E-Book, Deutsch, 783 Seiten
Jones Die Erbin der Krone
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-001-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Roman | Ein großer Roman über die erste Königin Englands und ihren Kampf um die Macht
E-Book, Deutsch, 783 Seiten
ISBN: 978-3-98952-001-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ellen Jones wurde in New York City geboren, studierte Schauspiel und begann ihre schriftstellerische Karriere mit dem Schreiben von Theaterstücken. Sie lebte mehrere Jahre in London, und entdeckte in dieser Zeit ihr Interesse an der Geschichte Englands und Frankreichs, die sie in ihren großen historischen Romanen über die Dynastie Heinrichs II. verarbeitete. Ellen Jones lebt in Los Angeles. Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre großen historischen Romane »Die Erbin der Krone« und »Die Königin und die Hure«.
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2. KAPITEL
Deutschland, im Jahre 1111
Anfang Mai gelangte Mathilde in die deutsche Stadt Mainz, wo der Kaiser sie erwarten würde, wie man ihr gesagt hatte. Doch als sie zur Vesperstunde in dem tristen Steinpalast vorsprachen, war der Kaiser noch nicht zugegen. Statt dessen empfing sie eine Gruppe steifer Herren in mittleren Jahren, die in düstere graue oder dunkelbraune Gewänder gekleidet waren, und eine zerbrechlich wirkende, dünne Frau, die ein Raubvogelgesicht und einen leichten Schnurrbart hatte. Sie trug ein dunkelgraues Obergewand und auf dem Kopf einen weißen Schleier und betrachtete Mathilde mit strengem Blick. Graf von Hennstien, der sie von England nach Deutschland begleitet hatte, war verschwunden, ebenso wie alle anderen Mitglieder ihrer Reisegesellschaft einschließlich Aldyth. Niemand gab ihr eine Erklärung, und als sie eine Frage stellte, antworteten sie auf deutsch, was Mathilde nicht verstand.
Man reichte ihr ein Stück schwarzen Brotes, das in warme Milch eingetaucht war, und schickte sie dann in eine große, feuchte Schlafkammer, an deren Wänden dunkelrote und blaue Tapisserien hingen, die die Folterung von Märtyrern zeigten. Die Folterszenen waren so eindringlich dargestellt, daß Mathilde sich die Decke über den Kopf zog. Sie umklammerte den silbernen Ring, den ihr Vater ihr gegeben hatte, und weinte sich leise in den Schlaf.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, war noch immer nichts von Aldyth zu sehen. Krank vor Angst und Verunsicherung, verkroch sie sich unter die pelzbesetzte Bettdecke und wünschte sich von ganzem Herzen, bald wieder in England zu sein. Dieselbe graukleidete Frau, die sie gestern empfangen hatte, trat in die Kammer, sagte etwas auf deutsch und zog ihr dann das safrangelbe Kleid und das bernsteinfarbene Obergewand an, in denen sie aus England abgereist war. Um den Hals legte sie ihr ein mit Perlen geschmücktes goldenes Kreuz, das Mathilde noch nie gesehen hatte, und führte sie über die Wendeltreppe in den Hof hinunter. Der Himmel war mit grauen Wolken bedeckt, die Luft warm und lau. Sie bestiegen eine kleine Sänfte und wurden ein kurzes Stück Weges zu einer großen Kirche getragen, die inmitten eines gepflasterten Platzes stand und deren Glocken gerade zur Prim läuteten.
In der Kirche, in der sich die Meßbesucher drängten, war es kalt und düster. Als Mathilde über den Gang zu ihrem Platz geführt wurde, spürte sie, daß die Leute sich die Hälse verrenkten, um sie zu sehen. Der Duft von Weihrauch, der Gesang des Chors und die feierliche Intonation der Gebete verwirrten Mathilde. Nach dem Ende der Messe wurde sie zum Palast zurückgebracht.
Als sie in ihre Kammer zurückkehrte, erwartete sie dort Graf von Hennstien. Gott sei Dank hatte sie nun jemanden, der normannisches Französisch verstand.
»Wo ist Aldyth?« fragte sie.
»Ich bedaure, Prinzessin, aber Eure gesamte Gefolgschaft wird auf Befehl des Kaisers nach England zurückgesandt werden.«
Mathilde spürte, wie ein eisiger Schauer durch ihren Körper lief. Aldyth sollte weggeschickt werden? Der Kaiser konnte doch nicht so grausam sein. Tränen stiegen in ihren Augen auf, doch sie drängte sie zurück, als ihr der Satz ihres Vater wieder einfiel, wonach es sich für eine Enkelin des Eroberers nicht ziemte zu weinen.
»Warum?« flüsterte sie.
Der Graf blickte unbehaglich in der Kammer umher. »Der Kaiser ist der Ansicht, daß Ihr schneller Deutsch lernen und Euch leichter an die neue Umgebung gewöhnen werdet, wenn Ihr nicht ständig an England erinnert seid.«
»Ich möchte Aldyth wiederhaben«, sagte sie mit erstickter Stimme.
»Ich bedaure, aber das ist nicht möglich. Begreift doch, was für ein Glück Ihr habt. Der Kaiser ist einer der mächtigsten Herrscher, sein Einfluß reicht im Süden bis nach Italien und im Osten bis nach Ungarn.«
Diese Ländernamen sagten ihr nichts. »Ich möchte nach Hause. Sofort.«
»Ich bedaure, aber das geht nicht. Es sind bereits alle Vorbereitungen für die Verlobung getroffen.«
»Dann werde ich danach nach England zurückkehren.«
»Aber Ihr könnt doch nicht nach England zurück, Prinzessin. Nach der Verlobung werdet Ihr in Deutschland leben, die Sprache lernen und Euch mit den Gebräuchen vertraut machen. Wenn Ihr dann mit dreizehn Jahren heiratet, werdet Ihr schon fast eine richtige Deutsche sein.«
Mathilde erwiderte nichts.
»Jetzt eßt. Ihr müßt bei Kräften bleiben. Der Kaiser wird heute vormittag erscheinen. Möchtet Ihr, daß er Euch in diesem mitleiderregenden Zustand vorfindet?«
Mathilde konnte nun ihre Tränen nicht länger zurückhalten und versuchte, sie mit dem Ärmel wegzuwischen.
Der Graf wandte sich an die Frau und sagte etwas auf deutsch. Die Frau nickte, ging zu Mathilde, ergriff sie barsch bei der Hand und führte sie zu einem kleinen Tisch, auf dem sich eine Schale Milch, ein Laib Brot und ein Tablett mit einer Speise befand, die wie gesalzener Fisch roch.
»Eßt«, sagte der Graf. »Dann wird es Euch wieder besser gehen.«
Mathilde schüttelte den Kopf, sie wollte sich nicht auf den bestickten Stuhl setzten. Die Frau packte sie an den Schultern und drückte sie nach unten. Mathilde packte die Wut, als sich ihr Kummer plötzlich in Empörung verwandelte. Sie senkte den Kopf und biß die Frau in die Hand. Die Frau kreischte auf und riß ihre Hand weg.
Mathilde sprang vom Tisch auf, warf die Schale mit Milch auf den Boden, drehte das Tablett mit dem Fisch um und stieß den Stuhl zur Seite. Dann lief sie durch die Kammer und riß die große Eichentür auf. Sie eilte durch den Gang, kam auf der Wendeltreppe fast ins Stolpern, schoß durch den großen Saal, wo überraschte Gesichter sich ihr zuwandten, und lief durch die offene Eingangstür des Palastes. Im Hof wimmelte es von Dienern, Stallburschen und Palastbeamten. Das Tor stand offen, weil gerade zwei Ritter mit weißen Umhängen, auf denen ein rotes Kreuz prangte, hereingeritten kamen. Niemand schien sie zu bemerken. Mathilde lief über den Hof und huschte durch das Tor hinaus.
Sie gelangte in eine schmale, gepflasterte Straße und blieb stehen, unschlüssig, wohin sie sich wenden sollte. Als sie laute Stimmen aus dem Hof vernahm, eilte sie nach links. Köpfe wandten sich um, als sie an einer Gruppe von Männern und Frauen vorüberlief, die sich unterhielten, und dabei fast mit zwei Kindern zusammengestoßen wäre, die mit einer Katze spielten. Die Straße endete plötzlich an einer hohen Steinmauer, und Mathilde wandte sich zu einer anderen schmalen Straße, deren Häuser so dicht beisammenstanden, daß man den grauen Himmel darüber kaum mehr erkennen konnte.
Diese Straße schien kein Ende zu nehmen, doch Mathilde mußte schließlich stehenbleiben, um Luft zu holen. Sie hatte keine Ahnung, wie weit sie schon gelaufen war oder wo sie sich befand. Sie hatte nur daran gedacht, aus dem Palast zu entkommen und Aldyth zu finden. Weiter vorne erblickte sie schwere Eisengitter und Wachen, die auf einer breiten Steinmauer hin und her gingen. Das mußte der Eingang zur Stadt sein. Während sie die Wachen beobachtete, öffneten die Torflügel sich knarrend. Eine Gruppe von Rittern, die ähnlich aussahen wie jene, denen sie am Palast begegnet war, kam herausgeritten. Ihnen folgte eine majestätische Sänfte, deren Vorhänge halb geöffnet waren und die von vier schwarzen Hengsten getragen wurde. Hinter der Sänfte folgte ein weiterer Rittertrupp.
Die Gruppe wandte sich zu der schmalen Straße, und Mathilde drückte sich fest an eine der Haustüren, um nicht entdeckt zu werden. Die Ritter trabten vorbei, auch die Sänfte passierte sie. Dann hörte sie einen scharfen Befehl, und die Sänfte kam mit einem Ruck zum Stehen. Die Ledervorhänge wurden ganz zur Seite geschoben, eine Gestalt lehnte sich heraus und winkte Mathilde.
Langsam ging sie auf die Sänfte zu. Darin erblickte sie einen älteren Mann, ein wenig jünger als ihr Vater, der einen reich bestickten blauen Umhang trug. Unter einer perlenbesetzten Samtmütze fiel strähniges braunes Haar auf seine Schultern. Sein Gesicht war bleich, sein Ausdruck streng, wie der eines Geistlichen, doch seine mit schweren Lidern versehenen Augen blickten sie belustigt und neugierig an.
Er sagte etwas auf deutsch zu ihr und deutete auf das Kreuz, das sie trug. Mathilde schüttelte den Kopf und antwortete in ihrer Sprache, daß sie ihn nicht verstehe. Er zog die Augenbrauen hoch und musterte sie prüfend.
»Nun, mein Kind«, sagte er schließlich in kräftig akzentuiertem normannischem Französisch, »du bist weit weg von zu Hause, nicht?«
Sie nickte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, nachdem der Mann das Wort zu Hause ausgesprochen hatte.
»Es ist keine Schande zu weinen«, sagte er, als er bemerkte, daß sie gegen die Tränen ankämpfte. »Solange du dir das nicht zur Gewohnheit machst. Das ist nicht ungewöhnlich bei jungen Mädchen, soweit ich weiß.«
Mathilde richtete sich stolz auf und hob den Kopf. »Ich bin nicht irgendein kleines Mädchen. Ich bin eine normannische Prinzessin, eine Enkelin von Wilhelm dem Eroberer.«
»Ah, das ist natürlich etwas anderes.« Er winkte sie näher zu sich. »Ich glaube, du solltest am besten zu mir einsteigen.«
Mathilde zögerte, während ihr Herz wild klopfte, stieg dann aber doch ein. Der Mann zog die Vorhänge zu und musterte sie mit unverhohlener Neugier. »Willst mir nicht sagen, warum du ganz allein hier in Mainz umherspazierst?«
Seine Stimme klang unerwartet sanft, und Mathilde konnte nicht umhin, ihm zu erzählen, was sich alles ereignet hatte, seitdem sie am gestrigen Abend im Palast angekommen war. »Und ich hoffte, ich könnte Aldyth finden«, schloß sie, »und dann irgendwie nach England...