E-Book, Deutsch, Band 3, 337 Seiten
Reihe: Die Oma und der Punk
Jöst Die Oma und der Punk - Gestorben wird später
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-96148-091-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Band 3 - Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 3, 337 Seiten
Reihe: Die Oma und der Punk
ISBN: 978-3-96148-091-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Simone Jöst lebt im Odenwald. Beflügelt von der Lust, sich ständig neue Geschichten auszudenken, stolperte sie beinahe zufällig in das Krimigenre. Seitdem publizierte sie zahlreiche Krimi-Kurzgeschichten und arbeitete als freie Mitarbeiterin in einem kleinen Verlag. Sie ist Herausgeberin diverser Krimianthologien und liebt nichts mehr als schwarzen Humor und weiße Schokolade. Bei dotbooks veröffentlicht sie: »Die Oma und der Punk« »Die Oma und der Punk auf heißer Spur« »Die Oma und der Punk - Gestorben wird später« Die Website der Autorin: www.simonejoest.de
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Donnerstag
Sandro starrte auf das leere Bett neben sich. Die Erinnerung an den letzten Abend kehrte mit einem Schlag zurück. Er hatte mit Jule gestritten. Diese Frau brachte ihn um den Verstand. Warum konnte sie nicht aufhören, ihn zu provozieren? Er schnaubte wütend und starrte zur Decke. Bei allem Verständnis für ihre Situation ? er war nicht gewillt, alles mit sich machen zu lassen. Er schlug die Federdecke zurück und ging ins Badezimmer. Eine heiße Dusche war genau das, was er brauchte, um seine Gedanken zu ordnen.
Sein Plan war simpel. Er würde Jule suchen und ihr klarmachen, was sie gerade im Begriff war fortzuwerfen. Er liebte sie mehr als alles auf der Welt, aber er würde sich von ihr nicht wie der letzte Dreck behandeln lassen. Er wusste, dass der Obdachlose keine Konkurrenz darstellte, aber dass Jule mit dem Mann so vertraut umging, während sie ihm die kalte Schulter zeigte, machte ihn rasend. Das heiße Wasser prickelte auf seiner Haut. Es gelang ihm nur schwer, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, der nichts mit Wut oder verletzter Eitelkeit zu tun hatte. Als er aus dem Badezimmer kam, stolperte er über Jules Armeestiefel. Sie lagen vor dem Bett, mitten im Weg. Sandro kickte sie verärgert zur Seite und stieg in seine Jeans, zog ein weißes Sweatshirt über und fuhr mit den Fingern durch die feuchten Locken. Er schob die Vorhänge beiseite und schaute in den Hof hinab. Ihm war es egal, dass die Sonne schien und eine Elster laut schreiend aus der Kastanie stob. Mochte die junge Frau im Hof die Hasen in ihren Ställen vor der Scheune füttern oder nicht. Das war alles nebensächlich. Sandro wollte nur Jule finden und ihr gehörig den Kopf zurechtrücken.
Seine Suche begann eine Etage tiefer. Er klopfte an die Tür des Fremden. Sandro hätte ihn gestern gar nicht erst mitnehmen sollen, dann bliebe ihm das nun erspart. Er klopfte ein zweites Mal. Lauter.
»Moment, ich komme«, rief der Fremde schlaftrunken.
Was sollte Sandro tun, falls Jule tatsächlich neben diesem verwahrlosten alten Sack im Bett lag? Er mochte sich das nicht vorstellen, fand es einfach widerlich. Er blähte seine Nasenflügel und straffte seinen Oberkörper. Was auch immer geschah, dieses Mal würde er nicht mit Ruhe und Toleranz reagieren. Er ballte seine Fäuste.
Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, und das zerknautschte Gesicht des Fremden blinzelte ihm entgegen. Sandro stürmte ins Zimmer und war aufs Schlimmste gefasst.
»Was ist denn los?«, fragte Henry und schloss die Tür. »Wissen Sie, wie spät es ist?«
Das Bett war leer, die Kissen zerwühlt. Sandro drehte sich auf dem Absatz um und stieß Henry zur Seite. Er marschierte in das kleine Badezimmer, schaltete das Licht an und suchte sogar hinter dem Duschvorhang. Jule war nicht da.
»Wo ist sie?« Sandro hätte den Mann am liebsten am Kragen gepackt, wäre er nicht bis auf die Unterhose nackt gewesen.
»Nun aber mal mit der Ruhe!« Henry war inzwischen wach genug, um die Situation zu erfassen. »Sie glauben, dass Jule bei mir übernachtet hat?« Er lachte schallend. »Schauen Sie mich doch an, ich bin ein alter Mann mit einer, wie sagte Ihre Freundin so schön, ›widerlichen Flohmatte‹ im Gesicht. Glauben Sie wirklich, sie hätte mir Ihnen den Vorzug gegeben? Haben Sie so wenig Selbstwertgefühl, dass Sie so etwas auch nur für eine Sekunde geglaubt haben?«
Sandro schnaubte und presste die Lippen aufeinander. Der Mann hatte recht. Jule würde bestimmt nicht mit ihm ins Bett springen, also zumindest nicht, wenn es um mehr als fernsehen ging. Sandro kam sich wie ein Idiot vor.
»Entschuldigung.« Er reichte Henry die Hand und war erstaunt über den kräftigen Druck, mit dem er das Friedensangebot erwiderte. »Es ist momentan einfach ein wenig schwierig mit ihr.«
»Sie wollte nicht darüber reden. Es geht mich auch nichts an, aber das Mädchen hat Angst und läuft vor sich selbst davon. Wenn ich helfen kann, gern.«
Sandro hatte nicht erwartet, dass der Fremde so selbstsicher sprach und Jules wunden Punkt genau erkannte. Er hatte die ganze Zeit in dem Obdachlosen einen versifften Penner gesehen, einen Mann, der dreckig und minderwertig war und der ihm wegen des Gefallens am Straßenrand dankbar sein musste. Es war dämlich, so zu denken.
»Sorry, dass ich ausgetickt bin. Es ist nur …«
»Schon gut.« Henry winkte ab und stieg in Sandros Jogginghose und dessen T-Shirt. »Sie sind nicht der Erste, der beim Anblick von unsereinem solche Gedanken hat. Und keine Sorge, Ihre Kleidungsstücke werde ich heute in die Reinigung bringen. Sie bekommen sie umgehend zurück.«
Sandro fühlte sich ertappt. Er wollte die Situation retten, um dem Mann zu zeigen, dass er nicht wirklich so idiotisch war, wie er sich benommen hatte.
»Ich bin Sandro.« Er reichte ihm die Hand.
»Henry.«
»Weißt du, wo Jule ist?«
»Nein. Wir hatten nach deinem Besuch gestern Abend den Film zu Ende geschaut, und dann ist sie gegangen. Ich hatte ihr geraten, mit dir zu reden und euer Problem aus der Welt zu schaffen.«
Sandro nickte nachdenklich. Plötzlich fiel ihm etwas auf.
»Hat sie ihre Armeestiefel angehabt, als sie ging?«
»Ja, ich denke schon.«
»Sicher?«
»Ja, sie saß auf der Bettkante und hat sich die Stiefel zugeschnürt.« Henry wurde hellhörig. »Warum?«
»Als ich vorhin aus dem Bad kam, bin ich über ihre Stiefel gestolpert. Sie muss also nach ihrem Besuch hier in unserem Zimmer gewesen sein. Aber wo ist sie ohne Schuhe hingegangen?«
»Vielleicht zu ihrer Großmutter?«
Das war eine Möglichkeit. Jule konnte in der Nacht zu Emma geschlichen sein, weil sie mit ihr reden wollte, und vielleicht war sie dann bei ihr eingeschlafen.
»Danke, Mann, das könnte passen. Emma ist zwar nicht ihre Großmutter, aber wenn sie sich jemandem anvertrauen wollte, dann bestimmt ihr.«
Er klopfte Henry auf die Schulter und lächelte. Er hätte Jule nie verziehen, wenn sie ihn betrogen hätte, nicht mit Henry, obwohl er ein feiner Kerl zu sein schien.
»Wegen der Klamotten, die kannst du behalten. Du brauchst sie nötiger als ich.«
Sandro lächelte und wollte zur Tür gehen.
»Danke.« Henry reichte ihm die Hand.
Inzwischen war es kurz nach halb acht. Immer noch viel zu früh, um an Emmas Tür zu klopfen, aber Sandro hielt die Ungewissheit nicht länger aus. Er musste wissen, wo Jule war. Emma öffnete nach dem zweiten Klopfen.
»Sandro?«, rief sie überrascht.
»Ist Jule bei dir?« Er spähte über ihre Schulter ins Zimmer.
Emma trat einen Schritt zurück und ließ ihn ein.
»Nein, wieso?« Sie schnürte ihren Bademantel zusammen, zupfte ihre Haare zurecht und griff sich an den Hals, als ob sie Angst hatte, eine böse Nachricht schlucken und verdauen zu müssen.
Sandro schaute sich im Zimmer um.
»Scheiße.«
»Was ist los?«, fragte Emma besorgt. Sie griff nach der Stuhllehne und suchte Halt.
»Jule ist verschwunden.« Er setzte sich auf die Bettkante und stützte seinen Kopf auf den Ellenbogen ab. »Als ich vorhin aufwachte, war sie fort. Da sie sich gestern Abend mit Henry so gut verstanden hat, dachte ich, dass sie vielleicht …«
»Wer ist Henry?«
»Der Anhalter, den wir mitgenommen haben.«
»Du meinst, sie hat die Nacht mit ihm verbracht?« Emma runzelte die Stirn.
»Nein, das hat sie nicht. Ich war schon bei ihm und habe ihn gefragt. Er sagte, dass sie nach dem Fernsehfilm auf unser Zimmer gehen wollte.«
»Wollte?«
»Allem Anschein nach war sie auch da. Ich habe es nicht mitbekommen, weil ich bereits schlief, aber ihre Stiefel stehen mitten im Weg, und egal, wo sie jetzt ist, dort ist sie in Socken unterwegs.«
»Eigenartig.«
»Weit kann sie dann nicht sein.«
»Bei Jule weiß man das nie.« Emma lächelte.
»Warte mal!« Sandro sprang auf, rannte in sein Zimmer und holte sein Handy vom Nachttisch. Emma folgte ihm. »Sie mag ohne Schuhe unterwegs sein, aber ihr Handy legt sie niemals zur Seite.«
Er wählte ihre Nummer und wartete. Emma nahm auf einem der Stühle Platz.
»Warum geht sie nicht ran?« Sandro lief nervös auf und ab und starrte auf den großen Kunstdruck mit zwei lockigen Engelsköpfen über ihrem Bett. Jules Kissen war zerwühlt, ihre Decke zurückgeschlagen. »Nichts. Und was machen wir jetzt?«
Emma erhob sich.
»Gib mir eine Minute, ich will mich rasch anziehen, und dann fragen wir an der Rezeption, ob jemand sie gesehen hat.«
»Ob es eine gute Idee ist, wenn jeder weiß, dass sie verschwunden ist?«
»Was meinst du?«
»Ich weiß nicht, aber ich habe so ein komisches Gefühl, als ob es besser wäre, wenn wir ein wenig unauffälliger vorgingen. Du kennst Jule, vielleicht heckt sie wieder etwas aus, das nicht jeder mitbekommen sollte.«
»Du hast recht«, sagte Emma. »Wir fragen erst einmal vorsichtig nach.« Sie griff nach Sandros Hand. »Vielleicht ist sie nur ins Dorf gegangen und schaut sich bei ihren Eltern um, bevor sie sie trifft.«
»Ohne Schuhe?«
In der Ledersitzgruppe im Foyer der Pension saß ein älterer Herr und las die Tageszeitung. Daneben gähnte der offene Kamin wie ein schwarzes, dunkles Loch in den Raum. An der Wand hinter dem Sofa hingen jede Menge gerahmte Fotografien. Hauptsächlich waren es Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die immer wieder kleine dunkelhäutige Kinder und einen weißen Mann zeigten, die lachend in die Kamera winkten. Emma hätte gern mehr darüber erfahren, doch zuerst mussten sie herausfinden, wo Jule war. Sandro steuerte auf die Rezeption zu.
»Warte.« Sie hielt ihn am Arm zurück. Die Wirtin stand hinter dem Tresen und gab einer jungen Kollegin...