E-Book, Deutsch, 137 Seiten
Jeier Blitzlichtchaos
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96148-679-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 137 Seiten
ISBN: 978-3-96148-679-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Thomas Jeier wuchs in Frankfurt am Main auf, lebt heute bei München und »on the road« in den USA und Kanada. Seit seiner Jugend zieht es ihn nach Nordamerika, immer auf der Suche nach interessanten Begegnungen und neuen Abenteuern, die er in seinen Romanen verarbeitet. Seine über 100 Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. Bei dotbooks erscheinen folgende Titel des Autors: »Die Sterne über Vietnam« »Die abenteuerliche Reise der Clara Wynn« »Flucht durch die Wildnis« »Sie hatten einen Traum« »Sturm über Stone Island« »Wo die Feuer der Lakota brennen« »Flucht vor dem Hurrikan« »Wohin der Adler fliegt« »Die Reise zum Ende des Regenbogens« »Hinter den Sternen wartet die Freiheit« »Die vergessenen Frauen von Greenwich Village« »Solange wir Schwestern sind« »Blitzlichtchaos« »Der Stein der Wikinger« Die Website des Autors: www.jeier.de Der Autor im Internet: www.facebook.com/thomas.jeier
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Kapitel 1
Im Hilton gab es keine Fruchtzwerge. Auch keine Kinderschokolade und keine Überraschungseier. Das Büfett reichte von einer Ecke des Ballsaals bis zur anderen und brach unter dem Hummer und dem Kaviar beinahe zusammen. Ich hatte es auf den bunten Obstsalat abgesehen und brauchte nicht zu drängeln. Die Schale mit den exotischen Früchten stand bei den Süßspeisen auf einem anderen Tisch. Mit einem Schälchen voller Kiwis und Mangoschnitze suchte ich nach meiner Mutter. Sie stand bei einem älteren Schauspieler, der mit Daddy auf Tournee gewesen war. Sie sah nicht besonders glücklich aus. Sie hörte nur mit dem halben Ohr hin und blickte eifersüchtig auf eine junge Schauspielerin, die mit einem berühmten Regisseur flirtete.
Wir waren auf einem Empfang der Filmakademie, und ich hätte mich am liebsten in die hinterste Ecke verkrochen. Ich hab nichts gegen solche Feste, ich war schon mit elf auf einem Filmball gewesen. Damals hatte Daddy den Goldenen Bambi als beliebtester Schauspieler in einem Fernsehfilm bekommen. Er hatte den Kinderarzt in einem Vierteiler gespielt, der vor Weihnachten im ZDF gelaufen war. Jetzt war ich vierzehn, fast schon fünfzehn, und konnte Daddy nur noch im Fernsehen sehen, weil sie die Serie gerade wiederholten. Meine Eltern waren seit einem halben Jahr geschieden. Daddy war mit einer jungen Fotografin davongelaufen. »Du musst das verstehen«, hatte er zu mir gesagt, »deine Mutter und ich haben uns auseinander gelebt. Du weißt ja selber, wie oft ich unterwegs war. Ich möchte euch nicht wehtun, aber ich möchte nicht mit einer Lüge leben!« Fast dieselben Sätze hatte er in der Arztserie zu seiner Partnerin gesagt.
Mama hatte die Scheidung nicht so locker weggesteckt. Sie hatte getobt und Daddy alle möglichen Dinge an den Kopf geworfen. Nicht, weil sie ihn abgöttisch liebte. Das war längst vorbei. Ich glaube, dass sie in ihrer Eitelkeit gekränkt war. Neben Daddy hatte sie immer im Scheinwerferlicht gestanden, und wenn ihr Bild in einer Zeitung oder Illustrierten aufgetaucht war, hatte sie sich riesig gefreut. Jetzt war alles anders. Die Presse kümmerte sich nur noch um Daddy und seine Freundin, und Mama wurde höchstens mit einer mitleidigen Zeile abgespeist.
Ich schnappte mir ein Glas und floh auf die Terrasse. Die frische Nachtluft tat mir gut. Ich beobachtete ein Pärchen, das über den Kiesweg zwischen den Bäumen schlenderte, und bekam eine Riesenwut auf meinen Daddy. Natürlich liebte ich ihn immer noch, aber ich fand es ziemlich billig, dass er mit der jungen Fotografin davongelaufen war. Wie in einem Kitschroman! »Bekannter Schauspieler brennt mit junger Blondine (23) durch!«, hatte in einer Sonntagszeitung gestanden. Letztes Jahr hatte er drei Monate in der Karibik gedreht, für eine neue Folge mit dem »Traumschiff«, und dort hatte er die junge Fotografin kennen gelernt. »Unter der heißen Karibiksonne erfüllte sich sein Traum vom neuen Glück«, schrieb eine Illustrierte, »enttäuschte Ehefrau (36) steht vor den Scherben ihrer Ehe.« Mama war ausgerastet.
Ich ließ das leere Glas stehen und kehrte in den Ballsaal zurück. Meine Mutter stand bei einem jungen Regisseur und versuchte vergeblich, mit ihm ins Gespräch zu kommen. »He, Sie sind doch Ingrid Burckhardt!«, sagte ein Mann neben ihr. So frech konnte nur ein Klatschreporter sein. Ich kannte den Typ von früher, ein großer Kerl mit einem Raubvogelgesicht und langen Armen, die einen Fotoapparat festhielten. Als die Arztserie rauskam, hatte er eine kitschige Story über Daddy geschrieben. Er arbeitete für eine billige Boulevardzeitung. »Ich dachte, Sie wären Ihrem Mann nach Afrika nachgefahren?«
»Wir sind geschieden«, erwiderte Mama verstört.
»Ich weiß, dass er mit der jungen Fotografin nach Kapstadt durchgebrannt ist«, sagte der Reporter. Mir fiel ein, dass er Harry Klein hieß. Er war ziemlich angeheitert und lallte beinahe. »Seit diese kleine Schlampe bei ihm ist, komme ich nicht mehr ran. Nur sie darf fotografieren!« Er zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch an uns vorbei. »Sagen Sie, können Sie mir was über Ihren Mann sagen? Ich meine, Ihren Ex-Mann!« Er grinste unverschämt. »Klappt es mit den beiden? Liebt er sie wirklich?«
Ich hatte Angst, dass Mama dem Kerl eine scheuerte, und wahrscheinlich hätte sie das auch getan, aber ein grauhaariger Mann hinderte sie daran. Er schob sich zwischen sie und den Reporter und schimpfte: »Lassen Sie die Dame in Ruhe!« Und zu meiner Mutter: »Kommen Sie, ich bringe Sie nach draußen ...«
Joe Mehnke, so hieß unser Retter, war ein gemütlicher Mann mit grauen Stoppelhaaren und listigen Äuglein hinter seiner Nickelbrille. Ich schätzte ihn auf Mitte vierzig. Unter seinem Smoking wölbte sich ein leichter Bauch. »Ich will mich nicht aufdrängen«, sagte er, nachdem er sich vorgestellt hatte, »aber ich kenne da ein kleines Lokal, gar nicht weit von hier, da ist es viel gemütlicher!« Er lächelte. »Ich weiß, es klingt ein bisschen aufdringlich, aber darf ich Sie und Ihre Tochter zu einem Gläschen einladen?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Mama, »es ist schon ziemlich spät und ...«
»Ein Gläschen, okay?«
»Meinetwegen«, gab sie schmunzelnd nach, »immerhin haben Sie mir das Leben gerettet!« Ich merkte, dass Joe meiner Mutter gefiel, und grinste, als wir zu seinem Wagen gingen. Ein weißer Kombi mit der Werbung eines Sportgeschäftes auf beiden Seiten. Zwischen den Nobelkarossen fiel er richtig auf. Mama raffte ihren Rock, als der freundliche Mann ihr die Tür aufhielt. »Früher hat mir meine Mutter immer verboten, zu fremden Männern in den Wagen zu steigen«, sagte sie, als wir vom Parkplatz fuhren.
»Ich bin harmlos«, erwiderte er.
Das Lokal lag in einer schmalen Gasse, nur ein paar Meter vom alten Marktplatz entfernt. Eine gemütliche Weinstube mit getäfelten Wänden und hölzernen Bauerntischen. Wir bekamen einen Eckplatz und bestellten zwei Schoppen und ein Mineralwasser. Aus einem Lautsprecher kam leise Schrammelmusik.
»Hier gefällt's mir wesentlich besser«, sagte Joe. Er prostete meiner Mutter und mir zu und trank genüsslich von seinem Wein. »Nichts gegen solche Empfänge! Am Anfang war's ganz interessant für mich, aber wenn ich ehrlich bin, kann ich mit den meisten Leuten wenig anfangen.« Er stellte sein Glas hin. »Ich hab ein Sportgeschäft in der Innenstadt. RTL hat vor einigen Wochen bei mir gedreht, eine Szene dieser blöden Seifenoper, die vor den Nachrichten läuft, und der Regisseur hat mir eine Karte für den Empfang geschenkt.« Er wurde nachdenklich. »Enttäuscht?«
»Nein, warum sollte ich?«, erwiderte sie lächelnd, und ich dachte: Vielleicht meint der liebe Gott es doch noch gut mit meiner Mutter. Ein normaler Mann brachte sie vielleicht auf andere Gedanken. Sicher, er war kein Bruce Willis oder Tom Cruise, aber besser als manche dieser aufgeblasenen Schauspieler war er allemal. Der Besitzer eines Sportgeschäfts! Ich musste beinahe lachen, als ich mir Mama in einem Trainingsanzug vorstellte.
»Sind Sie Schauspielerin?«, fragte er nach einer Weile.
»Nein«, antwortete sie, »ich war mit einem verheiratet. Aber das ist 'ne ganze Weile her! Jetzt lebe ich mit Daniela allein.« Sie lächelte mir zu. »Vielleicht wird sie mal Schauspielerin! Als Kind hat sie in einigen Werbefilmen mitgespielt! Erinnern Sie sich an den Spot mit den Fruchtzwergen? Sie war das kleine Mädchen!«
»Ja, den hab ich gesehen. Der war lustig.«
»Und in dem Spot mit den Überraschungseiern war sie auch dabei! Stimmt's, Daniela? Ich hab das Gefühl, dass sie mal groß herauskommt. Sie hat das Talent von ihrem Vater geerbt!«
Mir war es immer peinlich, wenn meine Mutter so redete. Es war sechs oder sieben Jahre her, dass ich in den Werbefilmen mitgespielt hatte, und ich verspürte wenig Lust, irgendwelchen Regisseuren oder Produzenten hinterherzulaufen. »Ich werde lieber Model«, sagte ich, »ich möchte mal selber Mode entwerfen.«
»Interessanter Job«, erwiderte Joe. »Wenn dir ein modischer Jogginganzug einfällt, sag mir Bescheid! So was kann ich immer brauchen!« Er nahm sein Glas und prostete mir lachend zu.
Ich entschuldigte mich und ging auf die Toilette. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass Joe mit meiner Mutter allein sein wollte. Ich wusch meine Hände und betrachtete mich in dem großen Spiegel. Seitdem ich zwei Kilo abgenommen hatte, sah ich viel besser aus. Auch das viele Obst, das ich seit einiger Zeit aß, hatte mir gut getan. Mein Gesicht wirkte frischer, so wie bei den jungen Models, und mein blondes Haar glänzte im Licht der Lampen, die über dem Spiegel hingen. Ich ging in die Weinstube zurück und musste kichern, als ich den neugierigen Blick eines jungen Mannes spürte. Wenn ich geschminkt war, sah ich älter aus. Ich zupfte meinen Rock zurecht und lächelte zufrieden.
Mama und Joe waren per du, als ich zum Tisch zurückkehrte.
»Ich fahr euch nach Hause«, sagte er, nachdem er bezahlt hatte.
Am nächsten Morgen fuhr ich mit dem Fahrrad zur Tankstelle. Im Shop war am Sonntag ordentlich was los, fast so viel wie nachmittags beim Bäcker, wenn das halbe Stadtviertel nach Kuchen anstand. »He, Daniela! Bist du aus dem Bett gefallen?«, rief Kerstin, meine beste Freundin. Sie stand in der langen Schlange vor dem Backstand. Seit einigen Monaten gab es frische Brötchen in der Tankstelle. Sie schmeckten besser als beim Bäcker.
Kerstin war genauso alt wie ich, trug ihre dunkelblonden Haare kurz geschnitten und lief ständig in denselben Jeans und demselben Sweatshirt herum. Ihre Turnschuhe waren ausgetreten. »In den alten Klamotten fühl ich mich am wohlsten«, behauptete sie, »ich will auch kein Model werden.« Ihre Eltern hatten ein Tapeziergeschäft, und sie war ziemlich praktisch...




