Jackson | Wie wollen wir leben? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Jackson Wie wollen wir leben?

Wege aus dem Wachstumswahn

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-96238-828-7
Verlag: oekom verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



»Ökonomische Weisheit, verpackt in Poesie - das kann nur Tim Jackson. Eine wundervolle Lektüre!« Kate Raworth, Autorin von »Die Donut-Ökonomie« Seit Jahrzehnten richten wir unser Leben an der Überzeugung aus, dass »besser« auch immer »mehr« heißen muss. Doch das Streben nach ständigem Wachstum hat zu ökologischer Zerstörung, sozialer Instabilität und einer globalen Gesundheitskrise geführt. Wenn Wachstum uns so sehr schadet, warum verabschieden wir uns dann nicht davon? Tim Jackson stellt dem Mythos Wachstum seine Vision einer Gesellschaft gegenüber, die uns ohne Wachstum reicher macht statt ärmer. Sein Buch ist nicht nur ein Manifest für ein anderes Wirtschaftssystem, sondern vor allem eine Einladung, darüber nachzudenken, was das Leben lebenswert macht.

Tim Jacksons Buch »Wohlstand ohne Wachstum« (oekom, 2011) war Buch des Jahres der Financial Times und Buch des Jahrzehnts bei UnHerd. Als Direktor des Centre for the Understanding of Sustainable Prosperity und Professor für nachhaltige Entwicklung an der University of Surrey (UK) erforscht er seit über drei Jahrzehnten die moralischen, wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen von Wohlstand auf einem endlichen Planeten. Zudem ist Jackson preisgekrönter Dramatiker mit zahlreichen Radiobeiträgen für die BBC.
Jackson Wie wollen wir leben? jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Prolog


»Geschichte, auch wenn sie reißend schmerzt, lässt sich nicht ungeschehen machen. Blickt man ihr aber ins Auge mit Mut, muss sie kein zweites Mal geschehen.«
Maya Angelou, 19931
»Was war, Prolog ist, und was kommt
An meiner und an deiner Rolle liegt.«
William Shakespeare, 16102
»Die Welt beginnt zu beben«, schrieb der Soziologe Peter Berger, »sobald das Gespräch, das sie trägt, ins Stocken gerät.« Das Jahr 2020 hat diese unbequeme Wahrheit zweifellos bestätigt. Das uns tragende Gespräch geriet nicht einfach nur ins Stocken. Es machte eine abrupte Kehrtwende und schlug uns ins Gesicht. Ein harter Schlag. Kein Wunder also, dass sich die Welt auch heute noch ziemlich schwankend anfühlt.3
Dabei ist doch alles so gut gelaufen. In der dritten Januarwoche 2020 ging die Sonne strahlend auf über der höchstgelegenen Stadt Europas. Das Morgenlicht tauchte die schneebedeckten Gipfel in wunderbaren Glanz, golden schimmerten die Berge vor einem tiefblauen Alpenhimmel. Die Natur in all ihrer Pracht. Die perfekte Kulisse für die alljährliche Zusammenkunft der Privilegierten und Mächtigen. Der Premierminister und Milliardäre. Der Limousinen und Helikopter. Das 50. Weltwirtschaftsforum im Schweizer Davos stand kurz vor der Eröffnung.
»Es ist eine einzige Sause«, verriet mir mein Gastgeber, als er mich am Vortag spät nachts an der kleinen Bahnstation abholte und in meine Unterkunft brachte. Ein gemietetes Apartment ein wenig abseits von der Stadt, mit Blick auf die Berge. »Es ist ein Dschungel«, sagte sein Begleiter. Und wir alle lachten etwas gequält.
Unsere Führungsriege kennt die Regeln dieses Spiels. Sie weiß intuitiv, dass es bei diesem protzigen Festzug darum geht, sich von der besten Seite zu zeigen. Es steht immer viel auf dem Spiel. Das Scheinwerferlicht muss edle Anzüge und aalglatte Frisuren zum Glänzen bringen. Die Exerziergruppen müssen einander ausstechen. Die Rhetorik muss genau auf die eigentümlichen Kämpfe des Tages abgestimmt sein. Die Sonne hat keine andere Wahl, als pflichtbewusst auf die Rechtschaffenen herabzuscheinen. Der ganze Aufzug darf keinen Raum für Zweifel lassen. Die Berge müssen auf ewig besiegeln, was in den Kellern der Geschichte ausgehandelt wurde: Mehr erzeugt mehr; Macht erzeugt Macht; Wachstum erzeugt Wachstum. Wer da hat, dem wird gegeben.
Seit fünf Jahrzehnten jetten sie jetzt schon in diesen schillernden Urlaubsort und schwören dem großen Gott des Wachstums die Treue. Ob es schneit oder die Sonne scheint, ob das Wetter gut ist oder schlecht, ihre Aufgabe war immer kristallklar: die Schwachen aufzurichten und die Ängstlichen zu ermutigen. Wo immer der Zweifel sein Drachenhaupt erhebt, ihn zu erschlagen. Wirtschaftswachstum ist einfach ein Akt des Vertrauens. Solange wir dran glauben, wird es auch kommen. Alles wird gut, und alles wird gut, und überhaupt wird alles gut.4
Und es gibt jede Menge Drachen. Das war in diesem Jahr nicht anders. Europa machte sich wegen des aufkommenden Populismus Sorgen. Australien war von den Buschfeuern geplagt, die immer noch durch seinen langen »schwarzen Sommer« wüteten. Die Vereinigten Staaten waren wegen des Handelskrieges mit China nervös. Fast alle machten sich plötzlich Sorgen wegen des Kohlendioxids. Der Klimawandel war im diesjährigen Kampf um die Aufmerksamkeit der Überraschungssieger. Die Schulstreiks von 2019 hatten die Angelegenheit endlich nach ganz oben auf die Forumsliste langfristiger Wachstumsrisiken geschoben.
Das war eine Premiere. Entgegen allen Widrigkeiten kam es in Davos zu einem breiten – wenn auch nicht ganz einstimmigen – Konsens, dass es nun doch an der Zeit sei, etwas zu unternehmen, bevor Überschwemmungen und Buschfeuer – oder auch diese lästigen Aktivisten, die den Strom der Limousinen in die Stadt und aus der Stadt heraus immer wieder blockierten – den Zug der Weltwirtschaft mitsamt allen Mitläufern entgleisen lassen.
»Wir müssen die Ungeduld der Jugend positiv und konstruktiv aufnehmen«, riet Angela Merkel der Konferenz. Damit spielte sie natürlich auf die erstaunliche Führungsstärke der jungen schwedischen Aktivistin Greta Thunberg an, die zum zweiten Mal hier in der Stadt war und mit der außergewöhnlichen Klarsicht einer Prophetin den Mächtigen sagte, was Sache ist. Eine unerwartete Anführerin. Die Einfachheit ihrer Botschaft zog in diesem Jahr eine ganz neue Generation von Aktivisten auf ein Schlachtfeld, auf dem sie sich überhaupt nicht auskannten. Sie sahen sich trotzig und voller Ehrfurcht um. Die deutsche Kanzlerin war nicht die Einzige unter den alten Hasen, die ihnen gerührte Sympathie entgegenbrachte.
Aber nicht jeder war beeindruckt. »Ist sie hier der Chefökonom oder was? Ich bin ganz verwirrt«, witzelte Stephen Mnuchin, der US-Finanzminister, über Greta Thunberg, was er vermutlich umgehend bereute. »Sie soll erstmal auf’s College gehen und Wirtschaft studieren; danach kann sie wiederkommen und uns alles erklären.« Sackgasse, Stephen. Mach’s nicht noch schlimmer.5
Aber das konnten sie natürlich nicht – es nicht noch schlimmer machen. Der damalige US-Präsident Donald Trump war fest entschlossen, diesen Unsinn in den erweiterten Kontext eines unvergänglichen Dogmas zu stellen. »Um die Chancen von morgen ergreifen zu können, müssen wir diesen ewigen Untergangspropheten und ihren apokalyptischen Prognosen eine Absage erteilen«, verkündete er. »Sie sind die Nachfolger der schwachsinnigen Wahrsager von gestern.« Unser Held blickt über die weite Landschaft auf ihn gerichteter Gesichter hinweg, auf den Horizont endloser Möglichkeiten. Irgendwo sitzt wahrscheinlich ein Redenschreiber, der sehr zufrieden in sich hinein lächelt. Das Leben ist einfach nur ein zweitklassiger Film aus Hollywood.6
Das Paradies ist ein Land, das aus Pioniermentalität geformt wird. Niederbrennen, aufgraben, draufbauen. Fortschritt ist eine Baustelle. Noch sieht es dort vielleicht etwas chaotisch aus, aber die Shoppingmeilen und Eigentumswohnungen von morgen werden ein glorreicher Anblick sein. Alle, die an dieser Vision zweifeln, sollen zugrunde gehen. Die Schulkinder, die Klimastreikenden, die Anhänger von Extinction Rebellion: Die können sich alle zum Teufel scheren. Nieder mit den Nachfolgern der schwachsinnigen Wahrsager von gestern. Verpflichtender Optimismus ist heute angesagt. Und das blendend Offensichtliche wird aus dem Diskurs der Macht getilgt.
Der Schnee über Davos wird jedes Jahr dünner. Die alpine Skisaison ist heute einen Monat kürzer als im Jahr 1971, als Klaus Schwab das Forum gründete. Das Klima wandelt sich. Das Eis schmilzt. Eine Million Arten stehen vor der Auslöschung. Wir verschieben das ökologische Gleichgewicht mit völlig unvorhersehbaren Folgen. Manchmal auf eine Art und Weise, die sich als tödlich erwiesen hat. Der endliche Planet, den wir unsere Heimat nennen, wird durch die massive Ausweitung menschlicher Aktivitäten vielleicht unwiderruflich verändert. Alles unter dem verführerischen Banner des Fortschritts. Aber bitte, macht uns bloß nicht auf diese Tatsachen aufmerksam. Wir haben uns so viel Mühe gegeben, sie aus unserem Gesichtsfeld fernzuhalten.7
Auf der gleichen Davos-Bühne kam es zu einer weiteren aufschlussreichen Situation. Der frisch gewählte Kanzler von Österreich hatte seine Redezeit für die Aufforderung genutzt, Europa solle innovativer werden, dynamischer, mehr nach vorne schauen. Mit seinen 33 Jahren war Sebastian Kurz soeben zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren zum jüngsten Staatsoberhaupt der Welt gewählt geworden. Er geißelte den »Pessimismus« der älteren europäischen Volkswirtschaften und lobte die Dynamik der jüngeren, »hungrigeren« Ökonomien. In Anlehnung an die Pionierrhetorik forderte er erneuerten Optimismus, mehr Innovation, schnelleres Wachstum. Nichts, was wir nicht schon mal gehört hätten.
Später in der Diskussion allerdings legte Kurz ein kurioses Bekenntnis ab. »Ich hab’ unlängst eine Diskussion erlebt, da ist über die Postwachstums-Gesellschaft philosophiert worden«, erklärte er dem Publikum. »Und ob es nicht auch eigentlich gut für ein Land sein kann, wenn es mal kein Wirtschaftswachstum mehr gibt, wenn die Zufriedenheit trotzdem vorhanden ist. Und wär’ es nicht überhaupt besser, die Zufriedenheit der Bevölkerung zu messen und nicht das Wirtschaftswachstum …« Der junge Mann trug das sehr gewinnend vor, ein leichtes Lächeln spielte um seine Lippen. Einen Augenblick lang war man versucht zu glauben, dass endlich doch eine vernünftigere Politikergeneration ans Ruder gekommen ist. Dass sich jetzt etwas ändern wird. »Das klingt alles immer so schön und so romantisch«, sagte er mit einem wissenden Augenzwinkern. »Ich kann nur sagen (…) Zufriedenheit zahlt keine Pensionen!«8
Kurz hatte die Postwachstums-Gesellschaft nur ins Gespräch gebracht, um sie sofort als substanzlose utopische Idee abzutun, die jeder Realität entbehre. Innerhalb weniger Wochen allerdings erschien diese leichtfertige Verleugnung wie eine ausrangierte Weisheit von gestern. Das Ende des wärmsten Januarmonats seit Beginn der Aufzeichnungen hielt eine harte Lektion bereit. Selbst im privilegierten Davos wussten nur wenige davon. Ein paar überängstliche Naturen hegten vielleicht schon einen heimlichen Verdacht. Ein paar skrupellose Politiker hatten bereits ihr Insiderwissen eingesetzt, um ihr persönliches Vermögen aus der Gefahrenzone finanziellen Zusammenbruchs herauszuholen. Die meisten aber wussten nichts oder wollten nichts wissen. Niemand dort hätte das Ausmaß der tiefgreifenden wirtschaftlichen und...


Jackson, Tim
Tim Jacksons Buch »Wohlstand ohne Wachstum« (oekom, 2011) war Buch des Jahres der Financial Times und Buch des Jahrzehnts bei UnHerd. Als Direktor des Centre for the Understanding of Sustainable Prosperity und Professor für nachhaltige Entwicklung an der University of Surrey (UK) erforscht er seit über drei Jahrzehnten die moralischen, wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen von Wohlstand auf einem endlichen Planeten. Zudem ist Jackson preisgekrönter Dramatiker mit zahlreichen Radiobeiträgen für die BBC.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.