Joubert | Ein Zuhause in Afrika | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 432 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 215 mm

Joubert Ein Zuhause in Afrika


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96362-828-3
Verlag: Francke-Buch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 432 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 215 mm

ISBN: 978-3-96362-828-3
Verlag: Francke-Buch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



London, 1940: Wie viele andere Londoner Kinder wird Charles von seinen Eltern zu Verwandten aufs Land geschickt. Dort ist er vor den feindlichen Bomben sicher. Beim Abschied ahnt er nicht, dass die Zeit bei seiner hochbetagten Tante die glücklichste seines bisherigen Lebens sein wird. Doch was soll aus ihm werden, als die Tante immer gebrechlicher wird?

Berlin, 1940: Oswald von Stein ist von der Überlegenheit der Deutschen überzeugt und zieht begeistert in den Krieg an die Ostfront. Bis zuletzt hält er an seiner nationalsozialistischen Gesinnung fest und ist bereit, für Volk und Vaterland Opfer zu bringen.

Beide, der inzwischen verwaiste dreizehnjährige Charles und der ehemalige deutsche Major müssen nach dem Krieg wieder ganz von vorn beginnen. Wird es diesen zwei so unterschiedlichen Menschen gelingen, sich im fernen Südafrika eine neue Existenz aufzubauen? Zum Glück gibt es da noch Mentje und die zurückgezogen lebende Miempie. Werden diese beiden einen Zugang zum Herzen von Charles und Oswald finden?

Der Leser nimmt die Perspektive eines unschuldigen Kindes und die eines verblendeten Majors ein und schwankt zwischen Mitgefühl und Widerwille, Betroffenheit und blankem Entsetzen. Großartige Erzählkunst.

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Weitere Infos & Material


1. Kapitel London 1939 Was Krieg ist, weiß Charles ganz genau. Das ist, wenn irgendwo weit weg Soldaten mit Gewehren und Kanonen aufeinander schießen. Sie schießen sich gegenseitig in Fetzen und anschließend flickt sie seine Mutter wieder zusammen. Deshalb muss sie auch im Krankenhaus wohnen. Krieg bedeutet, dass alle ihre Fenster mit schwarzem Papier zukleben müssen, damit die Flugzeuge einen nicht sehen können. In der Schule hat Miss Wilson ihnen Bilder von diesen Flugzeugen gezeigt. Charles sucht jeden Tag den Himmel ab, aber bisher ist noch kein Flugzeug hierhergekommen. Krieg bedeutet, dass man immer seine Gasmaske in einem Beutel um den Hals mit sich herumtragen muss. Große Gasmasken für große Leute, kleine für Kinder, und Babys haben Gasmasken, mit denen sie aussehen wie Tiefseetaucher. Dann muss die Kinderfrau sie tragen, weil ihre Köpfe durch die Masken so groß werden, dass sie nicht mehr in den Kinderwagen passen. Ansonsten geht das Leben seinen gewohnten Gang. Er geht in die Schule, nachmittags spielt er, sein Vater geht auf die Arbeit und Miss Davis hält das Haus in Ordnung. Sonntags kommt seine Mutter in der Regel für einen Besuch vorbei. Miss Davis brät dann Fleisch mit Kartoffeln im Ofen, das nennt man einen Sunday roast. Miss Davis redet komisch und ist sehr streng, aber sie kann gut kochen. Montags kommt sie nie. Dann bringt sein Vater selbst das Essen für sie mit, so etwas wie fish ’n’ chips oder bangers ’n mash. Die Freunde von Charles haben fast alle einen Vater, der Schießen lernt. Manche von ihnen sind schon weggegangen, um im Krieg zu kämpfen, andere gehen demnächst. Charles’ Vater sagt, dass er dort bleibt, wo er ist, schließlich muss er bei den Londoner Elektrizitätswerken dafür sorgen, dass der Strom fließt. Er arbeitet in einem großen, brandneuen Gebäude am Ufer der Themse. Große Schiffe löschen da ihre Ladung von Steinkohle, aus der wird dann Strom gemacht. Charles liebt Scherze und Spiele, aber wenn ihn jemand aufziehen möchte, ist er sofort bereit, sich mit seinen Fäusten zur Wehr zu setzen. »Alle anderen Väter gehen kämpfen«, hat letztens noch ein Freund zu ihm gesagt, »nur deiner nicht, der ist zu alt.« Charles’ Wangen sind röter geworden, als sie es normalerweise sind. »Das ist nicht wahr, das weißt du ganz genau. Mein Vater muss hierbleiben, er muss nämlich Strom machen. Oder willst du heute Abend lieber im Dunkeln sitzen? Hä? Willst du das?« Er ist froh, dass sein Vater nicht kämpfen gehen muss, sonst müsste er die ganze Zeit bei Miss Davis wohnen. Und das wäre mit Sicherheit kein Zuckerschlecken. Nicht nur die Väter gehen weg, in der Schule sind eine ganze Menge Kinder ebenfalls verschwunden. Die sind natürlich nicht kämpfen gegangen, sie sind einfach weg. »Ich werde von jetzt an bei meiner Oma in Whitby wohnen«, verkündet Harry, der neben ihm die Schulbank drückt. »Da, wo Kapitän Cook gewohnt hat.« Das ist keine gute Nachricht. »Warum?« »Weil er da geboren wurde.« »Nein, Mann. Warum ziehst du dahin?« »Weil die Krauts London bombardieren werden.« Das ist erst recht keine gute Nachricht. »Werden die Deutschen London wirklich bombardieren?«, fragt Charles an diesem Abend seinen Vater. Der bekommt das zunächst nicht mit, denn er sitzt gerade neben dem Radio und lauscht dem Sprecher aufmerksam. Als er noch kleiner war, hat Charles immer gedacht, dass dieser Mann mit der Kratzstimme dort wohnt, da in diesem Holzkasten, der vorn so gewölbt ist. Jetzt ist er schon groß und weiß, dass ein Radio genauso funktioniert wie ein Telefon und dass dieser Mann irgendwo weiter weg sitzt. Wenn sein Vater Radio hört, sieht er immer ernst und besorgt aus. Charles versucht dann immer wieder einmal, ihn zum Lachen zu bringen, aber das gelingt ihm nie, sein Vater wird dann einfach nur böse. Dieses Mal hält Charles sich lieber mit seinen Albernheiten zurück, schließlich ist das keine Sache, über die man Witze machen sollte. »Werden die Deutschen …« »Auf keinen Fall. Und jetzt sei still, ich will das hören.« Das Radio sagt, dass die Deutschen ein Schiff torpediert haben, das auf dem Weg von Glasgow nach Kanada gewesen ist, und dass dabei hundertzwölf Menschen ums Leben gekommen sind. »Was heißt ›torpediert‹?« »Mit einem Torpedo beschossen.« »Oh. Und wo ist Glasgow?« »In Schottland. Putz dir jetzt die Zähne, es ist schon spät.« Immer wenn die großen Leute nicht wissen, was sie mit einem anfangen sollen, sagen sie einem, dass man sich die Zähne putzen soll. * * * Mit seinem Vater wohnt Charles in einem großen Appartementgebäude im Zentrum von London. Es befindet sich in der Nähe der Arbeitsstelle seines Vaters und bis zur Schule von Charles ist es auch nicht weit. Miss Davis wohnt eine ganze Ecke weiter weg, im East End. Sie kommt jeden Tag mit der Straßenbahn und davon bekommt sie dicke Füße. Sie kommt schon früh am Morgen und zieht dann mit einem tiefen Seufzer ihren schwarzen Mantel aus und legt ihren Schal ab. Diesen schwarzen Mantel trägt sie immer, selbst wenn es draußen noch so warm ist. Ihre Wohnung hat zwei Etagen. Unter der Treppe ist ein geheimes Zimmer. Zuerst fand Charles das ein bisschen gruselig, bis er gesehen hat, dass das einfach nur ein tiefer Schrank war, in dem Miss Davis die Besen und die Staubtücher aufbewahrt. Anschließend ist es sein Geheimversteck geworden. Charles hat ein eigenes Schlafzimmer mit einem großen Bett, einem Kleiderschrank, einer Kiste mit Spielzeug und einem Schaukelpferd. Auf seinem Bett sitzt Mr Bär. Mr Bär hat eine rote Kordel um den Hals, einen weichen Körper und eines seiner Augen ist nur noch lose befestigt. Er schläft immer bei Charles im Bett. In der einen Ecke seines Zimmers befindet sich ein offener Kamin, in dem Miss Davis an kalten Tagen Feuer macht. Dabei seufzt sie immer ganz besonders viel. In Charles’ Schule gehen nur Jungen. Darüber ist er froh, schließlich heulen Mädchen wegen jeder Kleinigkeit und sind Petzen. Das weiß er, weil er manchmal mit Olivia spielt, die in der Nachbarschaft wohnt. Wenn er dann nicht das macht, was sie will, erzählt sie Miss Davis Lügen über ihn und dann muss er das Kupfer polieren, ohne sich sein weißes Hemd schmutzig zu machen. Deswegen spielt er nicht gerne mit Olivia. Sein bester Freund heißt Noah. Der heißt genauso wie der Mann, der die Arche gebaut hat, sie sind aber trotzdem nicht miteinander verwandt. Noah ist älter als Charles, aber nicht größer. Charles ist groß und hat auch gute Augen, weil er immer seinen Teller leer isst, selbst wenn es Karotten gibt. Seine Mutter legt ganz großen Wert darauf, dass er gesundes Essen zu sich nimmt. Zusammen mit Noah erkundet er alle Ecken und Winkel in der Nachbarschaft. Solange er vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause ist, kümmert es Miss Davis nicht, was er macht. »Denkst du auch, dass die Krauts London bombardieren werden?«, fragt Charles seinen Freund. »Das hoffe ich«, antwortet der. »Das wird bestimmt ein hübsches Feuerwerk.« So hat Charles die Sache noch gar nicht betrachtet. »Aber wenn nun eine Bombe auf unser Haus fällt?« »Das passiert schon nicht, Mann. Die bombardieren doch nur Fabriken, in denen Bomben und Kugeln gemacht werden. Das wird einen richtig tollen Knall geben und dann siehst du überall Funken und Raketen, bis ganz weit hinauf zu den Sternen.« Früher war Harry aus der Schule sein bester Freund, aber der wohnt ja jetzt bei seiner Oma. * * * Krieg bedeutet ebenfalls, dass sich sein Vater und seine Mutter öfter streiten als zuvor. Es ist, als wäre der Krieg auch in dieses Haus gekommen. Sie zanken sich über alles und jedes. »Du musst dafür sorgen, dass sich das Kind gesünder ernährt«, befiehlt seine Mutter. Oder: »Kannst du dem Kind nicht beibringen, auch mal ›Danke‹ zu sagen?« Oder sie streiten sich über die Arbeit seiner Mutter. »Warum gerade ein Militärlazarett, Margaret? Warum ausgerechnet jetzt, unter diesen Umständen?« »Erstens würdest du es ja doch nicht verstehen und zweitens geht es dich auch gar nichts an.« »Du bist aber immer noch die Mutter meines Kindes.« »Das bedeutet aber nicht, dass du mich herumkommandieren kannst.« Sie zanken sich auch über ihn. Das passiert vor allem wegen seiner Mutter – die weiß immer alles besser, genau wie Olivia. »Was soll das? Du musst doch sowieso wegen deiner Arbeit in London bleiben. Warum willst du das Kind also wegschicken?« »Es ist nicht unwahrscheinlich, dass London bombardiert wird.« Charles hätte gern erklärt, dass die Deutschen ihre Bomben nur auf Fabriken werfen, in denen Kanonen produziert werden, aber er ist schon einmal weggeschickt worden, um sich die Zähne zu putzen. Wenn er jetzt seinen Mund aufmacht, muss er mit Sicherheit sofort ins Bett. Charles behagen solche Gespräche überhaupt nicht. Überall wird im Augenblick von Evakuationen geredet, egal wo er hinkommt. Sogar in der Schule und auf der Straße. An den Laternenpfählen in der Umgebung der Schule hängen Plakate. Auf einem zeigt ein Polizist auf einen Jungen in Schuluniform und sagt: »Du musst weg aus London!« Auf einem anderen steht mit...


Joubert, Irma
Irma Joubert ist Historikerin und lebt in Südafrika. Sie war 35 Jahre lang Lehrerin. Nach ihrer Pensionierung fing sie mit dem Schreiben an. Über ihre Heimat hinaus haben sich ihre Romane auch in den Niederlanden, den USA und in Deutschland zu Bestsellern entwickelt und sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.



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