Jünger | Subtile Jagden | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 307 Seiten

Jünger Subtile Jagden


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-608-10868-2
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 307 Seiten

ISBN: 978-3-608-10868-2
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
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Ernst Jüngers berühmtes Käferbuch präsentiert eine faszinierende Mischung aus Reisebericht, Tagebuch, naturwissenschaftlichen Betrachtungen und autobiographischen Rückblicken. Jünger verbindet darin seine beiden größten Leidenschaften, die Käferjagd und die Literatur. Mit Farbstiftzeichnungen von Walter Linsenmaier.

Schon als Kind ist Ernst Jünger von Insekten fasziniert. Mit einer zunächst noch bescheidenen Ausrüstung, die ihm sein Vater schenkt, begibt er sich in Rehburg am Steinhuder Meer auf die Suche. Diese Erinnerung an die erste Käferjagd wird ihn ein Leben lang begleiten. Von Rehburg führt Jünger den Leser rückwärts blickend und sinnend zu den Stätten seines Lebens. Ausflüge und Reisen aus mehreren Jahrzehnten an die exotischsten Orte verbinden sich so zu einem kaleidoskopischen Erinnerungsbuch. Sogar in beiden Weltkriegen nutzt Jünger die Gefechtspausen, um seine Sammlung zu erweitern. Dabei bleibt Jünger bei seinen 'Subtilen Jagden' stets Entomologe und Schriftsteller zugleich.

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ANTAEUS
Die Schönheit der Goldcaraben wird noch übertroffen durch eine Edelsteinkohorte, die den Namen Coptolabrus trägt. In China, Korea, am Amur liegen ihre Residenzen; verwandte Stämme zweigen sich auf die japanischen Inseln ab. Der Erlanger Professor Hauser widmete ihnen eine Monographie. Schon die Lektüre des Registers läßt Außerordentliches vermuten, denn Namen wie smaragdinus, mandarinus, tyrannus, coelestis, dux, principalis, giganteus, augustus, gemmifer verleiht man nicht umsonst. Die Arten geben eine Ahnung von der Urkraft fernöstlicher Gebirge, von der despotischen Pracht eines Räubergeschlechts, das mit dem Kaiserhaus wetteifert. Ich entsinne mich noch der Bestürzung, mit der ich zum ersten Mal einen dieser Recken betrachtete. Er war mit der Sendung eines chinesischen Händlers gekommen; ein Zettelchen wies ihn als den Antaeus aus. Es mußte das Tier sein, das Oberst Hauser, Bruder des Professors, in Kwantung, einer der südlichsten Provinzen Chinas, entdeckt hatte. Um dieselbe Zeit und ganz in der Nähe hatte der Doktor Mell, ein liebevoller Kenner der chinesischen Fauna, den gleichen Fund gemacht. Der Oberst hatte seine Ausbeute dem Bruder gesandt, der Doktor die seine dem Berliner Museum, wo Kolbe sie bearbeitete. Beide Entomologen hatten das Tier beschrieben – der Erlanger Professor als Antaeus, der Berliner Zoologe als Mellianus, wobei ihm allerdings der Antaeus in der »Stettiner Entomologischen Zeitung« von 1914 um einige Wochen zuvorgekommen war. Nach dem von Linné aufgestellten Gesetz der Priorität löschte damit der Antaeus den Mellianus aus. Wie jedes Gesetz zugleich ein Recht verleiht und eine Fessel bildet, so kann auch dieses sich zur Plage auswachsen. Ein Generationen von Liebhabern vertrauter Name hat zu weichen, wenn ein entomologischer Bücherwurm aus einer längst verschollenen Scharteke eine »Priorität« ausgräbt. Der Antaeus erfreut sich also dem Mellianus gegenüber der Legitimität. Allerdings erscheint mir eine zarte, der subtilen Materie angemessene Aufmerksamkeit des Erlanger Professors gegenüber dem konkurrierenden Gevatter der Erwähnung wert. Nachdem er nämlich in seiner 1921 erschienenen Monographie die Daten und damit die Rechtslage geklärt hat, stellt er fest, daß zwischen der Beschreibung des Antaeus und der des Mellianus eine geringe, doch wahrnehmbare Differenz besteht, denn Kolbe führt einen Blaustich der Flügeldecken an, der bei dem typischen Antaeus fehlt. Offenbar lag ihm eine Variante vor, die als »Coptolabrus Antaeus varietas Mellianus« Erhaltung verdient. Nur Eingeweihte, Kenner der Eifersucht, mit der zünftige Entomologen ihre Arten und Abarten verteidigen, wissen solche Züge zu würdigen. Der Umfang der Händel, die so entsprangen, erscheint noch unglaublicher, wenn man die Objekte betrachtet, derentwegen sie entbrannten: etwa ein Tierchen von der Größe eines Reiskorns, dessen letztes Fühlerglied der eine Partner als konkav, der andere als konvex bezeichnete. In dieser Hinsicht hatte der oben erwähnte Kustos Kolbe durch die Angriffe des streitbaren Doktor Kraatz Erhebliches auszustehen. Es brach da ein Krieg aus, der den Trojanischen an Dauer übertraf. Den beiden Streitern eilten nicht nur befreundete Koryphäen zu Hilfe, sondern ihre Zwiste dehnten sich auch auf Vereine, Zeitschriften, Museen aus und erbten sich auf die Epigonen fort. Es scheint ein Rätsel, warum gerade in dieser entlegenen Zelle unsres Babylonischen Turmes jede Quisquilie so leicht zum Erisapfel wird. Die Antwort liegt schon in der Frage: der Umgang mit feinsten und allerfeinsten Objekten birgt die Gefahr, daß die Differenzen überbetont werden. Auch die Beschreibung gehört zur Jagd. Sie krönt sich in der Benennung, die einer Handauflegung gleicht. Ein neuer Name wird in Linnés großes Jagdbuch eingetragen und mit dem eigenen verknüpft. Er bleibt dort als Trophäe, solange das System besteht. Das Wild wurde mit einem Tabu belegt. Der Triumph ist geistig, ist ein Lohn des Scharfblicks, wie der Sieg im Schachspiel, und höher als die physische Besitzergreifung, denn wer die Beute erkennt, dem zinst sie länger als dem, der sie erlegt. Amerika heißt nicht nach dem, der es entdeckte, sondern nach dem, der es zuerst erkannte und beschrieb. Höchst ungern läßt der Subtile Jäger sich die Autorschaft bestreiten; die Verleihung von Namen ist sein Regal, sein Waidrecht, um das er, ohne es zu merken, auf absonderliche und oft auch unduldsame Weise kämpft. Außer Dienst ist er großzügig, friedlich, mitteilsam wie Tristram Shandys zugleich kriegerischer und herzensguter Onkel Toby oder auch unser Doktor Kraatz, ein Gönner, der ganzen Generationen das Tor zum Heiligtum der Isis öffnete. Was er, der Stifter des Dahlemer Museums, als blinder Greis getan hat: die im Laufe eines langen Lebens gehorteten Schätze frei verschenken – das ist in unserer Zunft eher die Regel als die Ausnahme. Die Jagd als Urform großer Spiele, »Kriegen und Verstecken«, ist eine ernste Sache; sie duldet nichts anderes. Argus hat hundert Augen und ein Ziel. Der Mythos stellt ihn halb wachend, halb schlafend dar, nicht nur weil seine Augen sich erholen müssen, sondern auch weil sie nur einen Ausschnitt der Welt wahrnehmen. Der Sinn des Jägers ist zu stark auf den Mittelpunkt geheftet, als daß er nicht an der Peripherie zerstreut wäre. Das gilt nicht nur für seine Spielart des zerstreuten Professors, sondern es geht durch den Kosmos hindurch. Der Jäger ist immer auch der Gejagte, wie der Krieger auch der Bekriegte ist. Auf der Jagd, im Kriege, während der Balz, in unserer dynamischen Welt auch beim Überholen, wächst das Risiko. Wenn wir zwischen dem Castel Vecchio und der Laguna gebadet hatten und am Mittag durch die Hügel zurückkehrten, war es oft glühend heiß. Die Täler waren sich recht ähnlich; verfehlten wir den Einstieg, so gab es weite Umwege. Manchmal wußten wir nicht, ob wir den rechten Pfad getroffen hatten, wenn wir uns zwischen den Brombeer- und Opuntienhecken entlangwanden. Es gab dann eine freudige Überraschung, sobald am Ortsrand von Villasimius die Arkaden des reichen Signor Todi auftauchten. So nannten wir eine zierliche Säulenreihe in dem sonst öden sardischen Nest. Sie gehörte zum verfallenen Gutshof eines alten Feudalen, der nach den Cavourschen Reformen aus dem Land gegangen war. Wie alles dort schnell verwittert und in den Mythos absinkt, hatten wir nur Sagenhaftes über ihn gehört, über seine Herden, seine Hirten, seine Festmähler. Einmal, es war während meines siebten oder achten Aufenthaltes am Capo Carbonaro, als ich hinter dem Bruder herschlich, wendete er sich um und rief mich an: er hatte die Arkaden gesehen. Er hatte aber nicht auf den Weg geachtet, auf dem uns sonst wenig zu entgehen pflegte, und nicht die Schlange bemerkt, die er fast gestreift hätte. Ich wies ihn darauf hin. Gefahr war nicht dabei, denn schon die Römer erwähnten als eine der wenigen Annehmlichkeiten der Insel, daß sie keine Giftschlangen kennt. Wir blieben stehen und betrachteten das Wesen: eine Eidechsennatter von stattlicher Größe; an einer Mannslänge fehlte nicht viel. Nur am Capo Rosso sollte mir eine mächtigere vorkommen. Keine andere Natter wirkt so metallisch; der Bronzepanzer mit seinen gelben und grünen Schuppen gleicht einer Prunkrüstung. Erst als ich das Tier mit dem Stock am Rücken berührte, schoß es in das Brombeergebüsch davon. Im Weitergehen unterhielten wir uns über die Achtlosigkeit, mit der sich das sonst so scheue Wesen exponiert hatte. Sie war nur dadurch zu erklären, daß es im Anstand auf eine Beute gewesen war – vermutlich auf eine der kleinen, grün und schwarz gescheckten Eidechsen, die sich dort tummelten. Das war ein Beispiel für die hypnotische Starre, die der Anblick des Wildes erzeugt. Halb hatte Argus geschlafen, halb gewacht. Wer jagt, wird selbst gejagt, und wer beobachtet, wird selbst beobachtet. Je seltsamer, je wertloser, je fremdartiger die Beute, desto mehr drängt sich die Frage nach dem Sinn der Suche auf. Ein Gleichnis bleibt alles, bleibt jede Erdberührung, im bunten Insekt wie auch im Edelstein. Was fesselte mich hier, was machte mich zugleich blind und sehend – wo steckt der Sinn des Spieles, und wo ist der, der mich dabei beobachtet? So fragte ich mich oft und fragte ich auch damals, als ich mich vom Staunen über den Antaeus erholt hatte. Damals dauerte es lange, bis eine Sendung aus dem Fernen Osten eintraf; heute folgt sie dicht auf die Bestellung, und auch das Drum und Dran hat Fortschritte gemacht. Leichte und buntfrankierte Schächtelchen kommen wie auf Fliegenden Teppichen. Die Objekte sind in Hüllen verwahrt, in denen sich die Biegsamkeit des Seidenpapiers mit der Durchsichtigkeit des Kristallglases vereint. Sie bieten sich unmittelbar dem Auge; ihr Glanz wird eher erhöht als geschwächt. Ich bewunderte ihn erst in diesen Tagen, als ich eine Sendung des Kollegen Hayasaka aus Tokyo musterte: ein Los von Cetoniden aus Formosa, dargeboten mit einer Eleganz, die in Europa nicht erreicht oder gar übertroffen werden kann. Beim Enthüllen der Tiere unterlag ich nicht zum ersten Male einer Augentäuschung – dem Eindruck, daß ich es nicht mit Kunstwerken der Natur, sondern des Menschen zu tun hätte. Manche dieser Gebilde schienen wie chinesische Miniaturen, von Meisterhand aus Horn, Jade oder Elfenbein geschnitzt und mit Ideogrammen geschmückt. Ein solcher Eindruck ist nicht zufällig. Die Kraft der Territorien bestimmt aus großen Tiefen nicht nur die Harmonie der Lebewesen zueinander, sondern auch zur unbelebten Natur. Entfernte Dinge gewinnen Anklang, wie Wörter von ganz verschiedener Bedeutung Anklang gewinnen...


Jünger, Ernst
Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901–1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 1914–1918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens 'Pour le Mérite'. 1919–1923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings 'In Stahlgewittern'. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 1936–1938 Reisen nach Brasilien und Marokko. 'Afrikanische Spiele' und 'Das Abenteuerliche Herz'. Übersiedlung nach Überlingen. 1939–1941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 1946–1947 'Der Friede'. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen 'Werke'. 1966–1981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.

Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901–1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 1914–1918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens 'Pour le Mérite'. 1919–1923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings 'In Stahlgewittern'. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 1936–1938 Reisen nach Brasilien und Marokko. 'Afrikanische Spiele' und 'Das Abenteuerliche Herz'. Übersiedlung nach Überlingen. 1939–1941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 1946–1947 'Der Friede'. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen 'Werke'. 1966–1981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.



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