Kaiser | Psychotherapeutische Grundversorgung in der Gruppe | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Kaiser Psychotherapeutische Grundversorgung in der Gruppe

Störungsübergreifend – verhaltenstherapeutisch – praxisorientiert
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7495-0636-1
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Störungsübergreifend – verhaltenstherapeutisch – praxisorientiert

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-7495-0636-1
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Gruppenpsychotherapeutische Grundversorgung ist eine wertvolle Ergänzung zu bestehenden psychotherapeutischen Angeboten, da sie effektiv jene Patient:innen erreicht, die andernfalls auf einen Therapieplatz warten müssten. Dieses Buch bietet Therapeut:innen den idealen Einstieg: Es erläutert nicht nur ein leicht verständliches, transdiagnostisches Entstehungs- und Veränderungsmodell für psychische Störungen, sondern beantwortet auch wichtige organisatorische Fragen wie die Abrechnung mit der Krankenkasse und die optimale Zusammenstellung der Gruppe. Darüber hinaus wird die Durchführung der Gruppenmodule inklusive effektiver Übungen Schritt für Schritt angeleitet. Damit kann die Gruppentherapie ressourcenschonend und wirtschaftlich in jede ambulante Praxis eingeführt werden. Zusätzlich werden Möglichkeiten vorgestellt, wie das Konzept an stationäre oder Online-Gruppen angepasst werden kann. Inklusive Online-Material - Ihr umfassender Begleiter für erfolgreiche Gruppenpsychotherapie!

Merle Kaiser ist Psychologische Psychotherapeutin mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie. In ihrer Praxis in Augsburg bietet sie Einzel- und Gruppentherapie an sowie Beratung/Coaching, Supervision und Paartherapie.
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Autoren/Hrsg.


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2. Das Konzept: Von der Vermeidung zur Annäherung


Nach der Prüfung der Anforderungen und Sichtung vorhandener Ansätze möchte ich Ihnen in diesem Kapitel die Entwicklung des theoretischen Konzeptes für die Gruppe der Grundversorgung vermitteln. Es stellt die theoretische Grundlage für das ab Kapitel 5 beschriebene Gruppenmanual dar.

2.1 Prozessbasierte Auswahl


Einen Versuch, aus der Vielzahl der oben beschriebenen verhaltenstherapeutischen Ansätze ein Vorgehen zu entwickeln, halten Sie hier in den Händen. Es wäre falsch zu behaupten, dass dieses Konzept rein theoriegeleitet entwickelt wurde. Vielmehr ist es auch aus der therapeutischen Erfahrung der Autorin entstanden.

Eine Inspiration bei der Strukturierung des Konzeptes war jedoch die Prozessbasierte Psychotherapie (PBT; Hofmann & Hayes, 2021; Svitak & Hofmann, 2022), die ein Metamodell zur Auswahl von therapeutischen Ansatzpunkten bieten will.

 Vertiefung

Prozessbasierte Psychotherapie

Die Prozessbasierte Psychotherapie wurde entwickelt, um der Komplexität und Dynamik psychischer Störungen besser gerecht zu werden. Der Blick wendet sich nicht mehr auf die Symptome, sondern auf die zugrunde liegenden interagierenden Prozesse. Diese laufen meist unauffällig im Hintergrund ab (stabiles funktionales System), und erst, wenn die Prozesse gestört werden und dann das ganze psychische System ins Wanken gerät (pathologisches Netzwerk), zeigen sich Symptome. Ziel der Prozessbasierten Therapie ist es, die relevanten Prozesse zu erkennen und zu beeinflussen, die das pathologische Netzwerk stabilisieren und am Laufen halten. Es kann verfahrensübergreifend als Metamodell für die Behandlungsplanung genutzt werden. (Hofmann & Hayes, 2021; Svitak & Hofmann, 2022).

Die grundlegende Überlegung der Prozessbasierten Psychotherapie ist eine evolutionäre: Therapiebedarf entsteht, wenn ein Anpassungsprozess nicht gelingt. Bei der Anpassung helfen, in der Evolution wie in der Therapie, die drei Prozesse: Variation, Selektion und Aufrechterhaltung.

Schauen wir uns diese genauer an: In der Natur entsteht ein Anpassungsdruck, wenn sich Umgebungsbedingungen ändern, wie zum Beispiel ein trockeneres Klima. Pflanzen oder Tiere besitzen über die Population hinweg unterschiedliche Eigenschaften oder haben eine Auswahl an Verhaltensweisen zur Verfügung. So kann ein Teil der Population aufgrund einer Genvariante mehr Wasser in seinen Blättern speichern, ein anderer Teil kann tiefer wurzeln. Es gibt innerhalb der Population eine Variation. Diejenigen, welche die in dieser Umgebung vorteilhaftesten Eigenschaften mitbringen, überleben. Das ist die Selektion. Die Individuen der Population, die am besten angepasst sind, geben diese Eigenschaft an die nächste Generation weiter, sie bleibt in der Population aufrechterhalten.

Wie kann man dieses Modell nun auf den Therapieprozess anwenden? Ein Unterschied zur Evolution ist natürlich, dass es um einen einzelnen Menschen geht, nicht um eine Population. Aber auch ein Mensch muss sich an veränderte Umgebungsbedingungen und Anforderungen in seinem Leben anpassen. Das gelingt meist gut. Der Mensch ist nicht umsonst eines der anpassungsfähigsten Lebewesen der Erde und deshalb auch so weit verbreitet (Roberts & Stewart, 2018). Wenn jedoch ein Anpassungsprozess nicht gelingt, entsteht ein Leidensdruck, eine Symptomatik.

Wann entsteht im Leben eines Menschen ein Anpassungsdruck? Manchmal können schnell klare Auslöser für eine Symptomatik ausgemacht werden. Das können Lebensereignisse wie z. B. der Tod eines nahestehenden Menschen sein. Dann sieht sogar das ICD-10 die Diagnose Anpassungsstörung vor (WHO, 2010). In anderen Fällen ist es weniger offensichtlich, weil die Auslöser schon lange zurückliegen oder Veränderungen schleichend entstehen. Eine Frau, die in ihrer Herkunftsfamilie gelernt hat, keine Fehler zu machen und viel zu leisten, schafft es ggf. in Schulzeit und Studium, sich neben ihrem Leistungsanspruch gut zu versorgen. Wenn aber die Anforderungen durch die Versorgung einer eigenen Familie hinzukommen, gelingt ihr diese Aufgabe nicht mehr. Sie vernachlässigt ihre eigenen Bedürfnisse und fokussiert sich stark auf ihr Versagen in verschiedenen Lebensbereichen, da die aus dem Elternhaus übernommenen Ansprüche so absolut sind, dass sie unflexibel reagiert und sich nicht an die veränderte Situation anpassen kann. Sie entwickelt unter Umständen eine Symptomatik, beispielsweise eine Depression.

Zur Entwicklung eines Therapiekonzeptes müssen wir nach der PBT deshalb zunächst identifizieren, in welchen maladaptiven Prozessen die Patient:innen feststecken. Danach stellt sich die Frage, welche adaptiveren Verhaltensalternativen es geben könnte. Eine Verbesserung der Variation entsteht dadurch, dass man die Patient:innen anregt, neue Verhaltensweisen auszuprobieren oder Fertigkeiten zu erwerben. Eine Selektion von Verhaltensweisen, die eine bessere Anpassung ermöglichen, ist der nächste Schritt. Wenn diese erfolgreich war, kann an der Aufrechterhaltung gearbeitet werden. Im Beispiel der depressiven Mutter könnte die Variation bedeuten, dass sie beginnt, damit zu experimentieren, wo sie es sich leichter machen oder besser für ihre Bedürfnisse sorgen könnte. Sie könnte dann beispielsweise auswählen, dass sie nur einmal in der Woche putzt und an den anderen Tagen stattdessen eine Mittagspause macht, bevor die Kinder aus dem Kindergarten kommen, da dies ihrem Grundbedürfnis nach Erholung am besten entspricht (Selektion). Diese neuen Verhaltensweisen muss sie dann aufrechterhalten, auch unter erschwerten Bedingungen, wie z. B. Kritik der Eltern.

Im folgenden Abschnitt sollen nun zunächst die maladaptiven Prozesse beschrieben werden, die meinem Störungsmodell zugrunde liegen. Anschließend gehe ich auf die Ansatzpunkte der Veränderung, die adaptiven Prozesse, ein. Schließlich befasse ich mich mit den therapeutischen Prozessen, d. h. Methoden und Wirkfaktoren, die geeignet erscheinen, adaptive Prozesse zu unterstützen.

2.2 Störungsmodell: Maladaptive Prozesse


Maldadaptive Prozesse machen uns unflexibel und führen oft zu sich selbst verstärkenden Abläufen. Wir geraten in einen Teufelskreis oder eine Abwärtsspirale. Das führt langfristig zu Symptomen, Leidensdruck und einer reduzierten Lebensqualität (Hofmann & Hayes, 2021). Bei unserem Beispiel von der jungen Mutter wäre der maladaptive Prozess die Rigidität, mit der sie an ihrem hohen Standard festhält, um ein Gefühl von Minderwertigkeit zu vermeiden. Dadurch vernachlässigt sie ihre Grundbedürfnisse.

Unsere Aufgabe als Therapeut:innen besteht darin, Prozesse, die eine Anpassung verhindern, aufzuspüren und aufzulösen bzw. adaptive Prozesse anzuregen. In der Einzeltherapie kann dies individuell erfolgen. In der Gruppe stellt sich die Schwierigkeit, Prozesse aufzuspüren, die bei mehreren oder allen Patient:innen relevant sind.

In störungsspezifische Gruppen werden Patient:innen anhand von Diagnosen eingeteilt. Das ist zwar keine Garantie für gleiche maladaptive Prozesse, stellt aber eine gute Annäherung dar. In anliegenbezogenen Gruppen bringt jede:r Einzelne individuelle maladaptive Prozesse ein. In Übungsgruppen wird ein spezifischer maladaptiver Prozess rausgegriffen und an diesem gearbeitet, z. B. in einem Entspannungstraining.

In einer störungsübergreifenden, methodenintegrativen Gruppe der Grundversorgung funktionieren diese Strategien, wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, nicht. Man muss einen anderen Weg gehen und möglichst universelle Prozesse, die bei den meisten Menschen so oder ähnlich ablaufen, suchen. Eine Orientierung bei der Suche nach solchen Prozessen bietet die Metaanalyse von Hayes, Hofmann und Ciarrochi (2020), die aus 55.000 integrierten Therapiestudien die häufigsten wirkungsvollen Mediatoren der Veränderung extrahiert haben. Beispiele hierfür sind (nach Hofmann, Hayes & Lorscheid, 2021): kognitive Fusion, Akzeptanz, Selbstmitgefühl, Achtsamkeit, Grübeln, Selbstwirksamkeit, Selbstregulation, Werte, Ziele, Verhaltensaktivierung, Vermeidung.

Ich habe mich entschieden, aus diesen Beispielen den Prozess der Erlebensvermeidung für die Entwicklung dieses Gruppenkonzeptes in den Mittelpunkt zu stellen. Es ist ein zentraler Prozess, der, wie ich im Folgenden noch darlegen werde, den Leidensdruck der meisten Hilfesuchenden ausreichend gut erklären kann. Es lassen sich daraus viele Ansatzpunkte der Veränderung ableiten. Er kommt außerdem bereits in vielen Therapieansätzen zum Einsatz (s. Vertiefung) und ist gut in kurzer Zeit in einer Gruppe vermittelbar.

 Vertiefung

Erlebensvermeidung in verschiedenen Therapieansätzen

Die Erlebensvermeidung als grundlegender maladaptiver Prozess findet sich in verschiedenen Strömungen der (dritten Welle der) Verhaltenstherapie. Schon in der klassischen Verhaltenstherapie fußt z. B. die Behandlung von Angststörungen durch Exposition auf der Theorie, dass durch Vermeidung keine Habituation stattfinden kann. Neuere Ansätze, wie die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT), erweitern dieses Modell auch auf andere Emotionen und ergänzen, dass durch die Vermeidung nicht nur die Emotion bestehen bleibt, sondern auch die Werte einer Person vernachlässigt werden. Die Compassion Focused Therapy (CFT, Gilbert in Gilbert & Simos, 2022) propagiert drei Systeme, die mit verschiedenen emotionalen, motivationalen und körperlichen Zuständen assoziiert sind. Eines dieser Systeme, das Alarmsystem, ist eng mit der Vermeidung (vermeintlich) gefährlicher Reize...


Kaiser, Merle
Merle Kaiser ist Psychologische Psychotherapeutin mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie. In ihrer Praxis in Augsburg bietet sie Einzel- und Gruppentherapie an sowie Beratung/Coaching, Supervision und Paartherapie.

Merle Kaiser ist Psychologische Psychotherapeutin mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie. In ihrer Praxis in Augsburg bietet sie Einzel- und Gruppentherapie an sowie Beratung/Coaching, Supervision und Paartherapie.



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