E-Book, Deutsch, Band 13, 116 Seiten
Reihe: QueerWelten
John / Stance / Saph Queer*Welten 13-2023 - Das queerfeministische Phantastikmagazin
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95869-430-9
Verlag: Ach je Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 13, 116 Seiten
Reihe: QueerWelten
ISBN: 978-3-95869-430-9
Verlag: Ach je Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Queer*Welten ist ein halbjährlich erscheinendes queerfeministisches Science-Fiction- und Fantasy-Magazin, das sich zum Ziel gesetzt hat, Kurzgeschichten, Gedichte, Microfiction, Illustrationen und Essaybeiträge zu veröffentlichen, die marginalisierte Erfahrungen und die Geschichten Marginalisierter in einem phantastischen Rahmen sichtbar machen. Außerdem beinhaltet es einen Queertalsbericht mit Lesetipps, Veranstaltungshinweisen und mehr.
In dieser Ausgabe:
Rhizom Reloaded von Martina John (Kurzgeschichte)
Die verschwundene Frau von Elisa Saph (Kurzgeschichte)
Morbides Wien von C. N. Stance (Kurzgeschichte)
Hundert Lichtjahre Einsamkeit von Marie Meier (Kurzgeschichte)
Maja, 28, w, Werwölfin von Carolin Lüders (Kurzgeschichte)
Der Regenbogen führt ins Feenreich: Eine intersektionale Rückeroberung der "Anders"-Welt? von C. F. Srebalus (Essay)
Der Queertalsbericht 02/2024 mit Veranstaltungs- und Lesetipps.
Mit Schattengeschichten von: Alex, Charline Winter, Chris Balz, Sammy Heet, Jassi Etter, Jeannie Marschall, Leo Nora Grabner, Mara Schmiedinghoff, Nora Bendzko, Rebecca Reiter, Sarah Jacob, Stefanie Klawitter und Sonja Lemke
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Die verschwundene Frau
von Elisa Saph
Inhaltshinweise
Compulsory Heterosexuality, Patriarchale Gewalt, Masturbation,
Alkohol, bevorstehender Tod von Angehörigen
Tags
wlw, Geister, Urban Fantasy, Übernatürliche Liebe, Großmutter-Enkelin-Beziehung, Moderne Hexen
Die knappe Anzeige im Internet enthält aus gutem Grund keine Fotos, aber bei der Wohnungsbesichtigung fügt sich der mittelmäßige Eindruck zusammen – ein Bad mit Duschwanne, eine schiefe Küchenzeile im Wohnzimmer, ein schmaler Hauswirtschaftsraum im Treppenhaus, in dem ich meinen Staubsauber verwahren könnte, und der Geist einer Frau.
Den Geist bemerke ich als erstes. Die Fenster sind trotz laufender Heizung gekippt, um den Schimmel im Zaum zu halten, und der Wind fließt irgendwie falsch durch das Zimmer. Um die Küchenzeile herum, die ich trotz Fehlfunktionen für fünfhundert Euro Abschlag übernehmen müsste, wabert etwas, das Staub und Licht minimal umleitet.
Bei schärferer Betrachtung ähnelt das Phänomen luftigen Ölschlieren, wegen derer ich die Umrisse des Herds verschwommen wahrnehme. Dort schwebt der Geist, während wir Studentinnen uns durch die kleine Wohnung drücken. Nur Frauen zwischen achtzehn und fünfundzwanzig erwünscht – so hat es Vermieter Karl in der Anzeige ausdrücklich verlangt.
***
Begeistert hat mich der Gesamteindruck nicht – der Schimmel, die Enge, der unangenehme Vermieter, zwei kaputte Herdplatten und der nicht funktionierende Ofen, der Geist. „Andererseits“, rechtfertige ich am Nachmittag vor meiner Oma, „ist die Wohnung sehr zentral, nah an der Uni, und in meinem Budget.“ Ich stecke mir einen ihrer Karamell-Bonbons in den Mund, die ich gerade vom wöchentlichen Einkauf für sie mitgebracht und in einer blattförmigen Schale neben ihrem Pflegebett drapiert habe. Es steht im Wohnzimmer ihres Häuschens, damit sie durch das Terrassenfenster ihrem Garten beim Verwildern zugucken kann.
„Ganz toll, Lili.“ Oma hat einen guten Tag. Sie hat sich ein wenig im Bett aufgesetzt, in dem sie so gut wie jede wache Minute verbringt. Ihre Schultern lehnen an einem verstärkten Kissen. Ihre langen weißen Haare stauen sich am gepolsterten Kopfteil. „Geister sind auch nur Menschen“, sagt sie zu meiner Überraschung. „Menschen, die verschwunden sind.“ Sie runzelt die Stirn. „Du hast dir doch eine Mitbewohnerin gewünscht.“
„Mich würde nicht wundern, wenn Karl sie umgebracht hat.“
„Dann liegt es an dir, sie zu rächen“, sagt sie mit einem ruhigen Lächeln.
„Oma.“ Ich täusche einen Schlag auf ihren Oberarm an, ohne sie tatsächlich zu berühren. Ihre Haut neigt zu Hämatomen.
Dabei lache ich ihre böse Bemerkung weg, wie ich es immer tue, obwohl ich ahne, dass die liebevolle Frau, die mich früher gezwungen hat, bei Erkältungen Zwiebeltrank zu trinken, eine ungeheure Vergangenheit hat. „Du findest also, ich sollte die Wohnung nehmen?“
Für meine Oma ist das keine Frage. „Ein Geist wird dir guttun“, beschließt sie, und da sie mit ihrer Witwenrente für meine Miete aufkommt, rufe ich Karl sofort zurück und sage zu.
***
„Lili.“
Ein Flüstern, das von niemandem stammen kann. Mehrere Monate nach meinem Einzug spricht mich der Geist zum ersten Mal an, und es ist schwer zu ignorieren. Die Schlieren, die mir bereits bei der Besichtigung aufgefallen sind, verzerren auch jetzt ein menschengroßes Puzzlestück in der Luft. Sie befinden sich am Herd, auf dem Herd, während ich knapp daneben mit einem Buttermesser eine Zucchini schneide.
Ich merke, dass ich gezuckt habe. Und tue so, als ob ich mich vor einer Trauermücke erschrocken hätte.
„Lili.“
Es ist gruselig, wie fest die Stimme beim zweiten Mal klingt. Und wie distinkt. Wie von einem Menschen, den es nur ein einziges Mal gibt. Gar nicht wie eine abstrakte Essenz. Eher wie eine Frau, die ich zu mir eingeladen habe und die mir jetzt beim Kochen zusieht.
„Du nimmst mich wahr, oder?“
Ich bohre mit der stumpfen Spitze des Messers durch die widerspenstige Gemüsehaut und produziere so langsam wie möglich die letzten unförmigen Zucchiniringe.
„Scheiße“, murmelt der Geist zu sich selbst.
Fast hätte ich gelächelt und mich damit verraten.
„Ich hätte schwören können, dass du mich vorhin angesehen hast.“
Als ob niemand mit mir im Raum wäre, ziehe ich unappetitlich meine Nase hoch. Vielleicht kann ich sie so täuschen. Dann hole ich eine Pfanne aus dem offenen Regal, puste den Staub ab und stelle sie auf den Herd. Genau dorthin, wo sich die große, luftig-ölige Schliere befindet.
Der Geist weicht mir aus, irgendwie verschiebt sich dabei die Luft. Wo es eben feuchter schien, ist es nun trockener. Wo Umrisse verschwommen sind, werden sie klarer. Ich zwinge meine Augen, starr die Arbeit meiner Hände zu verfolgen.
„Es reicht nicht, dass ich unsichtbar bin. Ich werde auch noch verrückt“, murmelt die Stimme, die ich immer noch hören kann.
Ich schmunzle, ehe ich es verhindern kann, und verstecke es hinter einem Husten.
„Gesundheit“, kommt trocken aus der Luft. „Ach nein, das sagt man nur, wenn jemand niest.“
Die Zucchini zischt im heißen Öl. Staunend registriere ich, wie menschlich der Geist klingt. Geister sind auch nur Menschen, hat Oma mir gesagt.
„Es wird dunkel“, kommentiert die Stimme. „Es ist meine Schuld, dass du kein Licht hast, oder?“ Sie klingt enttäuscht, etwas traurig.
Ich bin kurz davor zu nicken. Ich habe meine Glühbirnen aus den Fassungen gedreht, weil der Geist sie zum Flackern gebracht hat.
„Das tut mir leid. Ich wollte dir keine Angst einjagen.“ Ein Seufzen wie aus einer anderen Welt bringt meine Knochen zum Beben.
Hastig schiebe ich mein Gemüse hin und her. Es ist mal wieder angebrannt.
„Du bist eine wahnsinnig schlechte Köchin. So findest du nie einen vernünftigen Mann.“ Die Stimme stockt. „Das würde meine Mutter sagen.“ Sie wirkt nachdenklich. „Aber du siehst wunderschön aus. Du findest bestimmt einen.“
Ich schnaube.
Erst als der Geist neben mir nach Luft zu schnappen scheint, realisiere ich, dass ich auf ihre Worte reagiert habe.
„Hast du mich gehört?“
Ich schalte den Herd ab und hole den kalten Reis von gestern Abend aus dem Kühlschrank.
„Vielleicht hörst du mich nicht, aber du fühlst meine Anwesenheit?“, grübelt die Stimme.
Dass ich den Geist nun in meinem Rücken habe, verleiht seinem Monolog etwas beinahe Normales. Es ist, als würde eine Kommilitonin auf mich einreden. Sie spricht, und ich sehe sie kurzzeitig nicht, bis ich mich gleich wieder umdrehe.
„Lili?“ Neue Ernsthaftigkeit liegt in dem Wort und klingt nach frischer Hoffnung.
Das ist meine Schuld.
Nun summt sie, als wäre sie in Gedanken.
Langsam drehe ich mich wieder um und steuere mein Bett an. Weil ich weder Sofa noch Tisch besitze, mache ich mich dort im Schneidersitz über mein Abendessen her. Es schmeckt okay.
„Bist du anfällig für Komplimente?“, überlegt der Geist laut. „Hast du eben darauf reagiert?“
Verbissen kaue ich das heiße Gemüse. Ich sollte heute Abend ausgehen.
„Du bist wirklich wunderschön. Hörst du bestimmt oft. Die Art von Schönheit, die nicht nur Männer bemerken, sondern auch Frauen.“
Äußerlich bleibe ich unbeeindruckt, innerlich rolle ich mit den Augen.
„Ich hatte immer schon ein Auge für weibliche Ästhetik.“
Fast muss ich lachen, weil mein Geist sehr queer und sehr im Unklaren darüber klingt. Doch ich mische mich nicht ein.
„Deine Gesichtsstruktur ist einmalig.“ Nun schwebt die Schliere näher an mein Bett heran. Bis kurz vor mein Gesicht. „Und so tiefbraune Augen, dass sie mich über meine Einsamkeit hinwegtrösten könnten. Wenn du mich nur ansehen würdest …“
Ich stopfe Essen in meinen Mund.
„Ich wette, viele Männer wollen diese Lippen küssen“, sagt sie plötzlich. Ihre Stimme klingt sehr weiblich und roh. Ich weiß nicht, was sie denkt, ob sie denkt, aber ich fühle die Intimität zwischen uns, als ob sie körperlich vor mir stünde. „Vielleicht willst du das ja gar nicht. Mir ist aufgefallen, dass du Frauen mitbringst. Keine Sorge, ich erzähle es keinem.“
Mein Gesicht brennt. Ich wende es hastig von ihr ab, aber bestimmt hat der Geist meine Reaktion gesehen.
„Wie machst du das? Fürchtest du dich nicht?“, flüstert sie nachdenklich, nun wieder mit sich selbst beschäftigt.
Ich kratze laut mit den Zinken meiner Gabel in der Schale herum. Mein Herz hämmert.
„Obwohl“, sagt sie leichthin, als hätte eine Erkenntnis ihre Meinung geändert. „Wenn ich aussehen würde wie du, würde ich auch alle küssen, die mir gefallen. Egal, wer es ist.“ Ein aufgeregtes geisterhaftes Lachen füllt das Wohnzimmer. „Aber halt, ich glaube, ich bin verheiratet … Ja. Ich darf nicht. Es würde ihn wütend machen.“
Ich drücke das Porzellan an meine Bauchdecke und lasse mich auf den Rücken gleiten. Über mir erscheint der Fleck, der ein Geist ist.
„Jetzt siehst du mich an“, sagt die Stimme zufrieden. „Warum hörst du mich nicht? Ich habe dir so viel zu erzählen.“
Vielleicht sollte ich mich betrinken, denke ich. Und tanzen. Woanders schlafen.
„So genau habe ich dich noch nie angesehen.“
Interessiert lausche ich ihren Worten.
„Du bist die schönste Frau, die hier je gewohnt hat....