Buch, Deutsch, 232 Seiten, Format (B × H): 139 mm x 215 mm, Gewicht: 362 g
Buch, Deutsch, 232 Seiten, Format (B × H): 139 mm x 215 mm, Gewicht: 362 g
ISBN: 978-3-89561-393-7
Verlag: Schoeffling + Co.
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"Der Volvo stand so da, wie er ihn vorgestern bei der Rückkehr aus der Stadt abgestellt hatte. Orangefarben, Originallackierung, Baujahr 1975, unfallfrei, erster Halter … Vor einem Jahr hatte er versucht, ihn zu verkaufen, aber als ihm so ein Schnösel zweihundert Euro dafür anbot, nahm er davon Abstand und meldete sich nicht mehr auf Anzeigen. Er wollte mindestens drei- bis viertausend für den Wagen bekommen. Es war ein gutes Auto, zuverlässig, es ließ einen nie im Stich. All die Jahre hatte er ihn gepflegt, zweimal pro Jahr große Inspektion machen lassen, regelmäßig den Ölstand geprüft, war immer nur auf asphaltierten Straßen gefahren und nie schneller als hundertdreißig … Der Volvo schaffte durchaus hundertsechzig, hundertsiebzig, aber der Professor glaubte fest, dass ein Auto wie ein gutes Pferd war, das im lockeren Trab die halbe Welt umrundet, das man aber nur in Todesgefahr oder wenn die eigene Frau in den Wehen liegt im Galopp reiten darf. Der Professor hatte sich nie in Todesgefahr befunden und Frau Ivanka, Gott sei ihrer Seele gnädig, konnte keine Kinder haben, und so war der Volvo nie schneller als hundertdreißig gefahren, er hatte ihn nur im Trab geritten und dreißig Jahre und manches Jahr darüber erhalten. Jetzt aber standen sich Halter und Auto gegenüber, beide alt und müde, an dem einen zerrte bereits die Schwerkraft des Grabs, während das andere angeblich nur noch zweihundert Euro wert war, kaum so viel wie die beiden Tankfüllungen, die er 1975 nach Stockholm benötigt hatte, dem Venedig des Nordens, wohin der Professor und Frau Ivanka auf Ein ladung von Tante Silva gefahren waren, der Witwe des Feldmarschalls Pozaic, dessen Namen man in Briefen nicht erwähnen durfte, weil er auf dem Bild einer Militärparade zu sehen war, wie er Pavelic auf einem Schimmel mit gezücktem Säbel im Namen des früheren kroatischen Oberkommandos der Truppen an Isonzo und Piave Meldung erstattet, pensionierter österreichisch-ungarischer Offiziere, siebzig-, achtzigjähriger Greise, denen der Poglavnik mit der Umbenennung in Reserveverband des kroatischen Heeres oder wie das damals hieß eine Ehre erwies, und auch wenn sich der alte Pozaic während des Bestehens des unglückseligen Staates nie wieder in einer Uniform oder in der Nähe der Ustascha blicken ließ, packte Tante Silva wegen dieser einen, auf der Titelseite der Spremnost veröffentlichten Fotografie beim Anmarsch der Partisanen solche Furcht, dass sie den Greis bis nach Schweden und Stockholm ins Exil trieb, wo der Feldmarschall in den sechziger Jahren mit hundert Jahren starb, woraufhin Tante Silva Heimweh nach Zagreb bekam, sich aber nicht zurücktraute, obwohl sie niemandem etwas getan hatte, sondern lieber die Neffen und Nichten, die es Gottseidank gab, nach Stockholm einlud und in ihrer großen, hellen Wohnung direkt an einem Kanal unterbrachte, auf dem Enten, Schwäne und andere Wasservögel schwammen und ins Fenster schauten, als wollten sie sich vergewissern, dass dort Gäste aus dem fernen Süden weilten.Er stand vor dem Markt, betrachtete den Volvo und fand es unfassbar, dass der gerade mal so viel wert sein sollte wie das Benzin bis Stockholm. Wesentlich teurere Autos, die derzeit durch Zagreb fuhren, würden es nicht bis Stockholm schaffen, etliche würden auf halbem Weg liegen bleiben, irgendwo mitten in Deutschland auf der Autobahn auseinanderfallen, aber der Volvo, der nachweislich bis zum Nordpol fahren würde, war praktisch wertlos. Nur ein altes Auto ist noch weniger wert als ein alter Mensch. So ist das halt. Schade, dass das keiner in einem Zeitungsartikel oder besser noch in einem Buch aufschreibt, dachte der Professor, denn dieser Satz bliebe als nackte Wahrheit haften, eine von vielleicht zehn oder fünfzehn nackten Wahrheiten im Leben.Er war dem Volvo wie einem letzten Freund verbunden, wollte ihn aber trotzdem los sein, weil ihn das Auto an etwas erinnerte, das ihm Angst einjagte und von dem er nicht sagen konnte, was es war. 1975, als er zum Entsetzen des ganzen Lehrerzimmers einen nagelneuen Volvo gekauft hatte, wie ihn weder der Mittelstürmer von Dinamo Zagreb noch der Bildhauer fuhr, der Titos Denkmäler baute, war Karlo Adum vierunddreißig Jahre alt gewesen. Für das Geld hätte man damals ein Haus in Šestine oder zwei Wochenendhäuschen auf Hvar bekommen, aber das war ihm egal, er war jung, und solange man jung ist, muss man sich seine Wünsche erfüllen, und er hatte sich diesen Volvo gewünscht. Mit dem Alter kommen andere Autos, billiger in der Anschaffung und im Verbrauch, Hauptsache, man ist gesund und der Kopf sitzt auf den Schultern, Karlo wird noch dies und das fahren, bei dem Anfang, die Menschen werden sich auf dem Mond ansiedeln und Mondautos fahren …"