E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Jungwirth Schwebezustand
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-16743-1
Verlag: cbt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-641-16743-1
Verlag: cbt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Seit ihre beste Freundin einen Freund hat, fühlt Sophie sich immer öfter wie das fünfte Rad am Wagen. Das wird anders, als sie Moritz trifft. Der ist schon 19, fährt ein schnelles Auto, ist cool. Mit ihm kommt Sophie sich völlig losgelöst vor, weit weg von allem – dem Zoff mit ihrer Freundin, der Trennung ihrer Eltern. Doch als es darauf ankommt, ist nicht Moritz, sondern Paul für sie da. Und Paul kennt sich aus damit, wenn alles in der Schwebe ist ...
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1
»Gloria ist Gloria!«
»Und weiter?«
»Wie weiter?«, fragt Vanessa, als gäbe es über einen Menschen nicht mehr zu sagen als seinen Namen.
»Und woher kennst du diese Gloria?«, bohrt Sophie nach.
»Ihre Eltern haben eine riesige Villa am Stadtrand, mitten in einem riesigen Garten mit uralten Bäumen, und zwischen den Bäumen ist ein Swimmingpool, und sie haben Angestellte, und einer ist Tag und Nacht nur dafür zuständig, die Blätter, die ins Wasser fallen, aus dem Pool zu fischen …« Vanessa gibt sich Mühe, so zu klingen, als würde sie das nicht rasend beeindrucken.
»Und wieso weißt du das alles so genau?«
»Ich war schon dort.«
Sophie schluckt. Sie kann nur mit einem dort gewesen sein, das weiß Sophie auch, ohne Vanessa danach zu fragen.
»Und jetzt zieh dir endlich was anderes an«, drängelt Vanessa.
Fix sind die neuen schwarzen Skinny Jeans. Sophies Vater hat sie bei seinem vorletzten Wochenendbesuch finanziert. Nachdem Sophie sich hineingezwängt hat, zupft sie ein T-Shirt nach dem anderen aus dem Schrank. Das rote, das blaue, das grüne? Sie entscheidet sich für das mit dem Strass-Totenkopf, das auch Vanessa trägt, und streift es über.
»Muss das sein?« Vanessa lungert auf Sophies Bett, verdreht die Augen, hörbar genervt.
Widerspruchslos zieht Sophie das Totenkopf-Shirt aus und wühlt in dem Haufen zu ihren Füßen nach irgendwas anderem. Aber plötzlich schnürt sich ihre Kehle zu. Langsam steht Sophie auf und denkt: Ich will jetzt nicht heulen, ich will nicht, ich will nicht, das ist einfach idiotisch!
»He«, sagt Vanessa nach einer Weile, die Sophie endlos vorkommt. Dann umarmt Vanessa sie von hinten. »Ich hab dich lieb, Sophie, das weißt du doch«, flüstert sie ihr ins Ohr. »Das war schon immer so und wird immer so bleiben. Aber es ist kindisch, wie Zwillinge herumzulaufen. Findest du nicht auch?«
Sophie nickt zögernd, lacht ein wenig gekünstelt und zieht das weiße Shirt mit dem goldenen Princess-Aufdruck heraus. Vanessa und Susa besitzen das gleiche. Die drei Prinzessinnen sind den ganzen letzten Sommer damit herumgelaufen.
Mit gespitzten Lippen mustert Vanessa Sophies neues Outfit.
»Und das?« Sophie ist sich plötzlich nicht mehr sicher, ob Princess auf Glorias Party nicht irgendwie komisch rüberkommen würde, eingebildet oder lächerlich oder tussig oder einfach falsch.
Statt sich dazu zu äußern, erklärt Vanessa: »Wir müssen los!«
Um es rechtzeitig ins Aquarium zu schaffen, sollten sie sich demnächst auf den Weg machen. Von dort werden sie dann alle zusammen weiterziehen.
»Können wir?«, will Vanessa wissen und schlüpft in den Flur hinaus.
»Augenblick! Ich muss meiner Mutter noch Bescheid geben!«
»Nicht wirklich, oder?« Vanessa zappelt in ihrer roten Lederjacke bereits ungeduldig in der offenen Wohnungstüre.
»Geht aber schnell.«
Sophie findet ihre Mutter im Wohnzimmer in dem flauschigen rosa Bademantel. Ihre schwarzen Locken hat sie unter einem Handtuchturban versteckt. Der Fernseher läuft, irgendeine dämliche Sitcom mit eingeblendeten Lachern, nach der Sophies Mutter süchtig ist, besonders nach der Arbeit, um von dem Stress runterzukommen, den sie als Krankenschwester den ganzen Tag über mit nervigen Patienten hat.
»Wir gehen zu Susa und übernachten dort«, erklärt Sophie, auch wenn sie erst nach Glorias Party dort landen werden.
»Was macht ihr?«, will Sophies Mutter wissen.
»Filme schauen«, ist das Erstbeste, was Sophie mit Blick auf den Fernseher in den Sinn kommt.
»Wenn ihr wollt, könnt ihr auch hier.«
»Wollen wir aber nicht.«
»Kommst du endlich!«, hört Sophie Vanessa im Flur quengeln.
»War’s das?«, hakt Sophie überflüssigerweise nach.
»Wann kommst du morgen heim?«
»Sobald ich ausgeschlafen habe.«
Sophies Mutter gibt sich noch nicht zufrieden. Es sieht aus, als suche sie angestrengt nach irgendetwas, was sie noch sagen kann.
»Was denn?«, fragt Sophie ungeduldig.
Eine Weile betrachtet Sophies Mutter ihre Fingernägel. »Nichts. Schon gut.«
»Kann ich jetzt gehen?«
Ihre Mutter nickt und seufzt leise, dann dreht sie ihren Kopf wieder zur Glotze.
»Du hast es so gut, du bist kein Einzelkind«, meint Sophie, als sie im Flur auf den Lift warten, »du musst nie solche lähmenden Diskussionen führen.«
»Kann schon sein«, sagt Vanessa nachdenklich, aber ihrem Blick nach zu schließen hat sie überhaupt nicht zugehört. Das ist so typisch, in letzter Zeit sind Vanessas Gedanken immer ganz wo anders.
Sophie und Vanessa marschieren die Fußgängerzone hinunter, vorbei am Klamottenladen, wo sie die Princess-Shirts gekauft haben, einem Einkaufscenter, mehreren Schmuckläden, Handyshops, einem Buchladen, Supermärkten und einem Schuhgeschäft, in dessen Auslagen seit Neuestem Wir-schließen-Plakate prangen. Aus den türkischen Imbissläden wehen scharfe Gerüche zu ihnen herüber. Sophie hat Hunger, sie hat den ganzen Tag nichts gegessen, sie hat einfach nicht daran gedacht.
Das Handy in der Linken, tippt Vanessa eine Nachricht. Prompt kommt Antwort. Vanessa schaut auf das Display und grinst.
»Was hat er geschrieben?«, fragt Sophie neugierig.
Vanessa tippt erneut drauf los.
»Was schreibst du?«
»Komm, nehmen wir die Abkürzung!«, sagt Vanessa.
Gegenüber der Stern-Apotheke biegen sie von der Favoritenstraße in eine Seitengasse ein. Ab jetzt laufen sie auf eines der Häuser zu, die im vergangenen Jahr um den neuen Hauptbahnhof in den Himmel gewachsen sind. Je länger sie die Straße hinuntergehen, umso zahlreicher tauchen sie vor ihnen auf. Das dreizehnstöckige Hochhaus, in dem Sophie aufgewachsen ist, war bisher weit und breit konkurrenzlos. Jetzt wird es von mehreren Neubauten übertrumpft. Wie Zacken einer Krone, die man der Stadt aufgesetzt hat, staunt Sophie jedes Mal wieder aufs Neue. Zwischen den Neubauten stehen Kräne, für noch mehr Hotel-, Wohn- und Bankentürme. Um die Kräne kreisen ein paar Vögel. Sophie schaut zu ihnen hoch. Wie gerne würde sie jetzt die Arme ausbreiten und mit ihnen durch die Luft segeln können, hin und her, kreuz und quer, bis zu den Wolken, die gerade aufziehen.
Mit einem leisen Zischen gleiten die Schiebetüren zur Bahnhofshalle auf. Sophie und Vanessa jagen die erstbeste Rolltreppe ins Untergeschoß und dann weiter Richtung U-Bahn. Der Coffeeshop liegt kurz vorm Abgang zur Station zwischen einer Pizzeria und einem Burger-Lokal und hat eine breite Glasfront. Je nachdem, ob man vor dem Lokal steht oder im Lokal sitzt, die Menschen auf der anderen Seite der Scheibe sind die Fische, hat Susa einmal gemeint. Wir treffen uns im Aquarium, sagen sie seitdem.
Jonas sitzt bereits auf einem Hocker an einem der hohen Tische. Über ihm baumelt eine schwarze Lampe, die ihren Lichtkegel auf die Tischplatte schickt. Sein Gesicht liegt halb im Schatten. Die blonden Haare hat er zu einem Zöpfchen gebunden. Er nickt im Rhythmus einer Musik, die nur in seinem Kopf spielt. Auf einem zweiten Hocker liegt sein Motorradhelm. Kaum hat Jonas die beiden erspäht, öffnet sich sein sanft geschwungener Mund zu einem breiten Grinsen und er streckt den rechten Arm zur Seite. Mit einem kurzen Glücksschrei läuft Vanessa auf ihn zu und schmiegt sich an ihn. Er streicht ihr mit seiner großen Hand zärtlich über die Haare und lässt sie dann in ihrem Nacken liegen.
»He!«, begrüßt er sie leise.
Vanessa legt ihre ausgestreckten Arme auf seine Schultern und sie schauen einander tief und schweigend in die Augen.
Sophie steht reglos daneben und fühlt sich komplett überflüssig. Sie lässt ihren Blick durchs Aquarium gleiten, registriert ein paar Reisende mit Koffer, die hier alleine ihre Wartezeit überbrücken, einen alten Mann mit unruhigen Augen, der ein Stück Schokokuchen in sich hineinstopft, und ein paar Jugendliche in ihrem Alter, die um den Tisch im hinteren Winkel sitzen. Sophie glaubt sie von der Schule her zu kennen, weiß aber weder ihre Namen, noch in welcher Klasse sie sind.
Der Typ hinter der Theke grinst mit seinem Mund voller weißer Zähne zu Sophie herüber. Dass er Pavel heißt, weiß Sophie von seinem Namensschild auf dem grün-blau-roten Overall, den alle Angestellten im Aquarium tragen. Sophie schätzt ihn auf siebzehn oder achtzehn, also nur wenig älter als Jonas. Ein paarmal geht ihr Blick zwischen Pavel und Jonas hin und her, ohne zu wissen, was sie eigentlich herausfinden will. Eines ist allerdings sicher: Vanessa und Jonas haben nur Augen und Ohren füreinander, von ihrer Umgebung kriegen sie nichts mit. Sophie checkt ihr Handy, ob eine Nachricht von Susa gekommen ist. Nein. Dabei kommt Susa nie zu spät, sie ist immer pünktlich.
»Gehen wir eben ohne eure Freundin«, meint Jonas.
»Auf keinen Fall!«, platzt Sophie heraus. »Vielleicht ist irgendwas passiert?«
»Was soll denn passiert sein?« Jonas lacht und greift nach seinem Helm.
»Können wir nicht noch ein wenig warten?«, bittet Sophie.
»Du wartest«, bestimmt Jonas. »Es reicht, wenn einer von uns hier blöd herumsitzt. Außerdem können wir eh nicht zusammen. Ihr müsst mit der U-Bahn. Vanessa und ich können ja schon mal...