Jio | Der Kameliengarten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Jio Der Kameliengarten

Roman
Erscheinungsjahr 2015
ISBN: 978-3-641-15331-1
Verlag: Diana
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-641-15331-1
Verlag: Diana
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Geheimnis von Livingston Manor

Der englische Landsitz Livingston Manor fasziniert Addison und ihren Mann schon bei ihrer Ankunft. Doch bald hören sie, dass das wunderschöne Haus von den Dorfbewohnern gemieden wird. Welches Geheimnis bergen die alten Mauern? Und wollten es die Erben deshalb so schnell loswerden? Addison ahnt, dass sich der Schlüssel zu ihren Fragen in dem jahrhundertealten Kameliengarten verbirgt. Immer tiefer verstrickt sie sich in die unheilvolle Geschichte der Familie Livingston – und spürt, dass es an der Zeit ist, sich auch ihrer eigenen Vergangenheit zu stellen ...…

Sarah Jio ist New-York-Times-Bestsellerautorin, Journalistin und Kolumnistin. Ihre Romane werden in über 30 Ländern veröffentlicht. Sie lebt mit ihren drei Söhnen und ihrem Golden Retriever in Seattle, USA.
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1 – Addison

New York City, 1. Juni 2000

In der Küche klingelte das Telefon. Es hätte genauso gut eine Stange Dynamit auf der Arbeitsplatte liegen können. Wenn ich den Hörer nicht nach viermaligem Klingeln abnahm, würde der Anrufbeantworter anspringen, und das durfte nicht passieren.

»Gehst du ran?«, fragte Rex, mein Mann, vom Sofa aus und blickte von seinem Notizheft auf. Er hatte ein rührendes Faible für altmodische Dinge. Schreibmaschinen, Plattenspieler – und ein Anrufbeantworter aus den Achtzigerjahren. Aber in diesem Moment sehnte ich mich nach Voicemail. Hätten wir doch bloß Voicemail.

»Ja, ich geh schon!«, rief ich, sprang vom Frühstückstisch auf und stieß mir den Zeh am Stuhlbein. Es tat höllisch weh. Es klingelte ein zweites Mal, ein drittes Mal.

Die Härchen auf meinen Armen standen zu Berge. Was, wenn er das war? Vor zwei Wochen hatte er angefangen anzurufen, und seitdem geriet ich jedes Mal in Panik, wenn das Telefon klingelte. Ganz ruhig bleiben. Tief atmen. Vielleicht war es ja auch eine Kundin. Oder diese fürchterliche Mrs. Atwell, der ich den Rosengarten schon dreimal hatte neu gestalten müssen. Oder das Finanzamt. Hoffentlich das Finanzamt.

Egal wer, nur nicht der, von dem ich befürchtete, dass er es war.

Wenn ich den Anrufbeantworter ausschaltete, würde er wieder anrufen. Wie ein Hai, der Blut gewittert hatte, würde er seine Kreise ziehen, bis er bekam, was er wollte. Ich musste das Gespräch annehmen. »Hallo?«, sagte ich tonlos.

Rex sah lächelnd auf und widmete sich dann wieder seinem Notizheft.

»Hallo, Addison.« Seine Stimme ließ mich erschaudern. Ich konnte ihn natürlich nicht sehen, aber ich kannte sein Gesicht – den ungleichmäßigen Dreitagebart, den amüsierten Blick. »Dein neuer Name gefällt mir nicht. Amanda passte viel besser zu dir.«

Ich schwieg, öffnete hastig die Terrassentür und ging hinaus in den Garten. Er war winzig, aber wir hatten ihn für uns allein – eine Seltenheit in der Stadt. Ein Vogel zwitscherte fröhlich in der kleinen Kamelie, die Rex und ich anlässlich unseres ersten Hochzeitstags gepflanzt hatten. Das hier war mein Nest, mein Refugium, und es machte mich wütend, dass er hier eindrang.

»Hör zu«, flüsterte ich. »Ich habe dir gesagt, du sollst mich nicht mehr anrufen.« Ich blickte hoch zu dem Apartmentgebäude hinter unserem Haus und fragte mich, ob er mich womöglich von einem der Fenster aus beobachtete.

»Amanda, Amanda«, sagte er amüsiert.

»Hör auf, mich so zu nennen.«

»Ach so, das hatte ich ganz vergessen«, fuhr er fort. »Du bist ja jetzt vornehm geworden. Ich habe in der Zeitung von deiner Hochzeit gelesen.« Er schnalzte mit der Zunge. »Ein richtiges Märchen, vor allem für eine Frau, die …«

»Bitte«, sagte ich. Ich konnte den Klang seiner Stimme nicht ertragen, die mich so sehr an die Vergangenheit erinnerte. »Warum kannst du mich nicht endlich in Ruhe lassen«, flehte ich.

»Soll das heißen, du vermisst mich gar nicht? Nach allem, was wir zusammen erlebt haben? Weißt du noch, wie wir …«

»Hör auf«, sagte ich verzweifelt.

»Ich verstehe«, sagte er. »Die Lady ist jetzt mit dem König von England verheiratet. Hältst dich wohl für was Besseres, was? Aber ich frage dich: Weiß dein Mann überhaupt, wer du wirklich bist? Weiß er, was du getan hast

Um mich her drehte sich alles. »Bitte, bitte lass mich in Ruhe«, bettelte ich. Meine Kehle war wie zugeschnürt.

Er lachte leise vor sich hin. »Das kann ich nicht«, erwiderte er. »Nein. Sieh mal, ich habe zehn Jahre meines Lebens im Gefängnis verbracht. Da hat man viel Zeit zum Nachdenken. Und ich habe sehr viel über dich nachgedacht, Amanda. Fast jeden Tag.«

Mir lief es eiskalt über den Rücken. Ihn hinter Gittern zu wissen hatte mir ein trügerisches Gefühl der Sicherheit gegeben. Als er für zwei schwere Fälle von Geldwäsche und für einen weniger schweren Fall von sexuellen Handlungen mit einer Unmündigen eingesperrt worden war, hatte sich eine dicke, warme Decke um mich gelegt. Mit seiner Entlassung war die Decke weggerissen worden. Ich fühlte mich schutzlos, ich hatte Angst.

»So, und jetzt wollen wir mal Klartext reden, Süße«, fuhr er fort. »Ich bin im Besitz einer sehr wertvollen Information. Und du wirst es mir nicht verübeln, dass ich auch so ein angenehmes Leben führen will wie du.«

»Ich werde jetzt auflegen«, sagte ich, den Finger über der Austaste.

»Das solltest du zu deinem eigenen Besten nicht tun«, sagte er. »Du weißt, was ich will.«

»Ich habe dir schon gesagt, dass ich so viel Geld nicht habe.«

»Du vielleicht nicht«, entgegnete er. »Aber die Familie deines Mannes sehr wohl.«

»Nein, halt sie da raus.«

»Na schön«, sagte er. »Du lässt mir keine andere Wahl.«

Im Hintergrund war die Fanfare eines Eiswagens zu hören. Als Kind war ich immer ganz aufgeregt hinter dem Eiswagen hergerannt, wenn er durch unsere Straße kam. Ich weiß auch nicht warum, ich hatte sowieso keinen Dollar für eine Waffel, aber die Anziehungskraft war trotzdem da gewesen.

Ich nahm das Telefon vom Ohr und hörte dieselbe Fanfare vielleicht einen Block entfernt. Das Geräusch ließ mich zusammenzucken. Der Eiswagen war ganz in der Nähe.

»Wo bist du?«, fragte ich ängstlich.

»Warum? Willst du dich mit mir treffen?«, fragte er belustigt. Ich konnte mir sein hämisches Grinsen genau vorstellen.

Mein Kinn zitterte. »Bitte, lass mich in Ruhe«, flehte ich. »Kannst du mich nicht einfach in Frieden lassen?«

»Es hätte so einfach sein können«, sagte er. »Aber du hast meine Geduld überstrapaziert. Wenn ich das Geld nicht bis zum Ende der Woche habe, bleibt mir nichts anderes übrig, als deinem Mann alles zu erzählen. Und wenn ich sage ›alles‹, dann meine ich alles

»Nein«, beschwor ich ihn. »Bitte nicht!«

Ich ging ums Haus herum und spähte über den Gartenzaun. Der Eiswagen tuckerte langsam vorüber. Die Kinder liefen nebenher und jubelten im Einklang mit der Fanfare, während mir bei jedem Ton, der aus dem Lautsprecher drang, erneut die Angst in die Glieder fuhr. »Ich gebe dir fünf Tage, Amanda«, sagte er. »Und übrigens, du siehst umwerfend aus in dem Kleid. Blau steht dir ausgezeichnet.«

Er legte auf. Ich betrachtete mein blaues Leinenkleid, dann schaute ich die Straße hinunter. Der Walnussbaum in einiger Entfernung. Kurz davor parkte ein alter Honda mit getönten Scheiben und rostiger Motorhaube. Die Bushaltestelle auf der anderen Seite warf gezackte Schatten auf den Gehsteig.

Ich rannte zurück ins Haus, zog die Terrassentür hinter mir zu und verriegelte sie. »Lass uns nach England fahren«, sagte ich atemlos zu Rex.

Er schob die Brille die Nase hoch. »Was?« Er sah mich verwirrt an. »Ich dachte, du wolltest nicht nach England. Woher der Sinneswandel?«

Meine Schwiegereltern hatten kürzlich ein altes Herrenhaus gekauft und uns eingeladen, dort den Sommer zu verbringen, während sie durch Asien reisten, wo Rex’ Vater James arbeitete. Rex, der gerade an einem Roman schrieb, der in einem englischen Herrenhaus spielte, fand, der Aufenthalt wäre ideal für seine Recherchen. Und wir hatten beide ein Faible für alte Gemäuer. Nach allem was Lydia, seine Mutter, uns am Telefon erzählt hatte, handelte es sich um ein geschichtsträchtiges Anwesen.

Aber der Zeitpunkt war denkbar ungünstig. Mein Gartenbauunternehmen lief zum Glück auf Hochtouren. Ich hatte gerade vier neue Kunden gewonnen. Unter anderem sollte ich einen anspruchsvollen Dachgarten in Manhattan gestalten. Jetzt wegzufahren war eigentlich nicht drin. Und doch blieb mir keine andere Wahl. Sean wusste nichts von dem Haus in England. Dort würde er mich nicht finden. Die Reise würde mir etwas Zeit zum Nachdenken verschaffen.

Ich schaute mich nervös im Wohnzimmer um. »Na ja, wollte ich auch nicht – ich meine, eigentlich.« Ich seufzte und versuchte mich zu sammeln. »Ich habe noch mal darüber nachgedacht. Vielleicht würde uns ein Urlaub wirklich guttun. Außerdem steht unser Hochzeitstag vor der Tür.« Ich setzte mich zu Rex aufs Sofa und drehte eine Strähne seines glänzenden schwarzen Haars um einen Finger. »Ich könnte mich in dem Park umsehen. Vielleicht kann ich noch was abgucken. Hier sind doch alle ganz wild auf englische Gärten.« Ich redete viel zu hastig, wie immer, wenn mich etwas bedrückte. Rex, der es spürte, streichelte mir beruhigend die Hand.

»Es ist das Fliegen, was dich abschreckt, nicht wahr?«, sagte er.

Es stimmte, ich hatte ein bisschen Flugangst, mein Hausarzt hatte mir für diese Fälle sogar ein Beruhigungsmittel verschrieben. Aber Rex wusste zum Glück nicht den wahren Grund für meine Unruhe, und er durfte ihn auch nie erfahren.

Eigentlich hatte ich immer vorgehabt, ihm eines Tages die Wahrheit über mich zu erzählen. Aber je länger ich es vor mir herschob, desto unmöglicher erschien es mir, die schrecklichen Worte auszusprechen. Also behielt ich sie für mich und versteckte mich hinter meiner sorgfältig zurechtgebastelten Geschichte: ein Mädchen aus wohlhabender Familie in New Hampshire, dessen Eltern vor Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Und das ganze Geld war in einem betrügerischen Investmentfonds verloren gegangen. Rex hatte mir alles geglaubt, er glaubte an mich. Er wunderte sich nicht darüber, dass ich nie Weihnachtskarten oder...


Breuer, Charlotte
Charlotte Breuer und Norbert Möllemann übersetzen Literatur aus dem Englischen, u.a. von Chloe Benjamin, Elizabeth George und Kate Morton.

Jio, Sarah
Sarah Jio ist New-York-Times-Bestsellerautorin, Journalistin und Kolumnistin. Ihre Romane werden in über 30 Ländern veröffentlicht. Sie lebt mit ihren drei Söhnen und ihrem Golden Retriever in Seattle, USA.



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