E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Joyce Among the Stars
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-20243-9
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Liebe wie im Film
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-641-20243-9
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Seitdem Samantha weiß, dass man als Schriftstellerin völlig neue Welten erfinden kann, hat sie ihre Berufung entdeckt. Sie ist eine echte Romantikerin, hat ihren Freund aus der Highschool geheiratet und glaubt felsenfest an die große, wahre Liebe. Nach »Among the Stars« ist »Over the Moon« ihr zweiter Roman.
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Kapitel 1
Selbst wenn die Queen vorgehabt hätte, in Fernbrookes einzigem Theater bei einem Jazzkonzert mit einem Einhorn aufzutreten – wäre es wahrscheinlich leichter gewesen, an diesem Abend einen Parkplatz zu finden.
Ich rannte die Main Street runter und wäre fast über meine eigenen Füße gestolpert, während ich Jin schrieb, dass ich bald da sein würde. Der Einfachheit halber verschwieg ich, dass ich eben noch schweißüberströmt geschlagene zwanzig Minuten in der Einfahrt gesessen und mir in heller Panik vorgestellt hatte, hier entweder eine hysterisch kreischende Menschenmenge oder ein leeres Gebäude vorzufinden. Meine Haut hatte am ganzen Körper gekribbelt, und ich hatte Mühe gehabt, das Auto zu starten. Ich hatte ein paarmal tief Luft geholt. Doch drücken konnte ich mich beim besten Willen nicht, denn im Zweifelsfall wäre Jin aufgetaucht und hätte mich dann kurzerhand trotzdem hierhergeschleift.
Auf dem Display leuchtete Jins Antwort auf – ein paar Beschimpfungen in Großbuchstaben, und ich warf einen Blick auf die Uhr.
11:55.
Verdammt. Nur noch fünf Minuten.
Ich lief schneller und schob mein Handy in meine Jeanstasche. An meinem Nacken bildeten sich Schweißperlen, die mir dann den Rücken hinunterliefen, während ich mich durch die stickige Augustluft kämpfte. Nach einem Schlenker um die langsam, aber sicher verfallene Stadtbibliothek blieb ich ruckartig stehen.
Sicher Hunderte von Menschen warteten vor den verschlossenen Läden der Minimall – die Schlange reichte sogar bis um die Ecke. Ihr Anfang war noch nicht einmal zu sehen! Instinktiv tastete ich nach der Narbe, die von meiner Schläfe bis hinunter zu meinem Kinn verlief, und beäugte die Menge. Viele trugen gehörnte Helme oder Pelzumhänge. Ein Junge mit einem Bierbecher mit Schaumkrone in der Hand entdeckte mich und grinste.
Verdammt. Es war unmöglich. Ich schaffte das einfach nicht! Also wirbelte ich herum und rannte in die entgegengesetzte Richtung davon. Schon vibrierte mein Handy wieder an meinem Bein. Ich wusste, wer es war, noch bevor ich aufs Display sah.
JIN: Wo willst du denn hin? Komm sofort zurück. Ich bin ganz in deiner Nähe. Du kriegst das hin, Elise.
Ich holte wieder tief Luft und machte die Augen zu, schloss die Welt aus. Ich dachte an Dag und fragte mich, was er in dieser Situation getan hätte. Das war einfach. Er hätte sich seiner Angst gestellt und sich in die Schlange eingereiht, hätte vielleicht sogar ein paar Leute angerempelt und sich lautstark vorgedrängelt. Allerdings war er ein erfundener Wikingerheld, der ausschließlich meiner total überspannten Fantasie entsprungen war.
Ich zog eine Locke meines schmuddelig blonden Haars über die Narbe, drehte mich wieder um und entdeckte Jins vertrauten, dunklen Schopf ganz vorn – etwa hundert Menschen vor mir. Mit seinen auffallend leuchtend violetten Haarspitzen war er nicht zu übersehen. Ich konzentrierte mich also ausschließlich auf die wippenden lila Haarbüschel und erreichte ihn genau in dem Augenblick, als die Schlange sich wieder in Bewegung setzte. Jin lächelte mich an, als ich schließlich vor ihm stand.
Bin froh, dass du da bist, bedeutete er mir in Gebärdensprache.
Jin hatte eine Menge Zeit und Mühe investiert, um die Gebärdensprache während der Highschool-Zeit zu erlernen, und das hatte sich bewährt. Mittlerweile fiel es mir leicht, seine etwas steifen Körperbewegungen zu verstehen, und ich bestand nicht mehr darauf, dass er sprach, damit ich ihm die Worte von den Lippen ablesen konnte. Mit Lippenlesen kam ich sehr gut klar, aber trotzdem war es manchmal auch toll, wenn sich jemand auf Gebärdensprache verstand. Beim Lippenlesen konnte buchstäblich einiges dazwischenkommen – wie zu viele Schatten, nicht genug Beleuchtung oder zu viel Bart.
Keine Ahnung, warum wir hier sind, bedeutete ich Jin. Ich habe zu Hause doch schon zwanzig Exemplare.
Weil du unter Leute musst. Wie sollst du sonst ohne mich auf dem College überleben?
Am liebsten hätte ich entnervt die Augen verdreht. Es war kein Wunder, dass er bald auf die angesehene Juilliard School gehen würde, um dort Theater zu studieren – Jin und Drama passten nämlich zusammen wie Schokolade und Erdnussbutter.
Ich schreibe, gestikulierte ich. Was soll ich mit Menschen, solange ich meinen Laptop habe?
Du bist ein hoffnungsloser Fall.
Ich zuckte die Achseln und zeigte auf die Schlange, die langsam weiter vorrückte. Schrittweise schoben wir uns an den dunklen Läden vorbei und auf die hell erleuchtete Buchhandlung namens Bookworm zu. Ich musste unwillkürlich lächeln, als ich den grünen Wurm entdeckte, der sich durch die »o’s« über der Tür schlängelte. Schon als Kleinkind war ich oft in diesem Laden gewesen, hatte meine Mom angebettelt, mir jedes einzelne Bilderbuch im Regal zu kaufen. Der Bookworm war wie mein zweites Zuhause.
Als wir es endlich bis nach drinnen geschafft hatten, stockte mir der Atem. Der Geruch nach neuen Büchern, Teenagerschweiß und Klimaanlage war überwältigend. Im hellen Licht der Neonröhren musste ich blinzeln und straffte die Schultern. Der normalerweise so ruhige Laden war jetzt rammelvoll: Eine Unmenge von Leuten hasteten zwischen den Regalen umher oder eilte zur Kasse. Es war so eng, dass ich kaum Luft bekam, und ich warf einen sehnsüchtigen Blick Richtung Ausgang.
Der Bookworm war anlässlich der Neuerscheinung des Buches echt aufs Ganze gegangen: Große, von der Decke hängende oder an den Enden der Bücherregale angebrachte Plakate verkündeten Viking Moon 3: Stock und Stein, und Nachbildungen der Schiffe flankierten den Eingang zum Jugendbuch-Bereich. Sie hatten sogar Schauspieler engagiert, die Thora und Dag spielten, und das Paar stand zu beiden Seiten der Boote, begrüßte Kunden und posierte für Fotos.
Ich blickte zu Boden: Eine Welle von Stolz durchflutete mich, die meine Nerven einen Augenblick lang beruhigte. Keiner hier wusste es – aber all diese Leute waren meinetwegen hier.
Jin zupfte mich am Ärmel, damit ich ihn ansah. Der Laden war so voll, dass kein Platz für Gebärdensprache war, also sagte er: »Das ist der Wahnsinn!«
Ich riss die Augen auf und schüttelte ungläubig den Kopf. »Verrückt.«
Er zog mich zu einem Regal hinüber, aus dem so schnell jede Menge Exemplare von Stock und Stein verschwanden, dass man kaum mitkam. Jin schnappte sich eines der letzten Bücher und hielt es triumphierend in die Höhe.
»Egal wie viele davon noch rauskommen, ich kann immer noch nicht glauben, dass du sie geschrieben hast«, sagte er. Mein Herz setzte einen Schlag lang aus. Ich packte seinen Arm und sah mich nervös um, und dann wieder zu Jin. Der grinste breit. »Keine Sorge, du Psycho. Ich hab nur geflüstert.«
»Danke«, murmelte ich.
»Obwohl«, sagte er, »wenn ich mit sechzehn eine Bestsellerserie geschrieben hätte, würde ich es ganz sicher überall rumerzählen.«
Nein danke, gestikulierte ich. Ich hatte schon vor drei Jahren keine Lust, irgendwem davon zu erzählen, und das ist heute nicht anders.
»Also haben auch jahrelange Tantiemenzahlungen und weltweite Anerkennung nichts geändert?«
»Nein.« Ich befühlte wieder meine Narbe. »Absolut nichts.«
»Wie ich schon sagte. Hoffnungsloser Fall.«
Er schob mich sanft durch die Menge, damit wir uns an der Kasse anstellen konnten. Ich nahm ihm das Buch aus der Hand und ließ die Finger über das Cover gleiten, bewunderte den kunstvollen Einband. Der Grafiker hatte ein perfektes Abbild von Thora geschaffen – ihr rotes Haar umloderte sie wie Feuer, sie hielt ihr Schwert fest in der Hand und warf Dag ein sinnliches Lächeln zu, einem muskulösen Schrank von einem Mann mit nackter Brust. Auf dem Kopf trug er den traditionellen, behörnten Wikingerhelm und ein Fell um seine Taille. Beim reinen Anblick des Verlangens in seinem Blick überzog sich mein Gesicht mit einer heißen Röte und rief in deutlich weiter unten gelegenen Körperregionen ein leichtes Kribbeln hervor.
Ich fuhr über die Schrift am unteren Rand des Einbandes. Dort stand mein Künstlername in erhabenen Lettern: Aubrey Lynch. Ich drehte das Buch um und warf einen Blick auf die Autorenbiografie auf der Rückseite.
Aubrey Lynch lebt in Fernbrooke, Ohio. Wenn sie nicht schreibt, fährt sie Wasserski und liebt Wandern. Sie ist die Bestsellerautorin der Viking Moon-Serie, die in Kürze verfilmt wird.
Ich runzelte die Stirn. Der erste Teil stimmte. Ich lebte tatsächlich in meiner Heimatstadt Fernbrooke, wo ich bestimmt auch sterben würde – ich hatte nie den Drang verspürt, dem Ruf der Großstadt zu folgen. Aber alles andere … na ja, auf Wasserski war ich in Wirklichkeit noch nie so richtig scharf gewesen. Und auf der einzigen Wanderung meines Lebens hatte ich mich dermaßen hoffnungslos verirrt, dass ich schon befürchtet hatte, nach dem Genuss giftiger Beeren irgendwo in den Wäldern zu krepieren. Aber Gott sei Dank gab es ja Handys und Jin.
Jemand berührte meine Schulter. Jin zog die dunklen Augenbrauen missbilligend zusammen und tippte auf die Autorenbiografie.
»Ich verstehe ja total, warum du ein Pseudonym und eine falsche Biografie benutzt«, sagte er. »Aber ich werde nie verstehen, warum du auch ein gefaketes Foto reingesetzt hast.«
Er hatte ja recht. Über dieser lächerlichen Biografie, die im Großen und Ganzen erstunken und erlogen war,...




