Jenkins / Walter / Crane | Esther, das Wunderschwein | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Jenkins / Walter / Crane Esther, das Wunderschwein


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-20135-7
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-641-20135-7
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als eine Bekannte den Tierfreund Steve Jenkins fragte, ob er nicht ein Minischwein adoptieren wolle, wusste Steve, dass sein Lebensgefährte Derek nicht gerade begeistert sein würde. Dennoch willigte er ein, sich des süßen kleinen Ferkels anzunehmen. Eine Entscheidung, die Dereks und sein Leben für immer verändern sollte. Denn rein gar nichts an Esther war »Mini« – in drei Jahren wurde sie zu einem ausgewachsenen Hausschwein von 335 Kilo. Doch trotz aller Schwierigkeiten und einer Menge buchstäblicher »Schweinereien« liebten die beiden Esther: nur wie sollte es in ihrer Stadtwohnung mitten in Toronto mit der tierischen WG weitergehen? Wieder fassten sie einen weitreichenden Entschluss: per Crowdfunding finanzierten sie ein Gnadenhof-Projekt für ehemalige Nutztiere. Heute leben sie mit Esther und vielen anderen tierischen Freunden auf dem Land in Ontario im Happily Ever Esther Farm Sanctuary.

Steve Jenkins und Derek Walter sind weltweit bekannte Tierschutzaktivisten. Sie sind die Gründer der Happily Ever Esther Farm in Campbellville, Ontario, einem Gnadenhof für ausgediente Nutztiere.Caprice Crane ist erfolgreiche und vielfach preisgekrönte Roman- und Drehbuchautorin.
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1

Ein Leben ohne ab und zu ein bisschen Nervenkitzel lohnt im Grunde gar nicht, gelebt zu werden. Allerdings gibt es die eine Form von Nervenkitzel und es gibt auch die andere: etwa einen Güterzug, der andauernd um drei Uhr morgens auf dein Schlafzimmer zugerast kommt.

Wir nennen das die »Schweinchenparade«.

Es klingt zwar verniedlichend, aber es ist absolut nichts Niedliches oder Putziges daran, von einem über 300 Kilo schweren Schwein aus dem Schlaf gerissen zu werden, das den Flur hinabdonnert. Man nimmt es zunächst unterschwellig wahr, als eine Vibration, die in der Matratze zu rumoren beginnt und einem erst nach und nach ins dämmerige Unterbewusstsein dringt – bis einem nur wenige Augenblicke bleiben, um zu begreifen, was da auf einen zugaloppiert, und rasch den Platz zu räumen für ein Mammut, das felsenfest entschlossen ist, es sich auf dem Bett gemütlich zu machen. In dem ganzen Tohuwabohu aus umherfliegenden Kopfkissen und Menschen, Hunden und Katzen, die verzweifelt versuchen, sich aus der Gefahrenzone zu bringen, hört man das immer lauter werdende Geräusch von über die Holzdielen hinwegpolternden Hufen, die mit jeder Sekunde an Tempo zulegen. Das brennt sich schon nach dem ersten Mal für ewig in die Psyche ein, und man ist dann auf eine Reaktion konditioniert – wie der pawlowsche Hund, der reflexmäßig weiß, was in einer bestimmten Situation zu tun ist. So war es auch bei Reuben und Shelby, unseren beiden heiß geliebten Hunden, wohingegen Delores und Finnegan, unsere Katze und unser Kater, selber sehen müssen, wo sie bleiben.

Das Haus erbebt praktisch mit jedem Huftritt; es ist ein Donnergetöse, gelegentlich untermalt von einem Poltern, wenn ein Möbelstück über den Haufen gerannt wird. Man spürt es in allen Gliedern, aber es gibt rein gar nichts, was man dagegen unternehmen kann.

Und dann kommt unsere herzallerliebste Prinzessin ins Zimmer gestürmt – vermutlich war es ein nächtliches Geräusch, das sie hochschrecken ließ – und schmeißt sich auf unser Bett. Ziemlich genau so, wie sie sich in unser beider Leben geschmissen hat. Und wenn es auch jedes Mal wieder ein Kampf und ein Krampf ist, Platz für sie zu schaffen, so ist es doch eine ganz neue, wundervolle Art des Nervenkitzels für uns, die wir auf gar keinen Fall mehr missen möchten.

Vielleicht war es von jeher meine Bestimmung, das Herrchen eines Schweins zu werden. Ich habe immer schon ein Herz für Tiere gehabt. Wenn ich in eine Situation geriete, in der ich sowohl einen Hund als auch einen Menschen aus einer Falle befreien müsste, dann würde ich – so ungern ich es zugebe – zunächst dem Tier helfen. Tiere brauchen menschlichen Beistand. Keine Ahnung, wo es herrühren mag, aber ich habe mich stets als ihr Beschützer gefühlt.

Mein allererster bester Kindheitsfreund war Brandy, die Hündin. Ein Schäferhundmischling mit Schlappohren und einem langen, geraden Schweif. Sie war braun und schwarz gefleckt und stellte damit einen hübschen Kontrast zu meinem eigenen hellblonden Wuschelkopf dar – wobei ich mit Schlappohren und einem Schweif natürlich nicht dienen konnte. Ich sah früher ein bisschen aus wie Dennis, der Lausbub aus dem Comicstrip, und einige Leute würden glatt behaupten, wir hätten auch ähnliche Charakterzüge gehabt.

Brandy und ich waren unzertrennlich. Sie folgte mir überallhin wie mein Schatten – nicht nur, wenn ich Freunde besuchte oder in den Park ging, sondern sogar von einem ins andere Zimmer.

Wir lebten damals in Mississauga, einer ziemlich großen Stadt in der kanadischen Provinz Ontario, aber es war eine andere Zeit, unkomplizierter und gefahrloser. Wir waren entweder zu Fuß oder mit unseren Fahrrädern unterwegs, bis es dunkel wurde und damit Zeit, heimzukehren.

Bevor bei uns ein Tier ins Haus kam, war ich als abenteuerlustiger Sechsjähriger immer darauf aus, herauszufinden, was für Tiere die Nachbarn hatten, und dabei schlug ich gelegentlich über die Stränge, wenn es darum ging, einen neuen Freund zu gewinnen. Meine Eltern haben dafür gesorgt, dass ich niemals den Abend vergessen werde, an dem ich die Regel verletzte, dass man bei Einbruch der Dunkelheit daheim sein musste. Ich hatte mich an jenem Tag mit einem Hund aus einem der umliegenden Gärten angefreundet – bis mich nach einer gewissen Weile die Leute, die dort wohnten, darauf hinwiesen, dass es nun langsam Zeit wäre. Also trottete ich los, ging durch das Gartentor und verschwand außer Sichtweite. Doch kaum hatte sich diese Familie in ihre Räumlichkeiten zurückgezogen, schlüpfte ich wieder in den Garten, um weiter mit ihrem Hund zu spielen. Belanglosigkeiten wie besorgte Eltern oder Hausfriedensbruch kümmern Kinder nicht.

Ich flog auf, während wir gerade mit Feuereifer beim Apportieren waren, weil nämlich der Stock versehentlich die Fensterscheibe traf. (Sehr geschickt, dass ich das dem Stock anhänge, oder? Obwohl ich ihn geworfen hatte. Dem Hund konnte ich ja schließlich schlecht die Schuld geben.)

Als die Vorhänge beiseitegeschoben wurden und die Hausbesitzer hinausschielten, um zu schauen, was das für ein Lärm gewesen war, rührte ich mich nicht von der Stelle. Ich versuchte mir einzubilden, ich wäre ein Chamäleon, und hoffte auf diese Weise, mit dem Hintergrund ihres Gartens zu verschmelzen.

Ich hätte es vielleicht lieber als Ninja, als unsichtbarer Kundschafter aus dem alten Japan, versuchen sollen, denn das mit dem Chamäleon klappte überhaupt nicht. Sonderbarerweise hatten sie mich sofort entdeckt, aber die Dame des Hauses war so freundlich, aus der Tür zu treten und mich einzuladen, ins Haus zu kommen und dort mit dem Hund zu spielen – wo es nichts zu apportieren gab und auch keine Fensterscheiben zerbrechen konnten.

Eine herzerwärmende Episode, nicht wahr?

Komisch, wie schlagartig die Stimmung kippt, wenn die Polizei vor der Tür steht.

Ja, das war das Ende der Geschichte. Auf das Begehren meiner panischen Eltern hin schien man die ganze Gegend abgesucht zu haben. (Es war zumindest angenehm zu wissen, dass die Eltern sich um einen Sorgen machten.) Ich hatte ehrlich nie daran gedacht, in was für Angst und Schrecken ich meine Eltern versetzt hatte, indem ich nicht pünktlich zu Hause eingetroffen war. Aber Sie können mir glauben: Ich habe mir einiges deswegen anhören müssen, als ich wieder daheim war, und zwar nicht nur ein Mal, sondern pausenlos – bis ich an diesem Abend endlich ins Bett durfte.

Doch unterm Strich hat sich meine kleine Verfehlung gelohnt: Noch in derselben Woche brachten meine Eltern mir einen Hund mit. Denn so etwas sollte nie wieder geschehen.

Sooft meine Eltern auswärts waren, zog meine Großmutter väterlicherseits zu uns. Sie war zwischen den beiden Weltkriegen in Schottland aufgewachsen. Ich würde sie nicht unbedingt als stures Weib bezeichnen wollen, aber es bestand für mich kein Zweifel daran, dass meine Großmutter Nein meinte, wenn sie Nein sagte. Dennoch liebte ich sie abgöttisch, und wir kamen immer bestens miteinander aus, obwohl mein gesunder Respekt vor ihr vermutlich der Grund dafür war, dass meine Eltern mich so gerne ihrer Obhut überließen.

Eines Tages, als meine Eltern wieder einmal nicht da waren und Großmutter sie vertrat, bin ich hinüber zum Haus unserer Nachbarn gelaufen. Aus irgendeinem Grund wollte Großmutter nicht, dass ich Brandy mitnahm. Mir war klar, dass Brandy das gar nicht gefallen würde, aber meine Großmutter duldete keine Widerrede, also ließ ich Brandy bei ihr.

Das war das letzte Mal, dass ich sie lebend sah.

Weil ich ja gleich nebenan mit den anderen Kindern spielte, konnte Brandy meine Stimme und mein Lachen hören, und das machte sie ganz kribbelig, weil sie zu mir wollte. Sie wusste ja, dass ich nur einen Sprung über einen Zaun weit entfernt war, und das probierte sie jetzt. Doch bei dem Versuch verfing sich ihr Halsband im Zaun, und sie brach sich das Genick.

Glücklicherweise habe ich sie nicht selber dort am Zaun hängen sehen – ich erfuhr erst später von meinen Eltern, was passiert war. Aber allein schon das Wissen um Brandys Tod war einfach zu viel für mich. Da Sie gerade dieses Buch lesen, mögen Sie offensichtlich Tiere, und ich bin sicher, dass Ihnen diese Geschichte an die Nieren geht. Bestimmt können Sie sich vorstellen, wie sehr es mich getroffen hat – das Kind, für das Brandy fester Bestandteil seiner Familie war.

Viele Menschen haben es miterleben müssen, wie ihr geliebtes Haustier von einem Auto überfahren wurde, und ich will gar nicht in Abrede stellen, was für eine schmerzliche Erfahrung das ist, doch die Umstände von Brandys Tod waren nicht minder niederschmetternd. Ich habe es mir immer wieder unwillkürlich ausgemalt, wie es ausgesehen haben musste, als mein Mädchen da schlaff und leblos am Zaun hing – und das alles nur, weil sie zu mir wollte, um mit mir zu spielen. Dieses traurige Ereignis hat mich nie wieder losgelassen.

Während die meisten Erinnerungen an meine Kindheit ziemlich verschwommen sind, sticht diese mit kristallklarer Schärfe hervor. Sie ist meine erste Erinnerung daran, dass mir im wahrsten Sinne des Wortes das Herz gebrochen war, weil ich wusste, dass ich etwas verloren hatte, wovon ich nie gedacht hätte, dass ich es je verlieren würde. Als Kind denkt man nicht über die gemeinerweise viel zu kurze Lebenserwartung unserer Haustiere nach und glaubt einfach, unsere vierbeinigen Kameraden würden für immer und ewig an unserer Seite bleiben. Doch selbst wenn man mich darauf vorbereitet hätte, dass ich eines Tages, in zehn oder vierzehn Jahren vielleicht, von Brandy würde Abschied nehmen müssen, hätte ich das nie...


Jenkins, Steve
Steve Jenkins und Derek Walter sind weltweit bekannte Tierschutzaktivisten. Sie sind die Gründer der Happily Ever Esther Farm in Campbellville, Ontario, einem Gnadenhof für ausgediente Nutztiere.Caprice Crane ist erfolgreiche und vielfach preisgekrönte Roman- und Drehbuchautorin.



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