Janz Sommerglück im Pferdeinternat
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7320-0489-8
Verlag: Loewe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-7320-0489-8
Verlag: Loewe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tanja Janz gehört zur Generation der Kassettenkinder und wollte schon als Kind Schriftstellerin werden. Nachdem sie ihren großen Traum mit 11 Jahren zunächst einmal begrub und eine Karriere als Lehrerin startete, lockten sie die Geschichten nach einer Weile doch wieder. Zuerst ersteigerte sie sich im Internet sämtliche alte Hörspielkassetten zurück (für die sie ein kleines Vermögen bezahlte), die sie als Kind so sehr geliebt und im jugendlichen Leichtsinn auf Flohmärkten verkauft hatte. Dann entschied sie außerdem, dass es endlich Zeit war, all die Geschichten, die sich in ihrem Kopf eingenistet hatten, aufzuschreiben. Seitdem schreibt sie, und schreibt und schreibt. Und kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen.
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Überraschende Neuigkeiten
Da Tami als externe Schülerin nicht im Internat wohnte, verabschiedete sie sich nach der Schule von ihren Freundinnen und machte sich auf den Heimweg. Dieser führte sie quer durch Tidelund bis zu dem roten Backsteinhaus mit den blau-weißen Markisen, in dem sie mit ihrer Familie wohnte und in dem auch die Konditorei ihrer Mutter untergebracht war.
Tami öffnete das weiße Holztor, hinter dem der Garten lag, und schob ihr Fahrrad zur Garage, aus der Musik erklang. Ein kleines, uraltes Transistorradio stand auf einem Stuhl und unter einem aufgebockten VW Golf ragten zwei Beine hervor, die in staubigen Jeans steckten. Ihr großer Bruder Peer bastelte mal wieder an seinem klapprigen Auto herum, obwohl er noch gar keinen Führerschein besaß.
„Moin, Peer!“, rief Tami über die Musik hinweg und lehnte ihr Rad an die Garagenwand.
Peer schob sich unter dem Auto hervor. Seine Hände waren ölverschmiert und sein Gesicht dreckig. „Moin.“
„Interessante Kriegsbemalung hast du da im Gesicht“, sagte Tami und musste lachen. „Sieht richtig gefährlich aus.“
Peer verdrehte die Augen und wischte sich mit einem schmutzigen Tuch über das Gesicht. „Wo gehobelt wird, fallen auch Späne. Aber davon hast du keine Ahnung, Schwesterchen.“
„Schon gut. Ich interessiere mich eben mehr für die Pferdestärken auf vier Hufen. Ist Mama im Laden?“
„Ist sie“, antwortete Peer und rollte wieder zurück unter den Wagen.
„Na dann, tschüss“, sagte Tami. Ihr Bruder war im Grunde genommen ein feiner Kerl, deswegen nahm sie es ihm auch nicht krumm, dass er keine ausführlichen Unterhaltungen führen wollte, wenn er an seinem Wagen herumwerkelte.
Sie verließ die Garage und lief zur Konditorei. Bestimmt konnte sie dort ein Stück Kuchen stibitzen, um sich die eintönigen Hausaufgaben etwas zu versüßen.
Beim Aufdrücken der Glastür bimmelten drei kleine Metallglöckchen, die über dem Eingang angebracht waren und Tamis Mutter das Eintreffen von Kundschaft signalisierten.
„Komme sofort!“, erklang die Stimme von Frau Claasen aus der Backstube.
„Lass dir Zeit. Ich bin es nur, Mama“, rief Tami und schaute neugierig in die Auslage. Neben Keksen und Teegebäck nach alten Familienrezepten entdeckte sie auch Obstkuchen und Schokotorte.
Ihre Mutter erschien mit einer um die Hüften gebundenen weißen Schürze und einer Mehlspur auf der linken Wange hinter der Ladentheke. „Tami, schön, dass du da bist. Wie war es in der Schule?“, erkundigte sie sich, während sie einen Teller aus dem Regal nahm. Sie kannte ihre Tochter und deren Vorliebe, bei einem Stück Kuchen ihre Schularbeiten zu erledigen.
„Der Theorieunterricht war wieder super. Der Rest geht so.“
Frau Claasen griff nach einem Kuchenheber. „Welche Nervennahrung darf es heute denn sein? Apfel oder Kirsch?“
„Apfelkuchen mit Sahne, bitte.“ Tami lächelte. Was für ein Glück sie doch mit ihren Eltern hatte.
„Einmal Apfelkuchen mit Sahne“, sagte Frau Claasen ein paar Sekunden später und schob ihrer Tochter den Teller über die Theke. Dabei fielen Tami die feinen Schweißperlen auf der Stirn ihrer Mutter auf. Sie sah gar nicht gut aus. Irgendwie abgekämpft. Sie war richtig käsig im Gesicht und hatte dunkle Schatten um die Augen.
„Mama? Geht es dir nicht gut?“
„Ach, mir ist nur ein bisschen warm und etwas schwindelig“, winkte ihre Mutter ab und tupfte sich mit einer Serviette über das Gesicht. „Vielleicht ändert sich das Wetter wieder. Du weißt doch, dass ich in Wirklichkeit ein Wetterfrosch bin und jeden Umschwung mitbekomme, bevor er auf der Wetterkarte erscheint.“ Frau Claasen zwinkerte ihrer Tochter zu. „In der Backstube habe ich übrigens frische Marzipan-Krebse. Möchtest du einen?“
„Au ja!“ Was für eine Frage. Für Marzipan ließ Tami alles stehen und liegen. Das wusste ihre Mutter genau.
„Kommt sofort“, sagte Frau Claasen und wollte wieder im hinteren Teil des Ladens verschwinden.
„Warte, ich komme mit.“ Tami folgte ihr. „Wo ist denn Oma?“
„Oma ist in der Küche und bereitet eine Krabbensuppe für heute Abend vor.“
„Und wann kommt Papa von der Arbeit?“
„Voraussichtlich gegen 19Uhr. Aber du weißt ja, wie das bei der Strandaufsicht ist. Wissen kann man es nie.“
Tami schaute sich in der Backstube um und entdeckte auf einem wuchtigen Holztisch ein großes Blech mit Marzipan-Krebsen, deren Scheren mit Schokolade überzogen waren. „Oh, die sehen aber lecker aus.“
„Aber nur einen. Der Rest ist für die Kunden.“ Tamis Mutter stützte sich auf einer Stuhllehne ab und griff sich mit einer Hand an die Brust. „Puh! Ich fühle mich tatsächlich etwas unwohl“, gab sie zu und im nächsten Moment war es auch schon geschehen: Tamis Mutter stürzte auf den gefliesten Boden und blieb reglos liegen.
„Mama!“ Tami war mit einem Sprung bei ihr und kniete sich neben sie. „Sag doch was! Was ist denn los?“ Tami rüttelte verzweifelt an ihrer Schulter, doch Frau Claasen behielt weiterhin die Augen fest geschlossen und bewegte sich überhaupt nicht.
Tami war völlig durcheinander. Was sollte sie nur tun? Da kam ihr plötzlich eine Idee. Natürlich. Oma! Die würde wissen, was zu tun war. Sie sprintete los und kam wenig später völlig aus der Puste in der Küche an, wo ihre Großmutter mit einem Holzlöffel in einem großen Topf herumrührte, aus dem der unverkennbare Geruch von Krabbensuppe aufstieg.
„Nicht so stürmisch, mein Kind. Essen gibt es erst später. Du siehst ja aus, als wäre der Klabautermann persönlich hinter dir her“, begrüßte sie ihre Enkelin.
„Mama liegt in der Backstube. Sie ist einfach umgekippt. Ich glaube, sie ist ohnmächtig. Oma, wir müssen ihr sofort helfen!“, rief Tami aufgeregt.
Die Augen ihrer Großmutter weiteten sich vor Schreck. „Ach du liebes bisschen! Hol rasch das Telefon!“ Sie schaltete den Herd aus, warf ihre Schürze achtlos auf den Tisch und eilte in die Konditorei.
Tamis Oma verständigte sofort den Notarzt, während Frau Claasen langsam wieder zu sich kam. Nachdem der Arzt eingetroffen war, untersuchte er sie eingehend, stellte bis auf einen niedrigen Blutdruck allerdings nichts Auffälliges fest. Trotzdem hielt er es für notwendig, Tamis Mutter vorsichtshalber zur Beobachtung ins nächstgelegene Krankenhaus bringen zu lassen. Oma begleitete Tamis Mutter und Peer rief bei der Küstenwache an, um ihren Vater zu informieren.
„Papa fährt sofort zum Krankenhaus“, sagte er, nachdem er aufgelegt hatte.
„Und wir? Was machen wir jetzt? Wir können hier doch nicht einfach rumsitzen und Däumchen drehen.“
„Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn wir genau das tun“, sagte Peer und legte tröstend einen Arm um seine Schwester.
„Aber –“, wollte Tami protestieren.
„Wir können im Moment ohnehin nichts für sie tun. Papa meldet sich, sobald es was Neues gibt. Und außerdem ist sie ja nur zur Beobachtung dort“, versuchte er sie zu beruhigen. Doch Tami spürte, dass er genauso erschrocken war wie sie, aber als ihr großer Bruder wollte er das nicht zeigen.
Tami war nach oben in ihr Zimmer gegangen und hockte nun an ihrem Schreibtisch. Vergeblich versuchte sie sich auf ihre Hausaufgaben zu konzentrieren. Wie sollte sie auch englische Vokabeln pauken, wenn ihre Mutter im Krankenhaus lag? Tamis Blick wanderte immer wieder zu ihrem Handy. Vor einer halben Stunde hatte sie ihrem Freund Marlon eine Nachricht geschickt und ihm von den neuesten Ereignissen berichtet. Doch bislang hatte er nicht geantwortet. Tami schaute auf die digitale Zeitanzeige auf dem Bildschirm. Vermutlich war er noch auf dem Wasser beim Surfen und hatte das Mobiltelefon in seinem Rucksack im Surfcontainer verstaut.
Sie stand auf und tigerte nervös wie ein wildes Tier in ihrem Zimmer umher. Nach einer Weile hielt sie es nicht länger aus und zog sich kurz entschlossen ihre Reithose an. Dann schnappte sie sich ihre Jacke und steckte das Handy ein. Sie konnte hier nicht länger herumsitzen und der Appetit auf Omas Krabbensuppe war ihr sowieso komplett vergangen.
Nachdem Peer ihr mindestens zehnmal hatte versprechen müssen, sie sofort anzurufen, falls er etwas Neues aus dem Krankenhaus erfuhr, machte Tami sich mit dem Fahrrad auf den Weg zum Pferdestall. Dort konnte sie sich wenigstens ablenken und vielleicht traf sie sogar ihre beste Freundin Marit, deren Eltern den Reiterhof führten, der zum Internat gehörte.
Im Stall war es um die Uhrzeit recht ruhig. Die meisten Schüler hatten ihr Reittraining bereits beendet und widmeten sich nun den Hausaufgaben. Als Tami den Hauptstall betrat, kam ihr Marits Mutter mit ihrem Wallach Saturn entgegen.
„Na, Tami. Machst du heute noch einen späten Besuch bei Thunderstorm?“
„Hallo, Frau Kellinghaus. Ist Marit vielleicht da?“
Die Reitlehrerin nickte. „Meine Tochter findest du bei Peppino. Der Frechdachs hat sich tüchtig auf der Weide gewälzt und dabei seine Fellfarbe in ein unansehnliches Graugrün verwandelt. Ich glaube, sie kann jede helfende Hand gut gebrauchen.“
Wie angekündigt, traf Tami vor Peppinos Box auf eine mit Striegel und Kardätsche bewaffnete Marit. Doch sie war nicht allein, sondern hatte in Nils eine tatkräftige Unterstützung gefunden, um das Fell ihres Ponys wieder in den Normalzustand zurückzuverwandeln.
„Hi, Tami“, rief er, während er die Innen- und Außenseiten von Peppinos Beinen mit einer Wurzelbürste vom Dreck befreite.
„Hi.“ Tami hob lahm den Arm und vergrub ihre Hände in den Jackentaschen.
„Hallo, Tami! Was machst du denn noch so spät hier?“, fragte...