Roman - Deutschsprachige Ausgabe
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-641-28841-9
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Pineapple Street in Brooklyn Heights ist eine der begehrtesten Wohngegenden in New York City und Heimat der wohlhabenden Familie Stockton. Obwohl sie alles haben, was sie sich wünschen, suchen die Töchter Darley und Georgiana und Schwiegertochter Sasha nach Erfüllung in ihrem Leben. Witzig, klug und voller Herz, mit wunderbar liebenswerten und fehlbaren Figuren, ist »Pineapple Street« ein brillant komponierter Roman über Familiendynamiken, die Macht des Geldes, den alles verzehrenden Wahnsinn der ersten Liebe - sowie die uralte Frage: Macht Geld wirklich glücklich?DARLEY, die älteste Tochter, musste sich nie um Geld Sorgen machen. Sie folgte ihrem Herzen und tauschte ihren Job und ihr Erbe gegen die Mutterrolle. Aber am Ende opfert sie mehr von sich, als sie jemals beabsichtigt hatte. SASHA heiratet in die Stockton-Familie ein, deren komplexe und undurchsichtige Traditionen Welten von ihrem alten Leben entfernt sind. Sie fühlt sich wie ein Fremdkörper, stets bemüht ihrer neuen Schwiegermutter zu gefallen - und doch lässt ihr Zögern, einen Ehevertrag zu unterschreiben, alle über ihre wahren Absichten rätseln. GEORGIANA, das Nesthäkchen, verliebt sich unsterblich in jemanden, den sie nicht haben kann - und ist gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen, wer sie eigentlich sein möchte.
Jenny Jackson arbeitet als Lektorin bei einem großen amerikanischen Verlag und hat in der Vergangenheit exzellentes Gespür für Autor*innen und erfolgreiche Buchstoffe bewiesen. »Pineapple Street« ist ihr erster Roman, er stand wochenlang auf der New-York-Times-Bestsellerliste. Jenny Jackson lebt mit ihrer Familie in Brooklyn Heights.
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Georgiana Georgiana hatte ein Problem, und das waren ihre verräterischen Wangen. Sie war schon immer beim geringsten Anlass rot geworden, in letzter Zeit aber fühlte sie sich wie eine Science-Fiction-Figur, deren Emotionen sich ausschließlich auf der Haut abspielten. Und es lief immer gleich ab, sie spürte, wie die Hitze in ihre Wangen stieg, gefolgt von einem leichten Kribbeln am Hals, und schwups, war sie scharlachrot. Was jahrelang ein hauptsächlich charmanter Zug gewesen war, hatte sich zu einer beruflichen Belastung entwickelt, seitdem Georgiana einen richtigen Job hatte und, problematischer-, bescheuerter-, kindischer- und demütigenderweise, verknallt war. Und wie. Er hieß Brady, und sie konnte ihn, wenn sie gemeinsam in einem Meeting saßen, nicht einmal ansehen. Sie hatten kaum miteinander gesprochen – er war älter als sie, vielleicht Anfang dreißig, und ein Projektleiter, der keinen Grund hatte, die kleine dunkelrotwangige, immerfort krampfhaft auf den Boden starrende Person auch nur zur Kenntnis zu nehmen –, doch wann immer Georgiana ihm auf dem Flur begegnete, im selben Konferenzraum saß oder am Kopierer mit ihm zusammenstieß, musste sie den Blick abwenden, als wäre er eine Sonne, die sie ohne diese dämliche Sonnenfinsternisbrille nicht ansehen konnte. Sie arbeiteten bei einer gemeinnützigen Organisation, und die Büros befanden sich in einer alten Villa am Columbia Place, die immer noch wie ein Wohnhaus eingerichtet war. Um zu ihrem Schreibtisch zu gelangen, musste Georgiana durch ein prächtiges Foyer, in dem die Empfangsdame Denise hinter einem schweren Mahagonischreibtisch saß, eine Wendeltreppe hinauf, durch einen großen Raum, der abwechselnd als Konferenzraum und Cafeteria genutzt wurde, dann durch ein geräumiges Schlafzimmer, wo an vier Schreibtischen Förderanträge geschrieben wurden, bevor sie schließlich das winzige Zimmer erreichte, das ursprünglich wohl für ein Dienstmädchen oder ein Kindermädchen gedacht war. Sie saßen alle zusammengepfercht wie Sardinen, aber es war bezaubernd. Georgianas Zweipersonenbüro hatte ein großes Fenster, das nach Westen ging, mit Blick auf die Promenade und über den East River. In den Toiletten, die im ganzen Haus zu finden waren, hingen Landkarten der Regionen, in denen sie jeweils tätig waren, und über dem Drucker, neben der Anleitung zum Nachfüllen von Toner, das goldgerahmte Porträt einer Herzogin beim Harfenunterricht. Die Villa gehörte dem Gründer der Organisation, dem Erben eines Pharmavermögens. Er hatte in seiner Jugend die Welt bereist, war sich der mangelhaften medizinischen Versorgung in den Entwicklungsländern bewusst geworden und hatte nach seiner Rückkehr eine NPO gegründet, deren Ziel es war, lokale Einrichtungen beim Aufbau eines nachhaltigen Gesundheitssystems zu unterstützen. Finanziert wurde die Organisation hauptsächlich von der Gates Foundation und der Weltbank, aber auch von privaten Spendern. Georgiana war in der PR-Abteilung beschäftigt, wo sie sich um ebenjene Spender kümmerte, die Webseite mit Bildern von ihren Auslandseinsätzen bestückte, für den Newsletter Artikel über die jeweiligen Projekte schrieb und ihren Social-Media-Auftritt gestaltete. Letzteres nicht aus Neigung, sondern weil heute jeder unter dreißig als besonders Social-Media-affin gilt. Möglicherweise hatte es beim Bewerbungsgespräch nicht geschadet, dass sie beiläufig ihre achtzehnhundert Follower auf Instagram erwähnte. (Aber wer hat die nicht? Man deaktiviert die Privatsphäreeinstellung und postet ab und zu ein Bild von den vielen tollen Leuten auf einer Party, und das war’s.) Das war freilich der Hauptunterschied zwischen Georgiana und Brady: Sie war untere Ebene, auf Hilfskraftniveau, sie konnte über die Erfolge der Organisation fangirlen und im Newsletter davon schwärmen … Brady hingegen stand im Zentrum des Geschehens. Er war in Afghanistan gewesen, in Uganda, er war auf den Fotos zu sehen, die Georgiana für die Veröffentlichung aussuchte – Brady im Gespräch mit einer Gruppe von Ärzten in einem behelfsmäßigen Krankenhaus, fußballspielend mit entzückenden Kids vor einem Transparent, das für Impfungen wirbt, Auge in Auge mit einer indischen Ärztin, mit der er die Empfängnisverhütungskampagne bespricht. Wenn er der Star auf der Bühne war, war sie die Kulissenschieberin, und nichts wünschte sie sich sehnlicher, als dass er sie zur Kenntnis nahm, und fürchtete sich gleichzeitig entsetzlich davor, denn es war klar, dass das Ergebnis flammende Röte wäre. Es war ein Freitag, und Georgiana stand vor den Postfächern unter der Treppe und warf Umschläge je nach Bestimmungsort in den einen oder den anderen, national und international. Beim Sortieren kontrollierte sie die Adressen, um sicherzustellen, dass sich nicht irgendwo Fehler eingeschlichen hatten. Sie hatte unlängst die Adresslisten aktualisiert und für große Mailingaktionen eingerichtet, sodass sie nicht jede Adresse einzeln tippen musste, aber perfekt war das System noch nicht. Während sie über einem Umschlag grübelte, schreckte sie von hinten eine Stimme auf. »Alles okay?« Es war Brady. Er griff über sie hinweg nach seinem Postfach, an dem sein Name stand. »Ja, ich will mich nur vergewissern, dass der Brief richtig adressiert ist.« Georgiana ließ ihn einen Blick auf den Umschlag werfen. Sie standen so nahe beieinander, dass sie ihn hätte küssen können, wenn sie so tat, als geriete sie ins Stolpern. O mein Gott, wie bescheuert bist du eigentlich? Kurz hasste sie sich für ihre wilden Gedankensprünge. »Sieht doch gut aus. Was soll nicht stimmen?«, fragte Brady. »Aber ist es In- oder Ausland? Da steht doch gar kein Land«, antwortete Georgiana ratlos. »Vereinigte Arabische Emirate«, las Brady langsam, auf die unterste Adresszeile deutend. Zitterte der Umschlag? Georgiana schien es so. »Ja, aber sollte da nicht auch noch ein Land drunterstehen?«, fragte sie. »Die Vereinigten Arabischen Emirate sind ein Land.« »Oh …« Georgiana verstummte. »Liegt auf der Arabischen Halbinsel zwischen Saudi-Arabien und Oman.« »Ähm.« Georgiana hatte tatsächlich noch nie in ihrem Leben davon gehört. »Dubai gehört zum Beispiel dazu.« »Ach ja, die Palmeninseln, die man vom Weltraum aus sieht.« Georgiana nickte energisch. Dubai kannte sie doch. »Mit riesigen Shopping Malls und Rennautos.« »Ja. Aber das ist nicht der Teil, wo wir uns für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung einsetzen.« »Nein, nein, natürlich nicht«, pflichtete Georgiana bei. Hätte sie noch idiotischer dastehen können? Wahrscheinlich nicht. »Jedenfalls kannst du das so wegschicken.« Brady lächelte – oder lachte er? –, drehte sich um und ging mit seinen Briefen davon. Georgiana warf den Umschlag in das Fach für Auslandspost und spürte das Feuer auf ihren Wangen. Am selben Abend war sie in Williamsburg zu einer Geburtstagsparty eingeladen, und der Kater, mit dem sie am nächsten Morgen erwachte, war derart heftig, dass ihr sogar die Zähne wehtaten. Sie schickte Lena mehrere Totenkopf-Emojis, und Lena textete zurück: Komm rüber. Kristin war schon da, und sie zogen das Bettsofa in Lenas Wohnzimmer aus, damit sie sich gemeinsam in der Horizontalen ihrer Rekonvaleszenz widmen konnten. Bei Westville bestellten sie Grillkäse und Pommes, dazu Zwiebelringe, die sie zwar alle drei nicht mochten, aber nachdem sie nun schon auf dem Sterbebett lagen, konnten sie genauso gut auch Zwiebelringe essen. Sie sahen im Kabelfernsehen reichen Hausfrauen beim Streiten zu, und um drei, als Lenas Freund aus dem Fitnessstudio zurückkam, verspottete er sie als degenerierte Wodkaopfer. Georgiana ging gern aus, aber noch schöner waren die Katertage mit Lena und Kristin. Manchmal gingen sie ins Kino, wo sie dann den ganzen Film verschliefen, manchmal versuchten sie, es im Barre-Kurs auszuschwitzen, wo sie die ganze Stunde lang jammerten und stöhnten und vom Trainer böse Blicke ernteten, und manchmal war ihnen alles egal, und sie bestellten im Diner an der Clark Street Bloody Marys, die sie als Katermedizin bezeichneten, bis sie wieder betrunken waren und nach Hause mussten, um ihren Rausch auszuschlafen. Georgiana, Lena und Kristin kannten einander seit der Highschool, wo sie sich geschworen hatten, eine Dreier-WG zu gründen, sobald sie erwachsen wären. Jetzt wohnten sie zwar nicht zusammen, aber immerhin im selben Viertel, und wie sich zeigte, war es sogar noch besser, drei verschiedene Wohnungen zum Abhängen zu haben. Lena war Assistentin eines reichen Hedge-Fonds-Managers, der so begeistert von ihr war, dass er ihr eine signifikante Gehaltserhöhung in Aussicht stellte, falls sie ihm versprach, niemals zu kündigen. Flüge zu buchen und Restauranttische zu reservieren, war nicht die Art von Tätigkeit, von der Lena während ihres Kunstgeschichtestudiums geträumt hatte, aber sie verdiente das Dreifache dessen, was ihr bei Christie’s angeboten worden war, daher blieb sie. Er schenkte ihr regelmäßig seine Vielfliegermeilen, und wenn das so weiterging, würde sie nie wieder Economy fliegen müssen, was ihr kein schlechter Preis für aufgegebene Jungmädchenträume schien. Kristin wiederum war bei einem Tech-Start-up und hasste ihre Arbeit meistens, musste aber nie in den Supermarkt, denn Frühstück und Mittagessen gab es in der Kantine, wo sie sich außerdem in einer Lunchbox Salat und gegrillten Lachs nach Hause mitnehmen durfte. Da sie praktisch an jedem Wochentag abends ausgingen, schleppte Kristin ihre Tupperdose von Bar zu Bar mit, und ihre...