E-Book, Deutsch, Band 1, 416 Seiten
Reihe: Die Gran Canaria-Krimis
Jungstedt / Eliassen Tod auf Gran Canaria
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-17930-4
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 1, 416 Seiten
Reihe: Die Gran Canaria-Krimis
ISBN: 978-3-641-17930-4
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mari Jungstedt wurde 1962 in Stockholm geboren und studierte an der dortigen Journalistenschule. Sie arbeitet als Radio- und TV-Journalistin und steht als Nachrichtensprecherin für das schwedische Fernsehen vor der Kamera. Mari Jungstedt ist verheiratet und hat zwei Kinder.
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7
Der Polizeifunk rauschte in dem stillen Zimmer. Zuerst klang es wie aus weiter Ferne an ihr Ohr, dann wurde es immer lauter. Das Radio stand auf dem Nachttisch. Als Redakteurin der skandinavischen Zeitung Dag & Natt hielt sie sich über alle Ereignisse auf dem Laufenden. Das gehörte zum Job dazu. Sara Moberg lag allein in dem großen Doppelbett. Lasse war mit dem gemeinsamen Sohn in Las Palmas. Sie hatten ein spätes Fußballspiel besucht und übernachteten im Hotel. Ihr Mann konnte das, ab und zu unternahm er etwas mit einem der Kinder, nur die beiden. Manchmal hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie es nicht auch so machte.
In schlaftrunkenem Zustand nahm sie einzelne Fetzen der Nachricht wahr. Tote Frau unterhalb der norwegischen Seemannskirche in Arguineguín gefunden. Die Polizei ging von Mord aus. Sara warf einen Blick auf den Wecker, der zeigte halb acht an. Hellwach streckte sie die Hand nach ihrem Smartphone aus und wählte die Nummer von Kommissar Diego Quintana von der Guardia Civil in Las Palmas. Zugleich tastete sie nach ihrer Lesebrille und nach Papier und Stift, die sie immer in Reichweite hatte, wenn sie schlafen ging. In case of emergency. Oder falls ihr plötzlich, ehe sie einschlief, eine Idee für einen Artikel oder wenn sie mitten in der Nacht wach läge, was im Moment viel zu häufig vorkam. Vielleicht war es das Alter, oder es waren die herannahenden Wechseljahre oder einfach eine allgemeine Unruhe.
Sie wählte mehrfach Quintanas Nummer, musste etliche Versuche machen, ehe der Kommissar sich endlich meldete.
»Hola, hier ist Sara. Entschuldige den frühen Anruf, aber ich nehme mal an, du bist im Dienst.«
»Zumindest auf dem Weg dorthin«, knurrte Quintana.
»Ich habe eben etwas über einen Mord in Arguineguín gehört. Über eine Tote, die bei der norwegischen Seemannskirche gefunden worden ist …«
»Mordverdacht«, korrigierte Quintana. »Wir wissen noch nichts. Bin auch gerade erst informiert worden, verdammt noch mal.«
»Okay. Wisst ihr, wer das Opfer ist?«
»Nein.«
»Ist schon jemand verhaftet worden?«
»Nein.«
»Kannst du mir etwas mehr sagen? Stimmt es, dass sie an Ort und Stelle umgekommen ist?«
»Jetzt hör aber auf, ich habe zu arbeiten. Adios.«
Sara Moberg sprang aus dem Bett und lief ins Badezimmer. Sie musste so schnell wie möglich nach Arguineguín. Eine ermordete Frau. Unwahrscheinlich, dass so etwas in dem kleinen friedlichen Ferienort passiert war. Viele ihrer Leser wohnten dort. Ein Großteil der lokalen Bevölkerung stammte aus Norwegen.
Sie ließ das Frühstück ausfallen, schnappte sich aber eine Banane, eine Flasche Wasser und ein Stück von dem Brot, das sie am Vortag gebacken hatte. Steckte den Kopf durch die Zimmertür ihrer Tochter und rief, dass sie los müsse.
»Ja, ja«, klang Olivias Stimme gedämpft unter der Decke hervor. »Mach’s gut, Mama.«
»Sieh zu, dass du auf die Beine kommst«, schob Sara noch hinterher, ehe sie sich eine Jacke überzog und die Füße in ein Paar robuster Laufschuhe steckte. Wenn sie draußen am Meer auf Felsen und im Sand herumkraxeln müsste, wäre es besser, entsprechend gekleidet zu sein.
Sobald sie die Haustür hinter sich geschlossen hatte, merkte sie, dass sie zu dick angezogen war. Die Luft war schon warm, obwohl die Sonne gerade erst am Himmel stand. Die Vögel zwitscherten hinten am Pool. Sara zog die Jacke aus und warf sie auf die Rückbank, legte eine CD von Ted Gärdestad ein, ehe sie aus der Garage fuhr und das eiserne Tor mit der Fernbedienung öffnete. Das Auto war erfüllt von »Der Himmel ist unschuldig blau« und Sara sang mit. Laut und falsch. Sie war schon als Teenager ein großer Fan von Ted Gärdestad gewesen und sie wurde seiner Musik niemals überdrüssig. Er war damals ihr Idol gewesen, war aber schon seit vielen Jahren tot. Sara würde ihn niemals vergessen. Sie hatte alle seine LPs zu Hause und in ihrem Arbeitszimmer hing ein altes Poster von ihm.
Ihr Haus stand hoch oben auf einem Berg mit phantastischem Blick auf das Meer. Ganz San Agustín breitete sich unter ihr aus. Hier wohnte sie seit zwanzig Jahren mit ihrer Familie, fast so lange, wie sie schon auf Gran Canaria lebte. Sie waren hergezogen, als bei Lasse zu ihrem Schrecken Parkinson diagnostiziert worden war. Sie hatten beschlossen, das kalte Schweden zu verlassen. Sie waren damals frisch verheiratet, und das erste Kind, Viktor, war unterwegs. Sie ließen sich in San Agustín im Süden von Gran Canaria nieder, wo schon damals eine kleine schwedische Kolonie existierte. Lasse übernahm ein heruntergekommenes Hotel am Meer, renovierte es und konzentrierte sich in erster Linie auf skandinavische Gäste. Das Hotel wurde bald immer beliebter, und die Wärme in Kombination mit den richtigen Medikamenten sorgte für einen Stillstand der Krankheit. Sara gründete die Zeitung und nach einigen mühsamen Jahren schrieb sie schwarze Zahlen. Die Auflage stieg und die Anzeigenkunden standen Schlange. Sie und Lasse lernten rasch Spanisch und hatten inzwischen viele Freunde, kanarische und skandinavische. Inzwischen hatten sie den größeren Teil ihres Erwachsenenlebens hier verbracht, die Kinder waren eher kanarisch als schwedisch, und das Heimatland lag in weiter Ferne. Sie begnügten sich damit, jedes Jahr für einige Wochen nach Schweden zu fahren. Das war mehr als genug.
Arguineguín war nur fünfzehn Minuten entfernt, und Sara fuhr sofort zur norwegischen Seemannskirche. Die lag mitten im Ort, hoch und schön auf einer Landzunge mit Blick über den Hafen, die Strandpromenade und das Meer, dort, wo die Felsen bei Puerto Rico und Mogán steil in die Tiefe abfielen. Schon aus der Ferne sah man, dass etwas passiert war. Etwa ein Dutzend Streifenwagen standen vor der Kirche, uniformierte Polizisten liefen umher und Absperrbänder flatterten in der Morgenbrise. Sara schnappte sich Kameratasche und Notizblock und stieg aus dem Auto. Eine Gruppe von Menschen stand vor der Absperrung und überall waren erregte Stimmen zu hören. Sie fing einzelne Kommentare auf. Jemand fragte, was denn passiert sei, ein anderer schüttelte den Kopf, mehrere schossen mit ihren Mobiltelefonen Fotos. Von beiden Seiten der Strandpromenade strömten weitere Schaulustige herbei.
Arguineguín lag zwischen den großen Touristenorten Playa del Inglés und Puerto Rico an der Südküste der Insel. Nur selten geschah hier etwas so Aufsehenerregendes wie ein Mord.
Im Näherkommen entdeckte Sara Kommissar Diego Quintana, der zusammen mit einem Mann, den Sara für den Rechtsmediziner hielt, neben dem Opfer hockte. Der Leichnam war hinter einem provisorisch aufgestellten Wandschirm nur notdürftig verborgen. Sara ging zur Absperrung und rief Quintanas Namen, sie ignorierte den Versuch eines Polizisten, sie zu verscheuchen. Diego schaute auf und ihre Blicke begegneten sich. Er winkte ihr, wechselte noch ein paar Worte mit dem Rechtsmediziner, stand auf und ging auf sie zu. Er versuchte sich an einem Lächeln, als er sie begrüßte, offensichtlich machte ihm die Situation zu schaffen. Diego Quintana war ein gutgebauter und für einen Kanaren ungewöhnlich großer Mann, er maß wohl an die eins neunzig, hatte dunkle, nach hinten gekämmte Haare, einen kräftigen Schnurrbart und gepflegte Koteletten.
»Ich hätte mir denken können, dass du schneller als der Wind hier sein würdest«, sagte er.
»Was ist denn passiert?«, fragte Sara.
»Einige Fischer haben heute Morgen hier auf den Felsen eine Tote gefunden. Und es steht fest, dass wir es mit einem Mord zu tun haben.«
»Noch keine Festnahme?«
»Nein.«
»Darf ich reinkommen?«, fragte sie.
»Das hier ist ein Tatort, die Techniker sammeln Spuren und der Rechtsmediziner ist hier. Du musst so lange draußen warten.«
»Und wenn ich im Hintergrund bleibe? Ich werde niemanden stören.«
»Du weißt, ich tue alles für dich, aber es gibt Grenzen.«
Quintana zwinkerte ihr zu und ging zurück zu dem Wandschirm, wo der Rechtsmediziner eine erste Untersuchung vornahm. Es hatte wie ein Scherz geklungen, aber sie wusste, dass es sein Ernst war. Diego Quintana war seit ihrer ersten Begegnung vor zehn Jahren in sie verliebt. Aber die Tatsache, dass sie beide verheiratet waren und sie seine Gefühle nicht teilte, zwang Sara dazu, sich nichts anmerken zu lassen.
»Sag mir wenigstens, wie sie gestorben ist«, rief Sara hinter ihm her.
Quintana blieb für eine Sekunde stehen, drehte sich um und fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Hals.
Sara bekam eine Gänsehaut. Sie kletterte auf ein Stück Mauer vor dem Absperrband, wo sie einen besseren Blick auf die Felsen unterhalb der Strandpromenade hatte. Als der Rechtsmediziner sich bewegte, sah sie den Leichnam.
Die Tote war vielleicht Mitte dreißig. Sie lag nackt und ausgestreckt auf einem Felsplateau. Die eine Hand ruhte auf der Brust, die andere verdeckte den Schoß. Quer über den Hals zog sich eine scheußliche Schnittwunde, die jedoch seltsam sauber wirkte. Ihre bleiche Haut hob sich krass von den schwarzblanken Felsen um sie herum ab, fast schien es, als leuchte sie. Sara blieb an etwas hängen, das neben dem Leichnam lag. Sie stellte das Teleobjektiv ihrer Kamera ein. Und nun sah sie es. Auf dem Boden lagen weiße Rosen. Die Haltung der Toten wirkte arrangiert, als wollte der Täter etwas illustrieren.
Um den Tatort herum sammelten sich weitere Schaulustige. Neugierige Dorfbewohner und Touristen strömten aus allen Richtungen herbei und vor den Absperrbändern bildete sich eine kleine Menschenmenge. Sara registrierte mehrere...