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E-Book, Deutsch, Band 4, 272 Seiten
Reihe: Die HULDA-Reihe
Jónasson HULDA
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-33218-1
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller - Hulda kehrt zurück! Die Fortsetzung der Bestseller-Serie aus Island
E-Book, Deutsch, Band 4, 272 Seiten
Reihe: Die HULDA-Reihe
ISBN: 978-3-641-33218-1
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
HULDA ist der neue Band der legendären und weltweit gefeierten Thriller-Serie mit der originellen Ermittlerin Hulda Hermannsdóttir, deren Vergangenheit von einem Geheimnis geprägt ist, das ihr ganzes weiteres Leben bestimmen wird.
Ragnar Jónasson, 1976 in Reykjavík geboren, ist Mitglied der britischen Crime Writers' Association und Mitbegründer des 'Iceland Noir', dem internationalen isländischen Krimifestival. Seine Bücher, darunter die preisgekrönte 'Hulda-Serie' sowie die 'Dark-Iceland-Serie' werden weltweit gefeiert und erscheinen in 36 Ländern mit einer Gesamtauflage von 5 Millionen Büchern. Er lebt und arbeitet als Schriftsteller und Investmentbanker in der isländischen Hauptstadt und unterrichtet an der Universität außerdem Rechtswissenschaften.
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Prolog
Weihnachten 1960
Heiligabend und überall glitzernder Schnee.
Atli trat aus dem Haus, hörte das Knirschen unter den Sohlen und ließ seinen Blick über das Viertel schweifen, spürte die Weihnachtsstimmung.
Er stellte das Türschloss so ein, dass es nicht verriegelte, zog die Tür zu und prüfte kurz, ob sie sich tatsächlich wieder öffnen ließ. Der Schlüssel lag an seinem Platz auf der Kommode in der Diele.
Im Nachbarhaus wurde offenbar groß gefeiert, die kleine Sackgasse im Reykjavíker Wohnviertel Háagerði war komplett zugeparkt, und das bei dem Schnee. Geschneit hatte es viel in den letzten Tagen, und es war kein Vergnügen, mit dem Cortina um die Schneehaufen manövrieren zu müssen. Atli war mittags mit dem Jungen zum Einkaufen gefahren, und als sie zurückkamen, war die Straße so zugeschneit, dass er ein Stück vom Haus entfernt in der Nähe der Hauptstraße parken musste.
Das Haus hatten Emma und er vor der Geburt ihres Sohnes gebaut. In dem neuen Wohnviertel hatten viele kleine Grundstücke zum Verkauf gestanden, und da war es naheliegend gewesen, dass sie versuchten, eins zu ergattern. Mit Erfolg: Der Alte – Atlis Schwiegervater – hatte seine Kontakte zur Stadtverwaltung spielen lassen und ihnen das beste freie Grundstück zugespielt. Daraufhin hatte Atli sich an den Hausbau gemacht. Die meiste Zeit seines Lebens hatte er hart gearbeitet, eine Zeit lang auf See, später an Land, daher war der Bau eines kleinen Einfamilienhauses keine unlösbare Aufgabe für ihn gewesen. Er war bei seiner alleinerziehenden Mutter in einer kleinen Wohnung aufgewachsen, in einem furchtbaren Haus im Stadtzentrum, und er hatte sich nie träumen lassen, dass er einmal ein eigenes Haus besitzen würde. Das war immer etwas für die Reichen gewesen – bis das Wohnviertel in Háagerði entstand. Die Häuser hier waren aus den unterschiedlichsten Materialien gebaut, jeder, wie er wollte, und genau das machte für Atli den Charme des Viertels aus. Er fühlte sich wohl hier. Und Weihnachten war schon immer eine wichtige Zeit für ihn gewesen. Obwohl seine Mutter sich mit ihrem knappen Arbeiterinnenlohn durchschlagen musste, hatte sie immer großen Wert auf ein schönes Weihnachtsfest gelegt und an nichts gespart. Es gab ein festliches Essen, Obst und etwas Süßes, und ein schönes Weihnachtsgeschenk für ihren Sohn. Als Atli dann selbst Vater geworden war, hielt er es genauso. Ein paar hübsche Geschenke für den Jungen unter dem Baum – dafür hatte Atli im Dezember einige Extraschichten übernommen, und zum Fest sollte es Lammrücken, Schokolade und natürlich Weihnachtsäpfel geben. Wegen der Äpfel waren sie heute extra noch mal losgefahren. Schon lange vor Weihnachten waren die Äpfel in der Hauptstadt ausverkauft gewesen, aber am Morgen vor Heiligabend hieß es plötzlich, dass einige Geschäfte doch noch eine Lieferung bekommen hätten. Da musste man schnell sein. Auch Emma hatte sich Äpfel gewünscht, und er wollte sie nicht enttäuschen, hoffte, dass das süße Obst sie etwas aufmunterte.
Im ersten Laden gab es bereits keine Äpfel mehr, aber im zweiten hatten sie Glück, und Atli hatte gleich ein paar mehr mitgenommen. Nach den Zusatzschichten konnten sie sich das leisten. Mit dem Jungen auf dem Arm hatte er die Einkaufstüten ins Haus geschleppt, nur die Äpfel hatte er vergessen. Die guten Weihnachtsäpfel, rot und knackig, die so wunderbar dufteten und Weihnachten ebenso einläuteten wie die Radiomesse am Heiligen Abend.
Die Messe hatte schon begonnen. Das hörte Atli, als er am Nachbarhaus vorbeilief, dazu Stimmen und Tellerklappern. Die Häuser waren festlich beleuchtet, in den Fenstern brannten Kerzen, und die Welt war schön, hell und freundlich. An einem Abend wie diesem, wenn sich der Weihnachtsfrieden über die Stadt legte, konnte nichts Schlimmes passieren, war alles so friedlich und still, und Atli erfreute sich am glitzernden Schnee, der unter seinen Sohlen knirschte, während er zügigen Schrittes noch einmal zum Wagen zurücklief.
Er atmete die Winterluft ein, genoss das knackig kalte Weihnachtswetter. Kaum etwas liebte Atli mehr als weiße Weihnachten.
Ihr Haus war nicht groß, aber es hatte zwei Etagen. Unten nahm das Wohnzimmer den meisten Raum ein, die Küche war klein, aber gemütlich. Im Wohnzimmer stand jetzt der Weihnachtsbaum. Über die Jahre hatte sich einiges an Schmuck angesammelt, manches von ihm, manches von Emma. Am wichtigsten war ihm das kleine beleuchtete Weihnachtshaus seiner Mutter. Wenn man das Licht einschaltete, sah es wie ein Märchenhaus aus.
In der oberen Etage ihres Hauses befanden sich das Elternschlafzimmer und noch zwei weitere Zimmer. Das eine hatten sie auf dem Grundriss auf Emmas Wunsch Nähzimmer genannt, und das andere war natürlich das Kinderzimmer. Sie hatten reichlich Platz, und das Haus war von Liebe erfüllt.
Aus dem letzten Haus in der Straße drang Musik, ein moderner Weihnachtssong. Dieses junge, ziemlich unkonventionelle Paar hörte natürlich nicht die Messe. Atli schnaubte, obwohl er nicht viel älter war, denn er war von Haus aus eher konservativ, auch wenn seine Mutter immer so links wie möglich gewählt hatte, so wie er jetzt auch. Aber trotzdem gehörte die Messe zum Heiligen Abend. Emmas Eltern wählten konservativ, das wusste er; dennoch hatte er eine sehr gute Beziehung zu den beiden.
Da stand der Wagen, der rote Cortina. Er hatte ihn vor einem Jahr gebraucht gekauft, mit Unterstützung seines Schwiegervaters, und er machte sich gut, sommers wie winters.
Der Wagen war wie immer offen, und die Äpfel lagen im Kofferraum, eine große Kiste, die hoffentlich bis zum Jahreswechsel reichen würde. Er widerstand der Versuchung, sich sofort einen der Äpfel zu nehmen und hineinzubeißen, Weihnachten zu schmecken. Das wäre schon in Ordnung gewesen, an Heiligabend – wann, wenn nicht jetzt? Aber nein, er ging lieber schnell zurück und hob sich den ersten Weihnachtsapfel für den Nachtisch auf.
Emma und er hatten sich bei einem Ball kennengelernt – natürlich –, und es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Zumindest, was ihn anging. Er hatte sie den ganzen Abend angesehen und beim allerletzten Stück endlich den Mut gefunden, sie zum Tanzen aufzufordern. Dieser eine Tanz hatte gereicht, sie hatten einander gefunden. Dennoch wollte Emma sich umwerben lassen, wie es üblich war, und Atli hatte sich gern auf dieses Spiel eingelassen, hatte immer wieder in ihrem Elternhaus angerufen und sie ausgeführt. Im nächsten Januar lag der schicksalsträchtige Tanzabend fünf Jahre zurück, und im Februar feierte der Kleine seinen ersten Geburtstag.
Atli erinnerte sich noch genau an ihren Einzug, an einem strahlend schönen Sommertag, das Haus hatte bezaubernd ausgesehen. Das eine oder andere musste noch gemacht werden, aber sie hatten von der ersten Nacht an gut darin geschlafen, Emma war inzwischen schwanger und Atli voller Vorfreude auf seine Vaterrolle. Er hatte sich beim Bau ordentlich ins Zeug gelegt, aber er musste zugeben, dass sie dieses Projekt nur dank der finanziellen Unterstützung der Schwiegereltern bewerkstelligt hatten. Hier und da ließ sich etwas sparen, indem man selbst Hand anlegte, aber dennoch war es ein teures Unterfangen, ein ganzes Haus zu bauen und einzurichten.
Und dann die Geburt des Jungen, vom ersten Moment an war er kräftig und gesund gewesen, ein wahres Goldstück, das Wertvollste, was sie hatten.
Bevor er Emma kennenlernte, war Atli in einer längeren Beziehung mit einem Mädchen aus dem Norden gewesen, die gut begonnen und schlimm geendet hatte. Sie wohnten zusammen auf dem Land, aber sie ertrug die lange Trennung während Atlis Seefahrten nur schlecht. Die Beziehung war mehrmals um ein Haar daran zerbrochen, doch sie hatten einander immer wieder eine Chance gegeben, beide Besserung gelobt, aber irgendwie schien das Band, das sie zusammenhielt, vergiftet zu sein, und schließlich hatte es den großen Knall gegeben. Zu dem Zeitpunkt hatten sie schon über das Thema Kinder und einen Umzug nach Reykjavík gesprochen, und als Atli einmal in der Stadt zu tun hatte, traf er auf besagtem Ball Emma. Seine ehemalige Freundin behauptete, Emma hätte ihr Atli gestohlen, und sie prophezeite ihm, dass sie zusammen nicht glücklich werden würden. Mit aller Macht hatte sie versucht, ihn zu halten, erst mit Schmeicheleien, dann mit Drohungen, aber es hatte nichts bewirkt. Er hatte sich endgültig von ihr getrennt, sie war im Norden geblieben, er nach Reykjavík gegangen. Kurz darauf zog er mit Emma zusammen, zunächst in eine große Kellerwohnung in Emmas Elternhaus. Hin und wieder dachte Atli natürlich an seine Ex-Freundin, doch sie hatten keinen Kontakt mehr und waren sich nie wieder begegnet. Damals arbeitete sie im Kühlhaus, aber sie hatte immer davon gesprochen, dass sie sich weiterbilden wollte. Er hatte keine Ahnung, was aus ihr geworden war. Emma hatte einen Abschluss von der Mädchenschule in der Tasche und arbeitete als Sekretärin im Ministerium, als sie sich kennenlernten. Sie war fünf Jahre jünger als Atli und deutlich belesener als er. Ihre Freundinnen waren erstaunt über ihre Partnerwahl gewesen, und auch seine Freunde verstanden nicht, wie dieses wohlhabende, schöne Mädchen sich in den armen Arbeitersohn verlieben konnte.
Die Apfelkiste war schwerer, als Atli es in Erinnerung hatte, und ein paarmal wäre er auf dem glatten Weg zurück zum Haus beinahe ausgerutscht. Dennoch hatte dieser Marsch mit den Äpfeln durch den Schnee etwas unglaublich Weihnachtliches. Beim Haus der Nachbarn hörte er den Chorgesang der Messe, wunderschöne, weihnachtliche Klänge. Seine Mutter war eine gute Sängerin gewesen, hatte ihr Talent aber nie ausleben können....