E-Book, Deutsch, 544 Seiten
James Höllenqual
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-641-26676-9
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 544 Seiten
ISBN: 978-3-641-26676-9
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Auf einer Landstraße in Oxfordshire wird eine ausgemergelte junge Frau gefunden. Sie ist nackt. Die Polizei geht von einer Drogensüchtigen aus, doch Detective Sergeant Aidan Corcoran ahnt, dass hier ein grausames Verbrechen geschehen ist. Und seine Vermutung wird bald zur Bestätigung: Das Opfer weist Fesselmale auf und wurde über Wochen festgehalten und ausgehungert. Um mehr über den Täter und seine Motive herauszufinden, wird die Kriminalpsychologin Dr. Marie Palmer zu den Ermittlungen hinzugezogen. Sie soll ergründen: Gibt es womöglich noch mehr Opfer, die in genau diesem Augenblick höllische Qualen erleiden müssen?
Packende Thriller-Unterhaltung aus Großbritannien – Ed James führt den Leser in die finsteren Abgründe der menschlichen Seele. Machen Sie sich auf schlaflose Nächte gefasst. Sie werden diese durchlesen!
Ed James war Projektmanager im IT-Bereich, bevor er mit dem Schreiben begann. Seine ersten Bücher verfasste er vor allem in Flugzeugen und Zügen während seiner wöchentlichen Pendeltouren zwischen Schottland und London. Auf diese Weise vollendete er drei Romane in sieben Monaten. Seine im Selfpublishing veröffentlichten Krimis haben sich hunderttausendfach verkauft. Der Autor lebt mit seiner Frau und einer Horde geretteter Tiere in East Lothian, Schottland.
Weitere Infos & Material
2
[Corcoran, 11:55 Uhr]
Detective Sergeant Aidan Corcoran ruckte auf dem Beifahrersitz herum und versuchte, eine bequeme Position zu finden, während sie die Landstraße entlangdonnerten. Er streckte sein Bein in den Fußraum aus. Seine rechte Hüfte krampfte, es war zwar kein unerträglicher Schmerz, aber trotzdem …
Etwas knackte, und er stieß einen flachen Seufzer aus; beinahe hätte er vor Erleichterung aufgekeucht.
DI Alana Thompson fuhr den Volvo aus dem Fuhrpark wie eine Wahnsinnige, raste polternd über die Brücke, sodass unter ihr ein metallisches Knirschen zu hören war. Das Kricketfeld und der dazugehörige Parkplatz huschten blitzartig an ihnen vorbei, dann scherte sie aus, um einen Radfahrer zu überholen, und holperte dabei über den grasbewachsenen Straßenrand. Die Blätter einer Trauerweide peitschten gegen die Windschutzscheibe.
Corcoran sah sie an. »Ma’am, könnten Sie ein bisschen langsamer fahren?«
»Kommen Sie mir nicht mit ›Ma’am‹, Sergeant. Sie sind nicht mehr bei der Londoner Polizei.« Thompson bog um die Kurve und auf eine andere Straße ab, die ihr die richtige zu sein schien. Allerdings wusste man das hier draußen in der Pampa nie so genau. Sie durchquerten in einem Affenzahn ein malerisches Postkartenidyll, ein Dorf mit Landgasthof und einem zusammengewürfelten Haufen kleiner Steinhäuschen, manche von ihnen mit Reet gedeckt. Dann dünnte sich die Besiedlung auf diese mittelenglische Weise aus, in der das Dorf noch nicht ganz bereit war, seinen Griff zu lockern, während es dennoch ganz allmählich zu Land wurde. An einem Parkplatz rechts von ihnen gab es keinerlei Beschilderung, die angezeigt hätte, wozu er diente, nur ein Warnschild für eine einspurige Straße ohne Überholmöglichkeit. Ordentliche Schiefermäuerchen säumten die Fahrbahn auf beiden Seiten.
Thompson kam abrupt mit quietschenden Reifen zum Stehen.
Ein junger Bursche in Uniform lehnte an einer der Mauern und hatte ein Klemmbrett in der Hand, eine halbe Rolle Absperrband flatterte in der Brise und blockierte die Durchfahrt. Beflissen eilte er auf sie zu.
Thompson ließ das Fenster herunter und streckte ihm den Dienstausweis entgegen. »Ist das hier wirklich notwendig, Constable?«
Der Beamte richtete sich kerzengerade auf, als ob er der Queen gegenüberstünde. »Sorry, Ma’am, aber ich dachte, dass vielleicht noch die Spurensicherung kommt?«
Sie drehte den Zündschlüssel, und der Motor kam rasselnd zum Stillstand. »Ist sie denn tot?«
»Nein, Ma’am, aber …«
»Lassen Sie die ›Ma’am‹ stecken. Ich heiße Alana.« Thompson stieg aus und knallte die Tür hinter sich zu.
Corcoran ließ seinen Sicherheitsgurt langsam einrollen, öffnete dann seinerseits die Tür und trat auf die Straße hinaus. Dabei nahm er sich Zeit, die Umgebung genau zu betrachten.
Vor ihnen parkte ein Krankenwagen mit blinkendem Blaulicht im hellen Sonnenschein. Zwei weitere Beamte standen daneben und sprachen mit einem grün gekleideten Sanitäter. In der Ferne sperrte eine Beamtin den Gegenverkehr ab.
Thompson steckte die Hände in die Taschen. »Irgendeine Vorstellung, wer sie ist?«
»Leider nicht. Der Kerl hat sie nackt hier liegen gesehen. Ich habe zwar alles in der Umgebung abgesucht, aber keine Kleidung und kein Telefon gefunden, auch keine Brieftasche, gar nichts.«
»Und warum suchen Sie nicht weiter?«
»Ihre Kollegin hat mir gesagt, ich soll hier übernehmen.« Der Polizist zeigte auf eine Beamtin in Zivilkleidung, die auf halber Höhe auf der Straße stand.
Corcoran kannte sie nicht, aber das hatte nicht viel zu bedeuten. Sie nahm die Aussage eines rotgesichtigen Mannes auf, der neben einem Transporter stand. Er trug den Overall eines Steinmetzes und war, wie viele hier in der Gegend, eher stämmig gebaut. Landbevölkerung; die Röte in den Wangen deutete darauf hin, dass er gern trank, der Bauch ließ darauf schließen, dass es sich dabei um Bier handelte.
Der Polizist wies mit einem Kopfnicken die Straße hoch. »Das da ist der Typ, der sie gefunden hat. Bob Rutherford. Ich hab mich ein bisschen mit ihm unterhalten. Was für ein Langweiler, Mann.« Er grinste Corcoran an, dann kratzte er sich am Hals. »Er behauptet, kurz vorher einen SUV beobachtet zu haben, der ziemlich schnell hier entlanggefahren sein soll. Den hat er verfolgt, aber als er sie da hat liegen sehen, hat er angehalten. Könnte ein VW oder auch ein Vauxhall gewesen sein. Schwarz, vielleicht auch dunkelgrau.«
Corcoran sah wieder zu Bob, der noch immer seine Aussage machte, und versuchte, ihn einzuschätzen. Den Anruf bei der Notrufnummer hatte er sich schon auf dem Weg hierher angehört, und die Aussage würde er sich später auch noch durchlesen, dann würde er sich eine Meinung bilden. Falls dieser Kerl wirklich ein Riesenlangweiler war, würde er die Geschichte einfach nur wiederholen, allerdings würde jede neue Version davon seine Rolle dabei weiter aufblasen.
Corcoran nickte dem Polizisten verschwörerisch zu. »Dann folge ich mal Ihrem Rat.« Er sah sich in der unmittelbaren Umgebung um. Keine Spuren, keine Fußabdrücke, nicht einmal der Abdruck eines menschlichen Körpers. Nur eine Stelle mit Unkraut unter einem Busch. »Tun Sie mir den Gefallen und geben Sie einen Suchauftrag für diesen SUV raus, ja?«
»In Ordnung, Sergeant.«
Thompson klopfte dem Polizisten auf den Arm. »Rufen Sie außerdem die Leitstelle an und sagen Sie ihnen, dass gern die Spurensicherung hier hätte, okay?«
Er nickte nervös und tippte auf sein Polizeifunkgerät. »Geht klar, Ma’am.«
Thompson trampelte, ohne groß achtzugeben, durch das Absperrband hindurch und ging dann die gewundene Straße hinunter, die Schultern tief nach unten gezogen, den Kopf nach vorn gereckt und die Straße mit scharfem Blick musternd.
Corcoran folgte ihr, hatte aber Mühe, mit ihr Schritt zu halten. »Alana, warten Sie.«
Sie hielt an, runzelte die Stirn und drehte sich zu ihm um. »Ehrlich, das hört sich komisch an.«
»Sollen wir dann vielleicht doch einfach bei ›Ma’am‹ bleiben?«
»Nein, anscheinend muss ich ein besseres Verhältnis zu meinen Untergebenen entwickeln, also belassen wir es bei ›Alana‹.« Thompson verlangsamte ihre Schritte, als sie sich dem Krankenwagen näherten, dessen Motor noch immer lief. Zwei Polizisten ließen Thompson zu dem Sanitäter durch. »Wo ist sie?«
Der Sanitäter hielt kurz damit inne, die Rampe wieder einzuklappen. »Neil Hart« stand auf seiner Uniform. Mit dem linken Daumen zeigte er in den Krankenwagen. »Da drin.«
»Okay, gehen Sie mir aus dem Weg.« Thompson drückte ihn beiseite.
Im Inneren kauerte Neils Kollege neben einer Krankenliege und hielt eine riesige silberne Decke in den ausgestreckten Händen. »Kommen Sie schon, Sie müssen …«
»Nein!« Eine Frauenstimme, schwach zwar, aber es war immer noch ein Schrei. »Nein!«
Doch der Sanitäter setzte sich durch und wickelte die Frau in die Decke ein. Sie lag mit erhöhten Beinen auf dem Rücken ausgestreckt auf der Krankenliege. Ihr Kopf ragte durch ein Loch in der silbernen Decke, mit irrem Blick und geöffnetem Mund, als ob sie anhaltende Schmerzen hätte. Ihr lockiges Haar war verfilzt und erinnerte an schlecht gemachte Dreadlocks. Die Haut war blass, fast weiß, mit einem bläulichen Schimmer. Und sie war klapperdürr, weder Fett noch Muskeln polsterten die Knochen ihres Schädels und ihres Kiefers.
Der Sanitäter legte ihr außerdem noch eine Wolldecke um die Schultern, wogegen sie sich nicht mehr sträubte.
Corcoran drehte sich um und lächelte dem Sanitäter Neil zu. »Besteht die Möglichkeit, dass wir mit ihr sprechen können?«
»Wir müssen Sie wirklich dringend ins Krankenhaus bringen.« Ein energisches Kopfschütteln. »Ihr Körper steht kurz vor dem Verhungern, also müssen wir sie stabilisieren. Die Decken lassen fürs Erste ihre Körpertemperatur steigen, aber wir haben hier nur begrenzte Möglichkeiten. Ich habe das Krankenhaus angefunkt, dort bereiten sie ein Zimmer für sie vor.«
»Im Radcliffe?«
»Leider ja.« Neil sah auf die Uhr. »Der Verkehr in Oxford ist schon zu den besten Zeiten ein Albtraum, und jetzt ist es am schlimmsten.«
»Ich sehe mal, was ich tun kann, um Ihnen das Durchkommen zu erleichtern.« Thompson zog ihr Handy heraus und entfernte sich.
»Wir hatten ziemliches Glück, dass wir so schnell hergekommen sind. Unmittelbar vorher hat es nämlich einen falschen Alarm in Witney gegeben – das erste Mal, dass ich dankbar für so einen Scherzbold war.« Neil schüttelte wieder den Kopf. »Wenn wir nicht so rasch hier gewesen wären, hätte sie es nicht viel länger geschafft.«
Corcoran warf noch einen Blick auf die Frau, die inzwischen unkontrolliert zu zittern begonnen hatte, weil ihr Körper sich allmählich aufheizte. Es war schon verrückt zu sehen, wie ein Mensch funktionierte.
»Drogenabhängige in Oxfordshire!«, rief der Steinmetz ein Stück die Straße hinunter, die Arme weit ausgebreitet. »Was ist bloß aus dieser Welt geworden, frage ich Sie.«
Corcoran erwog diese Möglichkeit: eine schwer verschuldete Heroinsüchtige, vielleicht auch eine Prostituierte. Nach draußen aufs Land geschafft und dort frei, aber am Leben gelassen, um ihr und ihren Kolleginnen auf dem Strich eine Botschaft zu senden. Nicht getötet, damit sie ihre Schulden zurückzahlen konnte.
Oder war er mit dem Hirn noch immer in London gefangen? Hier draußen in Oxfordshire hatten sie...