Buch, Deutsch, 490 Seiten, Format (B × H): 144 mm x 221 mm, Gewicht: 684 g
Buch, Deutsch, 490 Seiten, Format (B × H): 144 mm x 221 mm, Gewicht: 684 g
ISBN: 978-3-96362-001-0
Verlag: Francke-Buch GmbH
Niederlande, 1943: Mentje de Vries ist 9 Jahre alt, als ihr Vater verhaftet wird, weil er Juden versteckt hat. Erst harrt sie allein auf dem väterlichen Bauernhof aus, doch als die Soldaten wiederkommen, weiß sie: Sie braucht Hilfe. Aber
wem kann sie trauen?
Der Einzige, der ihr einfällt, ist der Anwalt, der die jüdische Familie bei ihnen versteckt hat. Er bringt Mentje im »Versteckten Dorf« unter, einer geheimen Ansammlung von Häusern im Wald, in der Juden unterstützt von Widerständlern
den Krieg zu überleben hoffen. Mentje taucht ein in eine völlig fremde Welt, immer hoffend, dass ihr Vater wiederkommt. Als sie einem alliierten Soldaten das Leben
rettet, ahnt sie nicht, dass dies für sie der Anfang eines wunderbaren Weges ist ...
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1. Kapitel
Bosveld, Südafrika, 1933
Erbarmungslos brennt die Sonne vom wolkenlosen Himmel herab. Im Pferch wirbeln die Hufe der Kühe solche Wolken von Staub auf, dass die Gruppe von Menschen, die danebensteht, davon vollkommen eingehüllt wird. Die Stimme des Auktionators dröhnt über alles hinweg.
Nirgendwo ist ein Grashalm zu entdecken. Wie eine Leiche liegt das kahl gefressene Land vor ihnen. Zum ersten Mal seit Menschengedenken ist auch der Wasserlauf völlig ausgetrocknet.
Tinus presst seinen schmächtigen Rücken gegen die getünchte Mauer und drückt seine nackten Füße fest in den heißen Sand. Seine Augen sind auf den Pferch gerichtet, weg von den Feldern.
Vor zwei Wochen ist er mit seinem Großvater das ganze Terrain noch einmal abgegangen – langsam, es hat einen ganzen Tag gedauert. Gegen Sonnenuntergang hat sein Opa gesagt: „Wir schaffen es einfach nicht mehr.“
Tinus hat es zunächst nicht verstanden.
Jetzt schon.
Die Beiwohner sitzen ein bisschen abseits: Der Mann ist in sich zusammengesunken und weint, neben ihm seine Frau mit ihrem plumpen Körper und ihrem einfältigen Gesicht. Auch sie weint. Ein Häufchen Elend.
Tinus schaut in eine andere Richtung. Wenn die beiden bloß verschwinden würden! Wenn sie nur in ihr eigenes Haus gingen und dort blieben!
Irgendwo im großen Haus ist Oma. „Dieser Tag heute wird mich noch umbringen“, hat sie am frühen Morgen gesagt. Ihre Lippen sind dünn und bleich gewesen und ihre Stimme hat sich flach angehört.
Nur Tinus und sein Großvater sind starrköpfig genug gewesen, um hinzugehen und zuzuschauen. Jetzt sitzt Opa in seinem glänzend gebügelten Sonntagsanzug neben ihm auf einem Küchenstuhl, die verloschene Pfeife in seinen groben Händen. Sein Hals ist abgemagert. Beinahe sieht er aus wie ein Erdmännchen.
Der Auktionator wischt sich den Schweiß von seinem dicken Nacken und versteigert die ausgemergelten Kühe einfach alle en gros.
„Warum bietet denn niemand?“, erkundigt sich Tinus. Es kommt zu laut und zu schrill aus ihm heraus. Manchmal lässt ihn seine Stimme schon im Stich.
„Keiner hat noch irgendwelche Weidegründe.“ Die Stimme seines Großvaters ist noch so kräftig wie immer. „Die Käufer warten einfach ab und dann kauft einer den ganzen Krempel für ’nen Appel und ’nen Ei.“
Um ein Uhr kommt Großmutter und bringt ihnen Kaffee und Brote. „Kommt doch rein. Es ist so heiß.“
„Nein, ich bleibe hier“, antwortet Großvater.
„Ich auch“, erklärt Tinus.
Sie laden die letzten Gegenstände auf den Wagen von Onkel Grootgert: Bettgestelle, Geschirr, Küchengeräte. Die Zelte. Den Küchentisch mit den vier Stühlen. Eine Wäschetrommel mit Kleidungsstücken und Bettwäsche, ganz oben darauf die Bibel. Jetzt schaut es so aus, als würden sie einfach nur für das Abendmahlswochenende ins Dorf fahren.
Dann sieht Tinus sie kommen, vom anderen Ende des leeren Pferchs: die Beiwohner. Der Mann trägt einen verschlissenen Koffer in der einen und seinen Geigenkasten in der anderen Hand. Unter seinem Arm klemmt ein gerahmtes Bild. Die Frau balanciert ein Bündel Bettwäsche auf dem Kopf. Genau wie eine Waschfrau.
„Kommen die auch mit?“, will Tinus wissen.
„Was hast du denn gedacht?“, antwortet sein Großvater, während er den Gurt um das kupferne Bettgestell noch etwas strammer anzieht.
Letzte Woche während der Versteigerung hat sich Tinus mehr als je zuvor für diese Menschen geschämt. Die ganze Zeit über hat er gefürchtet, dass dieser Schwachkopf von einem Beiwohner wieder einen von seinen Anfällen kriegen könnte. Er hat gemerkt, wie die Leute aus der Gegend geradezu darauf gelauert haben. Dafür waren sie also gekommen? Nicht um etwas zu kaufen. Sondern nur um zuzusehen, wie der stolze Martinus van Jaarsveld und seine hochmütige Frau vom Sockel gestürzt werden. Um mit eigenen Augen den Mann zu sehen, der manchmal schreiend durch die Gegend rennt. Den bekloppten Simon. Und um sich über den Jungen, der den Familiennamen trägt, das Maul zu zerreißen. Über ihn, Martinus Daniël.
Am Eingangsgatter der Farm steigt Tinus vom Wagen. Zum letzten Mal spürt er den heißen Sand des Bosvelds unter seinen Füßen. Zum letzten Mal wirft er einen Blick über die Landschaft, in der er aufgewachsen ist. Dann öffnet er das Gatter und geht wieder zum Wagen. „Eines Tages kaufe ich die Farm wieder zurück“, verkündet er grimmig. „Ich schwöre es, Opa: Irgendwann wird Buffelspoort wieder in den Händen eines van Jaarsveld sein.“
2. Kapitel
Vierhouten, Niederlande, Juli 1943
Die Sommersonne scheint ihr warm auf den Rücken. Das Gras steht hoch und in frischem Grün, Futter für die Kühe in den kommenden, langen Wintermonaten. Rhythmisch schwingt ihr Vater die lange Sense hin und her, hin und her. Mentje recht das gemähte Heu zu großen Haufen zusammen. Es duftet nach frisch geschnittenen Kräutern und ein bisschen nach Pfefferminze.
„Wo hast du denn deinen Hut?“, will ihr Vater wissen, ohne dabei aufzuschauen. „Ehe du dich versiehst, hast du heute Abend wieder einen Sonnenbrand.“
Mist, ihr Hut! Sie vergisst ihn aber auch ständig!
Doch da bricht in der Nähe des Hauses plötzlich ein großes Durcheinander los. Alle beide schauen mit einem Ruck auf. Mentje sieht das Entsetzen in den Augen ihres Vaters, aber das hält nur einen Augenblick an. „Runter, flach auf den Boden, Mentje, hinter den Heuhaufen! Und keine Bewegung, bis ich dich holen komme“, befiehlt ihr Vater, während er losrennt.
„Warum, Papa?“
„Runter, habe ich gesagt“, ruft er ihr über die Schulter zu. „Ich bin gleich wieder da.“
Sie lässt sich hinfallen und kriecht auf dem Bauch hinter den Heuhaufen. Dort presst sie sich das Kinn auf die Brust und schließt fest die Augen. Der Heuhaufen, den sie eben noch zusammengerecht hat, erscheint ihr mit einem Mal sehr niedrig.
Vom Haus her sind Stimmen zu hören, wütende, kreischende Stimmen. Mentje hält sich die Ohren zu, doch selbst dann hört sie noch, wie das Baby die Gegend zusammenschreit.
Was ist passiert? Hat das Baby sich verletzt? Oder vielleicht der kleine Junge? Ist er womöglich von der Leiter gefallen?
Oder noch schlimmer: Brennt es irgendwo? Im Stall?
Ihr Herz beginnt zu klopfen. Vater hatte bei der Kerze zwischen den Strohballen immer ein schlechtes Gefühl.
Oder ist erneut der Stier aus der Weide ausgebrochen? Genau wie vor zwei Jahren, als ihr Vater beinahe …
Nein. Nein, so etwas geschieht nicht noch einmal.
Oder sind die Soldaten gekommen? Das möchte sie nicht denken, aber sie hat immer Angst gehabt, das Baby könnte weinen, wenn die Soldaten kamen, um Milch oder Eier zu holen. Sie versucht, einen klaren Kopf zu behalten. Das Baby hat doch erst zu weinen angefangen, nachdem der Lärm beim Haus schon losgebrochen war, oder? Ja, mit Sicherheit. Also können es nicht die Soldaten sein.
Oder vielleicht doch?
Mentje hat nie Angst vor den Soldaten gehabt. Seit Anfang des Krieges hat man sie auf der Straße gesehen, in Nunspeet und sogar in Vierhouten. Möglichst unauffällig hat sie sie immer beobachtet, wenn sie auf dem Weg zur Schule war, und wenn sie sie hat kommen sehen, hat sie meistens die Straßenseite gewechselt. Wirklich Angst hat sie nie gehabt.
Doch seitdem die Familie Friedman bei ihnen eingezogen ist, ist das ganz anders geworden.
Eines Abends hat ihr Vater fast schon beiläufig gesagt: „Mentje, ich muss etwas mit dir besprechen.“
Es war ein kalter Winterabend gewesen, Anfang des Jahres. Vater hat noch einen Scheit Holz ins Feuer geworfen, sich in seinen Lehnstuhl gesetzt und die Beine ausgestreckt, sodass die Füße dicht am warmen Ofen waren. Draußen hat ein eisiger Wind geweht. „Es kommt einem vor wie am Nordpol“, hat Mentje festgestellt, während sie ihrem Vater einen Becher Kaffee eingeschenkt hat. Für sich selbst hat sie ein Glas warme Milch geholt.
Geduldig hat sie abgewartet.
„Die Familie Friedman muss sich im Durchgangslager Westerbork melden“, hat ihr Vater schließlich verkündet.
Mentje hat gespürt, wie sie unruhig wurde. Sie hat diese Familie nicht gekannt; sie hat nur gewusst, dass ihr Vater täglich ein paar Kannen Milch in deren Geschäft in Nunspeet abliefert. Allerdings ist letztes Jahr die Oma eines Jungen aus ihrer Klasse nach Westerbork gebracht worden und seitdem haben sie nichts mehr von ihr gehört. „Was passiert eigentlich mit den Menschen, die nach Westerbork gebracht werden, Papa?“
Nachdenklich hat sich ihr Vater mit seinem Zeigefinger durch den Bart gewühlt. „Das weiß keiner genau. Wahrscheinlich werden sie von dort aus in eines der deutschen Arbeitslager im Osten gebracht.“
„Das ist doch nicht gut, oder?“
Ihr Vater hat den Kopf geschüttelt und in den Ofen gestarrt.
Ihre Unruhe ist immer weiter angestiegen. Eine Vermutung begann sich in ihr festzusetzen. „Möchtest du der Familie Friedman helfen?“
„Herr Friedman hat einen Neffen in England, der versucht sich darum zu kümmern, dass die ganze Familie dorthin kann. Ich habe ihnen angeboten, dass sie bei uns wohnen können, bis sie wegkönnen.“
„Untertauchen.“ Mentje hat das Wort schon einmal in der Schule gehört.
Ihr Vater hat ruckartig zur Seite geblickt; seine Augen haben wachsam ausgesehen. „Tja, nun. Untertauchen, das ist es wohl.“
Aber das geht doch gar nicht, wir haben doch nur ein Schlafzimmer, hat Mentje gedacht. Ihr Vater hat ihr immer versprochen, dass er ein Zimmer für sie anbauen würde, sobald sie zwölf wäre. Jetzt war sie jedoch erst neun und schlief im Schlafzimmer ihres Vaters. „Wo sollen sie denn dann schlafen?“
„Nun … Vielleicht können wir auf dem Dachboden einen Schlafplatz einrichten. Und wenn sie sich unsicher fühlen, können sie tagsüber auch dort sitzen.“
„Auf dem Heuboden im Stall?“, hat Mentje überrascht gefragt. „Die Leiter hinauf? Da, wo wir die Strohballen lagern?“
„Wir könnten die Strohballen etwas zusammenschieben und so an der Vorderseite eine Art Barrikade errichten“, hat ihr Vater erwidert. „Dann sieht man vom Stall aus nur die Strohballen.“
„Aber da kann man doch nicht schlafen!“
„Wenn er damit dem Tod von der Schippe springen kann, ist ein Mensch zu vielem in der Lage. Da oben ist es einigermaßen gemütlich, das ist sicher auch nicht ganz unwichtig.“
Das ist bestimmt wahr, hat Mentje gedacht. Der Stall ist fest ans Haus angebaut; nur eine Wand trennt ihn von der Küche. Auf diese Weise hält der Ofen den ganzen Winter über auch die Tiere ordentlich warm.
„Es ist ja auch nur für eine Übergangszeit, bis sie nach England können.“
„Ja …“ Das wird nichts, hat sie gedacht. Ihr Vater hat mal wieder irgendwelche Luftschlösser gebaut.
Ihr Vater hat sehen können, was sie gedacht hat, schließlich kannte er sie genauso gut wie sie ihn. „Mentje, das sind unsere Nächsten und sie brauchen uns. Als Christen sind wir verpflichtet, den Menschen aus Liebe zu helfen.“
Der barmherzige Samariter, hat Mentje überlegt. „Ja, Papa“, hat sie gesagt und dabei geseufzt, damit ihr Vater ruhig merken konnte, dass sie es eigentlich besser gewusst hat.
„Wir haben hier auf dem Bauernhof genug zu essen, um sie ein paar Wochen lang versorgen zu können. Sonst verändert sich gar nichts.“
„Das ist nicht wahr. Dadurch wird alles anders und das weißt du ganz genau.“
Er hat seine grobe Hand auf ihren Kopf gelegt. „Du wirst schnell groß, mein Mädchen.“
Was du nicht sagst! „Ich gehe ja auch schon in die fünfte Klasse!“
Einen Augenblick lang hat er sie verdutzt angesehen und den Kopf ganz leicht geschüttelt, so als habe er es beinahe nicht glauben können. „Das ist auch wahr. Denk daran, Mentje, niemand darf erfahren, dass die Familie Friedman hier wohnen wird, ist das klar?“
„Das weiß ich.“
An diesem Abend hat Mentje lange und ernst dafür gebetet, dass Gott ein besseres Versteck für die Familie Friedman finden möge. Nicht, dass sie auch einfach so an ihnen vorbeigehen wollte, so wie das der Priester und der Levit gemacht haben. Es sei schlichtweg nur nicht so schön für die Familie, wenn sie auf dem Heuboden wohnen müsste, der Herr wisse doch selbst, wie es da aussähe.
Tief in ihrem Herzen hat Mentje allerdings gewusst, dass sie einfach nur keine Lust hat, diese fremden Leute in dem Haus aufzunehmen, in dem sie mit ihrem Vater wohnt.
Und das hat der Herr natürlich auch ganz genau gewusst.
Am darauffolgenden Abend war die Familie angekommen. Frau Friedman hat recht jung ausgesehen, so als wäre sie kaum älter als die Mädchen auf der Mittelschule in Nunspeet. „Guten Abend, ich bin Daniela.“ Sogar ihre Stimme hat jung geklungen.
Sie hat ein Baby auf dem Arm getragen und einen kleinen Jungen an der Hand gehabt. Hinter ihr ist Herr Friedman hereingekommen, der unter einem Stapel Decken beinahe verschwunden war.
Alle trugen sie den großen gelben Davidsstern, sogar das Baby.
Schon am ersten Abend hat Mentje sich gewünscht, dass sie wieder weggehen. Das war zweifellos sehr gemein von ihr, aber sie hat nichts dagegen machen können – das hat sie nun einmal gefühlt.
Auf ihren Vater ist sie wütend gewesen. Das war sicher auch verkehrt, denn man muss ja seine Eltern ehren. Doch ist nicht eigentlich ihr Vater schuld an ihrer Sünde gewesen? An beiden Sünden?
Ihr Vater hat der fremden Familie geholfen, alles die Leiter hi-nauf auf den Dachboden zu bringen. „Meiner Meinung nach haben sie es dort nachts einigermaßen komfortabel“, hat er erklärt und dann – eine ganze Weile nach dem Abendessen – haben sie noch in der Bibel gelesen und gebetet. Ihr Vater hat lang und ernst gebetet, doch Mentje hat nicht gehört, was er gesagt hat. Auch lange nachdem er „Amen“ gesagt hat, hat sie noch mucksmäuschenstill dagesessen.
„Was ist denn, Mentje?“
„Mir gefällt es nicht, dass sie hier sind.“
Ihr Vater hat genickt und seine Arme weit geöffnet. „Komm, setz dich ein bisschen zu mir.“
Sie hat ihr Gesicht an seine Brust gedrückt und er hat ihr seine große Hand auf den Kopf gelegt und sie mit seinen Armen fest an sich gepresst. „Das weiß ich, Mentje. Aber es ist nur für kurze Zeit, für eine oder zwei Wochen“, hat er sie unbeholfen zu trösten versucht.
Aus den beiden Wochen wurden jedoch zwei Monate, dann vier Monate, dann sechs. Monate, in denen Mentje immer mehr begriffen hat, wie gefährlich es war, Juden zu verstecken.
Und jetzt das?
Nein, das können keine Soldaten sein, versucht sie sich selbst zu überzeugen. Dann hätten wir doch ihre Fahrzeuge gehört. Die hört man immer schon von ferne ankommen.
Mit gespitzten Ohren liegt sie da und lauscht. Hört sie da einen Lastwagen? Nein, es kann auch einfach nur ein anderes Auto sein, das da über den Feldweg rappelt.
Langsam versinkt die Sonne. Es ist still; selbst die Kühe und die Hühner geben keinen Laut von sich.
Es wird immer unbequemer auf dem kurz gemähten Gras in ihrem Versteck und ihre Hüfte beginnt zu schmerzen. Als sie sich etwas anders hinlegt, wird es dadurch auch nicht besser. Sollte sie vielleicht herauskriechen und einmal schauen, was los ist? Obwohl ihr Vater gesagt hat, dass sie sich nicht rühren soll, bis er zurückkommt?
Sie bleibt liegen; noch sehr lange bleibt sie liegen. Doch ihr Vater kommt nicht.
Der Geruch des frisch gemähten Grases kitzelt ihr in der Nase und kribbelt ihr in der Kehle. Es raubt ihr beinahe den Atem.
Sie betet ununterbrochen, wieder und wieder dasselbe: „Bitte gib, dass mein Vater wieder zurückkommt.“ Etwas anderes fällt ihr nicht ein.
Inzwischen ist ihr der Arm eingeschlafen, ihre Füße jucken und in ihrem Gesicht krabbelt eine nervige Fliege herum. Sie hat Angst, sich zu bewegen, und wartet lieber darauf, dass Vater sie holen kommt. Er kommt gewiss, das hat er versprochen.
Als die Sonne langsam untergeht, wird das Gras unter ihr feucht.
Doch ihr Vater kommt nicht.