand würde ständig nach mir rufen. Warum die Form des Ausrufs die Sprache der Kindheit ist? Du hast das sicher nicht richtig verstanden. Soviel warst du jedenfalls in analytischer Philosophie und allgemeiner intellektueller Praxis vertraut. Du...



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