Jancar / Jancar | Der Galeerensträfling | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 344 Seiten

Jancar / Jancar Der Galeerensträfling


Neu durchgesehene Ausgabe von: Der Galeot (Folio 2004)
ISBN: 978-3-99037-044-5
Verlag: Folio
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 344 Seiten

ISBN: 978-3-99037-044-5
Verlag: Folio
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Sekten und Stifter, Ketzer und Hexen, Willkür und Terror - wir schreiben das 17. Jahrhundert. Johann Ott irrt ziellos umher, es ist eine Flucht ohne Zuflucht, eine innere Unruhe treibt ihn von Ort zu Ort. Nach seiner Befreiung aus den Mühlen der Inquisition schlägt er sich zur istrischen Küste durch, wo sich sein weiteres Schicksal vollzieht: die Verurteilung zu lebenslanger Galeerenstrafe. Auf dem Meer treiben ihn die Gewalten der Natur und die menschliche abgrundtiefe Grausamkeit an den Rand des Wahnsinns. Sein letzter Kampf gilt schließlich der Pest, der er am anderen Ende des Meeres in Portugal in Richtung Heimat wieder zu entrinnen versucht.

Drago Jancar, geboren 1948 in Maribor, gilt als der bedeutendste zeitgenössische Schriftsteller Sloweniens. 1974 wurde er wegen 'feindlicher Propaganda' inhaftiert. Zahlreiche Preise, u. a. Prix Européen de Littérature 2012. Seine Romane, Essays und Stücke wurden in viele Sprachen übersetzt. Zuletzt bei Folio: Der Baum ohne Namen (2010), Nordlicht (2012).

Jancar / Jancar Der Galeerensträfling jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Das andauernde Flüstern lief bald von Stube zu Stube, und die Tatsachen zeigten ein immer klareres Bild des schweigenden Zugewanderten, immer mehr wusste man von seinem Leben und Treiben, Denken und Träumen, seinen Bindungen und Feindschaften. Gar nicht viel Zeit war vergangen, da brachten die bewährten Nachrichtenkanäle schon eine Reihe zuverlässiger Informationen in Umlauf. In was für einem Verbrecherloch musste er aufgewachsen sein! Die Mutter eine Hure, der Vater Pferdehändler. Der Teufel hatte sozusagen schon an seiner Wiege gestanden. Oben im Norden hatte er schon früh den Kerker zu kosten gekriegt. Er hatte verschiedenen Herren gedient, einmal solchen vom wahren, einmal solchen vom falschen Glauben. Am Licht der wahrhaftigen Wahrheit hatte er sich nie so recht erwärmen können. Auf Wallfahrten war er gegangen. Warum? In frommer Bußfertigkeit bestimmt nicht. Eine Frau hatte er und Kinder, aber etwas hatte ihn fortgetrieben und in die Welt hinaus. Was, das wusste man noch nicht. Aber man konnte seine Schlüsse ziehen. Hinterm Haus hatte es gebrannt, und das Feuer war von selbst verloschen. Die Ratte war verschwunden, das beinlose Tier. Am Körper trug er Narben, in seinem Innern schwelte ein glühender Brand. Das hatten seine Augen vor der Kirche verraten. Seine Erinnerung hatte ihm die Fäden verwirrt, einmal redete er so, ein andermal so. Hinter den Frauen war er zwar nicht gerade her, aber er war vor die Kirche gelaufen gekommen, als die Strafe für die Ausschweifung verkündet und vollzogen wurde. Öfter war er in einem Judenhaus in der Stadt verschwunden. Mit Ärzten und anderen gelehrten Leuten hatte er ganze Nächte beim Wein diskutiert. Was, das hatte man bald heraus. Sogar das, sogar das wurde von der gesamten Familie des Stadtwächters Macl bestätigt: Eines Abends hatte über seinem Haus eine Wolke von Ungeziefer der verschiedensten ekelhaftesten Formen und Stimmen geschwebt. Und wohin ging er nachts? Diese Frage, die wichtigste Frage genau genommen, würde sich bald von ganz allein klären. Allzu viele Gerüchte dieser Art schlangen und wanden sich um Johann Ott. Vielleicht wirklich manchmal etwas wirr, vielleicht wirklich manchmal in widersprüchlichen und nicht ganz logischen Varianten, aber die Angaben häuften sich, es wurde geredet, und das war in keinem Fall gut. Denn da redete nicht nur irgendwer, es redeten auch schon die ehrbaren und anständigen Leute. Wem sonst sollte man glauben, wenn nicht ihnen? Doch jetzt war er gewarnt. Deutlich genug hatte der Mann in Schwarz zu ihm gesprochen. Jetzt hieß es abwarten und Obacht geben. Etwas würde geschehen. In etwas würde er hineingezogen werden. In solcher Zeit war es nicht gut, wenn sich über einen Menschen allzu viele Gerüchte, Nachrichten und Hinweise verbreiteten. Irgendwer siebte und sichtete sie. Verwarf Geschwätz und Spreu und behielt Tatsache und Frucht des Irrglaubens zurück. Die Dinge lagen überhaupt nicht einfach. Johann Ott war auf der Flucht, daran gab es keinerlei Zweifel. Genauso sicher war aber auch, dass er in diese Lande gekommen war, um seinen Frieden zu suchen. Er wollte trinken und essen und herumvagabundieren. Diesen Frieden gab es weder hier noch in seinem Innern. Es brannte ihm in der Brust, es stürmte im Luftraum um ihn herum. Denn man weiß, dass in der Luft nicht nur Krankheitskeime sind, in den Lüften und Luftwirbeln gibt es auch finstere Ideen, die von bösen Geistern durch den menschlichen Allraum gesandt werden, damit sie, keiner weiß, wann, in einen hineinkriechen. Schließlich hatte er sich seinen Winkel für die ruhigen Tage ganz schlecht und unglücklich gewählt. Er hatte wahrscheinlich gedacht, dass die Leute hier genug eigene Schwierigkeiten hätten – wurden sie doch von allen möglichen irdischen und kosmischen Wirren bedrängt und zugleich von den guten Mächten, die gegen diese Wirren kämpften –, so viele Schwierigkeiten, dass sie sich um den Neuankömmling überhaupt nicht kümmern würden. Aber es war gerade umgekehrt: Er hatte allzu viele schlechte Angewohnheiten, allzu viele sonderbare Dinge geschahen mit ihm und um ihn herum, als dass sie über ihn so einfach hätten hinwegsehen können. Denn diesen Feuerschein im Lande hatte es wirklich gegeben, und die Flammen waren wirklich aufgezüngelt. Darin hatte sich der Mann mit dem Lächeln und dem schwarzen Buch keineswegs geirrt. In der Tat suchte der Fürst der Finsternis seine Stützpunkte im Land, und die Gerechten mussten sich mit allen Kräften und Mitteln gegen ihn zur Wehr setzen. Deshalb hatte der bekannte und unbestechliche Ehrenmann, der Richter Dr. Andrej Barth, die Margareta Klajdic angeklagt und eine Alte namens Juliana, sie hätten sich mit dem Teufel zusammengetan, Krankheiten bewirkt und sich dem abscheulichen Satan auf alle möglichen Weisen hingegeben. Margareta hatte mit dem Geständnis etwas gezögert, doch der hochweise Andrej Barth hatte sie auf die Streckbank spannen lassen, und schon war die Wahrheit da. Juliana war im Kerker gestorben. Margareta hingegen hatte Gnade vor dem guten Richter gefunden: Er ließ sie, die derart Zerbrochene und Zerrissene, nicht einfach verbrennen, wie es das ehrbare Volk erwartete und verlangte. Sie wurde zuerst enthauptet und dann erst verbrannt. Alle diese Tatsachen mussten Johann Ott bekannt sein. Sechs Monate später richtete der bedeutende Richter Lampretic in der Stadt die Ursula Kolar. Gerade dieser Prozess führte zu überraschenden Entdeckungen und zeigte, wie verbreitet das Böse in diesem Land eigentlich war. Wieder und wieder hatte Ursula Kolar immer neue, abscheuliche Manns- und Weibsgeschöpfe entdeckt, als man ihr geschmolzenen Talg über die Füße goss, und immer satanischere Züge hatte ihr Gesicht angenommen. Es erwies sich, dass diese Brut überall steckte, unter Ursulas Bekannten und Nachbarn, unter den Bürgern und Kaufleuten, unter Leuten, denen niemand gefährliche und ketzerische nächtliche Umtriebe zugetraut hätte. Besonders zahlreich war diese Brut unter den ungewöhnlicheren Menschen, den weniger bekannten, solchen mit weniger stetem Lebenswandel. Und immer größer wurde das Bedürfnis nach Aufdeckung und Vernichtung dieses Ungeziefers. Doch erstaunlicherweise wurde auch Ursula Kolar vom Glück und von einem humanen Verfahren ereilt. Auch sie wurde nicht bei lebendigem Leib verbrannt. Zuerst wurde sie am Pfahl erdrosselt. Natürlich zog der Prozess gegen Ursula Kolar infolge ihrer verlässlichen Zeugenschaft neue Untersuchungen und Verfahren nach sich. Mühe und Wirken von Lampretic und den Seinen blieben nicht fruchtlos. In Stadt und Umgebung entdeckte man nach sorgfältigem Befragen eine ganze Reihe von Männern und Frauen, die, mit dem Teufel im Bunde, zahllose Untaten verübt, Diebstähle, Kindesmorde, Brandstiftungen begangen, Krankheiten und Unwetter bewirkt hatten usw. Die einen wurden im Fluss ertränkt, der durch die Stadt floss, die anderen wurden verbrannt, die Dritten wurden geschont und nur zu Tode gepeitscht, wieder andere hauchten das Leben unter den Händen ihrer Peiniger aus. Ihre Körper wurden später an einsamen und ungeweihten Orten begraben. Obgleich dieses Wirken überaus erfolgreich schien, war das Übel lange nicht endgültig ausgerottet. Nachts verschwanden Kinder, tagsüber verreckte das Vieh. Jetzt brannte es hier, dann dort. Einmal wurde dieser, einmal jener ehrliche Mann bis aufs Blut geprügelt. Es gab viel Böses. Finsternis und Flammen und Blut überall, und in den Menschen verborgenes und böses Trachten. Was aber das Allerschlimmste war: Es sammelten sich Gruppen, denen schwer auf die Spur zu kommen war. Einen ruhelosen Schritt hatte er eines Tages, den ganzen Tag über einen so ruhelosen Schritt, im Wald, auf dem Feld, im Haus. Die Hitze drückte ihm auf die Schädelhülle, dass darunter die ganze Hirnmasse schmolz und hin und her waberte und er davon einen ganz vernebelten Blick kriegte. Weder hierhin noch dorthin sagte ihm der Weg zu, überall argwöhnte er Hindernisse, überall konnte die gefährliche Verirrung in ihm selbst ansetzen, nirgends gab es Schutz. Er bewegte sich noch immer elastisch, doch spürte er, dass auch das Körpergewebe schon nachgab, dass die sehnige Kraft unter der Haut nachließ, dass sein Herz lauter und schneller schlug, etwas war da, das würde sich nicht einfach aufhalten lassen. Versuchte er zu laufen, versagten ihm die Beine. Versuchte er es mit Sitzen, jagte ihn eine ungekannte Unruhe hoch. Es ging nichts, überhaupt nichts. Er ging ins Haus und warf sich übers Bett und lauschte dem Pulsen und Vibrieren seines Körpers. Etwas hatte sein Gesicht berührt, doch es war so ruhig und still und betäubend, so sanft, dass er überhaupt nicht zusammenzuckte, dass er nicht aufsprang oder vor Grauen aufschrie bei der feuchten Berührung. Nichts von alldem tat er. Es war so still und feucht und angenehm, als es ihm übers Gesicht fuhr, über die Stirn, über die Augen, durch die Haare, als es nach seiner Brust griff und hinein, als es ins schlagende Herz kroch, in...


Drago Jancar, geboren 1948 in Maribor, gilt als der bedeutendste zeitgenössische Schriftsteller Sloweniens. 1974 wurde er wegen "feindlicher Propaganda" inhaftiert. Zahlreiche Preise, u. a. Prix Européen de Littérature 2012. Seine Romane, Essays und Stücke wurden in viele Sprachen übersetzt. Zuletzt bei Folio: Der Baum ohne Namen (2010), Nordlicht (2012).



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.