E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Jaenicke / Knobloch Aufschrei der Meere
19001. Auflage 2019
ISBN: 978-3-8437-2157-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was unsere Ozeane bedroht und wie wir sie schützen müssen
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-2157-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hannes Jaenicke geboren 1960, ist Schauspieler, Dokumentarfilmer und Querdenker. Mit seinen Büchern 'Wut allein reicht nicht' (2010) und 'Die große Volksverarsche' (2013) kam er auf die SPIEGEL-Bestsellerliste. Für sein Engagement hat er schon zahlreiche Preise erhalten. Er lebt in Deutschland und in den USA.
Autoren/Hrsg.
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KAPITEL 1
Von Poseidon bis Moby Dick – Helden, Götter und Katastrophen
Alles ist aus dem Wasser entsprungen!
Alles wird durch Wasser erhalten!
Ozean, gönn uns dein ewiges Walten.
Aus »Faust. Der Tragödie zweiter Teil«
von Johann Wolfgang von Goethe
INA KNOBLOCH
Die Rache der Götter war gefürchtet, besonders die der Meeresgötter. Unsere Urahnen könnten das bezeugen. In manchen Regionen der Erde ist das auch heute noch so, vor allem in der Südsee. Trotz fanatischem Eifer und brachialen Methoden konnten die Missionare auf den polynesischen Inseln den uralten Glauben an die Götter der Natur nicht ganz brechen. Der große Gott des Meeres wird dort auf allen Archipelen noch immer geliebt und gefürchtet: Tangaroa.
Aber auch auf allen anderen Teilen der Erde wurden Meeresgötter verehrt: Im europäischen Norden war es Athi, in Ägypten Tefnut, im Orient Aschera, die Griechen huldigten Poseidon und die Römer Neptun, und in Polynesien waren es der schon erwähnte Tangaroa und sein Sohn Tinirau. Alle hatten sie ihre Meeresgötter, vor denen sie höllischen Respekt hatten. Unzählige Mythen und Märchen kreisen um sie und ihre Clans, Geschichten, die sich bis heute in Erzählungen und Romanen gehalten haben.
Das Meer und der Mensch, eine unendliche Geschichte und eine magische Beziehung seit Menschengedenken: Schon Plinius der Jüngere (62 – 115 n. Chr.) berichtete in einem Brief an seinen Freund Caninius von einem Jungen, der von einem Delfin über das Meer getragen wurde.
Auch der junge Odysseus soll stets auf einem Delfin über das Mittelmeer geritten sein, und der Meeresgott Poseidon nahm gar die Hilfe eines Delfins für seine Brautwerbung in Anspruch. In der Antike galten Delfine als heilig, der Sage nach waren sie einst Menschen. Es hieß, dass sie deshalb menschliche Wesenszüge zeigen würden.
Mehr Respekt vor dem Meer würde den Menschen auch heute noch helfen. Denn:
»Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.«
Das Mantra der Umweltbewegung in den 80er-Jahren ging als Weissagung der Cree, ein Indianervolk Nordamerikas, in die Geschichte ein. Die Quelle konnte nie verifiziert werden, aber die Wucht der Botschaft führte die Menschen zusammen und veränderte die Welt zum Guten.
Das Jahrzehnt der Umweltkatastrophen
Mit einer Explosion in der italienischen Chemie-Fabrik Icmesa 1976 in der Region Seveso bei Mailand, dem sogenannten Seveso-Unglück, bei dem Tonnen von hochgiftigem Dioxin entwichen, Luft, Grund und Boden verseucht und Tausende Menschen, Tiere und letztlich der Seveso-Fluss vergiftet wurden, begann eine Serie menschengemachter Umweltkatastrophen, die sich in den 1980er-Jahren noch dramatisch steigerte: Seen und Flüsse kippten durch Überdüngung und Abwässer um und wurden durch Chemieabfälle vergiftet, bis das Leben darin fast erlosch; Bäume verloren schon im Sommer ihr Laub, und ganze Wälder starben durch sauren Regen. 1986 vergiftete der größte Chemieunfall der Geschichte den Rhein und angrenzende Gewässer bis zur Nordsee. Ein Großbrand im Chemiewerk Sandoz bei Basel hatte die Katastrophe ausgelöst. Ohne Auffangbecken oder sonstige Sicherheitsvorkehrungen spülte das Löschwasser tonnenweise tödliches Gift in den Rhein. Im gleichen Jahr ereignete sich die Nuklearkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl, als ein Test im Atomkraftwerk durchgeführt werden sollte. Weite Teile des Landes wurden verstrahlt, die radioaktive Wolke erreichte die letzten Winkel Europas und vergiftete Felder, Wälder, Seen und Städte. Gleichzeitig brannten am Amazonas die einzigartigen tropischen Regenwälder lichterloh. Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), vor allem in Spraydosen, Kühlschränken und Klimaanlagen vorzufinden, rissen ein gigantisches Loch in die schützende Ozonschicht der Erde. Anfang der 80er-Jahre wurde das Ozonloch erstmals nachgewiesen, und die anthropogenen Ursachen wenig später aufgedeckt.
All das führte zu einem Aufschrei in Europa, vor allem in Deutschland.
Die Geburt der Umweltschutzbewegung
Die 1980er-Jahre waren aber nicht nur ein Jahrzehnt der menschengemachten Katastrophen, sondern auch ein Jahrzehnt der erfolgreichen Umweltbewegung. Ein Jahrzehnt, das auch Hoffnung für heute gibt. Es war die Zeit, als die Grünen sich gerade gegründet hatten und in den Bundestag einzogen. Es war die Zeit, als die Menschen aufstanden, protestierten und sich so lange engagierten, bis die Politik endlich Maßnahmen ergriff: Phosphate in Waschmitteln wurden verboten, FCKW-haltige Spraydosen ebenso, Kläranlagen zu weiteren Reinigungsstufen und Kraftwerke zu Filtern verpflichtet, Holzimporte gestoppt. Es wurden strengere Vorschriften für Abwässer, Kanalisation und Industrie erlassen und neue Naturschutzgebiete/Nationalparks gegründet, Biolandbau gefördert und internationale Artenschutzabkommen getroffen sowie Walfangverbot verhängt. Wenn Proteste nicht halfen, boykottierten wir entsprechende Produkte, bis die Politik endlich reagierte und die Wirtschaft verstand, dass es so nicht weiterging. Wir haben damals erfahren, dass sich etwas bewegen lässt, wenn der Aufschrei so lange hallt, bis der Industrie und der Gier nach Wachstum Grenzen gesetzt werden.
Die zahlreiche Maßnahmen, die damals ergriffen wurden, zeigten schon bald Wirkung, und es dauerte nicht sehr lange, bis Wälder, Flüsse und Seen anfingen, sich zu erholen, selbst die Wale vermehrten sich wieder.
Doch kaum hatte sich die Natur ein wenig regeneriert, fing der Mensch in den 90er-Jahren schon wieder mit der gnadenlosen Ausbeutung an. Diesmal still und heimlich unter dem Deckmantel unzähliger Ökolabels, die die Farbe nicht wert sind, mit der sie gedruckt werden, schon gar nicht unter ökologischen Aspekten. Selbst Wale werden in Japan unter dem Vorwand, es diene der Wissenschaft, gejagt, das Fleisch kann man dann im Supermarkt kaufen. Weil der große Aufschrei ausgeblieben ist, haben die Japaner kürzlich angekündigt, wieder kommerziell Wale zu jagen. Dabei sind die Tiere nach wie vor vom Aussterben bedroht. Dazu kommt, dass Walfleisch hochgradig mit Schwermetallen und Quecksilber belastet ist.
Green-Washing – Hirnwäsche
Aber der Walfang ist nur die Spitze des Eisbergs: Plastikmüll, Pestizide, Überfischung und Klimaerwärmung sind aktuell die größten Herausforderungen. Leider gehen die Meldungen im selbstverliebten Instagram-Zeitalter und angesichts der Siegel-Flut und des »Green-Washings« unter. Die Helden der 80er sitzen heute träge in ihren Sesseln. »Nach mir die Sintflut«, scheint inzwischen auch ihr Motto geworden zu sein. Jetzt ist es wieder die junge Generation, die Schüler*innen und Student*innen, die aufschreien, weil sie zu Recht eine Zukunft in einer lebenswerten Umwelt einfordern, dazu gehört vor allem auch das Meer. Denn ohne gesunde Ozeane gibt es keine Zukunft für die Menschheit.
Aber noch verhallt der stumme Schrei der Meere in der Kakophonie des zerstörerischen Wirtschaftswahns, der außer Wachstum nichts kennt und die Angst der Menschen vor Arbeitslosigkeit und Armut stetig schürt. Doch weder die Wirtschaft noch die Menschheit kann ewig weiterwachsen, der Kollaps ist vorprogrammiert, wenn wir jetzt nicht entschieden handeln. Weder der Wald noch das Meer braucht die Menschen, aber die Menschen das Meer – und den Wald. Eine simple Erkenntnis, die schon in der Antike kein Geheimnis war. Zahlreiche Mythen und Legenden sind nichts anderes als Metaphern, die vor der Ausbeutung der Natur, vor allem der Meere warnen, nicht nur in antiken Sagen, sondern auch in allen Religionen. Die enge Verbindung zwischen Mensch und Meer ist bis heute in allen Kulturen verankert und in allen Religionen vertreten.
Wasser ist göttlich
Kein Christ ohne Taufe, kein Katholik ohne Weihwasser, und in fast allen Religionen spielt Wasser eine spirituelle Rolle: zur Reinigung, Segnung und zum Schutz vor dem Bösen. Schon in der Antike gab es keine jüdische Gemeinde ohne die Mikwe, das rituelle Bad, und die islamischen Moscheen werden gar mit Rosenwasser ausgewaschen. Der Fisch gilt als urchristliches Symbol, und das Meer ist weder aus dem Alten noch aus dem Neuen Testament wegzudenken. Die Bibel, der Koran und die Tora und damit alle monotheistischen Religionen erzählen von Moses, der das Rote Meer teilt, und dem Propheten Jona, der drei Tage in einem Wal überlebt. Das Neue Testament von Jesus, der über das Meer geht und für Petrus die Fische ins Netz lockt. In anderen Religionen spielen die Zuflüsse der Meere die Hauptrollen, beispielsweise im Hinduismus. In Indien gilt der Ganges auch heute noch als der heiligste Fluss der Erde und müsste eigentlich »die Ganges« heißen, denn der Name bezieht sich auf die Göttin Ganga, für Hindus die Mutter Gottes schlechthin. Aber mit Demut und Respekt vor der Göttin ist es nicht weit her: Der Ganges ist einer der größten Flüsse der Erde und einer der verseuchtesten. Alles, was man sich vorstellen kann, landet in diesem Gewässer, das kaum mehr Fische trägt. Vor jedem Tempel werden die Schuhe ausgezogen, aber Göttin Ganga wird vergiftet. Doch inzwischen formieren sich in Indien Protest- und Umweltbewegungen, um Ganga zu retten.
In der restlichen Welt gab es in der Antike nicht nur Meeresgötter, sondern ebenfalls zahlreiche Meeresgöttinen, wie die sumerische Meeresgöttin Nammu oder die griechische Amphritide, die südamerikanische Yemayá, die chinesischen Göttinen Hin Tau und Matsu oder Göttinnen, die eng mit dem Meer verbunden sind, wie die in...