Jerusalem / Spreitzer | Der heilige Skarabäus | E-Book | sack.de
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Jerusalem / Spreitzer Der heilige Skarabäus

Roman
2. Auflage 2017
ISBN: 978-3-9504158-9-6
Verlag: DVB Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

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Bis die Gestapo ihn 1933 beim S. Fischer Verlag in Berlin beschlagnahmte und kurz darauf verbrannte, hatte der Skandalroman Der heilige Skarabäus, der erstmals 1909 erschienen war, bereits 22 Neuauflagen erlebt. In diesem als „Unsittenroman“ verdammten Buch, eröffnet die damals schon bekannte Verfasserin einen schonungslosen Blick auf die Vergnügungssucht und das Laster des Bürgertums im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Anhand des buntbewegten Treibens im sogenannten „Rothaus“, das von einer üblen Absteige bald zu einem der vornehmsten und bestbesuchtesten erotischen Salons der Stadt wird, schildert sie nicht nur den Aufstieg und Untergang eines einzelnen Bordells, sondern entwirft auch gleichzeitig eine gleichermaßen kritische wie hellsichtige Sozial- und Gesellschaftsstudie. Zum ersten Mal in der Geschichte der österreichischen Literatur geht es hier um das Leben der Prostituierten selbst, um verwegene, verführte und oft bedauernswerte Geschöpfe, die durch Unwissenheit, Not und Verzweiflung zur Prostitution kommen und durch Geldgier, Korruption und Mädchenhandel zur Ware der käuflichen Liebe werden.

„Nach und nach erfahren wir von den Lebenswegen der Frauen im Rothaus, aus diesem oder jenem Umstand auf die ’schiefe Bahn‘ geraten. […] Prostitution, erfährt man im Roman Der Heilige Skarabäus, ist kein Phänomen außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Sondern Bestandteil ebendieser Gesellschaft. Eine Wirtschaftsbranche.“

– Johann Kneihs, Ö1 Tonspuren

„…eine bestechende Analyse einer ungewissen Gemeinschaft.“

– Bernadette Lietzow, Tiroler Tageszeitung

„Während aber die Mutzenbacher ein fröhliches Kinderporno-Ballett ist, das Menschen zu bloßen Benutzeroberflächen für unermüdliches Kopulieren reduziert, widmet sich Jerusalem ausführlich dem Elend und Missbrauch der Mädchen ebenso wie der Geldgier und Gewalttätigkeit derer, die sie ausbeuten.“

– Clemens Ruthner, Der Standard

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Weitere Infos & Material


Erster Teil Die schwarze Katerine
Motto: Wär’ ich ein häusliches Weib und hätte, was ich bedürfte,
Treu sein wollt’ ich und froh, herzen und küssen den Mann.
So sang unter andern gemeinen Liedern ein Dirnchen
Mir in Venedig, und nie hört’ ich ein frömmer Gebet. Goethe Knapp hinter der glänzenden Straße, die ein Zentrum des großstädtischen Gesellschaftsverkehrs ist, – auf deren breiten, reinlich asphaltierten Trottoirs sich täglich viele Hunderte von eleganten Herren und geschmückten Damen – müßige Spaziergänger – anlächeln und begrüßen, beginnt jäh und unvermittelt – in allzu schroffem Übergange fast – das Reich der Finsternis. Man biegt bei dem Louvre de Luxe um, einem hochaufstrebenden Bau in reinem, modernem Stil, verfolgt einige Schritte lang die edlen, prunklosen Linien seiner Seitenfront und steht nach zweiter scharfer Wendung am Eingange eines Sackgäßchens, dessen oberes Ende von einer hohen Gartenmauer begrenzt wird. Wenn die Dämmerung hereinbricht und das matte behagliche Grau des Abends sanft über die Dächer der großen Stadt niederrieselt, sinkt unser kleines Gäßchen ohne weiteres in trübselige Nacht. Die Häuschen schrumpfen zusammen – die Torbögen verlieren sich im Schatten – und während die Hauptstraße gleißende Abendtoilette anlegt – flammt hier nur eine einzige rote Laterne auf – schließt ihre nächste Umgebung in einen blutigen Kreis ein … Kundige Hände schieben in einzelne der niederen Fensterchen schwelende Öllampen ein. Die blassen Flämmchen, vom Winde, der durch Ritzen und Löcher fährt, unruhig bewegt, zucken hin und her, rufen und betteln. – Sie sind die stummen Wegweiser. … Die Hauptstraße wird still und stiller, die Läden schließen, die eleganten Müßiggänger haben heimgefunden, nacheinander versprühen die knisternden Lampen, und den Putz und Glanz und Luxus decken graue Rollvorhänge bedachtsam zu. Da wacht dort hinten das Leben auf und öffnet hungrig seine versponnenen Schlafaugen. Da öffnen sich Fenster, rostige Torflügel knacken, da schwingt die Luft von Fragen, Plaudern, Lachen. Da fliegen Wolken von Moschus, und Veilchendüfte fliegen auf; Seide raschelt, und Silberreifen klittern, wenn die buntgekleideten Gestalten röckeschürzend aus dem Dunkel der namenlosen Gasse eilen. Sie sind’s! Geschminkte Lippen, darauf ein lustiges Liedchen blüht! Wiegende Hüften, die das strammsitzende Mieder verformt! Augen, deren gieriger Schein erst mit dem Lichte kämpfen muß … Und das spendende Lächeln eingesargt in einer Grimasse! So zieht der Zug von Frauen auf die schöne, blank asphaltierte Hauptstraße hinaus. Der Markt der Liebe ist aufgetan: Die Buden des Glückes sind gezimmert, und die Verkäuferinnen harren ihrer Kunden. Sie brauchen nicht lange zu warten. Da kommen sie von ihrer Mutter entlassen – oder ihren Bräuten – vom Weine oder von den ernsten Büchern, aus dem Tanzsaale oder aus der Kirche – einerlei – hier finden sie sich, schlingen den Reigen … Jetzt schüttelt die Nacht ihre schwarzen Röcke, ein Grüßen, Kichern und hastiges Zurufen beginnt. Durch Flüstern und Flehen rascheln Zahlen, widerliches Sichverständigen klingelt zwischen Seufzern der Sehnsucht, und das stumpfe Beharren der Dirne siegt über die entfesselte Brunst des Begehrenden. Mit hochgezogenem Mantelkragen folgen die Männer den Führerinnen, – die schnell in das namenlose Gäßchen zurückeilen, und einen kleinen Augenblick nur tropft das rote Blut der Laterne fragend über die fremden Gesichter hin. Dann verschluckt die Finsternis, was sich in ihrem Bereiche gepaart hat. Tagsüber liegt dieses Eckchen Welt still und versponnen da. Die Gardinen sind überall zugezogen, die Tore geschlossen, man hört selten Kinderlärm oder nachbarliches Geplauder. In diesem Viertel wachsen keine fröhlich spielenden Kinder auf. Hier wohnt das Laster und seine vogelfreien Gesellen, – das Verbrechen und seine versteckte Duldung; alles findet gefälligen Unterschlupf, das haltlos von der Ehrbarkeit des bürgerlichen Lebens abgeglitten ist. Diebe und Diebshehler, Bauernfänger, Kuppler, die „leichten Kunden“, wie sie bei der Polizei sagen, finden sich in den beiden verrauchten, ebenerdigen Cafés zusammen, von denen eines die berüchtigte Mama Zimmermann hält. Hier schleichen die Burschen mit gefüllten Taschen hinein, lassen sich von den Mädeln karessieren, anstaunen, werden gesprächig und freigebig; sie hauen Schmuck auf den Tisch und gröhlen dazu – bis sich eine eiserne Hand auf ihre Schultern legt, die sie auftaumeln läßt. Kontrollmädchen überschwemmen die kleinen, feuchten, elend gebauten Häuschen, denn die Gegend ist ergiebig, sehr beliebt und überfallssicher. Außer den Streifungen, die von Zeit zu Zeit abgehalten werden und von denen Unternehmerinnen und Wirtinnen verständigt sind, gibt es keine Störungen, kein böswilliges Aufstöbern und Beunruhigen. Man will einen signalisierten Mann fassen oder Hehler überraschen, aber den „guten Mädchen“ tut die Polizei nicht überflüssig weh. Die vorschriftsmäßige Kontrolle wird niemals scharf gehandhabt; was sich hier ansiedelt, ist geduldet; und in verdächtigen Fällen bringen schon die Wirtinnen ihre Schützlinge durch .. „Dös arme Madel is akkrat wie Glas, kaiserlicher Rat, Euer Gnaden – no ja, – a bissel a Unordnung hat’s scho’ mit ’n Büchel – aber a so a reines Schaf, kaiserlicher Herr Rat! – Was Euer Gnaden von der wissen wollen, derfens nur fragen auf sie“ … So unansehnlich und gering das Gäßchen auch aussieht, in der Branche gilt es als glückliche Chance – als eine gewisse sichere Versorgung, für eine Zeit dort unterzukommen … Zimmer und Betten stehen niemals leer, immer gibt es einen Zuzug von „Jungen, Frischen“, die Wirtinnen wechseln zwar die Damen, aber ihre Hände bleiben blank gefüllt mit dem Gelde der Verdienenden. Über die hohe Mauer des Soldatenspitals, das die Gasse am unteren Ende breit und massig überquert, rauschen alte, dichtverknorrte Ahornbäume, und der Wind jagt Blätter, Laub und Ästchen über die ungepflegten, schlecht gepflasterten Trottoirs hin. Allerlei Gerümpel liegt hier umher, zerbrochenes Geschirr und verwehte Hadern, Küchenabfälle und altes Zeitungspapier; Rinnsälchen von Wasser, das achtlos aus Fenstern und Haustüren geschleudert wird, laufen zu großen Pfützen zusammen, die den Weg versperren und über welche die Weiber schimpfend mit hochgezogenen Rocken springen. Sie laufen vereinzelt, unfrisiert und schlumpig vermummt, mit Körben und Krügen aus den Haustüren, schlängeln sich um den patrouillierenden Wachmann herum und verschwinden in einem der kleinen Schankläden. Ungepflegt, dürftig, verwittert ist alles, worauf das Auge fällt. Ein einziges wohlerhaltenes Gebäude nur überragt mit Stockwerk und spiegelnder Fensterfront die kleinen niederen Häuschen seiner Umgebung. Hier prangt auch die rote Laterne, das Auge der Straße, und sie trägt mit schwarzen, fetten Lettern auf dem grellfarbigen Glas die Aufschrift „Rothaus“. Sein Erbauer hatte es so genannt wegen der seltsamen, blutfarbenen Ziegelung, die nirgend eine Unterbrechung findet. Das Rothaus ist der Stolz und der Mittelpunkt des namenlosen Gäßchens. Hier wohnt die Elite seiner Bewohner, eine Auswahl der hübschesten und erfolgreichsten Fräuleins. Es galt nicht nur als eine gewisse Auszeichnung, sondern auch als sichere Chance zu höherem Verdienste und geregeltem Einkommen. Man war hier, wenn man arbeiten und nicht nur saufen wollte, – gut versorgt, – die Herren gingen gerne mit, auch noble, – auch „Kavaliers“, denn etwas Vertrauenerweckendes haftete in eingeweihten Kreisen von jeher den Mieterinnen des Rothauses an. Ja, soweit wäre alles fein und gut, wenn die Frau Lorinser nicht dazu gewesen wäre, die die Zimmer nur mit Verpflegung und täglicher Wäsche vermietete. Frau Lorinser war die Portierin, eigentlich Verwalterin des Hauses und einzige Instanz; gegen Dinge, die sie einmal beschlossen hatte, gab es keinen Widerspruch mehr. Das Rothaus gehörte einem alten pensionierten Major, der gar keinen Einfluß auf seine Verwaltung nahm, das Weib wirtschaften ließ, wie es wollte, und zufrieden war, wenn sie ihm nur den Zins monatlich abführte, und in dieser Beziehung war die Lorinser ebenso verläßlich und pünktlich, wie in der Einforderung des Tagegeldes von ihren Damen, das mitunter die beträchtliche Höhe von 20 Gulden erreichte. Zwanzig Gulden täglich … Manchmal konnte man es ja verdienen und auch darüber hinaus; aber auch für die Schönsten und Eifrigsten kamen tote Zeiten. Was dann? Die Lorinser hatte das Ankreiden nicht in der Gewohnheit … Wer nicht zahlen konnte, saß auf der Straße … O, sie war nicht bange um Nachschub, die Frau Portierin. … Fein und vornehm sah es doch her, das Rothaus. … Blanke Fensterscheiben ohne Risse und Lücken, weiße, kurze Gardinen und hie und da grüne Topfblumen, die, wenn sie auch staubig und dürftig waren, immerhin freundlich herausnickten. Ja, das war sie, tüchtig und pünktlich, rackern konnte die Lorinser wie ein Pferd … Wenn nur das viele, viele Geld immer gleich aufzubringen gewesen wäre! … Man braucht halt so viel für Schuhe, Kleider und Wäsche, und fast jede hatte noch ein paar „Anhängsel“, Eltern oder Geschwister, die wöchentlich ein paarmal in die kleine Gasse gelaufen kamen und bettelten … Da gab man her. Was blieb einem dann noch für die Liebe übrig? – – Das Essen war ziemlich gut und reichlich, aber ohne Wein und Schnaps, und diese Stimulantia konnte man bei solchem Leben nicht mehr entbehren … Die Lorinser verkaufte Kognak und Wein und sah es nicht gerne, wenn man darum...


Jerusalem, Else
Else Jerusalem gilt als eine der hervorragenden Protagonistinnen in der bürgerlichen Frauenbewegung um 1900. 1876 wurde sie als Elsa Kotanyi in Wien geboren. 1899 debütierte sie mit ihrer Novellensammlung Venus am Kreuz. Ihr Bordellroman "Der heilige Skarabäus" erschien 1909 im renommierten Verlag S. Fischer und wurde mit rund 40 Neuauflagen schnell zu einem vielbesprochenen Bestseller. 1911 emigrierte sie nach Buenos Aires. Bis 1939 publizierte sie sowohl in südamerikanischen Zeitschriften und Verlagen als auch weiterhin im deutschsprachigen Raum. Sie starb 1943 in Buenos Aires.

Spreitzer, Brigitte
Brigitte Spreitzer, geb. 1964, verfasste ihre Habilitationsschrift "Texturen. Die österreichische Moderne der Frauen" im Rahmen des Grazer Spezialforschungsbereichs „Moderne – Wien und Zentraleuropa um 1900“. Sie ist Dozentin für Deutsche Literatur am Institut für Germanistik der Karl-Franzens-Universität Graz und Psychotherapeutin für Katathym Imaginative Psychotherapie in freier Praxis.

Weyland, Ines
Die Enkelin Else Jerusalems erinnert sich.

Else Jerusalem gilt als eine der hervorragenden Protagonistinnen in der bürgerlichen Frauenbewegung um 1900. 1876 wurde sie als Elsa Kotanyi in Wien geboren. 1899 debütierte sie mit ihrer Novellensammlung Venus am Kreuz. Ihr Bordellroman "Der heilige Skarabäus" erschien 1909 im renommierten Verlag S. Fischer und wurde mit rund 40 Neuauflagen schnell zu einem vielbesprochenen Bestseller. 1911 emigrierte sie nach Buenos Aires. Bis 1939 publizierte sie sowohl in südamerikanischen Zeitschriften und Verlagen als auch weiterhin im deutschsprachigen Raum. Sie starb 1943 in Buenos Aires.



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