E-Book, Deutsch, 128 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 190 mm
Janacs / Laher / Ruiss O du mein Österreich
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7025-8118-3
Verlag: Verlag Anton Pustet Salzburg
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
(K)eine Lobeshymne. (K)eine Lobeshymne. Über die Frage, wer hinter den österreichischen Hymnen steht
E-Book, Deutsch, 128 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 190 mm
ISBN: 978-3-7025-8118-3
Verlag: Verlag Anton Pustet Salzburg
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
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Ludwig Laher
Keine Geschwisterlichkeit im Vaterland
Zur problematischen Textanpassung der Bundeshymne 2012
Was kann den Gesetzgeber dazu bewegen, an einer scheinbar in Stein gemeißelten Hymne zu rütteln? Schwerste, die Grundfesten menschlichen Zusammenlebens erschütternde charakterliche Verfehlungen ihrer Urheber offenbar nicht, wie dieses Buch an verschiedenen Beispielen demonstriert.
Die österreichische Bundeshymne ist, was das anlangt, zum Glück unverdächtig. Ihre Melodie stammt, so viel lässt sich immerhin mit Bestimmtheit sagen, aus Freimaurerkreisen des 18. Jahrhunderts, der Text von Paula Preradovic, einer katholischen Autorin, die dem Widerstand gegen den NS-Terror nahestand, für den ihr Sohn Fritz Molden sein Leben riskierte.
Ich will mich nicht über Gebühr lange mit Überlegungen aufhalten, ob der Wortlaut dieses offiziellen Staatssymbols noch zeitgemäß ist. Dass man seinen Versen ihre Jahresringe ansieht, lässt sich sicherlich nicht leugnen. Als sie kurz nach 1945 geschmiedet wurden, inszenierte Österreich sich nun einmal gern als einst großer, stolzer, aber vielgeprüfter Lastenträger, also als Opfer. Ein Land der Hämmer ist es schon lange nicht mehr, und gläubig schreiten im Land der Dome immer weniger Leute in die neuen Zeiten. Man mag zu diesen angestaubten Ingredienzen stehen, wie man will, doch gibt es nach meiner Überzeugung keinen zureichenden Grund, sich leidenschaftlich von ihnen zu distanzieren. Bei allen pathosgetränkten Lobpreisungen Österreichs und seiner Menschen, da schwingt nirgends chauvinistische Überheblichkeit mit. Weder werden Gebietsansprüche erhoben noch martialische Phantasien bedient, böse Feinde entlarvt und grausam bestraft.
Was also bewog Regierung und Nationalrat dennoch dazu, in das Werk der Dichterin einzugreifen und diese Überarbeitung mit Wirkung vom 1. Jänner 2012 verbindlich zu machen? In einem Tagungssammelband der Universität Ljubljana über die Hymnen Österreichs schreibt der ausgebildete Germanist und Historiker Harald Miesbacher 2022 davon, dass an Preradovic’ Text zwei »unerlässliche Abänderungen vorgenommen« worden seien. Den großen Söhnen wurden die Töchter beigesellt, »ersetzt wurden in der dritten Strophe noch die ›Brüderchöre‹ durch die neutraleren ›Jubelchöre‹«.
Es ging, lässt sich diesem Befund entnehmen, offenbar um Gender-Mainstreaming in Form von sprachlicher Sensibilität, ein an sich ehrenhaftes, wenn auch bis heute kontrovers diskutiertes Anliegen. Doch nicht diesbezügliche Glaubensfragen im engeren Sinne wie generisches Maskulinum ja oder nein, Sonderzeichengebrauch und -präferenzen, um möglichst viele geschlechtliche Identitäten abzubilden, gaben mir (und anderen) Anlass, den entsprechenden Gesetzesbeschluss samt seiner aufschlussreichen Vorgeschichte kritisch zu hinterfragen.
Im Unterschied zu Harald Miesbacher bestreite ich entschieden, dass aus dem Boden gestampfte Jubelchöre auch nur im Entferntesten mit Neutralität in Verbindung gebracht werden können. Ein Blick auf die Genese der Neufassung spricht da Bände. Und ich trete der Ansicht entgegen, die Abänderungen seien, wie sie ausfielen, unerlässlich gewesen.
Angesichts der, oberflächlich betrachtet, marginalen Eingriffe in den Text finden sich erstaunlich viele Hebel, die Umdichtung zu problematisieren. Unverständlich ist zunächst einmal die Inkonsequenz, mit der man dabei vorgegangen ist. Die lässt sich nur mit jenseits des Vorsatzes zu gendern angesiedelten Motiven erklären. Und das ist bedenklich.
Während es den Brüderchören also an den Kragen gehen musste, blieb das im Original unmittelbar darauf folgende, mindestens so männerlastige Wort nämlich unbehelligt: Vaterland. Es lohnt sich deshalb, den semantischen Feinheiten der beiden Begriffe nachzuspüren.
Brüderlichkeit steht für ein Wertegefüge der Gleichberechtigung aller, des Respekts und der Achtung der Menschenrechte. In dieser humanistisch geprägten Gesinnung mögen die Österreicherinnen und Österreicher sich laut Preradovic dazu bekennen, ihrem Vaterland treu sein zu wollen. 1948, also im Jahr nach Einführung der Bundeshymne, befand die UNO in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte denn auch, Menschen »sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen«.
Heutzutage wird das Wort Brüderlichkeit oft durch Geschwisterlichkeit ersetzt. Wäre es den Umdichtern, der Ministerriege und ihren parlamentarischen Exekutoren jedweder geschlechtlichen Identität also tatsächlich ernsthaft darum gegangen, die eindeutig erschließbare Textabsicht der Autorin den Erfordernissen geschlechtergerechter Sprache anzupassen, hätten sie sich dieser leicht nachvollziehbaren semantischen Entsprechung bedient und unter Bedachtnahme auf das trochäische Versmaß zum Beispiel formuliert: »Einig in Geschwisterchören / wollen wir dir Treue schwören«.
Eine solche Anpassung hätte gleichzeitig die Möglichkeit geboten, sich beileibe nicht nur aus Gendergründen vom heiklen Vaterland zu verabschieden, das auch in Österreichs Geschichte durch obrigkeitliche Unterordnungsphrasen wie »Gott, Kaiser und Vaterland« oder die antidemokratische Vaterländische Front des Ständestaates eindeutig konnotiert ist. Doch wollte man diese Distanzierung seitens der politischen Entscheidungsträger, aus welchen Gründen immer, unbedingt vermeiden und in einem Aufwaschen auch gleich das Bekenntnis zur aufklärerischen Idee geschwisterlichen Umgangs eliminieren. Dafür gibt es eindeutige Belege, auf die noch eingegangen werden wird.
Die öffentliche Debatte zum Thema beschränkte sich indessen, zumindest in der medialen Breitenwirkung, weitgehend auf die erste Hymnenstrophe. Dass dort endlich auch große Töchter Platz finden sollten, wurde von vielen begrüßt, brachte jedoch so manchen Zeitgenossen, darunter einen beliebten Volksrocknroller, regelrecht auf die Barrikaden. Selbst gar nicht so wenige Zeitgenossinnen, die sich, sofern sie das schwammige Kriterium der Größe erfüllten, nun explizit einbezogen fühlen durften, traten mit unterschiedlichen Argumenten dagegen auf. Vergeblich. Man zwängte die Töchter an die Seite der Söhne, was die Silbenanzahl der betreffenden Zeile erhöhte und dem Rhythmus des Verses alles andere als zuträglich war. Seither holpern Sangeswillige so recht und schlecht, da sich an der Melodie ja nichts geändert hat, durch die neue Textpassage.
Was die abgeschafften Brüderchöre anlangt, erscheint es geradezu grotesk, ihrem Ersatz ein größeres Maß an Neutralität zuzusprechen. Neutralität ist nämlich kein Synonym für die Vermeidung von Männerdominanz in der Sprache. Dass an dieser Stelle wenigstens die Kongruenz von Musik und Text erhalten blieb, ist nur ein schwacher Trost, eigentlich gar keiner.
Von einer neutralen Ersatzlösung für die in Ungnade gefallenen Brüder ist der Jubel nämlich weit entfernt. Bekanntlich begegnete Paula Preradovic der christlich-sozialen Ersatzlösung für die österreichische Demokratie, dem autoritären Ständestaat, ursprünglich mit einiger Sympathie. Wäre es Intention der Autorin gewesen, die in alten Filmen und Tonaufzeichnungen gut dokumentierten Massenveranstaltungen des Dollfuß- und Schuschnigg-Regimes mit ihrem verordneten, übersteigerten Österreich-Patriotismus textlich abzubilden und bestellte Jubelchöre Treueschwüre schmettern zu lassen, dann hätte sie sicherlich die nicht nachvollziehbare Retro-Adaptierung des 21. Jahrhunderts vorweggenommen und gleich selbst die sanglichen Begeisterungsstürme unseligen Angedenkens bemüht. Es ging ihr aber, vielleicht geläutert durch den Lauf der Geschichte, nach 1945 um eine völlig andere Aussage.
Warum um alles in der Welt müssen neuerdings ausgerechnet in Zeiten wiedererstarkter ausgrenzender Nationalismen patriotische Jubelchöre die österreichische Bundeshymne bevölkern? Warum gab man sich nach der geglückten Tilgung der Geschwisterlichkeit nicht wenigstens, um ein letztes Mal den Begriff Neutralität ins Spiel zu bringen, mit wesentlich neutraleren Freudenchören zufrieden, was begründet die außerordentliche Emotionalisierung des gemeinschaftlichen Treuejubels? Das Versmaß scheidet jedenfalls aus, der in der ersten Strophe malträtierte Trochäus vertrüge Freude und Jubel gleichermaßen.
Natürlich kann auch ein einzelner Mensch jubeln. Häufig aber liegt dem Jubel eine überaus bewegende kollektive Erfahrung zugrunde, etwa ein siegbringendes Fußballtor in der Schlussminute oder die Präsentation des von den Alliierten unterzeichneten Staatsvertrags auf dem Balkon des Belvedere. Doch auch übel beleumundete Staatenlenker vermögen es, mittels rhetorischer Versatzstücke und ihres charismatischen Auftretens das Blut der Massen in Wallung zu versetzen und Jubelstürme auszulösen, oft genug für sinistre Absichten, die in eklatantem Gegensatz zu jener Brüderlichkeit stehen, die Paula Preradovic in der österreichischen Bundeshymne hochhielt, bis dieser das ausgetrieben wurde und parlamentarisch abgesegnete Jubelchöre sie übertönten.
Wer nun mutmaßt, hier höre einer, künstlich aufgeregt, das Gras wachsen, die ersonnenen Jubelchöre und das unangetastete Vaterland würden sich vermutlich weit eher vereinigter Gedankenlosigkeit von Regierung und Gesetzgeber verdanken als reaktionärem Gedankengut, dem sei gesagt, diese ohnehin zwiespältige Hoffnung scheint zu trügen. Zumindest schwebte jenen, auf deren Initiative hin der gesamte Prozess einst in Gang kam, anderes, weniger Verstörendes vor. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Bearbeitung macht das deutlich: Wie andere Medien...