E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Janz Dünenwinter und Lichterglanz
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95576-856-0
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Liebesroman
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-95576-856-0
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Winterzauber in St. Peter-Ording: Wo sich Wünsche fast von alleine erfüllen
Die Hiobsbotschaft erreicht Alida kurz vor Weihnachten: Ihre TV-Sendung »Wohnexpertin« wird eingestellt. Alida ist geschockt. Ausgerechnet jetzt! In ihrer Verzweiflung schreibt sie einen Wunschzettel an den Weihnachtsmann, an dessen Erfüllung sie aber selbst nicht glaubt. Und dann stirbt auch noch ihre Großmutter. In deren Nachlass findet Alida geheime Liebesbriefe und ein Foto ihrer Oma als junge Frau mit einem unbekannten Mann, aufgenommen vor einem Pfahlbau in St. Peter-Ording. Alida macht sich auf den Weg, um den Mann zu finden. Noch ahnt sie nicht, dass der Küstenort einige Überraschungen für sie bereithält.
»Genau das Richtige für die Adventszeit, denn die Lektüre macht Lust auf Weihnachtsdeko und Plätzchenbacken.« LandGang
»Zauberhaftes Wintermärchen, das eine Sehnsucht nach dem Küstenort wachwerden lässt.« Mainhattan Kurier
Tanja Janz wollte schon als Kind Bücher schreiben und malte ihre ersten Geschichten auf ein Blatt Papier. Heute ist sie Schriftstellerin und lebt mit ihrer Familie und zwei Katzen im Ruhrgebiet. Neben der Schreiberei und der Liebe zum heimischen Fußballverein schwärmt sie für St. Peter-Ording, den einzigartigen Ort an der Nordseeküste.
Autoren/Hrsg.
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Prolog
St. Peter-Ording, Frühling 1949
Edith hob ihren Koffer vom Bett. »Wir müssen uns sputen, sonst fährt der Wagen ohne uns zum Bahnhof.«
»Gehe ruhig schon vor. Ich komme gleich nach, muss nur noch ein paar letzte Dinge einpacken«, sagte Gerda zu ihrer Zimmergenossin.
»Beeil dich.« Edith lächelte und verließ mit dem Gepäck in den Händen den Raum.
Schnell verstaute Gerda ihr Nachtkleid und ein Paar Kniestrümpfe in ihrem Koffer. Dann öffnete sie zum letzten Mal das Fenster des Zimmers, das sie sechs Wochen lang mit Edith bewohnt hatte. Über den Dünen hing noch morgendlicher Seenebel, der die Sonnenstrahlen mit seinem milchigen Dunst zu verschlucken schien. Eine sanfte Brise strich durch Gerdas Haar und trug den salzigen Geruch des Meeres zu ihr. Sie schloss die Augen und hielt kurz inne. Dann schaute sie hoch zum Himmel, der nur von ein paar harmlosen Schleierwolken bedeckt war, als hätte es den Frühlingssturm vom Vortag nie gegeben. Gerda blickte den Möwen nach, die Richtung Strand flogen und bald über dem Meer verschwunden waren. Das alles würde sie vermissen – und noch mehr.
War es wirklich schon sechs Wochen her, dass sie die Heilbehandlung ihres bronchialen Asthmas in der Nordsee-Kuranstalt Goldene Schlüssel angetreten hatte? Sie konnte nicht glauben, dass die Zeit in St. Peter-Ording wie im Flug vergangen war. Die erste Woche ihres Aufenthaltes hatte nicht den Anschein gemacht, dass ihr eine aufregende Zeit bevorstehen könnte. Spaziergänge mit der Frauengruppe in der heilsamen Luft des Wattenmeers, Turnübungen am Strand, Sonnenkuren im Liegestuhl und Meerwasserbäder wechselten sich in regelmäßiger Gewohnheit ab. Alle Aktivitäten konzentrierten sich einzig und allein auf die Stärkung der Gesundheit. Ablenkung schien nicht in Sicht zu sein. Doch dann hatte Edith sie eines Nachmittags dazu überredetet, mit ihr zu einem Kurkonzert zu gehen. Die lebenslustige Frau hatte Gerda keine Möglichkeit gelassen, sich herauszureden. Sie hatte geradezu darauf bestanden, dass Gerda ihr blaues Sonntagskleid anzog und ihr beim Frisieren ihrer Haare geholfen. Mit gekonnten Handgriffen zauberte sie Gerda eine Hochsteckfrisur und lieh ihr eine hübsche Spange. Eine Ehrensache für Edith, die in ihrem Heimatort am Niederrhein zusammen mit ihrem Mann einen Friseursalon betrieb.
Das Kurkonzert hatte in einem Pfahlbau, einem der gestelzten Häuser am Strand, in der Nähe der Seebrücke stattgefunden. Kurgäste und auch Einheimische hatten sich dicht an dicht auf dem überdachten Vorbau der Holzhütte versammelt. In dem Gedränge löste sich die geliehene Spange aus Gerdas Haar und fiel zu Boden. Rasch ging Gerda in die Hocke, um sie zwischen den Menschenfüßen möglichst schnell wiederzufinden, bevor jemand sie zertrat. Und plötzlich war da dieser Mann neben ihr, dessen Augen in dem warmen Licht der untergehenden Sonne strahlend leuchteten und auf dessen Handfläche Ediths Spange lag. Gerda war für einen Moment wie benommen. Die Musik der Kapelle und die Geräusche der sie umgebenden Menschen waren in den Hintergrund getreten. Sie betrachtete den Mann schüchtern. Gut sah er aus. Er war schlank, trug ein helles Hemd und eine dunkle Hose. Gerda schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Er hatte blondes strubbeliges Haar. Ihr fiel seine gesunde Gesichtsfarbe auf, die darauf schließen ließ, dass er sich viel an der frischen Luft aufhielt. Um seine Augen hatten sich Lachfältchen gebildet. Gerda schüttelte lächelnd den Kopf und nahm Ediths Haarspange. Sie bedankte sich bei dem Fremden und wollte sich wieder ihrer Freundin zuwenden, doch sie konnte sich nicht von dem Anblick dieses Mannes losreißen. Er sah ihr in die Augen, und die Welt schien stillzustehen. Dann fragte er sie nach ihrem Namen und ob ihr die Musik gefalle. Gerda antwortete zurückhaltend, doch seine aufgeschlossene Art gefiel ihr. Als er sie auf einen Kaffee einladen wollte, warf sie zunächst einen Blick zu Edith, die mit drei Frauen am Geländer des Pfahlbaus stand und sich unterhielt. Gerda kannte die Frauen vom Sehen aus der Kuranstalt. Sie überlegte kurz, ob sie zu ihnen hinübergehen und Edith Bescheid sagen sollte, doch sie entschied sich dagegen. Ihre Zimmergenossin war so sehr in das Gespräch mit den anderen Frauen vertieft, dass sie vermutlich gar nicht bemerken würde, wenn Gerda kurz weg wäre. Also willigte sie ein und folgte dem Mann ins Innere des Pfahlbaus, in dem ein kleines Café untergebracht war. Hier war es ruhiger, die Musik der Kapelle drang nur gedämpft von draußen in den Raum. Sie setzten sich an einen Tisch und unterhielten sich. Der junge Mann stellte sich ihr als Hans vor. Zuerst antwortete Gerda nur recht knapp auf seine Fragen. Lieber hörte sie zu, wenn er erzählte. Sie mochte seine Stimme, sie war tief und freundlich. Doch je länger sie beisammensaßen, desto mehr taute Gerda auf, und sie begann auch, von sich zu erzählen. Woher sie kam, was sie in St. Peter-Ording machte und wie lange sie geplant hatte zu bleiben. Als sie ihre Tasse Kaffee ausgetrunken hatte, war es höchste Zeit zu gehen. Die Musikkapelle hatte längst aufgehört zu spielen, und Edith suchte bestimmt nach ihr. Doch Hans ließ sie erst aufstehen, nachdem er ihr das Versprechen abgerungen hatte, dass er sie am nächsten Tag wiedersehen durfte.
Den ganzen Abend und die halbe Nacht konnte Gerda an nichts anderes denken als an Hans. Am Morgen war ihr vor Aufregung beinahe übel. Damit sie ihn treffen konnte, schwänzte sie nach dem Mittagessen eine ihrer Anwendungen. Eigentlich war es nicht ihre Art, so etwas zu tun, doch sie war erstaunt darüber, dass sie eine ganz neue, abenteuerliche Seite an sich entdeckte.
Sie trafen sich am Strand, an der tausend Meter langen Holzbrücke, die bis zur Sandbank reichte, und verlebten einen unbeschwerten Nachmittag miteinander. Die Zeit verflog viel zu schnell, und am Abend kehrte Gerda glücklich zurück in die Kuranstalt, denn Hans hatte erneut gefragt, ob er sie wiedersehen dürfte. So ging es weiter. Nach jedem Treffen verabredeten sie sich wieder für den nächsten Tag, und je öfter Gerda Hans sah, umso mehr verliebte sie sich in ihn. Während der Woche trafen sie sich spät abends, wenn Gerdas Heilbehandlungen in der Kuranstalt vorüber waren und Hans seine Arbeit beendet hatte, am Wochenende hingegen früher am Tag. Und fast genau zwei Wochen nachdem sie sich das erste Mal beim Kurkonzert begegnet waren, hatte Hans sie geküsst. Seitdem hatte sie den Gedanken an ihre kommende Abreise verdrängt. Keine Sekunde wollte sie daran denken, sondern ihr Glück mit Hans in vollen Zügen genießen. Fast hoffte sie darauf, ihr bronchiales Asthma würde sich wieder verschlimmern, damit sie ihren Kuraufenthalt in St. Peter-Ording verlängern konnte. Doch nun war der Tag der Abreise gekommen.
Gerda schrak zusammen. Ihre Gedanken wurden just durch ein Türschlagen unterbrochen. Schnell schloss sie das Fenster wieder und zog sich ihre Jacke über. Sie griff hastig nach ihrem Gepäck und ging zur Tür. Dort wandte sie sich noch einmal um und blickte ein letztes Mal zurück. Sie musste sich beeilen, wenn der Pferdewagen nicht ohne sie zum Bahnhof losfahren sollte.
Der kleine Bahnsteig des Bahnhofs von St. Peter-Ording war mit abreisenden Kinderheimgruppen, Familien und Kurgästen heillos überfüllt. Alle sechs Wochen reisten Gäste ab, und neue kamen in das seit Kurzem anerkannte Heilbad. Gerda blickte sich suchend um.
Edith stellte ihren Koffer in einem gebührlichen Abstand zur Bahnsteigkante ab. »Bis Hamburg fahren wir zusammen. Dann trennen sich unsere Wege.«
»Aber wir bleiben in Kontakt«, versicherte Gerda ihrer neuen Freundin und schaute zwischen den wartenden Menschen hindurch. Ob Hans noch kam? Er hatte es ihr versprochen.
»Ja, auf jeden Fall. Ich schreibe dir«, versprach Edith. Sie griff in ihre Handtasche und zog einen kleinen Klappspiegel hervor. Prüfend betrachtete sie ihre Frisur.
»Ich hole mir noch rasch etwas zu trinken für die Reise, bevor der Zug ankommt. Passt du bitte kurz auf mein Gepäck auf?«, bat Gerda sie.
»Das ist eine gute Idee.« Edith steckte den Spiegel zurück in die Tasche und entnahm ihrer Geldbörse drei Groschen, die sie Gerda in die Hand drückte. »Bringst du mir eine Waldmeisterbrause mit?«
Gerda zwängte sich durch die Menge, um zu dem Bahnhofsgebäude zu gelangen, in dem ein kleiner Kiosk untergebracht war. Sie war froh, dass ihr eine gute Ausrede eingefallen war, um noch einmal Ausschau nach Hans halten zu können. Er hatte ihr erzählt, dass er nach einem Sturm als Hitzlöper auf der Sandbank unterwegs war, um angespülte Bernsteine zu sammeln. Neben der Arbeit auf dem Feld und gelegentlichen Aufträgen als Schuster war das Bernsteinsammeln eine wichtige Einnahmequelle für ihn.
Gerda besorgte an dem Verkaufsstand für Edith und sich zwei Flaschen Waldmeisterbrause und blickte sich um. Sie hatte nicht mehr viel Zeit, bis der Zug kam, trotzdem blieb sie einen Moment vor dem Gebäude stehen und hoffte inständig darauf, dass Hans in der Menge der zum Bahnhof strömenden Menschen erscheinen würde. Er hatte es ihr doch versprochen. Gerda wünschte es sich so sehr.
In der Ferne erklang ein ratterndes Geräusch, das immer lauter wurde und die Einfahrt der Lokomotive in den Bahnhof ankündigte. Eine Pfeife schrillte, und kurz darauf folgte ein Zischen. Gerdas Magen zog sich zusammen. Sie stand wie angewurzelt vor dem Bahnhofsgebäude, unfähig sich auch nur ein Stück zu bewegen. Der Zug war da, sie musste zurück zu Edith. Verzweiflung erfasste sie. Ihr blieb keine Zeit mehr, aber sie wollte nicht wahrhaben, dass Hans nicht kam. Ihre Gedanken überschlugen sich. Vielleicht war ihm etwas Wichtiges...