Justine | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Justine

oder Vom Missgeschick der Tugend
10001. Auflage 2010
ISBN: 978-3-548-92061-0
Verlag: Ullstein-Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

oder Vom Missgeschick der Tugend

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-548-92061-0
Verlag: Ullstein-Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zwei Schwestern, wie sie gegensätzlicher kaum sein könnten: Juliette und Justine. Während sich die ältere Schwester Juliette dem Laster hingibt, bemüht sich Justine um einen sittsamen Lebenswandel - und muss schmerzhaft erfahren, dass im Leben wie in der Natur stets der Stärkere über den Schwächeren triumphiert. Ein Klassiker, der in keiner erotischen Bibliothek fehlen sollte.

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Die Mönche unterscheiden sich nicht sehr voneinander. Raphael ist seit fünfzehn Jahren hier, Clément seit sechzehn, Jérôme lebt hier schon dreißig Jahre, Antonin, der einzige, dessen Eintritt ich noch erlebt habe, erst zehn. Er nahm die Stelle eines Mönchs ein, welcher im Alter von sechzig Jahren während besonders maßloser Ausschweifungen vom Tode ereilt wurde … Raphael ist Florentiner und ein enger Verwandter des Papstes, zu dem er gute Beziehungen unterhält. Erst seit er hier ist, sichert die wundertätige Jungfrau den Ruf des Klosters und hindert böse Zungen daran, sich mit den Vorgängen in diesem Hause näher zu befassen. Doch schon bei seinem Eintritt war das Klosterleben so eingerichtet, wie du es jetzt antriffst. Bereits seit achtzig Jahren geht es hier so zu. Alle Vorsteher dieses Klosters haben jene Ordnung beibehalten, die ihren Wünschen so genehm ist. Raphael, einer der lasterhaftesten Mönche des Jahrhunderts, hat sich nur deswegen hierhin verfügt, weil er diese Ordnung kannte. Sein Wille ist, deren heimliche Privilegien so lange aufrechtzuerhalten, wie es eben geht. Wir gehören zur Diözese von Auxerre. Ob der Bischof nun im Bilde ist oder nicht, jedenfalls läßt er sich hier nie sehen. Dieser Ort wird im allgemeinen nur sehr wenig besucht. Wenn man von dem Patronatsfest absieht, welches gegen Ende des Monats August gefeiert wird, finden im Jahr höchstens zehn Menschen den Weg hierher. Kommen jedoch einmal Fremde zu Besuch, so ist der Pater Guardian stets emsig darauf bedacht, sie geziemend zu empfangen und mit dem Anschein klösterlicher Strenge und Frömmigkeit zu beeindrucken. Befriedigt kehren sie zurück und preisen das Haus. So gründet die Straflosigkeit dieser Verbrecher auf dem guten Glauben des Volks und der Vertrauensseligkeit der Frommen. Die Regeln, welche wir in unserem Verhalten zu befolgen haben, sind von beispielloser Strenge. Gegen diese Regeln irgendwie zu verstoßen, ist das Gefährlichste, was wir tun können. Es ist unerläßlich, daß ich diese Dinge mit dir im einzelnen erörtere«, fuhr meine Lehrerin fort, »denn hier gilt es nicht als Entschuldigung, wenn man sagt: Straft mich nicht, weil ich dieses Gesetz nicht befolgt – ich kannte es nicht! Man muß sich entweder von seinen Gefährtinnen unterrichten lassen oder alles erraten. Vor nichts wird man gewarnt, doch wegen allem und jedem bestraft. Die einzig erlaubte Züchtigung ist die Peitsche, denn was läge näher, als daß diese Schurken ihr bevorzugtes Strafmittel aus dem Arsenal ihrer Lustwerkzeuge bezögen. Ohne gefehlt zu haben, hast du dies bereits gestern erfahren müssen, das nächste Mal wird es sein, weil du gegen eine Regel verstoßen haben wirst. Alle vier sind ganz versessen darauf, dieses barbarische Geschäft zu verrichten, und der Reihe nach übt jeder das Amt des Züchtigers aus. Es gibt einen sogenannten Tagesregenten, der täglich wechselt. Dieser nimmt die Berichte der Stubenältesten entgegen, wacht über die Einhaltung der Hausdisziplin, beobachtet unser Verhalten während der Mahlzeiten, bestimmt die Schwere unserer Fehler und nimmt höchstpersönlich die Bestrafung vor.

Doch nun zu den Regeln im einzelnen:

Jeden Tag müssen wir um neun Uhr morgens aufgestanden und fertig angekleidet sein. Um zehn Uhr bringt man uns Brot und Wasser zum Frühstück. Das Mittagsmahl wird uns um zwei Uhr hereingetragen. Es besteht aus einer recht anständigen Suppe, einem Stück gekochten Fleischs, einem Teller Gemüse, manchmal auch ein wenig Obst und – für uns vier gemeinsam – einer Flasche Wein. Tag für Tag, sommers wie winters, erscheint um fünf Uhr nachmittags der Tagesregent, um sich den Bericht der Stubenältesten anzuhören. Deren etwaige Klagen beziehen sich auf das Benehmen der Mädchen ihres Zimmers. Es geht darum, ob jemand ein Wort des Mißmuts oder gar der Aufsässigkeit hat verlauten lassen, ob alle zur vorgeschriebenen Stunde aufgestanden sind, ob jede sich das Gesicht gewaschen und es auch sonst an der gehörigen Reinlichkeit nicht habe ermangeln lassen, ob ordentlich gegessen worden ist und auch keine Fluchtpläne ausgeheckt wurden. Über jeden einzelnen Punkt müssen wir genaue Rechenschaft ablegen. Wir bringen uns selbst in Gefahr, bestraft zu werden, wenn wir es nicht tun.

Sodann begibt sich der Tagesregent in unser Kabinett und sieht sich dort eingehend um. Hat er seine Aufgaben erledigt, so verläßt er uns selten, ohne sich nicht mit einer von uns oder, was häufig geschieht, auch mit allen vieren noch ein wenig zu vergnügen. Ist er fort, so bleibt es – falls es an dem Tage nicht gerade an uns ist, mit den Mönchen zu Abend zu speisen – uns überlassen, ob wir lesen, uns unterhalten oder sonstwie miteinander zerstreuen. Auch können wir zu Bett gehen, wann es uns gefällt. An den Tagen aber, an denen wir mit ihnen zu Abend essen müssen, sagt uns ein Glockenzeichen, daß wir uns entsprechend vorzubereiten haben. Der Tagesregent holt uns alsbald ab, und wir begeben uns in jenen Saal hinunter, wo du uns angetroffen hast. Als erstes wird sodann die Liste der Fehler verlesen, die wir inzwischen begangen haben, und zwar zunächst die Verstöße, welche wir uns beim letzten gemeinsamen Nachtmahl haben zuschulden kommen lassen, als da sind: Nachlässigkeiten, abweisendes Verhalten den Mönchen gegenüber während unserer Liebesdienste, Mangel an Zuvorkommenheit, Ergebenheit und Reinlichkeit; sodann werden, entsprechend den Angaben der Stubenältesten, die Übertretungen aufgezählt, welche sich während der letzten beiden Tage in unserem Turmzimmer ereigneten. Die Delinquentinnen treten der Reihe nach in die Mitte des Raums. Der Tagesregent nennt ihre jeweilige Verfehlung und setzt die Strafe fest. Unverzüglich werden sie von der Ältesten oder – falls diese selbst gefehlt hat – von der Zweitältesten entkleidet, und der Regent verabfolgt ihnen die festgesetzte Anzahl der Hiebe auf eine derart nachdrückliche Weise, daß man sie nicht wieder vergißt. Diese Schurken sind so erfinderisch, daß es nahezu keinen Tag ohne Strafgericht abgeht. Ist dieses Werk getan, so beginnen die Orgien. Sie im einzelnen zu beschreiben wäre unmöglich. Wie auch könnte man in derart bizarren Einfällen ein System erkennen? Vor allem kommt es darauf an, ihnen nie etwas zu verweigern … sondern in allem zuvorzukommen. Aber auch diese Methode, sosehr sie zu empfehlen ist, vermag einen nicht immer zu schützen.

Während der Orgien wird gespeist. Zu diesem Mahle, das stets wohlschmeckender und reichhaltiger ist als unsere übliche Speise, sind wir zugelassen. Wenn unsere Mönche halb betrunken sind, nimmt das Bacchanal seinen Fortgang. Um Mitternacht geht alles auseinander, wobei es jedem vorbehalten ist, ob er eine von uns für die Nacht bei sich behalten will. Die Erwählte schläft in der Zelle des jeweiligen Mönchs und gesellt sich erst am nächsten Morgen wieder zu uns. Die anderen begeben sich auf das Zimmer, das sie in sauberem Zustand vorfinden. Auch sind die Betten und die Kleider inzwischen in Ordnung gebracht worden. Zuweilen geschieht es, daß morgens, in der Stunde zwischen Aufstehen und Frühstück, dieser oder jener Mönch eine von uns in seine Zelle kommen läßt. Dann erscheint der Laienbruder, der sich um uns zu kümmern hat, und führt uns zu dem Mönch, welcher den Wunsch geäußert. Dieser schafft uns, sobald er uns nicht mehr braucht, entweder selbst auf unser Zimmer zurück oder beauftragt damit denselben Klosterbruder, der uns hingebracht.

Diesen Zerberus, der unsere Zimmer sauberhält und uns zuweilen begleitet, wirst du bald zu sehen bekommen. Es ist ein alter Laienbruder von siebzig Jahren – einäugig, lahm und stumm. Bei der Verrichtung sämtlicher Arbeiten im Hause gehen ihm noch drei weitere Brüder zur Hand: einer, der die Speisen zubereitet, ein anderer, der die Zellen der Mönche besorgt, überall kehrt und auch in der Küche hilft, und schließlich der Pförtner, dem du bei deiner Ankunft begegnet bist. Von diesen Brüdern bekommen wir nur den einen zu sehen, der uns bedient; es gehört zu den schwersten Vergehen, auch nur ein einziges Wort an ihn zu richten. Gelegentlich besucht uns der Pater Guardian; es ist dann ein ganz bestimmtes Zeremoniell einzuhalten, welches die praktische Erfahrung dich lehren wird. Dieses Zeremoniell nicht zu beachten gilt als Verbrechen. Die Mönche sind so sehr darauf versessen, uns bei irgendwelchen Verstößen zu ertappen und sich so das Vergnügen des Strafens zu verschaffen, daß sie sich täglich etwas Neues einfallen lassen. Wenn uns Raphael aufsucht, so geschieht das selten ohne Hintergedanken, und seine Absichten sind stets grausam oder naturwidrig, wie du bereits gesehen hast.

Im übrigen werden wir strengstens hinter Schloß und Riegel gehalten. Das ganze Jahr über läßt man uns nicht ein einziges Mal an die frische Luft, obwohl es einen recht großen Garten gibt. Aber da er von keinem Gitterzaun umgeben ist, fürchtet man, wir könnten ausbrechen – was ihnen deshalb so gefährlich scheinen muß, weil hier, wenn erst die weltlichen oder kirchlichen Behörden über die verbrecherischen Vorgänge in diesem Hause unterrichtet sein würden, bald Ordnung geschaffen wäre.

Nie erfüllen wir unsere religiösen Pflichten. Es ist uns gleichermaßen untersagt, daran zu denken wie davon zu sprechen. Irgendwelche Beschwerden in dieser Hinsicht gehören zu den Klagen, die unweigerlich geahndet werden.

Das ist alles, was ich dir sagen kann, meine teure Gefährtin«, schloß unsre Stubenälteste, »das übrige wird dich die Erfahrung lehren. Behalte den Kopf oben, wenn dir das irgend möglich ist, aber entsage für immer der Welt. Denn es ist uns kein Fall bekannt, daß ein Mädchen, welches dieses Haus verlassen, jemals...



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