Eine Anthologie
Buch, Deutsch, 256 Seiten, Format (B × H): 137 mm x 206 mm, Gewicht: 387 g
ISBN: 978-3-7374-1151-6
Verlag: Marix Verlag
Autoren/Hrsg.
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Vorwort
Kafkas Lieblingswitz
Auf Fotografien ist er fast immer als ernster Mensch zu sehen; nur selten findet sich ein Lächeln auf seinem Gesicht. Das passt zu den schwierigen und düsteren Werken, die er geschrieben hat – Die Verwandlung, Der Prozeß – Generationen von Schülern wurden damit malträtiert. Es fällt nicht leicht, sich vorzustellen, dass dieser Franz Kafka sich über Witze amüsieren konnte. Konnte er aber.
Sein Lieblingswitz ist uns von seinem Biographen Klaus Wagenbach überliefert: Nach einem Opernbesuch kommt ei-ne feine Dame an einem Bettler vorbei. »Liebe Frau«, sagt er und hält ihr unterwürfig seine Mütze hin, »ich habe seit drei Tagen nichts gegessen.« Die feine Dame bleibt stehen und betrachtet ihn voll Mitgefühl. »Junger Mann,« sagt sie. »Sie müssen sich zwingen.«
Die Fallhöhe der Pointe verdoppelt sich, wenn man weiß, dass Kafka unter Appetitlosigkeit litt und von allen Seiten gute Ratschläge bekam; Ratschläge, die er nicht wollte, schon gar nicht, wenn sie mit einem Zwang verbunden waren. Er hatte Zwänge genug: familiär, beruflich, erotisch – ein Mann unter Druck, aber zum Glück mit einer Gabe versehen, die in seiner Situation überlebenswichtig war: Kafka hatte Humor.
Er liebte es zu lachen. In seinen Briefen zeigt sich ein ganz anderer Mensch als der, dessen Bild sich bei uns eingeprägt hat. Unterhaltsam und pointiert, manchmal geradezu witzig schreibt er von seinem Leben, macht sich gern lustig und ist dabei selbst sein bevorzugtes Opfer. Aber bei Weitem nicht sein Einziges: Menschen, Tiere, Gegenstände, Begriffe und Strukturen, Hierarchien, Autoritäten – er hatte ein ausgeprägtes Talent, das Komische in den ungewöhnlichsten Dingen zu sehen. Und was er daraus machte, ist nicht einfach nur komisch; es ist komisch komisch.