E-Book, Deutsch, 237 Seiten
Jacob Zu viel Gefühl
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-407-86908-1
Verlag: Beltz Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie wir unsere Emotionen lenken und nicht sie uns
E-Book, Deutsch, 237 Seiten
ISBN: 978-3-407-86908-1
Verlag: Beltz Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
PD Dr. Gitta Jacob ist Psych. Psychotherapeutin und Supervisorin für Verhaltenstherapie sowie Schematherapie und arbeitet als leitende Psychotherapeutin bei GAIA in Hamburg. Die Bücher der Spiegel-Bestsellerautorin wurden in Dutzende Sprachen übersetzt. gitta-jacob.de
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Der wissenschaftliche Blick auf Gefühle
Gefühle – jeder scheint zu wissen, was das ist. Schließlich erleben wir sie alle. Sie sind unheimlich wichtig, denn sie bestimmen, wie es uns geht und oft auch, ob wir mit unserem Leben zufrieden sein können. Diese völlig subjektiven Erfahrungen machen aus dem Leben das, was es für uns bedeutet – oft ganz unabhängig von objektiven Gegebenheiten. Wenn ich mich dauernd nervös, ängstlich oder peinlich berührt fühle, dann werde ich mein Leben kaum genießen, auch wenn das Wetter wunderbar ist, meine Gesundheit prächtig und ich genug Geld habe, um mir alles zu leisten, was ich möchte. Wenn ich umgekehrt häufig positive und optimistische Gefühle erlebe, kann ich mit mir und meinem Leben im Reinen sein, auch wenn vieles gar nicht so perfekt läuft. Und viele Probleme entstehen auch durch die Lust auf gute Gefühle – Suchtmittel wie Alkohol werden zum erheblichen Teil konsumiert, weil sie in der Lage sind, gute Gefühle zu produzieren bzw. schlechte Gefühle, etwa soziale Ängste, zu reduzieren.
Man kann Gefühle auch kaum ignorieren, vor allem, wenn sie stark sind. Sie ziehen Aufmerksamkeit auf sich – sowohl die des Fühlenden selbst als auch die seiner Umwelt. Auch deshalb spielen sie offensichtlich eine wichtige Rolle im menschlichen Zusammenleben. Es ist deshalb kein Wunder, dass wir uns so viel mit ihnen beschäftigen.
Für viele Menschen, in vielen Kulturen, sind Gefühle trotzdem kein Gegenstand vertieften Interesses – es gibt sie halt. In unserer emotionssensitiven Gesellschaft besteht aber zunehmend der Anspruch, sich seiner Gefühle dauernd bewusst zu sein.
Was hat es also mit den Gefühlen auf sich? Welche gibt es, wie entstehen sie, was wollen sie uns sagen und wie sollten wir am besten mit ihnen umgehen?
Die Disziplin, die sich damit wissenschaftlich am meisten befasst hat, ist die Psychologie. Lass uns deshalb zunächst anschauen, welche Konzepte und Theorien zu Gefühlen in der Psychologie und ihren verwandten Disziplinen entwickelt wurden. Dabei möchte ich vorausschicken, dass dieses Forschungsfeld riesengroß ist. Ich beschränke mich hier auf diejenigen Ansätze, die in der Psychologie als etabliert und bedeutsam gelten.
Physiologische Theorien
Die Physiologie befasst sich mit den normalen körperlichen Abläufen in Organismen wie dem menschlichen Körper. Darauf nahmen die ersten psychologischen Theorien zu Emotionen, die im späten 19. Jahrhundert entstanden, Bezug und beschäftigten sich vor allem mit den körperlichen Aspekten von Gefühlen. Das ist nachvollziehbar – denn es ist unmittelbar spürbar, dass etwas im Körper passiert, wenn man ein starkes Gefühl hat. Dann spürt man zum Beispiel vor einem Treffen, vor dem man sehr nervös ist, das eigene Herz stark klopfen oder man muss auf einmal dringend zur Toilette.
Kontroversen gab es dabei zum einen um die Reihenfolge der Entstehung von körperlichen Prozessen und das Erleben von Emotionen. So hat der berühmte Psychologie William James (James, 1884), der auch als Begründer der modernen Psychologie gilt, angenommen, dass zuerst körperliche Erregungszustände auftreten – durch die man gewissermaßen merkt, dass man ein Gefühl hat. Die Entstehung des Gefühlserlebens wird sozusagen vom Körper vorbereitet. Der Psychologe Carl Lange entwickelte unabhängig davon ähnliche Konzepte. Deshalb wurde diese Theorie der Gefühle irgendwann die James-Lange-Theorie getauft.
Zum anderen gab es Wissenschaftler, die annahmen, dass das andersherum sein muss – erst passiert etwas, das eine emotionale Reaktion auslöst, und dann zieht der Körper mit seiner Reaktion sozusagen nach. Diese Theorien finde ich ehrlicherweise etwas logischer, denn sonst würden Gefühle ja völlig »out of the blue« entstehen, und das tun sie aller Erfahrung nach nicht. Wichtige Vertreter dieser Ideen waren die Psychologen Walter Cannon und Philip Bard (Cannon, 1987). Sie gingen davon aus, dass beim Auftreten einer Situation, die Gefühle auslöst, das Gehirn sowohl Signale zum Erleben des Gefühls als auch zur Auslösung der körperlichen Reaktion sendet – mehr oder weniger unabhängig voneinander klopft also einerseits das Herz und man spürt andererseits Angst oder Wut.
Die Bedeutung der Bewertung
Von späteren Wissenschaftlern wurde dann insbesondere der Aspekt der Bewertung einer Situation betont – und dass diese sehr stark beeinflusst, wie man die körperliche Erregung interpretiert, die man erlebt. Wenn ich glaube, dass mein Herz klopft, weil ich jemanden treffe, den ich ganz toll finde, interpretiere ich das dazugehörige Gefühl vermutlich als Freude oder Verliebtheit – je nachdem, um wen es sich handelt. Wenn ich aber Sorge habe, dass ich mich in der Situation blamiere, würde ich die gleichen körperlichen Vorgänge wahrscheinlich eher als Angst interpretieren.
Die vermutlich bekannteste Theorie in diesem Bereich ist die Zwei-Faktoren-Theorie von Stanley Schachter und Jerome Singer (Schachter & Singer, 1962). Aber es gab hier auch andere Wissenschaftler mit großen Beiträgen, etwa Richard Lazarus mit seiner Appraisal-Theorie (Bewertungstheorie). Er betonte ganz besonders, dass die Interpretation des Kontextes – also was in der Situation eigentlich passiert – die Art der Gefühle bestimmt, die wir erleben. Und dieser Kontext ist schon da, bevor der Körper reagiert.
Ich finde diese Überlegungen in unserem Zusammenhang wichtig, weil die Wahrnehmung des Kontextes natürlich stark von meinem Fokus abhängt. Wenn mir meine Chefin rückmeldet, dass ich einen Fehler gemacht habe, dann kann ich das entweder im Kontext der Arbeit betrachten – dann werde ich mich darauf konzentrieren, was falsch lief, und das ist wahrscheinlich wenig emotional aufgeladen, sondern eher ein praktisches Problem. Oder ich kann als wesentlichen Kontext die Beziehung zwischen meiner Chefin und mir sehen – und schon werden einige Gefühle ins Spiel kommen, wie das in zwischenmenschlichen Angelegenheiten eben so ist. Und einen Schritt weiter gedacht: Wenn ich auf diese Rückmeldung reagiere, indem ich meine Chefin auf ihren Tonfall anspreche, dann wird sie womöglich sauer, weil es ihr einfach nur um die Arbeit geht und sonst um nichts. Und schon sind noch mehr negative Gefühle im Spiel, einfach nur durch meine Interpretation und meinen Fokus.
Evolutionsbiologische Theorien
Eine andere Forschungsperspektive im Zusammenhang mit Gefühlen stellt die Frage, warum wir überhaupt Gefühle haben und wozu sie nützlich sind. Evolutionsbiologisch interessiert hierbei, in welcher Hinsicht Gefühle für unser Überleben wichtig sind. Die daraus entstandenen Emotionskonzepte spielen in der Psychologie ebenfalls eine zentrale Rolle, deshalb dürfen wir sie hier nicht ignorieren.
Hinweise auf Emotionen bei Tieren
-
Verhalten und Ausdruck: Viele Tiere zeigen Verhaltensmuster, die auf Emotionen hindeuten. Hunde wedeln z.?B. fröhlich mit dem Schwanz oder kauern sich ängstlich zusammen.
-
Körperliche Reaktionen: Viele Studien zeigen, dass auch Tiere beispielsweise das Stresshormon Cortisol ausschütten, wenn sie gestresst oder verängstigt sind.
-
Bindungsverhalten: Soziale Tiere wie Elefanten oder Wölfe zeigen emotionale Bindungen zu anderen Tieren und scheinen zu trauern, wenn ein Bezugspartner stirbt.
...