E-Book, Deutsch, 271 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Junge / Müller Bis zur letzten Stunde
12001. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8437-0582-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben
E-Book, Deutsch, 271 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0582-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Traudl Junge wurde 1920 als Tochter eines Bierbrauermeisters und einer Offizierstochter in München geboren. Von Ende 1942 bis April 1945 war sie die Privatsekretärin Adolf Hitlers. Nach dem Krieg geriet Traudl Junge in russische Gefangenschaft, wurde aber nach kurzer Zeit wieder freigelassen. In der Folgezeit arbeitete sie unter anderem als Chefredaktionssekretärin für Quick und als freie Journalistin. Traudl Junge verstarb nach schwerer Krankheit in der Nacht des 11. Februar 2002, wenige Stunden nach der Uraufführung des Dokumentarfilms »Im toten Winkel«, der sie im Gespräch mit André Heller zeigt.
Autoren/Hrsg.
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EINE KINDHEIT UND JUGEND IN DEUTSCHLAND
Von Melissa Müller
Zwischen den Zeiten. München 1947. Aus der »Hauptstadt der Bewegung« ist eine Trümmerstadt geworden. Die Menschen sind erschöpft von Hunger und Kälte, zugleich stehen sie am Anfang. Ein krasses Nebeneinander von erbärmlicher Not und exzessiver Lebenslust. Traudl Junge ist 27Jahre alt, eine heitere, lebenshungrige Frau. Sie gilt als »entlastet« schon aufgrund ihres Alters, das hat ihr die Entnazifizierungskommission bescheinigt. Sie arbeitet als Sekretärin, wechselt häufig die Stellung. Man lebt von einem Tag auf den anderen. Traudl Junge gilt als gute Kraft, »besonders hervorzuheben« heißt es in einem Arbeitszeugnis aus der Zeit, seien »ihre rasche Auffassungsgabe, guter Briefstil und ihre weit über jedem Durchschnitt stehenden Leistungen in Maschinenschreiben und Stenographie«. Abends ist sie Stammgast in den Kabaretts und Kleinkunstbühnen der Stadt, die wie Pilze aus dem Boden schießen. Geld und Lebensmittel sind knapp, auch Zigaretten. Freunde und Nachbarn halten zusammen und teilen, was sie haben. Traudl Junge hat ihr Leben vor sich und – so hofft sie – auch die ganz große Liebe und das ganz große Glück. Konkrete Vorstellungen hat sie nicht von der Zukunft, aber sie glaubt daran.
Schnitt.
München 1947. Aus der »Hauptstadt der Bewegung« ist eine Trümmerstadt geworden. Traudl Junge ist 27Jahre alt und seit drei Jahren Witwe. Ihr letzter Arbeitgeber, der »angenehmste, den ich bislang hatte«, wie sie sagt, ist tot, viele ihrer engsten Kollegen aus Kriegstagen gelten als verschollen. Ob sie in russische Lager verschleppt worden sind oder Selbstmord verübt haben – sie weiß es nicht. Sie selbst hat mehrere Monate in russischer Gefangenschaft, eine langwierige Diphtherie-Erkrankung und eine abenteuerliche Flucht von Berlin nach München überlebt. Sie ist mit gemischten Gefühlen zurückgekommen, in der Angst, an den Pranger gestellt oder gemieden zu werden. Sie verheimlicht nicht, dass sie zweieinhalb Jahre Hitlers Privatsekretärin war, und stellt erleichtert fest, wie wenig man sich für ihre Vergangenheit interessiert. Nicht einmal ihre Mutter will Näheres wissen. Die sensationslüsterne Frage: Sag, ist der Hitler auch wirklich tot? hört sie zwar öfter, Details scheinen jedoch niemanden zu interessieren, geschweige denn irgendwelche Erklärungs- oder Rechtfertigungsversuche. Ihre diffusen Selbstvorwürfe, einem Völkermörder gedient zu haben und damit an seinen Verbrechen mitschuldig zu sein, nimmt man ihr. Du warst doch noch so jung … Das Vergessen hat 1947 längst begonnen; Selbstschutz für Täter, Mitläufer und Opfer gleichermaßen.
Eine Hauptdarstellerin, zwei Szenarien – beide treffen zu.
Traudl Junges Leben in den ersten Nachkriegsjahren ist gespalten. Auf der einen Seite die belastenden Erinnerungen an die unbeschwerte Zeit im Kreis Adolf Hitlers und an ihr dramatisches Ende, mit denen sie allein gelassen ist. Auf der anderen Seite der Trümmeralltag mit seinen unmittelbaren Nöten und Freuden, die sie mit anderen – Freunden, Bekannten, Mutter und Schwester – teilen kann.
Traudl Junge gelingt es früh, in ihrer Erinnerung sogar unmittelbar nach Zusammenbruch des Dritten Reichs, sich von Hitlers Anziehungskraft zu befreien. Das mag daran liegen, dass sie zwar jene, wie sie sagt, charmante, väterlich-freundliche Facette seiner Persönlichkeit verehrte, die sie zweieinhalb Jahre aus nächster Nähe erlebte, dem nationalsozialistischen Regime aber stets mit Gleichgültigkeit, ja Desinteresse gegenüberstand und sich mit seinen ideologischen Konstrukten und Unmenschlichkeiten nicht auseinander setzte. Ihre Vergangenheit ist eine unverarbeitete Mischung aus guten persönlichen Erinnerungen und schrecklichen Erkenntnissen, die sie nach dem Krieg langsam und bruchstückhaft gewinnt, aber erst viel später an sich heranlassen wird. Traudl Junge ist durch Zufall in Hitlers Dunstkreis geraten, und ihre Wahrnehmung war – aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar, auch für sie selbst nicht – äußerst reduziert. Sie geriet in den Sog von Hitlers Einfluss, fühlte sich geschmeichelt, und was sie nicht persönlich betraf, erreichte sie nicht. Naivität? Ignoranz? Eitelkeit? Bequeme Gutgläubigkeit? Anerzogenes Mitläufertum? Falscher Gehorsam? 1947 stellt sie sich diese Fragen nicht. Sie hat überlebt, nun beginnt sie – mit der Kraft der Jugend, wie sie sagt – buchstäblich über ihre Vergangenheit hinwegzuleben. Erst in den sechziger Jahren werden sie die Fragen zu quälen beginnen. Qualen, die bis heute andauern.
1947 lernt Traudl Junge durch Vermittlung ihres damaligen Freundes Heinz Bald dessen Förderer, einen wohlhabenden Unternehmer, kennen. Er ist fasziniert von ihrer Vergangenheit und regt sie an, ihre Erinnerungen an die Zeit mit »dem Führer« niederzuschreiben. Seine ehemalige Frau – sie ist deutschstämmige Jüdin, lebt seit der von ihm forcierten Scheidung in den dreißiger Jahren in den USA, steht aber in gutem Kontakt mit ihm – werde den Text einer amerikanischen Tageszeitung anbieten. Traudl Junge gefällt die Idee, und sie macht sich schon bald an die Arbeit. Sie hatte, sagt sie rückblickend, auch selbst das Bedürfnis, diese für sie so entscheidende Zeit festzuhalten, bevor die Erinnerungen verblassen. Eine weitere Motivation sind die wilden Spekulationen um Hitlers Tod, mit denen sie laufend konfrontiert wird. Für den Fall, dass sie erneut verhört werden sollte, könne sie dann auf ihren Text verweisen.
Etwa 170 Manuskriptseiten tippt sie in den folgenden Monaten, an den freien Abenden und an den Wochenenden das Schreiben macht ihr Freude. Veröffentlicht wird der Text schließlich doch nicht, weil »die Leser an derartigen Geschichten kein Interesse hätten«, wie es 1949 heißt. Traudl Junge empfindet die Beschäftigung damit jedoch als eine Art Katharsis. Zwar finden sich nur wenige Momente der reflektierenden Aufarbeitung ihrer Erlebnisse, sie kaschiert aber auch nichts, versucht sich nicht zu rechtfertigen. Sie archiviert lediglich Ereignisse, Episoden, subjektive Eindrücke, danach zieht sie einen vorläufigen Schlussstrich unter diesen Teil ihrer Vergangenheit; und ihre Aufzeichnungen bleiben lange Zeit unbeachtet.
Tatsächlich ist Traudl Junges Verhältnis zu Adolf Hitler – so jedenfalls liest sich ihr Manuskript – in diesen ersten Nachkriegsjahren noch unentschieden. Den heutigen Leser muss ihr Text deshalb stellenweise schockieren. Als sie ihn selbst Jahrzehnte nach der Niederschrift wieder liest, erschüttert und beschämt sie die Distanzlosigkeit und Naivität, die über weite Strecken aus ihm sprechen. Er sei banal, sein Tonfall zum Teil unverantwortlich flapsig, sagt sie. Sie kann seinen zeitgeschichtlichen Wert nicht erkennen, seine Unmittelbarkeit und Unverfälschtheit irritieren sie nun. Dass gerade ihre scheinbar harmlosen Beschreibungen von Hitlers biederem Alltag in der Wolfsschanze oder am Berghof ein wichtiger Beleg für Hannah Arendts vielzitierte These von der Banalität des Bösen sind, sieht sie nicht. Dass sie damit jenen Menschen, die Hitler und seine engsten Helfer zu Monstern ohne menschliche Züge stilisieren und sich damit selbst beruhigen, erhellende Einblicke gewähren kann, ist ihr ein schwacher Trost. Für sie sind sie vor allem Zeugnis einer unbedacht erlebten Zeit, eine Art Abschluss ihrer arglos gelebten Jugend in einem gar nicht harmlosen Umfeld.
Gertraud Humps, genannt Traudl, kommt am 16.März 1920 in München zur Welt. Einen Monat vor ihrem Geburtstag, am 24.Februar, verkünden Adolf Hitler und Anton Drexler, der Gründer der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), im Rahmen der ersten großen Massenversammlung der NSDAP im Münchner Hofbräuhaus ihr fremdenfeindliches Parteiprogramm. Das ist deshalb erwähnenswert, weil die Kundgebung sich »An das notleidende Volk!« richtet.
Tatsächlich ist die soziale Lage breiter Bevölkerungskreise miserabel und provoziert Unfrieden und politisches Protestverhalten. Die Zahl der Arbeitslosen der Stadt steigt allein von Dezember 1918 bis Mitte Februar 1919 von 8000 auf etwa 40000, es fehlt an Wohnungen, an Lebensmitteln und an Heizmaterial.
Traudls Vater Max Humps, Jahrgang 1893, ist Braumeister und Leutnant der Reserve, er gilt als »charmanter Luftikus« und »für die Ehe nicht unbedingt geeignet«. Mutter Hildegard, geborene Zottmann, ist drei Jahre jünger und Generalstochter, sie heiratet unter Stand. Das junge Paar zieht in eine kleine Mansardenwohnung in Schwabing, unmittelbar nach Traudls Geburt verliert der gebürtige Niederbayer aus Regen allerdings seine Stelle bei der Löwenbrauerei, die wirtschaftliche Not lässt die beträchtlichen charakterlichen Unterschiede der Eheleute vorzeitig zum Problem werden. Hildegard ist eine schwerblütige, aber sehr gefühlsgebundene Frau mit einem starren Weltbild und einem strikten Moralkodex, Max ist ein Durchlavierer, nimmt das Leben leicht und mit sehr viel Humor – das macht es zwar schwer, ihm böse zu sein, aber unmöglich, auf ihn zu bauen.
Der orientierungslose Max Humps, der seinen Kreis von Kameraden und so genannten Sportsfreunden ohnehin der vermeintlichen Familienidylle vorzieht, schließt sich – wie viele Arbeitslose in diesen Tagen – dem »Freikorps Oberland« an, einem jener politisch rechts außen stehenden Verbände, in denen antirepublikanische, nationalistische und antisemitische Strömungen zusammenkommen. Ein straff organisierter Wehrverband – deutschnational und völkisch – mit vielen Mitgliedern aus dem bayerischen Oberland, der im April 1919...