E-Book, Deutsch, 832 Seiten
James Schwarzer Leopard, roter Wolf
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-641-24415-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dark Star 1. Roman
E-Book, Deutsch, 832 Seiten
ISBN: 978-3-641-24415-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»Man Booker Prize«-Träger Marlon James legt mit »Schwarzer Leopard, roter Wolf« den Auftakt zu einer Trilogie vor, die afrikanische Geschichte und Mythen zu einem gewaltigen Fantasy-Epos verflicht.
Marlon James wurde 1970 als Sohn zweier Polizeibeamter in Kingston geboren. Mehr als zehn Jahre arbeitete er als Werbetexter und Grafikdesigner, u.a. für den Dancehall-Musiker Sean Paul und das »T-Magazin« der »New York Times«. Bei einem Literaturworkshop in Jamaika wurde eine Dozentin der Wilkes University Pennsylvania auf James aufmerksam und verschaffte ihm ein Masterstudium in Kreativem Schreiben sowie eine Assistentenstelle. Sein erster Roman »Der Kult« erntete über siebzig Ablehnungen, ehe er einen Verlag fand und in der Folge als bestes Debüt für den »Los Angeles Times Book Prize« und den »Commonwealth Writers’ Prize« nominiert wurde. Für sein 2009 erschienenes Nachfolgewerk »The Book of Night Women« über eine Revolte jamaikanischer Sklavinnen während der Kolonialzeit erhielt James den »Dayton Literary Peace Prize« und den »Minnesota Book Award«. Sein dritter Roman »Eine kurze Geschichte von sieben Morden«, wurde ebenfalls vielfach ausgezeichnet. Als erster Jamaikaner erhielt James den »Man Booker Prize«. Er lebt heute in Minneapolis, Minnesota.
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EINS
Das Kind ist tot. Weiter gibt es nichts zu wissen.
Ich höre, im Süden gebe es eine Königin, die denjenigen tötet, der ihr schlechte Kunde bringt. Besiegle ich also mein eigenes Todesurteil, wenn ich ihr den Tod des Jungen melde? Die Wahrheit frisst die Lüge, wie das Krokodil den Mond frisst, und doch ist mein Zeugnis heute dasselbe, das es morgen sein wird. Nein, ich habe ihn nicht getötet. Auch wenn ich seinen Tod herbeigewünscht haben mag. Danach gelechzt habe wie ein Vielfraß nach Ziegenfleisch. Ach, den Bogen anzulegen und ihm durch das schwarze Herz zu schießen und zuzusehen, wie schwarzes Blut daraus hervorspritzt, ihm in die Augen zu schauen, bis sie aufhören zu blinzeln, bis sie blicken, ohne zu sehen, auf das Brechen seiner Stimme zu lauschen und zu hören, wie seine Brust sich im Todesröcheln hebt und sagt: Seht, mein elendiger Geist verlässt diesen elendigsten aller Leiber, und diese Botschaft zu belächeln und diesen Verlust zu betanzen. Ja, ich schwelge in der Vorstellung. Aber nein, ich habe ihn nicht getötet.
Bi oju ri enu a pamo.
Nicht alles, was das Auge sieht, sollte der Mund aussprechen.
Diese Zelle ist größer als die vorherige. Ich rieche das getrocknete Blut Hingerichteter; ich höre ihre Geister noch schreien. In deinem Brot sind Rüsselkäfer, und in deinem Wasser ist die Pisse von zehn und zwei Wächtern und der Ziege, die sie zum Zeitvertreib ficken. Soll ich dir eine Geschichte erzählen?
Ich bin nur ein Mann, den manche einen Wolf genannt haben. Das Kind ist tot. Ich weiß, die Alte erzählt dir etwas anderes. Nenn ihn einen Mörder, sagt sie. Auch wenn ich nichts weiter bereue, als sie nicht getötet zu haben. Der Rothaarige sagte, der Kopf des Kindes sei voller Teufel gewesen. Wenn du an Teufel glaubst. Ich glaube an schlechtes Blut. Du siehst aus wie ein Mann, der nie Blut vergossen hat. Und doch klebt Blut zwischen deinen Fingern. Ein Junge, den du beschnitten hast, ein Mädchen, das zu klein war für deinen dicken … Sieh, wie dich das in Erregung versetzt. Sieh dich an.
Ich werde dir eine Geschichte erzählen.
Sie beginnt mit einem Leoparden.
Und einer Hexe.
Großinquisitor.
Fetischpriester.
Nein, du wirst nicht nach den Wächtern rufen.
Mein Mund könnte zu viel sagen, ehe sie ihn mit dem Knüppel schließen.
Betrachte dich. Ein Mann mit zweihundert Kühen, der sich am Hautfetzen eines Jungen ergötzt und an der Koo eines Mädchens, das niemandes Frau sein sollte. Denn das ist es, wonach du suchst, oder nicht? Ein dunkles kleines Ding, das nicht in dreißig Säcken Gold oder zweihundert Kühen oder zweihundert Ehefrauen zu finden ist. Etwas, was du verloren hast – nein, es wurde dir genommen. Dieses Licht, du siehst es, und du willst es – kein Licht von der Sonne oder dem Donnergott im Nachthimmel, sondern ein Licht ohne Makel, Licht in einem Jungen, der noch nie eine Frau hatte, einem Mädchen, das du für die Ehe gekauft hast, nicht weil du eine Frau gebraucht hättest, denn du hast zweihundert Kühe, aber den Leib einer Frau kannst du aufreißen, denn du suchst in Löchern danach, in schwarzen Löchern, nassen Löchern, noch nicht ausgewachsenen Löchern suchst du nach diesem Licht, nach dem Vampire auf der Suche sind, und du wirst es bekommen, du wirst dich für die Zeremonie kleiden, Beschneidung für den Jungen, Vollzug für das Mädchen, und wenn sie Blut vergießen und Spucke und Sperma und Pisse, dann lässt du es alles auf deiner Haut und gehst damit zum Iroko-Baum und gebrauchst jedes Loch, das du finden kannst.
Das Kind ist tot, und alle anderen sind es auch.
Ich lief tagelang, durch Fliegenschwärme im Blutsumpf, durch die Salzebenen, wo die Felsen in die Haut schneiden, Tage und Nächte lang. Ich ging nach Süden bis nach Omororo, ohne es zu merken oder mich daran zu stören. Sie nahmen mich als Bettler fest, hielten mich für einen Dieb, folterten mich als einen Verräter, und als die Kunde von dem toten Kind dein Königreich erreichte, sperrten sie mich als Mörder ein. Wusstest du, dass fünf Männer in meiner Zelle waren? Vor vier Nächten. Das Tuch um meinen Hals gehört dem einzigen Mann, der den Kerker aufrecht gehend verließ. Eines Tages wird er vielleicht sogar wieder auf dem rechten Auge sehen.
Die anderen vier. Merke dir, was ich sage.
Alte Männer sagen, die Nacht sei eine Närrin. Sie verurteilt nicht, aber was immer geschehen mag, sie warnt dich auch nicht. Der Erste kam an mein Bett. Ich erwachte von meinem eigenen Todesröcheln, und es war ein Mann, der mir die Kehle zudrückte. Kleiner als ein Ogo, aber größer als ein Pferd. Er roch, als hätte er eine Ziege geschlachtet. Packte mich am Hals und hob mich in die Luft, ohne dass die anderen einen Laut von sich gegeben hätten. Ich wollte seine Finger öffnen, doch ein Teufel steckte in seinem Griff. Gegen seine Brust zu treten hieß, einen Stein zu treten. Er hielt mich hoch, als betrachtete er ein wertvolles Juwel. Ich stieß ihm das Knie so fest gegen den Kiefer, dass seine Zähne die Zunge durchtrennten. Er ließ mich fallen, und ich ging wie ein Bulle auf seine Eier los. Er stürzte, ich griff mir sein Messer, scharf wie eine Rasierklinge, und schnitt ihm die Kehle durch. Der Zweite versuchte meine Arme zu packen, aber ich war nackt und schlüpfrig. Das Messer – mein Messer –, ich rammte es ihm zwischen die Rippen und hörte sein Herz platzen. Der dritte Mann tanzte mit den Füßen und Fäusten wie eine Nachtmotte, pfiff wie ein Moskito. Eine Faust ballte ich und streckte dann zwei Finger aus, wie Hasenohren. Bohrte sie ihm rasch ins linke Auge und zog es in einem Stück heraus. Er schrie. Ich sah zu, wie er heulend den Boden nach seinem Auge absuchte, und vergaß darüber die anderen beiden. Der Dicke hinter mir holte aus, ich duckte mich, er stolperte, er fiel, ich sprang, ich griff mir den Stein, der mein Kissen war, und schlug auf seinen Kopf ein, bis sein Gesicht nach Fleisch roch.
Der letzte Mann war ein Junge. Er weinte. Er war zu erschüttert, als dass er um sein Leben hätte flehen können. Ich sagte ihm, in seinem nächsten Leben solle er ein Mann werden, denn in diesem sei er weniger als ein Wurm, und rammte ihm das Messer in den Hals. Sein Blut berührte den Boden, ehe seine Knie es taten. Ich ließ den halb blinden Mann am Leben, denn wir brauchen Geschichten zum Leben, nicht wahr, Priester? Inquisitor. Ich weiß nicht, wie ich dich nennen soll.
Aber das waren nicht deine Männer. Gut. Dann musst du ihren Witwen kein Totenlied singen.
Du bist wegen einer Geschichte gekommen, und ich bin in der Stimmung zu erzählen, also sind die Götter uns beiden wohlgesinnt.
In der Purpurnen Stadt gab es einen Händler, der sagte, er habe seine Frau verloren. Sie war mit fünf goldenen Ringen, zehn und zwei Ohrringpaaren, zwanzig und zwei Armreifen und zehn und neun Fußspangen verschwunden. Man sagt, du hättest eine Nase, mit der du finden kannst, was lieber verloren bliebe, sagte er. Ich zählte beinahe zwanzig Jahre und war vor Langem aus dem Hause meines Vaters verbannt worden. Der Mann hielt mich für eine Art Spürhund, aber ich sagte: Ja, es heißt, ich hätte eine Nase. Er warf mir das Unterkleid seiner Frau zu. Die Spur war so schwach, dass sie beinahe verflogen war. Vielleicht hatte sie gewusst, dass man sie eines Tages jagen würde, denn sie hatte in drei Dörfern eine Hütte, und niemand wusste, in welcher sie lebte. In jedem Haus war ein Mädchen, das genau wie sie aussah und sogar auf ihren Namen hörte. Das Mädchen im dritten Haus bat mich herein und wies mich an, mich auf einen Schemel zu setzen. Sie fragte, ob ich durstig sei, und griff nach einem Krug Masukubier, ehe ich antworten konnte. Ich will dich daran erinnern, dass meine Augen nicht außergewöhnlich sind, aber man sagt, ich hätte eine Nase. Als sie mir den Krug Bier brachte, hatte ich daher das Gift bereits gerochen, das sie hineingetan hatte, ein Kobraspucke genanntes Gift, das seinen Geschmack verliert, wenn man es mit Wasser vermengt. Sie reichte mir den Krug, und ich nahm ihn, packte ihre Hand und drehte ihr den Arm auf den Rücken. Ich hob den Krug an ihre Lippen, zwang ihn zwischen ihre Zähne. Die Tränen liefen an ihr herunter, und ich nahm den Krug fort.
Sie brachte mich zu ihrer Herrin, die in einer Hütte am Fluss lebte. Mein Mann hat mich so sehr geschlagen, dass mein Kind herausgefallen ist, sagte die Herrin. Ich habe fünf Goldringe, zehn und zwei Paar Ohrringe, zwanzig und zwei Armreifen und zehn und neun Fußspangen, die ich dir geben will, und dazu eine Nacht in meinem Bett. Ich nahm vier Fußspangen, und ich brachte sie zurück zu ihrem Mann, weil ich lieber sein Geld wollte als ihren Schmuck. Dann sagte ich ihr, sie solle die Frau aus der dritten Hütte Masukubier für ihn machen lassen.
Die zweite Geschichte.
Als mein Vater eines Abends nach Hause kam, roch er nach einer Fischerin. Er hatte ihren Geruch an sich und das Holz eines Bao-Bretts. Und das Blut eines Mannes, der nicht mein Vater war. Er hatte eine Partie gegen einen Binga, einen Bao-Meister, gespielt und verloren. Der Binga hatte seinen Preis eingefordert, und mein Vater hatte das Bao-Brett genommen und es dem Meister gegen die Stirn geschlagen. Er sagte, er sei in einem weit entfernten Wirtshaus gewesen, um zu zechen, Frauen zu kraulen und Bao zu spielen. Mein Vater schlug auf den Mann ein, bis dieser sich nicht mehr bewegte, und verließ dann die Schänke. Aber er hatte keinen Schweißgeruch an sich, nicht viel Staub, kein Bier in seinem Atem, nichts. Er war nicht in einer Schänke gewesen, sondern in der Höhle eines Opium-Mönchs.
Vater kam also herein und rief...