Janßen / Nicolai | Nackt auf Usedom | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 392 Seiten

Janßen / Nicolai Nackt auf Usedom


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-947106-96-7
Verlag: SATYR Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 392 Seiten

ISBN: 978-3-947106-96-7
Verlag: SATYR Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zwei Autoren, zwei Leben, zwei Systeme und ein Coming-of-Age in West, Ost und Post. »Nackt auf Usedom« ist die komische und manchmal berührende Geschichte eines Briefwechsels zweier Jugendlicher aus Dortmund und Leipzig – und ein Roman, der seine Protagonisten von 1982 bis 2009, von der Pubertät bis ins Erwachsenenalter begleitet.

Eine verordnete Ost-West-Brieffreundschaft: Anfang 1982 wird der 16-jährige Torsten aus Dortmund von seiner Lehrerin dazu genötigt, einen Briefwechsel mit dem gleichaltrigen Andreas aus Leipzig aufzunehmen. Das Ziel: ein Referat über das »reale Leben in der DDR« – Torstens letzte Chance auf die Versetzung.
Tatsächlich entwickelt sich ein kontrastreicher Schriftwechsel zwischen dem oberflächlichen Ruhrpottjungen mit losem Mundwerk und dem schüchternen Leipziger, der nur eines besitzt, um das Torsten ihn beneidet: eine echte Band. Doch genervt von der arroganten Art Torstens und dessen kompletter Ahnungslosigkeit über die DDR, beginnt Andreas, ein skurriles und völlig überspitztes Bild zu zeichnen, in dem die allgemeine Nacktpflicht auf Usedom noch eins der harmloseren Märchen über den real existierenden Sozialismus ist.

Der Dortmunder Autor Kaelo Michael Janßen und der bekannte Kabarettist und Comedian Thomas Nicolai begleiten in ihrem Romandebüt die Protagonisten durch mehr als zweieieinhalb Jahrzehnte und zwei Systeme: episodisch, höchst lebendig und nicht zuletzt urst komisch.

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KAPITEL ZWEI
Andreas, Leipzig (DDR), 12. März 1982
Ich schaue auf den Wecker. 12:21 Uhr. Es ist einfach genial, Ferien zu haben. Ausschlafen bis zum Gehtnichtmehr. »Bis mir der Rücken wehtut«, hat Oma immer gesagt. Heiner, Frank und René sind arbeiten. »Ferienjobs sind super. Da kannste richtig Kohle machen!«, hatte Frank mir vorgeschwärmt. »Aha. Kohle. In der DDR. Und was willste dir dann davon kaufen? Die Lizenzplatten, die es dann doch nicht gibt? Klingt nicht so prall.« Frank hatte abgewinkt. »Andreas, das weiß ich doch auch. Aber Geld ist Geld. Ist immer gut, welches zu haben.« »Tut mir leid, Alter«, hatte ich widersprochen. »Aber Ferien sind mir heilig. Arbeiten und Geld verdienen kann ich doch bis ans Ende meines Lebens.« Frank hatte eine Fratze gezogen und im Weggehen gegrummelt: »Du redest wie ein alter Mann!« »Nee, ich rede eher wie ein cleverer Mann!«, hatte ich ihm grinsend hinterhergerufen. Ist doch so. Warum soll ich arbeiten, wenn Mama und Papa sowieso alles zahlen? Zumindest solange ich zu Hause wohne und noch zur Schule gehe. Und klar, irgendwann ist das vorbei. Spätestens ab September, wenn ich meine Lehre als Konditor beginne. Was für eine bescheuerte Idee! Konditor. Na ja, aber irgend’ne Lehre muss ich halt machen. Mein eigentlicher Berufswunsch wäre sowieso Rockstar. Absolut. Singen, sich auf der Bühne abfeiern lassen und dafür dann auch noch Geld bekommen. Das wäre ein Leben! Aber das geht ja hier nicht, in diesem wunderbaren Arbeiterund-Bauernstaat. Wenn du mit deiner Band auf die Bühne willst, darfst du das erst, wenn eine Bonzen-Stasi-Arschloch-Kommission dir das erlaubt. Immer schön schleimen, wie toll dieses Land ist. Ich kann Nina Hagen so gut verstehen, dass die abgehauen ist. Uwe, der aus der Parallelklasse, hat mir die Nina-Hagen-LP geliehen. Wahnsinn. Was die da macht. Und wie sie es macht. Schon der erste Song »TV-Glotzer« hat mich komplett umgeblasen. Die ist völlig verrückt geworden. Uwe meinte, die nimmt Drogen und ist nicht mehr zu retten. »Na und«, hab ich gesagt. »Wenn dabei dann so was rauskommt?« Ich stelle mir das so vor: Ich bin Nina Hagen und so kurz vorm Abnippeln, der Tod kommt und sagt: »Ich muss dich leider mitnehmen. Aber eine Sache noch, mal was ganz Persönliches, also deine erste LP im Westen, die war schon echt stark …« Na, dann haste doch alles richtig gemacht. Ich habe Uwe ’ne ganze Menge zu verdanken. Er ist in einem Plattenring und bekommt einmal im Monat drei West-LPs. Manchmal altes Zeug von Led Zeppelin oder Frank Zappa, aber manchmal auch richtig gute aktuelle Sachen von The Police oder den Dire Straits. Und das nimmt er dann auf Kassetten auf. Mittlerweile hat er ’ne unglaublich große Sammlung in seinem Zimmer. Er hat mir einige Kassetten geliehen, die ich mir kopiert habe. Die erste Platte war »Trilogy« von Emerson, Lake and Palmer. Beim ersten Hören war ich wie erschlagen. Gleich noch mal von vorn! Was für eine Wahnsinnsmusik! Ohne Uwe würde ich immer noch ABBA und so Zeug hören. Noch mal umdrehen? Weiterpennen? Was lesen? Ich habe ja noch über ’ne Woche Ferien. Und irgendwelche wahnsinnig wichtigen Termine habe ich auch keine. Herrlich. Nur lesen und Musik hören. Welcher Tag ist heute? Freitag. Um 15:05 Uhr läuft beim Berliner Rundfunk Duett – Musik für den Rekorder. In der ersten Hälfte: die Puhdys mit Ausschnitten aus »Schattenreiter«. Ziemlich blöde Musik. Man könnte fast sagen: richtig schlecht. Der einzig brauchbare Song ist »Hey John«. Den haben sie für John Lennon geschrieben, nachdem er erschossen wurde. Ob er sich wohl darüber gefreut hätte? Eher nicht. Außerdem, das ist ein Lied, das überhaupt nicht zu den Puhdys passt. Was haben denn diese Ostrocker mit dem genialen Beatle zu tun? Da wollten sie sich wohl bei den Leuten einschleimen. Ansonsten sind die Puhdys ja überhaupt nicht meine Sache. Ab 15:35 Uhr kommt die erste Plattenseite der Stevie-Winwood-LP »Arc of a Diver«. Und »While You See a Chance« ist einfach ein Hammersong! Aufstehen oder lieber liegenbleiben? Ich entscheide mich fürs liegen bleiben. Und strecke mich. Und gähne. Lesen. Das ist gut. Meine Mutter hat mir ein paar Bücher rausgelegt. »Die habe ich gelesen, als ich so alt war wie du«, hat sie zu mir gesagt. Auf meinem Schreibtisch liegen Bücher von Thomas Mann, Joseph Roth, Stefan Zweig und ein Gedichtband von Joachim Ringelnatz. Ringelnatz find ich klasse. Sehr lustig. Ich glaube, der hatte auch ’ne richtig schöne Meise. Ich lese gerade das absolute Lieblingsbuch meiner Oma. »Narziß und Goldmund« von Hermann Hesse. Find ich gut. Bin zwar erst auf Seite 17, aber irgendwie gefällt es mir. Wie die sprechen und was für merkwürdige Sachen die denken. Das fühlt sich an, als würde man in einen Zeitstrudel reingezogen. Oder wie ein Film von früher. Montags laufen ja immer alte Filme mit Heinz Rühmann und Hans Moser. Danach Der schwarze Kanal mit Karl-Eduard von Schnitzler, den wir nur »Karl-Eduard von Schni« nennen, weil niemand sich die Sendung anguckt und jeder ganz schnell entweder zum Westfernsehen rüberschaltet oder den Fernseher ganz ausmacht. So wie diese alten Filme kommt mir auch das Buch vor. Aber irgendwie toll. Ich gähne und strecke mich noch mal, es geht mir gut. Es klingelt. Ganz leise tappe ich, nur mit meinem Schlafanzug bekleidet, durch den Flur in Richtung Tür. Als ich mein Zimmer verlasse, stelle ich fest: Es ist saukalt in der Wohnung. Mutter schaltet nämlich die Heizung tagsüber aus. Heizkosten sparen. Ist schon okay. Es ist ja nur dein lieber Sohn, der sich gerade den Arsch abfriert. Bibbernd laufe ich zur Tür und gucke durch den Türspion. Es ist der Briefträger. Der hat mich ja schon öfter so gesehen. Ich öffne. »Post für dich«, sagt er, reicht mir einen Brief und ist schon wieder weg. »Danke«, sage ich noch, nehme den Brief und gucke auf den Absender. »T. Assmann, 4600 Dortmund«. Das ist im Westen. Dortmund ist doch im Westen, oder? Wer soll denn das sein? Assmann. Kenn ich nicht. Ich gucke noch mal auf den Adressaten. Ja, da steht mein Name, das ist tatsächlich für mich. Ich kenne keinen, der Assmann heißt. Noch nicht mal in Leipzig. Und der Brief ist ja aus … Dortmund. Sollte das vielleicht das Mädchen aus der BRAVO …? Nee, die hieß nicht Assmann. Ich schlurfe in die Küche, hole mir ein Messer und fetze den Brief auf. Es ist eine Seite. Vorder- und Rückseite sind mit Füller beschrieben. Dortmund, den 5.3.1982 Lieber Andreas, ich hoffe, dass Du diesen Brief nicht sofort in den Müll wirfst, sondern ihn Dir wenigstens vorher durchliest. Du hast Dich vor einiger Zeit auf die BRAVO-Anzeige einer Mitschülerin von mir, Antje, gemeldet, die Briefkontakte aus aller Welt suchte. Antje hat allerdings dermaßen viele Zuschriften bekommen, dass sie irgendwann aufgehört hat, sie zu lesen. Aber ihre Mutter hat die Briefe alle aufgehoben. Ihre Mutter hatte dann auch die Idee, dass ja vielleicht andere interessierte Schüler jeweils eine Zuschrift beantworten und anbieten könnten, sich an Antjes Stelle als Briefkontakt zur Verfügung zu stellen. Das ist der Grund, aus dem Du gerade Post von Torsten anstatt von Antje liest. So viel zur Vorgeschichte. Ich war von der Idee von Antjes Mutter, die gleichzeitig meine Geschichtslehrerin ist, sofort begeistert und habe darum gebeten, möglichst einen Briefpartner aus der DDR zu bekommen. Wir behandeln nämlich die DDR gerade im Geschichtsunterricht, und ich finde Wissen aus Büchern völlig langweilig, wenn man es auch von lebenden Menschen erlangen kann. Ich würde also gerne mit Dir in regelmäßigen Briefkontakt treten, wenn Du damit einverstanden wärst. Du kannst es Dir ja überlegen, ich würde mich jedenfalls sehr freuen. Noch kurz ein paar erste Daten zu meiner Person: Ich heiße Torsten, bin ein sachtzig groß und habe grüne Augen, obwohl Dich das wahrscheinlich nicht so sehr interessiert. Ich wohne mitten im Ruhrgebiet, in Dortmund. Von dieser Stadt muss man nur zwei Dinge wissen: Hier wird das beste Bier der Welt gebraut, und hier ist die Heimat des Ballspielvereins Borussia 09, besser bekannt als BVB 09 oder Borussia Dortmund. Interessierst Du Dich auch für Fußball? Momentan höre ich in erster Linie NDW (aber nur die guten Bands wie Extrabreit, Ideal, Joachim Witt, Spliff usw. und nicht so ’nen Eintagsschrott wie UKW, Hubert Kah oder Trio). Außerdem Hardrock aus den Siebzigern wie Deep Purple, Led Zeppelin, Uriah Heep und Black Sabbath. Kennst Du die eigentlich alle? Hier heißt es immer, bei...


Kaelo Michael Janßen ist gebürtiger Dortmunder und erklärter BVB-Fan. Seiner beruflichen Vielseitigkeit zum Trotz – sie reicht von Schlosser über Bundeswehrsoldat, Möbelpacker, Verkäufer, Buchhalter und Dozent bis zum Arbeitsvermittler – gibt es seit 2000 eine dauerhafte Konstante in seinem Leben: die Mitgliedschaft bei der Schriftstellervereinigung »42er Autoren«, für die er auch mehrere Jahre im Vorstand tätig war. Zahlreiche Kurzgeschichten von ihm wurden in unterschiedlichen Anthologien veröffentlicht.

Thomas Nicolai, Jahrgang 1963, stammt aus Leipzig und ist bekannter Comedian, Parodist und Schauspieler. Er lernte an der Schauspielschule Ernst Busch, spielte Theater in Berlin und ist seit 1994 als freischaffender Comedian mit eigenen Programmen unterwegs (bekannt wurden u. a. seine Figuren »Der blonde Emil« und »Patrick Schleifer«). Im Fernsehen war er in diversen Shows von RTL, 3sat, ProSieben, WDR, NDR und Sat.1 zu sehen. Er moderierte im »Quatsch Comedy Club« und bei »NightWash«, hat einige Kleinkunstpreise erhalten und ist als Sprecher für Audioproduktionen tätig.

Als Autor entwickelte er die Kinderhörspielserie »Die Märchenmäuse« mit, veröffentlichte zahlreiche Tonträger, den Sprachführer »Sächsisch für Anfänger« und übersetzte »Die Simpsons« und »Asterix« ins Sächsische. Thomas Nicolai lebt mit seiner Familie in Berlin.



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