Jahraus | Franz Kafka. 100 Seiten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 100 Seiten

Reihe: Reclam 100 Seiten

Jahraus Franz Kafka. 100 Seiten

Reclam 100 Seiten
Originalausgabe 2023
ISBN: 978-3-15-962199-9
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Reclam 100 Seiten

E-Book, Deutsch, 100 Seiten

Reihe: Reclam 100 Seiten

ISBN: 978-3-15-962199-9
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Alles über den großen Literaten und sein einzigartiges Werk »Wenn wir wissen wollen, was Literatur wirklich ist und was sie wirklich kann, so gibt es kaum einen Autor wie Kafka, dessen Texte uns das so grandios vorführen: das Spiel, Sinnangebote zu machen und sie zugleich zu verweigern, und uns dabei beizubringen, dass dies eine Struktur der Welt ist, in der wir leben.« Menschen, die den Weg nie finden oder sich in Käfer verwandeln. Menschen, die vergeblich Einlass in ein Gesetz, eine Behörde, ein Dorf suchen - das sind die Helden Franz Kafkas. Ihre Welt erscheint düster und unverständlich, ihr Autor eigenartig und mindestens ebenso schwierig. Daraus speist sich der Mythos Kafka. Literaturwissenschaftler Oliver Jahraus zeigt Kafka jedoch vor allem als modernen Autor und grandiosen Erzähler: Sein Werk ist eine kritische Diagnose moderner Lebensverhältnisse in Familie und Gesellschaft, eine profunde Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen, mit Macht, mit dem eigenen Judentum - ein beeindruckendes Werk, das in der Weltliteratur ohne Beispiel ist. Ein tolles Geschenk für literarisch Interessierte, die die Texte von Franz Kafka lieben und sich ein Bild über Leben und Wirken dieses außergewöhnlichen Autors machen möchten. - Smart und fundiert: Reihe »Reclam 100 Seiten« - kompaktes Wissen für Neugierige und Fans - Unterhaltsam und informativ: Mit vielen Abbildungen und Infografiken

Oliver Jahraus, geb. 1964, Professor für Neuere deutsche Literatur und Medien an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Jahraus Franz Kafka. 100 Seiten jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Ein Buchgeschenk und ein brieflicher Hilferuf an Dr. Franz Kafka


Vorsicht mit Buchgeschenken: Sie könnten problematisch sein! Am 10. April 1917 schreibt ein gewisser Dr. Siegfried Wolff einen Brief an den Autor Dr. Franz Kafka. Der Brief zeigt einen gewissen Leidensdruck. Der Schreiber ist um seinen guten Ruf als Mann und Bruder besorgt. Der Brief ist – um das Mindeste zu sagen – ungewöhnlich; man hat ihn lange für einen Jux gehalten, doch er ist echt. Man kann ihn heute noch als beim Literaturarchiv Marbach erwerben. Und er sagt zumindest auf indirekte Weise einiges über Kafkas Werk und über den Umgang mit diesem Autor und seinem Werk aus. Dem Brief liegt eine bestimmte Erfahrung mit Kafka, genauer: mit Kafkas Erzählung zugrunde, und man könnte sagen, sie dokumentiert eine Begegnung mit dem Kafkaesken und ist doch zugleich selbst eine kafkaeske Erfahrung.

Charlottenburg, 10/4. 17

Sehr geehrter Herr,

Sie haben mich unglücklich gemacht.

Ich habe Ihre Verwandlung gekauft und meiner Kusine geschenkt. Die weiß sich die Geschichte aber nicht zu erklären.

Meine Kusine hats ihrer Mutter gegeben, die weiß auch keine Erklärung.

Die Mutter hat das Buch meiner anderen Kusine gegeben und die hat auch keine Erklärung.

Nun haben sie an mich geschrieben. Ich soll Ihnen die Geschichte erklären. Weil ich der Doctor der Familie wäre. Aber ich bin ratlos.

Herr! Ich habe Monate hindurch im Schützengraben mich mit dem Russen herumgehauen und nicht mit der Wimper gezuckt. Wenn aber mein Renommee bei meinen Kusinen zum Teufel ginge, das ertrüg ich nicht.

Nur Sie können mir helfen. Sie müssen es; denn Sie haben mir die Suppe eingebrockt. Also bitte sagen Sie mir, was meine Kusine sich bei der Verwandlung zu denken hat.

Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Dr Siegfried Wolff

Man weiß mittlerweile einiges über den Autor dieses Briefes, der tatsächlich Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen ist, in den Staatswissenschaften (man könnte auch sagen: in Nationalökonomie oder Volkswirtschaftslehre) promoviert und später in Führungspositionen bei Banken gearbeitet hat.

Dr. Siegfried Wolff macht eine Erfahrung, die Kafka selbst hätte erfinden können: Ein Buchgeschenk, sicherlich als nette Geste gemeint, erweist (›verwandelt‹) sich in ein soziales Desaster. Dr. Wolff fordert Kafka in seinem Brief rundheraus auf, ihm zu helfen, wieder aus dieser peinlichen Sackgasse herauszufinden. Er will wie auch vielleicht viele andere Leser und Leserinnen wissen, was man sich bei der zu denken hat. Wie schade, dass man nicht weiß, was Kafka geantwortet hat, ja, ob er überhaupt geantwortet hat.

Der Brief stammt aus dem Jahr 1917, und er kommt aus Berlin. Ist das wichtig? Vielleicht schon. 1908 hatte Kafka sein Studium und seine Berufsvorbereitung bzw. sein gerichtspraktisches Jahr abgeschlossen. Max Brod liest in dieser Zeit entstandene erste Texte von Kafka im Freundeskreis vor. Diese waren noch sehr expressionistisch, wie zu dieser Zeit üblich (der Expressionismus war damals eine maßgebliche Strömung der neuesten Literatur).

Kafka und Max Brod verband eine lebenslange Freundschaft. Ohne diese Freundschaft, ohne Brod, könnte man viele Texte Kafkas heute nicht lesen, ja, man würde vielleicht nur einen Autor Kafka mit sehr schmalem Werk kennen oder vielleicht sich auch gar nicht mehr an ihn erinnern. Brod war selbst Schriftsteller, aber er hat nicht nur erkannt, dass Kafka – anders als er selbst – ein genialer Autor ist, er hat sich auch zeitlebens (über Kafkas Tod 1924 hinaus bis zu seinem eigenen Tod 1968) für Kafka eingesetzt. Er hat Kafkas Texte redigiert und versucht, sie einem größeren Publikum bekannt zu machen. Man ist heute nicht immer glücklich über Brods Eingriffe in Kafkas Texte, doch muss man sich vergegenwärtigen, welchen Zweck er damit verfolgte.

Brod war der Erbe und Nachlassverwalter Kafkas, und als solcher hat er sich auch für Kafkas Werk eingesetzt. Das wird vor allem auch an der Art und Weise deutlich, wie Brod mit Kafkas letztem Willen bezüglich seines Werkes umgegangen ist, denn Kafka hat zwei Testamente hinterlassen: Das erste wurde vermutlich »vor Anfang Oktober 1921« (Tintenzettel) und das zweite etwas mehr als ein Jahr später nach Oktober 1922 (Bleistiftzettel) verfasst. Beide Testamente richten sich an Brod, und beide Testamente beziehen sich auf Kafkas Literatur, es sind literarische Testamente. Im ersten Testament, dem sogenannten »Tintenzettel«, heißt es:

Liebster Max, meine letzte Bitte: Alles, was sich in meinem Nachlaß (also im Bücherkasten, Wäscheschrank, Schreibtisch zuhause und im Bureau, oder wohin sonst irgendetwas vertragen worden sein sollte und Dir auffällt) an Tagebüchern, Manuskripten, Briefen, fremden und eignen, gezeichnetem und so weiter findet, restlos und ungelesen zu verbrennen, ebenso alles Geschriebene und Gezeichnete, das Du oder andre, die Du in meinem Namen darum bitten sollst, haben. Briefe, die man Dir nicht übergeben will, soll man wenigstens selbst zu verbrennen sich verpflichten. Dein Franz Kafka.

Das zweite Testament richtet sich nicht allein auf den handschriftlichen Nachlass, sondern auf alles Geschriebene, auch das schon Gedruckte:

Von allem, was ich geschrieben habe, gelten nur die Bücher: Urteil, Heizer, Verwandlung, Strafkolonie, Landarzt und die Erzählung Hungerkünstler. (Die paar Exemplare der »Betrachtung« mögen bleiben, ich will niemandem die Mühe des Einstampfens machen, aber neu gedruckt darf nichts werden.) Wenn ich sage, dass jene 5 Bücher und die Erzählung gelten, so meine ich damit nicht, dass ich den Wunsch habe, sie mögen neu gedruckt und künftigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, sollten sie ganz verloren gehn, entspricht dieses meinem eigentlichen Wunsch. Nur hindere ich, da sie schon einmal da sind, niemanden daran, sie zu erhalten, wenn er dazu Lust hat. Dagegen ist alles, was sonst an Geschriebenen von mir vorliegt (in Zeitschriften Gedrucktes, im Manuskript oder in Briefen) ausnahmslos, soweit es erreichbar oder durch Bitten von den Adressaten zu erhalten ist … – alles dieses ist ausnahmslos zu verbrennen, und dies möglichst bald zu tun bitte ich Dich, Franz.

Und das Interessanteste an den Testamenten ist ihr Adressat. Denn Kafka konnte so vor sich selbst seine Skrupel und seine Selbstzweifel zum Ausdruck bringen, aber gleichzeitig konnte er sich auch sehr sicher sein, dass gerade Brod seiner, Kafkas, Bitte eben nicht nachkommen werde und seinen Nachlass und sein Werk nicht vernichten, sondern vielmehr retten würde.

Kafka mit Hund

Von solchen Selbstzweifeln wie Kafka wurde Franz Werfel nicht angegriffen. Er war mit 18 Jahren schon Mitglied im Prager Kreis, einer Vereinigung von Literaten, zu der man auch Kafka rechnen darf. Werfel urteilt vorlaut, altklug und überscharf über diese frühen Werke: »Das kommt nie über Tetschen-Bodenbach hinaus«, also über eine Grenzstation zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich, gar nicht so weit von Prag entfernt. Werfel also meint: Kafka wird den Sprung in den deutschen Literaturmarkt nicht schaffen. 1917 hatte er es dann offensichtlich doch geschafft.

Vielleicht darf man diese Zurückhaltung auch nicht überbewerten, denn tatsächlich waren Kafka und sein Werk auch zum Zeitpunkt seines Todes am 3. Juni 1924 noch relativ unbekannt. Für die Nachwelt zeichnete seine Freundin Milena Jesenská in ihrem Nachruf vom 5. Juni 1924 ein bemerkenswertes Bild, das bis heute Wirkung zeigt.

Vorgestern starb im Sanatorium Kierling in Klosterneuburg bei Wien Dr. Franz Kafka, ein deutscher Schriftsteller, der in Prag gelebt hat. Es kannten ihn hier nur wenige, denn er war ein Einsiedler, ein wissender, vom Leben erschreckter Mensch. Er litt bereits jahrelang an einer Lungenkrankheit, und obwohl er sie behandeln ließ, hat er sie doch auch bewusst gehegt und geistig gefördert. »Wenn die Seele und das Herz die Bürde nicht mehr ertragen, dann nimmt die Lunge die Hälfte auf sich, damit die Last wenigstens einigermaßen gleichmäßig verteilt sei«, schrieb er einmal in einem Brief, und so verhielt es sich auch mit seiner Krankheit. Sie verlieh ihm ein ans Wunderbare grenzendes Feingefühl und eine geistige Lauterkeit, die bis zum Grauenerregen kompromisslos war; und umgekehrt war er es, der Mensch, der seiner Krankheit die ganze Last seiner geistigen Lebensangst auflud. Er war scheu, ängstlich, sanft und gut, aber die Bücher, die er schrieb, waren grausam und schmerzhaft. Er sah die Welt voll von unsichtbaren Dämonen, die den schutzlosen Menschen bekämpfen und vernichten. Er war zu klarsichtig, zu weise, um leben zu können, und zu schwach, um zu kämpfen: aber das war die Schwachheit der edlen, schönen Menschen, die zum Kampf gegen die Angst, gegen Missverständnisse, Lieblosigkeit und geistig Unwahres nicht fähig sind, die von vornherein um ihre Ohnmacht wissen, sich unterwerfen und so den Sieger beschämen. Er verfügte über eine Menschenkenntnis, wie sie nur den einsam Lebenden gegeben ist, deren hochgradig empfindliche Nerven schon an einem bloßen Mienenspiel den ganzen Menschen hellseherisch erfassen. Seine Kenntnis der Welt war außergewöhnlich und tief. Er selbst war eine außergewöhnliche und tiefe Welt. Er schrieb die bedeutendsten Bücher der jungen deutschen Literatur. Sie enthalten, in untendenziöser Form, den Kampf der Generationen...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.