E-Book, Deutsch, 296 Seiten
Jeier Sie hatten einen Traum
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96148-191-0
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 296 Seiten
ISBN: 978-3-96148-191-0
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Thomas Jeier wuchs in Frankfurt am Main auf, lebt heute bei München und »on the road« in den USA und Kanada. Seit seiner Jugend zieht es ihn nach Nordamerika, immer auf der Suche nach interessanten Begegnungen und neuen Abenteuern, die er in seinen Romanen verarbeitet. Seine über 100 Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. Bei dotbooks erscheinen folgende Titel des Autors: »Die Sterne über Vietnam« »Die abenteuerliche Reise der Clara Wynn« »Flucht durch die Wildnis« »Sie hatten einen Traum« »Sturm über Stone Island« »Wo die Feuer der Lakota brennen« »Flucht vor dem Hurrikan« »Wohin der Adler fliegt« »Die Reise zum Ende des Regenbogens« »Hinter den Sternen wartet die Freiheit« »Die vergessenen Frauen von Greenwich Village« »Solange wir Schwestern sind« »Blitzlichtchaos« »Der Stein der Wikinger« Die Website des Autors: www.jeier.de Der Autor im Internet: www.facebook.com/thomas.jeier
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1
Audrey Jackson zitterte vor Angst. Sie war allein auf dem Highway und hielt das Lenkrad ihres Plymouth mit beiden Händen umklammert. Ihr Blick wanderte nervös durch die Dunkelheit. Wie bedrohliche Schatten flogen die Reklametafeln an ihr vorbei. Die Luft war feucht und schwül und der Mond lag hinter dunklen Wolken verborgen. Dunstschwaden zogen über die Felder und verfingen sich in den Bäumen am Straßenrand. In den wenigen Gebäuden brannte kein Licht. Die schwarzen Farmer wollten keine Aufmerksamkeit erregen. Das Brummen des Motors und das Singen der Räder auf dem nassen Asphalt waren die einzigen Geräusche in der ungewöhnlich dunklen Februarnacht.
Kalter Schweiß perlte von ihrer Stirn. An der Straße zwischen Bessemer und Birmingham trieb der Ku-Klux-Klan sein Unwesen, ein weißer Geheimbund, der seit hundert Jahren bestand und gewaltsam gegen alle Schwarzen vorging. Die Kapuzenmänner überfielen wehrlose Männer und Frauen und zündeten Farmhäuser und Scheunen an. Wenn Audrey in die Hände dieser Mörder fiel, hatte sie keine Gnade zu erwarten.
Audrey blickte in den Rückspiegel. Ihre Augen waren ungewöhnlich groß und leuchteten weiß. Sie war neunzehn und wirkte sogar in ihrem einfachen Kleid und der Strickjacke wie eine junge Dame. Ihr gelocktes Haar reichte bis auf die Schultern. Auch weiße Männer drehten sich heimlich nach ihr um, wenn sie in ihrem Sonntagskleid aus der Kirche kam und ihre Freundinnen umarmte. Ihre schwarze Haut glänzte im schwachen Licht der Armaturen. Sie hatte Betty Ann besucht, ihre zwei Jahre jüngere Freundin, und war auf dem Rückweg nach Birmingham.
Betty Ann war die Tochter eines Stahlarbeiters und so impulsiv, dass Audrey manchmal Angst um sie bekam. Das Mädchen hatte alle Zeitungsberichte über die Protestaktionen in Montgomery und Albany gesammelt und war fest entschlossen, an den Freiheitsmärschen teilzunehmen, falls die Bewegung jemals nach Birmingham kam. Martin Luther King, ein Pastor aus Atlanta, setzte sich für die Gleichberechtigung ein und hatte die Schwarzen ermuntert, gegen die Willkür der Weißen zu protestieren. Im Fernsehen und in den Zeitungen wurde ausführlich über ihre gewaltlosen Demonstrationen berichtet. »Ich habe keine Angst«, behauptete Betty Ann. »Die Polizei kann uns nichts anhaben, wenn wir uns friedlich verhalten! Wir müssen uns wehren, Audrey!«
»Und was ist mit dem Klan?«, fragte Audrey. »Die Kapuzenmänner scheren sich nicht darum, ob wir uns friedlich verhalten! Neulich haben sie einen Farmer und seine Frau verprügelt, hast du das vergessen? Sie haben die Farm niedergebrannt und das Vieh vertrieben! Die beiden kommen nie wieder auf die Beine!«
Betty Ann blätterte in ihrem Album mit den Zeitungsausschnitten. »Der Klan kann nicht überall sein. Aber wenn Martin Luther King und seine Leute nach Birmingham kommen, werden wir ihn besiegen! In der Zeitung haben sie seine Predigt abgedruckt.« Sie fand den Ausschnitt und las vor: »Ich glaube, dass selbst der schlimmste Befürworter der Rassentrennung zu einem Befürworter des friedlichen Miteinanders von Schwarz und Weiß werden kann!« Ihre Augen leuchteten. »Stell dir vor, du gehst auf dieselbe Schule wie die Weißen und die weißen Jungs quatschen dich nicht mehr blöd an, wenn sie dich sehen!«
»Dagegen kann auch Martin Luther King nichts tun!«, erwiderte Audrey lächelnd. Sie deutete auf ein Zeitungsbild, das weiße Schüler bei einem Protestmarsch gegen die Aufhebung der Rassentrennung zeigte. Die Gesichter der Kinder waren voller Hass. »Geh den Weißen aus dem Weg und du bekommst keinen Ärger! Du weißt doch, wie es den schwarzen Schülern in Little Rock ergangen ist. Ohne die Nationalgarde wären die niemals in die High School gekommen! Die Weißen hätten sie erschlagen!«
Audrey stammte aus einer besser gestellten Familie. Ihre Eltern führten einen Gemischtwarenladen in Birmingham. Sie waren angesehene Leute im schwarzen Viertel. Ein Massenprotest wie in Montgomery oder Alabama würde ihre Welt zum Einstürzen bringen. »Ich verstehe diesen Martin Luther King nicht«, sagte ihr Vater. »Warum will er alles verändern? Uns geht es doch nicht schlecht! Was macht es schon, wenn wir in den Bussen hinten sitzen müssen? Ändert es irgendwas, wenn wir im Drugstore einen Milchshake bestellen dürfen? Durch seinen Protest macht er alles nur noch schlimmer! Ich glaube, er will sich nur in den Vordergrund spielen! Was meint ihr, was passiert, wenn er sich in Birmingham mit der Polizei anlegt? Wir werden alle darunter leiden! Nein, nein, er soll in Atlanta bleiben!«
Das Angebot, die Nacht im Haus ihrer Freundin zu verbringen, hatte Audrey abgelehnt. Obwohl sie große Angst vor dem Klan hatte, wollte sie so schnell wie möglich nach Hause. Bis nach Birmingham waren es nur ein paar Minuten und es würde schon nichts passieren. Doch während sie allein durch die sternenlose Nacht fuhr, tauchten schreckliche Bilder vor ihren Augen auf: Weiße Kapuzenmänner, die brennende Kreuze in den Boden rammten. Weiße Männer, die ein schwarzes Mädchen bespuckten und schmutzige Bemerkungen machten. Der Ku-Klux-Klan wollte, dass sich die »Nigger« den Weißen unterordneten.
Im Rückspiegel erschien ein Wagen. Ein Scheinwerfer war schwächer als der andere, bohrte sich mit einem grellen Lichtstrahl in ihre Augen. Sie nahm den Fuß vom Gas und fuhr so dicht wie möglich am Straßenrand entlang. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen, als der Wagen sie überholte. Aus den Augenwinkeln sah sie einen gelangweilten Weißen, der sich gar nicht darum kümmerte, wer sie war. Er blickte stur geradeaus und paffte eine Zigarre. Erleichtert beobachtete sie, wie er in der Dunkelheit verschwand. Sie steuerte den Plymouth nach links und folgte dem weißen Mittelstreifen einen Hügel hinauf. In der Ferne waren bereits die Lichter von Birmingham zu erkennen.
Sie lockerte den Griff um das Lenkrad, redete sich ein, dass nun nichts mehr passieren konnte. Später würde sie sich Vorwürfe machen, nicht schneller gefahren oder in einen der Feldwege abgebogen zu sein. Dann wäre sie dem Pick-up, der hinter ihr auftauchte, vielleicht entkommen. Vielleicht war es auch ein Fehler, ausgerechnet in dem Augenblick nach links zu blicken, als der Kleinlaster sie überholte. So merkten die beiden Männer auf der Vorderbank sofort, dass sie eine Schwarze war. Das Licht der Armaturenbeleuchtung spiegelte sich auf ihren hohen Wangenknochen. Nur für einen Sekundenbruchteil sah sie das Gesicht des Beifahrers. Lange genug, um einen harmlos aussehenden Burschen mit kurz geschorenem Haar und aufgeblasenen Wangen zu erkennen. Er grinste frech. Sie wandte sich rasch ab und hörte im selben Augenblick, wie der Motor des Pick-ups aufheulte. Der Kleinlaster fuhr mit quietschenden Reifen an ihr vorbei.
Sie glaubte schon, die weißen Männer würden sie in Ruhe lassen und weiterfahren, als die Bremslichter des Pick-ups aufleuchteten und der Wagen sich quer stellte. Es gab keine Möglichkeit, daran vorbeizufahren. In panischer Angst trat Audrey auf die Bremse. Ihr Plymouth schleuderte nach rechts, streifte die Ladeklappe des Pick-ups und rutschte mit dem rechten Vorderrad in den Straßengraben. Sie fiel nach vorn und prallte gegen das Lenkrad. Stechender Schmerz durchzuckte ihre Brust. Sie schaffte es nicht mehr, die Türen zu verriegeln. Noch bevor sie den Knopf berührt hatte, waren die jungen Burschen heran und rissen ihre Tür auf. Ihre Augen waren voller Hass und Hohn.
»Hast du das gesehen, Steve?«, rief der Beifahrer in gespielter Entrüstung. »Die verdammte Niggerschlampe hat unseren Pick-up gerammt! Das hat sie absichtlich getan, Steve, nicht wahr?«
»Das glaube ich auch«, meinte Steve, ohne den Blick von Audrey zu nehmen. Er war größer und schlanker als sein Beifahrer und sein Grinsen wirkte überheblich.« Sie will wohl, dass wir ihr eine Abreibung verpassen! Zieh sie aus dem Wagen, Duncan!«
Audrey wich ängstlich vor den Männern zurück. Das Scheinwerferlicht des Pick-ups ließ sie wie bedrohliche Riesen aussehen. Sie waren noch jung, vielleicht zwei oder drei Jahre älter als sie, und trugen ölverschmierte Overalls. Der Fahrer hatte eine Baseballkappe in den Nacken geschoben. Ihre Gesichter waren weiße Flecken in dem Halbdunkel und wirkten im künstlichen Licht der Scheinwerfer seltsam fahl. Ihr Atem roch nach Alkohol.
Duncan griff nach dem Mädchen und zerrte es aus dem Wagen. Er hielt sie an den Oberarmen fest und sagte: »Jetzt werden wir dir zeigen, was es heißt, den Pick-up anständiger weißer Bürger zu rammen!« Er stieß sie gegen den Wagen und zeigte kein Mitleid, als sie rückwärts gegen die Tür prallte und mit schmerzverzerrter Miene zu Boden sank. Ihr Entsetzen war so groß, dass sie nicht einmal weinen konnte. Duncan versetzte ihr einige heftige Tritte mit seinen Cowboystiefeln. »Wir sollten sie am nächsten Baum aufknüpfen, Steve«, schimpfte er, »so wie es die Klanmänner mit den verdammten Niggern machen!« In seinen Augen brannte ein gefährliches Feuer, wie bei einem Soldaten, der zum ersten Mal im Gefecht war und die Nerven verlor.
»Ich weiß was Besseres!«, erwiderte Steve. Er war nüchterner als sein Kumpan und schien genau zu wissen, was er tat. Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Hol das Abschleppseil!«
»Was hast du vor, Steve?«
»Wir machen es wie die Cowboys in den Westernfilmen. Die binden ihre Feinde mit dem Lasso ans Sattelhorn und schleifen sie quer über die Prärie! Mal sehen, ob die Niggerschlampe das durchhält! Wo bleibt das verdammte Abschleppseil, Duncan?«
»Ich geh schon, Steve!« Der Beifahrer verschwand in der Dunkelheit und kehrte mit dem ölverschmierten Seil zurück. Erst jetzt schien er zu kapieren, was sein Kumpan vorhatte. »He, die wird ganz schön Augen machen, wenn wir sie...




