E-Book, Deutsch, 212 Seiten
Jansson Herausgefordert
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7578-8510-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Flucht und Flüchtlinge als Herausforderung missionarischer Gemeindeentwicklung. Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Michael Herbst
E-Book, Deutsch, 212 Seiten
ISBN: 978-3-7578-8510-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Flucht und Flüchtlinge stellen nicht erst seit der sog. Flüchtlingskrise ab dem Jahr 2015 eine Herausforderung für Kirchen und Gemeinden in Deutschland dar. Gleichwohl werden diesem Phänomen und den von ihm betroffenen Menschen seither besondere Aufmerksamkeit zuteil. Gemeinden landauf und landab haben seit Jahren Kontakt zu Menschen, die ihre Flucht nach Deutschland geführt hat, engagieren sich in den unterschiedlichsten Formen der Flüchtlingshilfe und integrieren von Flucht betroffene und in Teilen gezeichnete Menschen in ihre Gemeinschaft. Das macht Flucht und Flüchtlinge auch zu einem Thema der missionarischen Gemeindeentwicklung. In der vorliegenden Arbeit werden die Phänomene Migration und Flucht in ihrer gegenwärtigen Gestalt grundlegend dargestellt, die sog. Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 bis 2017 nachgezeichnet und auf ihre Bedeutung für evangelische Kirchen und Gemeinden hin untersucht. Dabei zeigt sich, dass für die missionarische Gemeindeentwicklung Flucht und Flüchtlinge eine Herausforderung in einem doppelten Sinne darstellen: Sie fordern Gemeinden dazu auf, aktiv und tätig zu werden, und stellen sie dabei vor komplexe Problematiken und Aufgaben.
Andreas C. Jansson, Dr. theol., Jahrgang 1989, arbeitete in den Jahren 2017 bis 2022 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) der Universität Greifswald. Seit Ende 2022 arbeitet er bei GreifBar (Greifswald) sowie nebenberuflich als selbstständiger theologischer Referent und Lehrer.
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1 Einleitung
Flucht und Flüchtlinge als Herausforderung missionarischer Gemeindeentwicklung
Missionarische Gemeindeentwicklung ist dem Anspruch nach sendungs- und dienst bewusste Gemeindeentwicklung,1 Sie weiß sich in die missio Dei gestellt,2 versteht sich also als Teil der Missionsbewegung Gottes, die aus den Tiefen seiner Liebe entspringt.3 Missionarische Gemeindeentwicklung ist dementsprechend weltzugewandte Gemeindeentwicklung; sie ist interessiert, engagiert und hingebungsvoll. In alledem ist missionarische Gemeindeentwicklung kontextuelle Gemeindeentwicklung. Sie nimmt ihren Kontext wahr, nimmt ihn ernst und lässt sich von ihm herausfordern. Die Themen, die sich in Gemeinden, welche auf solch missionarischkontextuelle Weise ausgerichtet sind, stellen, ergeben sich zum einen aus dem Evangelium von Jesus Christus und dem Reich Gottes.4 Hieraus folgt ihr grundlegender Auftrag und ihre Zielperspektive.5 Zum anderen ergeben sich die Themen aus den jeweiligen Kontexten, in denen sich Gemeinden befinden und bewegen. Orte (Städte, Stadtteile oder Dörfer, Regionen und Gebiete) und Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenslagen (Lebensweisen und Lebenswirklichkeiten, Situationen und Probleme, Weltanschauungen und Perspektiven, Milieus und Mentalitäten, ...) stellen weltzugewandte, engagierte und hingebungsvolle Gemeinden vor immer wieder neue Fragen, Herausforderungen und Aufgaben. Ein Thema, welches in den letzten Jahren Kirchen und Gemeinden landauf landab beschäftigt und im doppelten Sinne herausgefordert hat, ist die Begegnung mit und das Engagement für Flüchtlinge.6 Es ist eine Herausforderung im Sinne einer positiven Provokation, eines Anstoßes zum Tätigwerden, zum engagierten Dienst der Nächstenliebe. Und zugleich stellt es sich in aller Regel als Herausforderung im Sinne komplexer Problematiken und Aufgaben dar, die es zu bewältigen gilt. Dies galt insbesondere im Zuge der sog. Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 bis 2017; es gilt jüngst wieder angesichts der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge, die im Zuge des russischen Angriffskrieges ihr Land verlassen mussten. Missionarische Gemeindeentwicklung bezieht nun die beiden Quellen, aus welchen sich ihre Themen ergeben, aufeinander. Sie schaut vom Evangelium auf den Kontext und vom Kontext auf das Evangelium. In diesem Sinne stellt sie sich der Aufgabe der Kommunikation des Evangeliums.7 Und das heißt in diesem konkreten Fall: Sie fragt nach der wechselseitigen Bedeutung von Jesus Christus und dem Reich Gottes auf der einen und dem Phänomen Flucht und Flüchtlinge auf der anderen Seite. Welche Bedeutung hat das Evangelium desjenigen, der gemäß matthäischem Bericht selbst in jüngsten Jahren zum Flüchtling wurde (Mt 2,13-23) und der vor dem Hintergrund des berühmten Philipperhymnus geradezu als göttlicher Migrant zu bezeichnen ist (Phil 5,6-11), für jene Flüchtlinge, die ihre Heimat zurücklassen mussten und nun in unseren Dörfern und Städten Aufnahme finden? Welche Gestalt nimmt das Reich Gottes, welches trotz allem „Noch nicht", trotz aller Uneindeutigkeit und allen noch unvollendeten, fragmentarischen Charakters, „doch schon" im Hier und Jetzt punktuell und zeichenhaft präsent ist, für jene Menschen und in unserem Umgang mit ihnen an? Und auch umgekehrt: Wie steht die konkrete Situation der Flüchtlinge in unseren Orten, vor unseren Türen und auch in unseren (Gemeinde-)Häusern in Bezug zum Evangelium des Gekreuzigten und Auferstandenen und zu seinem Reich? Laut Martin Hoffmann und Hans-Ulrich Pschierer geht es in der Gemeindeentwicklung darum, nach dem Ursprung, dem Auftrag und Ziel der Kirche zu fragen und darüber die passende Gestalt von Gemeinde am jeweiligen Ort und der jeweiligen Situation unter den realen Herausforderungen und Lebensbedingungen zu finden.8 Für Gemeinden, in deren näherem Umfeld Flüchtlinge leben, durch die sie sich (in mindestens einem der beiden Wortsinne) herausgefordert wissen und die vielleicht schon seit Jahren in der Flüchtlingshilfe und Integrationsarbeit engagiert sind und/oder Menschen mit Fluchterfahrungen in ihre Gemeinschaft integriert haben, gehört das Phänomen Flucht und Flüchtlinge zu ihrem „jeweiligen Ort", zu ihrer „jeweiligen Situation" und zu ihren „realen Herausforderungen und Lebensbedingungen". Flucht und Flüchtlinge haben damit – Hoffmann/Pschierer folgend – einen Einfluss auf die konkrete Gestalt der Gemeinde. Die „passende Gestalt von Gemeinde am jeweiligen Ort" ergibt sich aus ihrem dem Evangelium entspringenden Auftrag einerseits und den konkreten Herausforderungen des jeweiligen Kontextes andererseits. Mission und Kontext sind so betrachtet die beiden zentralen Begriffe der Gemeindeentwicklung.9 Dabei sind beide Begriffe unlöslich aufeinander bezogen: Das Sendungsbewusstsein drängt in den Kontext hinein – und sofern es sich um ein an der missio Dei und damit an der Liebe Gottes orientiertessendungsbewusstsein handelt,10 tut es dies nicht auf invasorischimperiaIistische, dienstvergessene Art und Weise, sondern dem jeweiligen Kontext gegenüber zugewandt und diakonisch-hingebungsvoll, interessiert und fragend, wertschätzend und (darum dann aber durchaus auch) evangelistisch-werbend. Umgekehrt wird das Interesse am Kontext sich nicht in bloßer Wissbegierde erschöpfen oder sich allein vom Kontext her erschließen, was es zu tun und zu lassen gilt. Vom Kontext her gilt es den Auftrag und die Mission der Kirche (missio ecclesiae) zu befragen, ja Gott selbst und seine Mission (missio Dei) und seine Freudenbotschaft von Jesus Christus und dem Reich Gottes zu betrachten und tiefer verstehen zu suchen. Die konkrete Gestalt der Gemeinde ist von beiden Bezugsgrößen her zu prägen und zu entwickeln: Mission und Kontext. Mit Blick auf das hier verhandelte Phänomen formuliert: Auf die Frage, wie Gemeinde vor Ort aussehen sollte, was sie zu tun und wie sie es zu tun hat, darauf hat auch die konkrete Situation von Flüchtlingen Einfluss, sofern sie Teil des gemeindlichen Kontextes sind. Und in unzähligen Gemeinden im deutschsprachigen Raum sind sie dies, bleiben sie dies auf absehbare Zeit bzw. werden sie es immer wieder neu werden. Die letzten Jahre legen die Annahme nahe, dass das Phänomen Flucht und Flüchtlinge kein Ausnahmethema für Gemeinden ist, sondern ein wiederkehrendes, nicht selten beständiges Thema. Flucht und Flüchtlinge werden Gemeinden in unserem Land immer wieder – im doppelten Sinne – herausfordern: zu Engagement und Aktivität anstoßen und vor Anstrengungen und Probleme stellen. Vor diesem Hintergrund lohnt sich eine grundlegende Beschäftigung mit jenem Phänomen. Diesem Anliegen ist die vorliegende Arbeit verpflichtet. Bevor das Phänomen Flucht und Flüchtlinge näher betrachtet wird, kommt das umfassendere Thema Migration in den Blick. Da Flucht ein Spezialfall der Migration ist, lässt sich am Phänomen Migration bereits vieles wahrnehmen, das auch für die Situation von und mit Flüchtlingen charakteristisch und prägend ist. Außerdem zeigt der migrationssoziologische Überblick, dass die Unterscheidung von Flüchtlingen und Arbeitsmigrantinnen und-migranten keineswegs so eindeutig ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Daher werden nacheinander und aufeinander aufbauend die Phänomene Migration und Flucht in ihrer globalen Bedeutung und vielfältigen Erscheinungsform dargestellt. Besondere Aufmerksamkeit wurde dem Themenkomplex Flucht und Migration im Zuge der sog. Flüchtlingskrise ab dem Jahr 2015 zuteil. Das gilt gleichermaßen gesellschaftlich und politisch wie kirchlich und theologisch. Daher werden die diesbezüglichen Entwicklungen und Diskurse in beiden Feldern - mit Blick auf die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland einerseits und hinsichtlich der evangelischen Kirche und Theologie in Deutschland andererseits – untersucht und dargestellt. Dabei zeigt sich, dass insbesondere in diesen Jahren das Phänomen Flucht und Flüchtlinge als große Herausforderung wahrgenommen wurde. Die kirchlichen und theologischen Debatten und Diskurse werfen dabei eine doppelte Frage auf, die sich insbesondere im Rahmen der missionarischen Gemeindeentwicklung stellt: Es ist die Frage der diakonischen sowie der missionarischen Herausforderung im Kontext der sog. Flüchtlingskrise, welche die Frage nach dem Verhältnis von Diakonie und Mission impliziert. Abgeschlossen wird diese Darstellung, die vom allgemeinen Phänomen der Migration hin zur konkreten missionarisch-diakonischen Herausforderung für Gemeinden angesichts der sog. Flüchtlingskrise ab dem Jahr 2015 führt, mit einem Ausblick auf die Praxis missionarischer Gemeindeentwicklung. Er umfasst eine Reihe von Anregungen und Impulsen, die dabei helfen sollen, das Thema Flucht und Flüchtlinge auf das Evangelium von Jesus Christus und dem Reich Gottes bzw. den (in der missio Dei begründeten) missionarischen Auftrag der Gemeinde zu beziehen und sie miteinander ins Gespräch zu bringen. Wenn eine solche Reflexion, welche die konkrete Situation von und mit Flüchtlingen vor Ort und den missionarischen Auftrag der...